{"id":54032,"date":"2017-03-11T14:08:55","date_gmt":"2017-03-11T13:08:55","guid":{"rendered":"http:\/\/www.troeller-deffarge.com\/?page_id=54032"},"modified":"2020-04-18T15:13:34","modified_gmt":"2020-04-18T13:13:34","slug":"hochzeit-in-andalusien","status":"publish","type":"page","link":"https:\/\/www.troeller-deffarge.com\/zeitungsreportagen\/spanien\/hochzeit-in-andalusien\/","title":{"rendered":"Hochzeit in Andalusien"},"content":{"rendered":"
Stern, Heft 40, 3. Oktober 1959 <\/em> In Jerez de la Frontera, der Hochburg des andalusischen Weines, erleben Sternreporter ein Fest der reichen Leute.
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\u201eWo, in Europa, kann man so gut leben wie hier in Spanien.\u201c Diesen Satz bekamen wir immer dann zu h\u00f6ren, wenn wir mit guten spanischen B\u00fcrgern zusammentrafen, die sich gar nicht oder nur wenig um Politik k\u00fcmmern.
Heute ist wieder so ein Tag, an dem man uns das Loblied des sch\u00f6nen Spanien singt. Wir sind in Madrid in einer eleganten Wohnung des Stadtteils Salamanca. Hier wohnen nur wohlhabende Spanier, ausl\u00e4ndische Diplomaten und die mehr oder weniger offiziellen Geliebten, die jeder Spanier haben mu\u00df, der etwas auf sich h\u00e4lt und der das n\u00f6tige Geld hat, sich neben einem teuren Wagen auch dieses nerzbefellte Abzeichen des Reichtums zu leisten.
Villanuevas haben uns zum Tee eingeladen. Herr Villanueva sitzt im Aufsichtsrat einer gro\u00dfen Bank, seine Frau im Vorstand eines Wohlt\u00e4tigkeitsvereins. Wir sitzen hier im Kreise herum, wie bei einem persischen Empfang, die Frauen rechts, die M\u00e4nner links, und erheben uns alle jedes Mal wie ein Mann, wenn der Diener einen neuen Gast anmeldet. Dienstm\u00e4dchen mit Spitzenh\u00e4ubchen, fleckenlosen Sch\u00fcrzen und wei\u00dfen Handschuhen servieren Tee und Kuchen
\u201eWo, in Europa, gibt es noch so stilbewu\u00dfte und so billige Dienstboten wie bei uns in Spanien?\u201c \u2013 Frau Villanueva wendet sich zu Claude. \u201eIn Frankreich und Deutschland werdet ihr nicht mehr f\u00fcr so wenig Geld so gro\u00dfartig bedient.\u201c
\u201eSicher nicht, aber in Italien \u2026\u201c
\u201eWas hei\u00dft hier Italien\u201c, f\u00e4llt ihre Nachbarin, Frau Garcia, ihr ins Wort. \u201eDort geh\u00f6ren die Dienstboten schon mit 14 Jahren zur kommunistischen Partei. Den Feind im eigenen Haus ern\u00e4hren, das ist es, was die Italiener tun.
Die Frauen r\u00fccken zusammen. Jede will an diesem interessanten Thema beteiligt sein. Claude kommt gar nicht mehr zu Wort.
\u201eIch war letztes Jahr bei Freunden in Hannover. Na, das h\u00e4tte dir erleben sollen\u201c, seufzt eine junge Frau, die so blond ist, da\u00df ich sie zun\u00e4chst f\u00fcr eine Schwedin gehalten habe. \u2013 \u201eAbends um acht Uhr war das M\u00e4dchen frei. Sie ging aus, mit wem sie wollte. Hatte ihr eigenes Zimmer mit Radio und kleiner Lampe am Bett, wo sie Romane las, w\u00e4hrend meine Freundin selbst aufger\u00e4umte und sp\u00fclte. Da h\u00e4tte man die ganze Nacht klingeln k\u00f6nnen, das Dienstm\u00e4dchen w\u00e4re nie aufgestanden. Sie h\u00e4tte gek\u00fcndigt. Und so was kostet 150 DM im Monat.\u201c
\u201eWie viel bezahlt man hier?\u201c fragt Claude.
\u201eIch zahle 350 Peseten (25 DM) mit\u201c, sagt die h\u00fcbsche Blonde.
\u201eIch 400 Peseten (28,70 DM) ohne\u201c, f\u00fcgt Frau Garcia hinzu.
\u201eMeine K\u00f6chin erh\u00e4lt 400 Peseten mit, die beiden Dienstm\u00e4dchen in 350 Peseten ohne\u201c, erkl\u00e4rt Frau Villanueva.
\u201eMit oder ohne Verpflegung?\u201c will Claude wissen.
\u201eAber nein, verpflegt werden sie nat\u00fcrlich im Hause. Mit oder ohne hei\u00dft: mit oder ohne Erlaubnis, beim Einkaufen unauff\u00e4llig zu schwindeln. Wenn eine K\u00f6chin \u201amit\u2018 angestellt wird, hat sie das Recht, die Preise der Lebensmittel um einige Prozent zu erh\u00f6hen.\u201c
\u201eSie sehen, wie liberal und gro\u00dfz\u00fcgig wir sind\u201c, wirft sich eine zierliche Person ins Gespr\u00e4ch, die so h\u00fcbsch ist, da\u00df die ganze M\u00e4nnerreihe nun auch endg\u00fcltig den Frauen zuh\u00f6rt. \u2013 \u201eWir zahlen keine Krankenkassenbeitr\u00e4ge, daf\u00fcr aber schicken wir unsere Dienstboten zu den besten \u00c4rzten, wenn sie krank sind. Meine Kammerzofe, ein 27 Jahre altes M\u00e4dchen, das immer noch nicht verheiratet ist, hatte sexuelle Zwangsvorstellungen, die sie fast arbeitsunf\u00e4hig machten. Ich schickte sie zum besten Psychiater, und jetzt kann sie wieder arbeiten, ohne an dumme Dinge zu denken. Sie ist so h\u00fcbsch, da\u00df man ihr helfen mu\u00df, dem armen Ding.\u201c
\u201eDa bin ich aber gar nicht ihrer Meinung\u201c, ruft Frau Garcia. \u2013 \u201eH\u00fcbsch darf ein Dienstm\u00e4dchen nie sein. Bei der schlechten Moral der niederen Klassen sind h\u00fcbsche M\u00e4dchen eine st\u00e4ndige Gefahr f\u00fcr unsere S\u00f6hne.\u201c
Mein Nachbar, ein junger Rechtsanwalt, gibt mir einen kleinen Rippensto\u00df und fl\u00fcstert: \u201eBei meiner Mutter gab es nur h\u00fcbsche Dienstm\u00e4dchen, das kann ich Ihnen versichern.\u201c <\/p>