{"id":54029,"date":"2017-03-11T14:08:55","date_gmt":"2017-03-11T13:08:55","guid":{"rendered":"http:\/\/www.troeller-deffarge.com\/?page_id=54029"},"modified":"2020-08-03T22:53:14","modified_gmt":"2020-08-03T20:53:14","slug":"viel-sonne-wenige-peseten","status":"publish","type":"page","link":"https:\/\/www.troeller-deffarge.com\/zeitungsreportagen\/spanien\/viel-sonne-wenige-peseten\/","title":{"rendered":"Viel Sonne, wenig Peseten"},"content":{"rendered":"
Stern, Heft 38, 19. September 1959<\/em><\/p> Wir sind nicht als Touristen gekommen. Wir sind gekommen, um einen Blick hinter die malerische Fassade des Spaniens zu werfen, das die Reiseb\u00fcros anpreisen, das die Dichter besingen und das Hunderttausenden von sonnenhungrigen Deutschen seine romantische Seite zeigt: Toreros, Flamenco-T\u00e4nzer, Kruzifixe und den ewig blauen Himmel vor der Costa Brava. Vor der Fassade<\/strong><\/p>
Wir kannten Spanien schon. Und wir hatten gelernt, es mit den Augen der Menschen zu sehen, die dort leben. Denn wir hatten zwei Jahre lang in Madrid und Barcelona als Korrespondenten gearbeitet. Das war von 1946 bis 1948. Und wir kannten Spanien auch aus jener Zeit, als es sich, ersch\u00f6pft und ausgeblutet, von seinem grausamen B\u00fcrgerkrieg zu erholen begann.
Heute herrscht in Spanien Ruhe. Es ist jene tr\u00fcgerische Ruhe, die wir auch in Deutschland aus der Zeit kennen, als nur eine Partei regierte, und als alle, die im offenen Widerspruch zur Politik dieser Partei standen, in den Konzentrationslagern verschwanden.
Auch in Spanien gibt es nur eine Partei: die Falange. Und eine von der Falange gesteuerte \u201eGewerkschaft“. Alle anderen Parteien und Gewerkschaften sind verboten. Die Monarchisten, Sozialisten, Republikaner, Christlichen Demokraten und Kommunisten mu\u00dften in den Untergrund gehen.
Wir begannen unsere Reise in Barcelona, weil Barcelona die bedeutendste Industriestadt und seit jeher die politisch lebendigste Stadt Spaniens ist. Au\u00dferdem hatten wir eine Bestellung in Barcelona auszurichten. Eine Bestellung an einen alten Freund, den wir seit zw\u00f6lf Jahren nicht gesehen hatten.
Er hei\u00dft Pablo, ist Republikaner einflu\u00dfreiches Mitglied einer verbotenen Gewerkschaft. Wir kannten seine jetzige Adresse nicht. Und deshalb hatten wir vor unserer Abreise nach Spanien in Paris mit Jos\u00e9, einem Exilspanier, Kontakt aufgenommen. Jos\u00e9 nannte uns ein Gesch\u00e4ft in einer bestimmten Stra\u00dfe im eleganten Einkaufsviertel von Barcelona.
\u201eDort werdet ihr Juan treffen, Pablos Sohn“, sagte er, \u201eaber es wird euch nichts nutzen, wenn ihr ihm nicht dieses P\u00e4ckchen mit Kaffee \u00fcbergebt. Der Kaffee ist ein Erkennungszeichen daf\u00fcr, da\u00df ihr in Ordnung seid.“ Er f\u00fcgte mit einem entschuldigenden Achselzucken hinzu: \u201eIhr d\u00fcrft uns nicht f\u00fcr Romantiker halten. Wenn ihr erst in Barcelona seid, werdet ihr verstehen, warum wir so geheimnisvoll tun m\u00fcssen.“ Und als wir gegangen waren, rief er uns nach: \u201eWenn ihr in Barcelona telefonieren wollt, verge\u00dft nicht: Die Polizei hat 12 000 Tonbandger\u00e4te in Betrieb …“
Dennoch l\u00e4chelten wir, nachdem wir uns von Jos\u00e9 verabschiedet hatten. Am n\u00e4chsten Tag, in Barcelona, l\u00e4cheln wir nicht mehr. Wir waren mitten drin im einzigen perfekten Polizeistaat Europas diesseits des Eisernen Vorhangs.
Ich machte mich allein, ohne Claude, auf dem Weg, Pablo zu suchen. Ich glaubte, da\u00df das R\u00e4uber-und-Gendarm-Spielen kein Gesch\u00e4ft f\u00fcr eine Frau ist. Vor dem Haus, das Jos\u00e9 mir in Paris genannt hatte, blieb ich stehen, das P\u00e4ckchen mit dem Kaffee unter dem Arm. Dem \u201eSesam-\u00f6ffne-dich-Kaffe\u201c.
Ich stand vor der Front eines modern eingerichteten – Kaffeegesch\u00e4fts. Ich trat ein und fragte den Besitzer nach Juan, dem Sohn von Pablo. In meiner Hand trug ich unschl\u00fcssig das P\u00e4ckchen mit Kaffee.
\u201eSie m\u00fcssen sich irren, mein Herr“, sagte er. „Das Gesch\u00e4ft geh\u00f6rt mir. Aber ich hei\u00dfe nicht Juan, und mein Vater hei\u00dft nicht Pablo.“
\u201eSie kennen auch niemanden in diesem Haus, der so hei\u00dft?“
\u201eNein. Ich habe das Gesch\u00e4ft erst seit vierzehn Tagen \u2026“
Ich stellte keine weiteren Fragen und verabschiedete mich etwas ratlos. Sollte Pablo etwa von der Polizei verhaftet worden sein?
Ich l\u00e4utete beim Portier des Hauses. \u201eO ja, Juan“, sagte er, \u201eder hat hier unten die kleine Schuhmacherwerkstatt.“ Er deutete auf ein paar ausgetretene Stufen, die ins Souterrain hinunter f\u00fchrten.
Jetzt fiel es mir ein: Jos\u00e9 hatte von einer Tienda in diesem Haus gesprochen. Und eine Tienda kann ebenso gut ein Laden wie eine Werkstatt sein.
Ich erkannte in Juan, der gerade pr\u00fcfend mit den Fingerspitzen \u00fcber eine Schuhsohle strich, den Sohn seines Vaters. Er hatte dieselbe Art sich zu bewegen.
Ich komme von Jos\u00e9 aus Paris und bringe Ihnen dieses Paket Kaffee.“ Er nahm mir bed\u00e4chtig den Kaffee aus der Hand, warf einen kurzen Blick auf das Etikett und fragte leise: \u201eSo, von Jos\u00e9 kommen Sie …?“
Auch ich d\u00e4mpfte unwillk\u00fcrlich meine Stimme, obwohl niemand au\u00dfer uns beiden im Raum war. \u201eIch m\u00f6chte Pablo sprechen.“
\u201eWarum?“
\u201eIch kenne Pablo von fr\u00fcher. Wir waren immer gute Freunde. Sagen Sie ihm nur meinen Namen: Gordian Troeller. Er wird sich auf mich besinnen.“
\u201eSie sprechen Spanisch wie ein Spanier. Aber f\u00fcr einen Spanier sind sie zu blond.“
\u201eIch bin kein Spanier, aber ich habe hier einige Zeit gelebt.“
\u201eIch werde mit meinem Vater sprechen“, sagte er kurz. \u201eKommen Sie morgen wieder.“<\/p>