Wie Gordian Troeller zu Radio Bremen kam
Dafür, daß Gordian Troeller einer der beständigen großen Autoren des deutschen Fernsehens werden würde, sprach am Anfang seiner Karriere als filmender Zeitzeuge so gut wie nichts. Gewiß – er war einer der bekanntesten Stern-Reporter gewesen, bevor er umsattelte. Aber der NDR (logischer Abnehmer, da Gordian in Hamburg wohnte) konnte sich nicht entschließen, ihn mit mehr zu beauftragen als mit gelegentlichen – seltenen – Sendungen im Dritten Programm.
Als ich Chefredakteur von Radio Bremen wurde, stand für mich längst fest, daß Troeller im Fernsehen einen besseren Platz haben müsse. Noch bevor ich meinen Schreibtisch in Bremen-Osterholz bezog – ich amtierte zunächst im Hörfunk – überzeugte ich ihn, daß er beim kleinsten ARD-Sender besser aufgehoben sein würde als beim zweitgrößten. Mein Trumpf war, ihm von vornherein einen regelmäßigen Sendeplatz im ersten Programm anbieten zu können. Ich sicherte ihm drei ‚Feature‘-Termine pro Jahr zu, und das unbefristet.
Das war zu Beginn der kurzen Ära Bölling – Ertel – Paczensky beim Bremer Sender. Ertels Vorgänger als Fernsehdirektor protestierte gegen eine solch weitreichende Festlegung, war ja aber auch auf dem Weg in die Pensionierung und resignierte notgedrungen; ich hatte natürlich im Einvernehmen mit dem Intendanten und dem neuen Programmdirektor gehandelt. Andere ‚alte Bremer‘ beklagten, daß sie nicht gefragt worden seien, und daß ein ihnen Unbekannter, denn ihr Interesse hatte bis dahin kaum der Dritten Welt gegolten, so mir nichts dir nichts einen wesentlichen Anteil an der Radio-Bremen-Präsenz im Hauptabendprogramm bestreiten würde. Radio Bremen war ja im Hauptabendprogramm mit kaum mehr als einem Dutzend Sendungen vertreten.
Als dann die Themen der drei ersten Sendungen feststanden, mußte ich sie natürlich erst von der ARD-Programmkonferenz billigen lassen; die Konferenz der Chefredakteure bereitete das Programm, dem Schema entsprechend, unter Vorsitz des Koordinators für die Konferenz der Programmdirektoren vor. Just in diesem Jahr, als Troellers Serie Im Namen des Fortschritts begann, ließen auch der SWF und der WDR eine gemeinsame entwicklungspolitische Serie anlaufen, ebenfalls mit drei Sendungen. Als ich mit der Troeller-Anmeldung ankam, sagte der Koordinator eher abwehrend. „Aber Dritte-Welt-Sendungen haben wir nun schon drei…“ Für ein Jahr, wohlgemerkt. Stoßrichtung, Gründlichkeit, Informationsgehalt und Engagement der Troeller-Beiträge ließen alles andere, was zu dieser Thematik gesendet wurde, sofort weit hinter sich, weckte aber auch umgehend Kritik und Proteste der Kolonialismuslobby. Diese konnte sich stets, offenbar mühelos, Bremer und anderer Rundfunkräte bedienen, um gegen Troeller Stimmung zu machen. Die ARD-Fernsehhierarchie war nicht immer ein guter Schutz gegen solche Stimmungsmache, meist wegen fehlender Sachkenntnis und häufig auch aus Abneigung dagegen, westliche Entwicklungsmodelle und Vorstellungen kritisch durchleuchten zu lassen. Aber Radio Bremen blieb wenigstens fest.
Einer der ersten Volltreffer der Serie Im Namen des Fortschritts war eine Reportage über Gabun (Verarmungshilfe), dessen Diktator im Bund mit westlichen Kapitalisten das Land ruinierte. Auch im Bremer Fernsehausschuß fanden sich zeternde Stimmen, da sei Troeller zu weit gegangen. Als Jahre später alle Welt erkannt hatte (zu haben glaubte), wie korrupt das dortige Regime war, wollte sich wohl kein Bremer Rundfunkrat an seine damalige obrigkeitsfromme Haltung erinnern.
Im Grunde waren alle Beiträge der Serie Volltreffer.
Gordian Troellers Aufstieg zum führenden Dokumentaristen dessen, was Im Namen des Fortschritts in der Dritten Welt angerichtet wurde, ist nicht zu trennen von Marie-Claude Deffarge. Sie war seine langjährige Lebensgefährtin, zusammen mit ihr hatte er seine ersten Erfahrungen in diesen Ländern gesammelt (Auftakt: Persien). Sie war eine der fähigsten französischen Spezialistinnen für Fragen der sogenannten ‚Entwicklungsländer‘. Ihre Kenntnisse, ihre Dokumentationsarbeit verschafften dem Paar einen Vorsprung an Einsicht und Kenntnis, den niemand aufholen konnte. Marie-Claude Deffarge sorgte dafür, daß das, was Gordian Troeller in seinen Filmreportagen aussagte, stets belegbar war. Das hatte das Paar schon zu einem idealen Reportergespann für den Stern gemacht, für den es um die Welt gereist war, bis das Blatt sein Interesse an dieser Thematik verlor. Und das machte dann, als die beiden für das Fernsehen arbeiteten, die von wenig Sachkunde getrübten Proteste so mancher Rundfunkräte noch lächerlicher.
Marie-Claude Deffarge konnte schließlich wegen schlechter Gesundheit nicht mehr reisen. Sie starb 1984, während Troeller gerade in Afrika filmte.
Auf Im Namen des Fortschritts folgten andere Troeller-Reihen – was die Stärke der ersten Serie ausgemacht hat, prägte auch sie und kennzeichnet auch jetzt seine Arbeit.
Wir müssen hoffen, daß die ARD im Gerangel um Einschaltquoten Troeller nicht nur nach diesen misst – seine Beiträge sind ohnehin schon von 45 auf 30 Minuten gekürzt worden. Er ist ein Markenzeichen der ARD.
Aus:
Kein Respekt vor heiligen Kühen, Gordian Troeller und seine Filme
Herausgeber: Joachim Paschen
Bremen, 1992