{"id":54032,"date":"2017-03-11T14:08:55","date_gmt":"2017-03-11T13:08:55","guid":{"rendered":"http:\/\/www.troeller-deffarge.com\/?page_id=54032"},"modified":"2020-04-18T15:13:34","modified_gmt":"2020-04-18T13:13:34","slug":"hochzeit-in-andalusien","status":"publish","type":"page","link":"https:\/\/www.troeller-deffarge.com\/zeitungsreportagen\/spanien\/hochzeit-in-andalusien\/","title":{"rendered":"Hochzeit in Andalusien"},"content":{"rendered":"

Stern, Heft 40, 3. Oktober 1959 <\/em>
<\/em><\/strong><\/p>

In Jerez de la Frontera, der Hochburg des andalusischen Weines, erleben Sternreporter ein Fest der reichen Leute.
\u201eWo, in Europa, kann man so gut leben wie hier in Spanien.\u201c Diesen Satz bekamen wir immer dann zu h\u00f6ren, wenn wir mit guten spanischen B\u00fcrgern zusammentrafen, die sich gar nicht oder nur wenig um Politik k\u00fcmmern.
Heute ist wieder so ein Tag, an dem man uns das Loblied des sch\u00f6nen Spanien singt. Wir sind in Madrid in einer eleganten Wohnung des Stadtteils Salamanca. Hier wohnen nur wohlhabende Spanier, ausl\u00e4ndische Diplomaten und die mehr oder weniger offiziellen Geliebten, die jeder Spanier haben mu\u00df, der etwas auf sich h\u00e4lt und der das n\u00f6tige Geld hat, sich neben einem teuren Wagen auch dieses nerzbefellte Abzeichen des Reichtums zu leisten.
Villanuevas haben uns zum Tee eingeladen. Herr Villanueva sitzt im Aufsichtsrat einer gro\u00dfen Bank, seine Frau im Vorstand eines Wohlt\u00e4tigkeitsvereins. Wir sitzen hier im Kreise herum, wie bei einem persischen Empfang, die Frauen rechts, die M\u00e4nner links, und erheben uns alle jedes Mal wie ein Mann, wenn der Diener einen neuen Gast anmeldet. Dienstm\u00e4dchen mit Spitzenh\u00e4ubchen, fleckenlosen Sch\u00fcrzen und wei\u00dfen Handschuhen servieren Tee und Kuchen
\u201eWo, in Europa, gibt es noch so stilbewu\u00dfte und so billige Dienstboten wie bei uns in Spanien?\u201c \u2013 Frau Villanueva wendet sich zu Claude. \u201eIn Frankreich und Deutschland werdet ihr nicht mehr f\u00fcr so wenig Geld so gro\u00dfartig bedient.\u201c
\u201eSicher nicht, aber in Italien \u2026\u201c
\u201eWas hei\u00dft hier Italien\u201c, f\u00e4llt ihre Nachbarin, Frau Garcia, ihr ins Wort. \u201eDort geh\u00f6ren die Dienstboten schon mit 14 Jahren zur kommunistischen Partei. Den Feind im eigenen Haus ern\u00e4hren, das ist es, was die Italiener tun.
Die Frauen r\u00fccken zusammen. Jede will an diesem interessanten Thema beteiligt sein. Claude kommt gar nicht mehr zu Wort.
\u201eIch war letztes Jahr bei Freunden in Hannover. Na, das h\u00e4tte dir erleben sollen\u201c, seufzt eine junge Frau, die so blond ist, da\u00df ich sie zun\u00e4chst f\u00fcr eine Schwedin gehalten habe. \u2013 \u201eAbends um acht Uhr war das M\u00e4dchen frei. Sie ging aus, mit wem sie wollte. Hatte ihr eigenes Zimmer mit Radio und kleiner Lampe am Bett, wo sie Romane las, w\u00e4hrend meine Freundin selbst aufger\u00e4umte und sp\u00fclte. Da h\u00e4tte man die ganze Nacht klingeln k\u00f6nnen, das Dienstm\u00e4dchen w\u00e4re nie aufgestanden. Sie h\u00e4tte gek\u00fcndigt. Und so was kostet 150 DM im Monat.\u201c
\u201eWie viel bezahlt man hier?\u201c fragt Claude.
\u201eIch zahle 350 Peseten (25 DM) mit\u201c, sagt die h\u00fcbsche Blonde.
\u201eIch 400 Peseten (28,70 DM) ohne\u201c, f\u00fcgt Frau Garcia hinzu.
\u201eMeine K\u00f6chin erh\u00e4lt 400 Peseten mit, die beiden Dienstm\u00e4dchen in 350 Peseten ohne\u201c, erkl\u00e4rt Frau Villanueva.
\u201eMit oder ohne Verpflegung?\u201c will Claude wissen.
\u201eAber nein, verpflegt werden sie nat\u00fcrlich im Hause. Mit oder ohne hei\u00dft: mit oder ohne Erlaubnis, beim Einkaufen unauff\u00e4llig zu schwindeln. Wenn eine K\u00f6chin \u201amit\u2018 angestellt wird, hat sie das Recht, die Preise der Lebensmittel um einige Prozent zu erh\u00f6hen.\u201c
\u201eSie sehen, wie liberal und gro\u00dfz\u00fcgig wir sind\u201c, wirft sich eine zierliche Person ins Gespr\u00e4ch, die so h\u00fcbsch ist, da\u00df die ganze M\u00e4nnerreihe nun auch endg\u00fcltig den Frauen zuh\u00f6rt. \u2013 \u201eWir zahlen keine Krankenkassenbeitr\u00e4ge, daf\u00fcr aber schicken wir unsere Dienstboten zu den besten \u00c4rzten, wenn sie krank sind. Meine Kammerzofe, ein 27 Jahre altes M\u00e4dchen, das immer noch nicht verheiratet ist, hatte sexuelle Zwangsvorstellungen, die sie fast arbeitsunf\u00e4hig machten. Ich schickte sie zum besten Psychiater, und jetzt kann sie wieder arbeiten, ohne an dumme Dinge zu denken. Sie ist so h\u00fcbsch, da\u00df man ihr helfen mu\u00df, dem armen Ding.\u201c
\u201eDa bin ich aber gar nicht ihrer Meinung\u201c, ruft Frau Garcia. \u2013 \u201eH\u00fcbsch darf ein Dienstm\u00e4dchen nie sein. Bei der schlechten Moral der niederen Klassen sind h\u00fcbsche M\u00e4dchen eine st\u00e4ndige Gefahr f\u00fcr unsere S\u00f6hne.\u201c
Mein Nachbar, ein junger Rechtsanwalt, gibt mir einen kleinen Rippensto\u00df und fl\u00fcstert: \u201eBei meiner Mutter gab es nur h\u00fcbsche Dienstm\u00e4dchen, das kann ich Ihnen versichern.\u201c <\/p>

\"\"
Hundert Polizisten<\/strong> m\u00fcssen eingesetzt werden, um die Braut von der Neugier des Volkes zu sch\u00fctzen. Ana-Maria Boh\u00f3rquez, die Tochter des gro\u00dfen Stierz\u00fcchters heiratet Don Jaime Domeqc Ibarra, den Sohn der Sherrydynastie. Millionen sto\u00dfen zu Millionen. Als Ana-Maria zur Kirche f\u00e4hrt, jubeln Tausende ihr zu<\/em><\/figcaption><\/figure>
\"\"
Ein Bischof <\/strong>gibt den Trausegen. Es ist 19 Uhr. Fr\u00fcher wird im Sommer nicht geheiratet. Alles, was in Andalusien einen Namen hat, ist heute hier. Zwischen der Kirche und dem Landsitz der Boh\u00f3rquez, auf 14 Kilometer, fahren 800 festlich erleuchtete Wagen die eleganten G\u00e4ste zum n\u00e4chtlichen Hochzeitsschmaus <\/em><\/figcaption><\/figure>

<\/p>

<\/p>

<\/p>

<\/p>

<\/p>

<\/p>

<\/p>

<\/p>

\"\"
Zweitausend G\u00e4ste waren geladen. Kaviar, Sekt und ganze, am Spie\u00df gebratene Ochsen bedeckten die Tische, auf denen wertvolles Silber gl\u00e4nzte<\/strong><\/em><\/figcaption><\/figure><\/div><\/div>

<\/p>

\"\"
Zigeune<\/strong>r aus Sevilla tanzten die ganze Nacht in der Privat-Arena, in der man tags\u00fcber die Kampflust der K\u00fche erprobt, die zur Stierzucht ausgew\u00e4hlt werden. In den G\u00e4rten spielten vier Jazzkapellen zum Tanz. Die riesige Hochzeitstorte wurde von einem niedlichen Esel auf einem vergoldeten Wagen herangefahren und mit einem Schwert angeschnitten. Die Damen hatten ihre Kleider aus Paris, die Herren ihre Anz\u00fcge aus London. Als der Morgen graute, wurden kleine Stiere in die Arena gelassen, und die Mutigsten, die noch auf den Beinen stehen konnte, wurden schnell n\u00fcchtern.<\/em><\/figcaption><\/figure>


\u201eWissen Sie, wer diese bezaubernde Frau ist, die von Liberalismus spricht und ihre Sch\u00f6nheit so gro\u00dfz\u00fcgig zur Schau tr\u00e4gt?\u201c frage ich ihn ebenso leise.
\u201eDas ist Carmina S., hinter der wir alle wie besessen her sind, seit sie von ihrem Mann getrennt lebt und die Scheidung beantragt hat. Sie wissen, da\u00df es hier fast unm\u00f6glich ist, sich scheiden zu lassen, da es die zivile Ehe nicht gibt, sondern nur die kirchliche Trauung G\u00fcltigkeit hat. Aber Carmina hat es fertiggebracht, oder besser gesagt, sie ist auf dem einzig richtigen Weg dazu. Seit der Trennung von ihrem Mann, seit mehr als zwei Jahren, wohnt bei ihr ein Priester zu Gast, der \u00fcber ihren lauteren Lebenswandel wacht und h\u00f6heren Orts dar\u00fcber zu berichten hat. Sie lebt also wie im Kloster unter st\u00e4ndiger Kontrolle. Nur so wird sie ihre Scheidung durchsetzen k\u00f6nnen. Selbst wenn sie Besuch empf\u00e4ngt, sitzt der Priester dabei. Hierher kann sie ihn nat\u00fcrlich nicht mitbringen. Deshalb tobt sie sich auch aus, indem sie \u00fcber die sexuellen Angstzust\u00e4nde ihres Dienstm\u00e4dchen spricht, die wahrscheinlich ihre eigenen sind. \u2013 Aber h\u00f6ren Sie selbst.\u201c
\u201eDiese Amerikaner, diese unmoralischen Proleten\u201c, rief Carmina mit leidenschaftlicher Stimme. \u201eDas einzige, was ich Franco vorwerfe, ist, da\u00df er diesen Amerikanern erlaubt hat, hier milit\u00e4rische St\u00fctzpunkte zu errichten und sich breitzumachen. Wenn ich bedenke, da\u00df diese Menschen die Superprodukte der liberalen Demokratie sind, da\u00df es bei uns Leute gibt, die auch so leben wollen, da\u00df so vielleicht einmal unsere Zukunft aussieht, dann \u00fcberl\u00e4uft mich ein kalter Schauer.\u201c \u2013 Sie fr\u00f6stelt wirklich.
\u201eHaben Sie gesehen, wie diese Amerikaner, diese Neger, Wei\u00dfen und Mulatten, in Korea leben?\u201c
\u201eIn Korea?\u201c fragt Claude ungl\u00e4ubig. \u201eWas hat das mit Spanien zu tun?\u201c
Ein Chor von Stimmen erkl\u00e4rt uns, da\u00df \u201aKorea\u2018 der Name ist, den die Spanier dem eleganten Stadtviertel gegeben haben, in dem viele Amerikaner leben, die in Torrejon, dem Atombomberst\u00fctzpunkt in der N\u00e4he von Madrid, Dienst tun. \u201aKorea\u2018, das liegt an der pr\u00e4chtigen Avenue des General Franco, das liegt zwischen den Stra\u00dfen Peron und Salazar, wo die wundervollen H\u00e4user stehen, auf die ganz Spanien stolz ist. Dort gibt es ganze H\u00e4userblocks, in denen nur Amerikaner leben.
\u201eUnd wie sie dort leben\u201c, st\u00f6hnt Frau Garcia. \u201eSie verbringen ihre Sonntage, indem sie selbst ihre Autos waschen und reparieren. Sie fahren riesige Wagen und haben nicht einmal einen Chauffeur.\u201c \u2013 Sie erstickt fast vor Lachen. \u201eWenn ich an die Herzogin von V. denke, die immer einen uniformierten Chauffeur hat, selbst wenn sie sich nur einen Volkswagen leisten kann.\u201c
\u201eDas ist noch gar nichts\u201c, unterbricht Frau Villanueva. \u201eDie amerikanischen Frauen sitzen wie arme Leute mit ihren Kindern vor der T\u00fcr, anstatt diese Aufgabe dem Kinderm\u00e4dchen zu \u00fcberlassen. \u00dcberhaupt, diese amerikanischen Kinder sind so schlecht erzogen. Selbst die M\u00e4dchen tragen diese blauen Hosen \u2013 wie sagt man noch \u2013 diese Bluejeans, und spielen vor den H\u00e4usern wie Gassenjungen. Nie w\u00fcrde ich meinen Kindern erlauben, mit Amerikanern zu verkehren.\u201c
\u201eUnd die Moral, die Moral\u201c, ruft Carmina mit einem herausfordernden Blick gegen die M\u00e4nnerreihe. \u201eHabt ihr geh\u00f6rt, da\u00df ein amerikanischer Neger ein spanisches M\u00e4dchen, das dumm genug war, seine Freundin zu werden, mit Bissen get\u00f6tet und dann f\u00f6rmlich zerfleischt hat wie eine Urwaldbestie?\u201c
Pl\u00f6tzlich h\u00f6rt man zum ersten Mal eine M\u00e4nnerstimme. Der Admiral a. D. Don Jos\u00e9 P. y S. strafft seine gebeugte Gestalt: \u201eVergessen Sie bitte nicht, da\u00df wir Amerika entdeckt haben. Wir Spanier. Warum sollten wir uns aufregen \u00fcber die Nachkommen ehemaliger Str\u00e4flinge und Abenteurer. Wir, die stolzeste Nation der Erde. Was kann uns schon eine Handvoll hergelaufener Soldaten anhaben, die sich benehmen wie unser letzter P\u00f6bel? Geld haben sie, das ist alles. Das gute Blut haben wir.\u201c
\u201eTaratata \u2026\u201c sagt mein Nachbar leise vor sich hin. Aber er scheint der einzige, den diese Worte unber\u00fchrt gelassen haben. Die andern sind sichtlich gr\u00f6\u00dfer und bedeutender geworden. Oder bilde ich mir das ein? Jedenfalls f\u00fchle ich mich so winzig, so ganz und gar nicht mit dem richtigen Blut gef\u00fcllt, da\u00df ich nur noch einen Gedanken habe: verschwinden.<\/p>

\"\"
In den St\u00e4dten S<\/strong>paniens sind diese Szenen nicht selten: M\u00e4nner starren Frauen herausfordernd an oder bombardieren sie mit dreisten Bemerkungen. Die stolze, selbstbewus\u00dfte Spanierin reagiert nicht, und doch ist sie begl\u00fcckt \u00fcber diesen Tribut, den man ihrer Sch\u00f6nheit zollt<\/em><\/figcaption><\/figure>
\"\"
Im Park <\/strong>wird genauso viel geflirtet wie bei uns. Hier sitzen zwar noch Mutter und Schwester dabei, um den guten Ruf zu wahren. Aber wenn der Nachbar nicht mehr hinsieht, blickt auch die Familie weg. Die Fassade wird langsam br\u00fcchig <\/em><\/figcaption><\/figure>
\"\"
In der Bar <\/strong>bricht die moralische Fassade endg\u00fcltig zusammen. Dort legt der Spanier mit seiner Jacke auch den Zwang alter \u00dcberlieferungen ab. In den Kneipen wird getrunken, geflirtet, gesungen. In den eleganten Nachtlokalen geht es weniger laut her, daf\u00fcr aber ebenso ungebunden<\/em><\/figcaption><\/figure>

Es wird Nacht in Madrid<\/strong><\/p>

Die erste k\u00fchle Abendbrise schl\u00e4gt uns wohltuend entgegen. Es ist die sch\u00f6nste Stunde Madrids. Nach der unertr\u00e4glichen Hitze des Tages \u00f6ffnen sich jetzt die Fenster, um die k\u00fchle Luft in die Zimmer zu lassen und sie dort f\u00fcr die Nacht aufzuspeichern, um endlich aufzuatmen.
Im eleganten Stadtteil Salamanca hat diese Stunde einen ganz besonderen Charme. Es ist die Stunde der Liebe, des Flirts, des Rummels und tausend s\u00fc\u00dfer Komplikationen. Vielbesch\u00e4ftigte Herren lassen ihre Arbeit im Stich, mag sie auch noch so dringend sein. Sie holen ein paarmal tief Luft, schauen nach links, nach rechts, verschwinden in einer Espressobar, st\u00fcrzen wieder heraus, fahren einige hundert Meter mit dem Wagen, schlendern nachl\u00e4ssig zweimal um den gleichen H\u00e4userblock, stecken sich eine Zigarette an, wobei sie nochmal eingehend die Stra\u00dfe \u00fcberpr\u00fcfen, und verschwinden dann eiligst in einem Haus, wo der Portier bereits die T\u00fcr zum Fahrstuhl offen h\u00e4lt. Sie gehen zu ihrer Geliebten.
Die Geliebte geh\u00f6rt seit Jahrhunderten zur spanischen Sittengeschichte, wie Don Juan und die Inquisition. Sie ist die Schl\u00fcsselfigur von unz\u00e4hligen Theaterst\u00fccken, denen viele Generationen begeistert zujubelten. Franco aber will ein \u201esauberes\u201c Spanien. Das schien einfach. Seine Zensoren brauchten sie nur von der B\u00fchne zu streichen. Und sie taten es. Trotzdem spielt sie im Leben der Spanier nach wie vor eine der gro\u00dfen Rollen. Selbst die Kirche duldet sie schweigend, denn sie f\u00e4ngt die Verirrungen eines temperamentvollen Volkes ab und sch\u00fctzt daher Familie und T\u00f6chter.
Nat\u00fcrlich kommt eine Geliebte selten aus gutem Hause. Trotzdem hat sie ihren genauen Platz in der Gesellschaft, um den sie viele beneiden. Sie hat eine sch\u00f6ne Wohnung mit Dienstm\u00e4dchen und Badezimmer. Ihre Mutter darf bei ihr wohnen. Sie erh\u00e4lt ein monatliches Wirtschaftsgeld und hat ein fast traditionelles Recht, drei Stunden am Tag die Gegenwart ihres G\u00f6nners zu fordern.<\/p>

\"\"<\/figure><\/div>

<\/p>

<\/p>

Lange <\/strong>dauert die Verlobungszeit in Andalusien. Man mu\u00df warten, oft sechs bis acht Jahre warten, bis man das Geld f\u00fcr eine standesgem\u00e4\u00dfe Trauung zusammen hat. Bis dahin sieht das M\u00e4dchen ihren Verlobten nur in Begleitung oder durch diese sch\u00fctzenden eisernen Gitter<\/em><\/p>

<\/p>

Kurz <\/strong>und b\u00fcndig h\u00e4lt es dagegen die Jugend der unteren Klassen, selbst in Andalusiern. In den St\u00e4dten wackelt die Moral schon seit Jahren in allen sozialen Schichten. Die jungen Spanier wollen nicht mehr warten. Sie haben den Flirt entdeckt, das Spiel, das nicht verpflichtet
<\/em><\/p>

\"\"<\/figure><\/div>
\"\"
Flamenco, Rhythmus, Heiterkeit sind die traditionellen Formen andalusischer Koketterie und Erotik. Selbst die \u00c4rmsten finden dabei ihr L\u00e4cheln wieder.<\/em>
<\/figcaption><\/figure><\/div>

<\/p>

<\/p>

<\/p>

<\/p>

<\/p>

<\/p>

<\/p>

\"\"
In den St\u00e4dten (unten) wird heute alles n\u00fcchterner. Hier zieht der europ\u00e4ische Alltag ein. Fl\u00fcchtige Begegnungen, galante Abenteuer, soll Daten und Teenager im Park geh\u00f6ren heute, wie bei uns, zum Leben der spanischen St\u00e4dte<\/em><\/figcaption><\/figure>

In Madrid gibt es elegante Lokale, in die man mit seiner Familie oder mit seiner Frau geht. Es gibt ebenso elegante Lokale, in die man nur seine Geliebte f\u00fchrt. So ist alles sch\u00f6n aufgeteilt zwischen Gut und B\u00f6se, Pflicht, Moral und Vergn\u00fcgen. Aber im Grunde haben Francos Zensoren, indem sie die Geliebte aus dem Theater verdr\u00e4ngten, nur eine unaufhaltsame Umw\u00e4lzung der spanischen Tradition um einige Jahre vorausgenommen. Die Geliebte stirbt langsam eines nat\u00fcrlichen Todes. Heute ist sie nur noch ein \u00dcberbleibsel der \u201eguten alten Zeit\u201c, in der die Werte sch\u00f6n abgestuft und die Probleme vereinfacht waren. Die neuen Generationen werden sie nicht mehr brauchen, weil sie tastend versuchen, so zu leben wie unsere Jugend, indem sie ihre \u00c4ngste und W\u00fcnsche, ihre Sehns\u00fcchte und Qualen unter sich ausleben.
Dieser Ri\u00df durch die moralische Fassade Spaniens geht nat\u00fcrlich nicht ohne Widerspr\u00fcche oder dunkle Irrwege. So sieht man M\u00e4dchen in Blue Jeans, die sich wie Herzoginnen benehmen, oder junge Damen in sittenvoller Kleidung, die den tollsten Rock\u2019Roll-Fans den Rang ablaufen. Sie versuchen ein Leben zu f\u00fchren, zu dem sie weder innerlich bereit noch \u00e4u\u00dferlich berechtigt sind, und geraten in eine Psychose, aus der sie sich nur selbst befreien k\u00f6nnen, weil ihnen weder Kirche noch Staat noch Erziehung eine helfende Hand reichen. Die beherrschende Tendenz ist heute noch: altspanische, stolze Haltung und vorsichtige Forschungsreisen in die Welt des offiziell Verbotenen.
Der Tummelplatz dieser jungen Menschen liegt auch im Stadtteil Salamanca. Ihre bevorzugten Stra\u00dfen sind Goya und Serrano. Hier bummeln sie jeden Abend peinlich genau von 7 bis 9 und sonntags nach der Messe.
Nerv\u00f6s wie eine Herde junger F\u00fcllen, die ausbrechen will, so ziehen sie an uns vorbei. Sie wittern f\u00f6rmlich unser \u00fcberm\u00e4\u00dfiges Interesse; sie wollen in ihrer Welt nicht beobachtet werden, und jedesmal, wenn wir die Kamera heben, drehen sie sich erschrocken um.
Ich kann zwar nicht leugnen, da\u00df der Anblick so vieler h\u00fcbscher M\u00e4dchen mich begeisterte, und ich bereit war, stundenlang die Kamera umsonst zu z\u00fccken, doch als ich das zw\u00f6lftemal \u2013 aus rein beruflichen Gr\u00fcnden wohlverstanden \u2013 hinter demselben Teenager hergelaufen war, begann ich mich angesichts meines gro\u00dfen Eifers zu fragen, ob ich bei allen Frauen oder Generalen den gleichen Ehrgeiz an den Tag gelegt h\u00e4tte. Die Antwort war: nein. Also nehme ich Claude bei der Hand, und wir setzen uns ins Caf\u00e9 Roma, wo es zwar auch noch von h\u00fcbschen Frauen wimmelt, wo aber Gott sei Dank das Licht so schlecht ist, da\u00df ich keine Fotos mehr machen kann.
\u201eOl\u00e0, hombre\u201c, Carlos, der Rechtsanwalt, der mich bei Villanuevas so freim\u00fctig belehrte, schl\u00e4gt mir auf den R\u00fccken. Er setzt sich zu uns. \u201eWie geht\u2019 s? Habt ihr was dazugelernt?\u201c
\u201eGelernt habe ich, das spanische Volk mehr denn je zu lieben, es daf\u00fcr aber umso weniger zu beneiden. Denn wer k\u00f6nnte mit all diesen Problemen fertig werden, die ihr Hals \u00fcber Kopf l\u00f6sen m\u00fc\u00dft, weil einige Herren es aus politischen Gr\u00fcnden vorgezogen haben, euch f\u00fcr Jahrzehnte von der Umwelt abzuschlie\u00dfen und euch ein Leben vorzugaukeln, zu dem alle Voraussetzungen fehlen.\u201c
\u201eDu hast recht, Gordian\u201c, sagt er mit einem traurigen L\u00e4cheln. \u201eWir m\u00fcssen vor allem lernen, aus dem hohlen Begriff der \u201aSpanier\u2018 herauszukriechen und so zu leben, wie wir wirklich sind.\u201c
Ich deute in eine Ecke des Caf\u00e9s, wo ein P\u00e4rchen sich z\u00f6gernd k\u00fc\u00dft.
\u201eEs kracht \u00fcberall in euren moralischen Fugen. Ich kenne das Caf\u00e9 Roma nicht mehr wieder. 1948 wurde hier nun \u00fcber Politik gesprochen.\u201c
\u201eWas du hier siehst, ist gar nichts\u201c, erwiderte er, \u201edas ist eine normale, gesunde Entwicklung, die selbst Franco weder aufhalten noch vertuschen kann. Er kann doch nicht auch noch die Verliebten verhafteten, weil ihr Bild nicht in sein Spanien pa\u00dft. Wir haben zu unserer Schande erfahren, was geschieht, wenn man durch Gesetz die Wirklichkeit in Traumland verwandeln will. Er z\u00f6gert einen Augenblick und blickt auf Claude. \u201eAber das kann ich nur dir allein zeigen. Du wei\u00dft, da\u00df Franco die Prostitution seit 1956 verboten hat. Wenn du die Folgen kennenlernen willst, dann heute Nacht um zwei Uhr, ohne Claude, auf den Plaza Sankt Ana.\u201c
Ich bin p\u00fcnktlich da. Carlos setzt sich zu mir in den Wagen. Junge M\u00e4nner mit schmalen H\u00fcften und zu engen Hosen stehen in kleinen Gruppen um den Platz. Einige sitzen auf den Caf\u00e9terrassen; sie tragen rote Hemden und schwarze Lederjacken. Andere lungern nachl\u00e4ssig in den Wirtschaftst\u00fcren herum. Als wir langsam mit dem Wagen auf dem Platz fahren, beginnt ein eigenartiges Ballett. Lautlos kommen die Gestalten n\u00e4her. Sie stellen sich auf, als ob sie Toreros w\u00e4ren und den Wagen, wie einen Stier, gef\u00e4hrlich nah an sich vorbeifahren lassen wollen. Mit ihren H\u00e4nden streichen sie l\u00e4ssig \u00fcber die Motorhaube und T\u00fcren. Ich schaue in Augen, die bitten, versprechen, fragen, herausfordern. Unwillk\u00fcrlich gebe ich Gas. Da werden die T\u00fcren aufgerissen, und bevor wir es verhindern k\u00f6nnen, sitzen zwei junge M\u00e4nner, fast noch Knaben, hinter uns im Auto.
Wir versuchen ihnen zu erkl\u00e4ren, da\u00df wir recht normale Menschen sind und gern allein gelassen werden m\u00f6chten. Sie werden vulg\u00e4r, nennen Preise. Nur mit M\u00fche werden wir sie wieder los. \u201eHiervon gibt es Tausende in Madrid\u201c, sagt Carlos. \u201eSoll ich dir andere Pl\u00e4tze zeigen?\u201c
\u201eNein, Carlos, danke, f\u00fcr heute habe ich genug hinter die Fassade geblickt.\u201c<\/p>

\"\"
Vor einigen Jahren w\u00e4re dieses Bild noch ebenso undenkbar gewesen wie die Vorstellung, da\u00df dieses h\u00fcbsche junge M\u00e4dchen ganz allein mit ihrem Freund zum Baden oder zum Picknick ins Gr\u00fcne f\u00e4hrt<\/em><\/figcaption><\/figure><\/div>

<\/p>

<\/p>

Lesen Sie im n\u00e4chsten Heft:
Blick hinter die Fassade der spanischen Wirtschaft<\/strong><\/p>","protected":false},"excerpt":{"rendered":"

Stern, Heft 40, 3. Oktober 1959  In Jerez de la Frontera, der Hochburg des andalusischen Weines, erleben Sternreporter ein Fest der reichen Leute.\u201eWo, in Europa, kann man so gut leben wie hier in Spanien.\u201c Diesen Satz bekamen wir immer dann zu h\u00f6ren, wenn wir mit guten spanischen B\u00fcrgern zusammentrafen, die sich gar nicht oder nur…<\/p>\n","protected":false},"author":1,"featured_media":62226,"parent":54026,"menu_order":2,"comment_status":"closed","ping_status":"closed","template":"","meta":{"_seopress_robots_primary_cat":"","_seopress_titles_title":"","_seopress_titles_desc":"","_seopress_robots_index":"","footnotes":""},"categories":[540],"tags":[],"class_list":["post-54032","page","type-page","status-publish","has-post-thumbnail","hentry","category-spanien","entry","has-media"],"_links":{"self":[{"href":"https:\/\/www.troeller-deffarge.com\/wp-json\/wp\/v2\/pages\/54032"}],"collection":[{"href":"https:\/\/www.troeller-deffarge.com\/wp-json\/wp\/v2\/pages"}],"about":[{"href":"https:\/\/www.troeller-deffarge.com\/wp-json\/wp\/v2\/types\/page"}],"author":[{"embeddable":true,"href":"https:\/\/www.troeller-deffarge.com\/wp-json\/wp\/v2\/users\/1"}],"replies":[{"embeddable":true,"href":"https:\/\/www.troeller-deffarge.com\/wp-json\/wp\/v2\/comments?post=54032"}],"version-history":[{"count":5,"href":"https:\/\/www.troeller-deffarge.com\/wp-json\/wp\/v2\/pages\/54032\/revisions"}],"predecessor-version":[{"id":62261,"href":"https:\/\/www.troeller-deffarge.com\/wp-json\/wp\/v2\/pages\/54032\/revisions\/62261"}],"up":[{"embeddable":true,"href":"https:\/\/www.troeller-deffarge.com\/wp-json\/wp\/v2\/pages\/54026"}],"wp:featuredmedia":[{"embeddable":true,"href":"https:\/\/www.troeller-deffarge.com\/wp-json\/wp\/v2\/media\/62226"}],"wp:attachment":[{"href":"https:\/\/www.troeller-deffarge.com\/wp-json\/wp\/v2\/media?parent=54032"}],"wp:term":[{"taxonomy":"category","embeddable":true,"href":"https:\/\/www.troeller-deffarge.com\/wp-json\/wp\/v2\/categories?post=54032"},{"taxonomy":"post_tag","embeddable":true,"href":"https:\/\/www.troeller-deffarge.com\/wp-json\/wp\/v2\/tags?post=54032"}],"curies":[{"name":"wp","href":"https:\/\/api.w.org\/{rel}","templated":true}]}}