{"id":54036,"date":"2017-03-11T14:08:55","date_gmt":"2017-03-11T13:08:55","guid":{"rendered":"http:\/\/www.troeller-deffarge.com\/?page_id=54036"},"modified":"2020-02-01T00:52:24","modified_gmt":"2020-01-31T23:52:24","slug":"und-das-vor-unserer-tuer","status":"publish","type":"page","link":"https:\/\/www.troeller-deffarge.com\/zeitungsreportagen\/sizilien\/und-das-vor-unserer-tuer\/","title":{"rendered":"Und das vor unserer T\u00fcr"},"content":{"rendered":"
Stern, Heft 13, 26. M\u00e4rz 1960<\/em><\/p> \u201eWir k\u00f6nnen den Leuten diesen Gestank nicht zumuten\u201c, sagte Claude, als wir endlich vor der chemischen Reinigungsanstalt in Agrigento angekommen waren. \u201eSie werden uns rauswerfen.\u201c
\u201eDann k\u00f6nnen wir auch in kein Hotel mehr gehen\u201c, antwortete ich, \u201edenn wir riechen nicht besser als unsere Kleider. Komm, wir m\u00fcssen es versuchen, sonst haben wir \u00fcberhaupt nichts mehr anzuziehen. Und etwas Gestank werden die hier schon gew\u00f6hnt sein.\u201c
Ohne auch nur die Nase zu r\u00fcmpfen, nahm ein h\u00f6fliches Fr\u00e4ulein unser B\u00fcndel entgegen. Wir f\u00fchlten uns befreit, wenigstens so lange wir in der frischen Luft waren, denn im Auto stand der Geruch zum Durchschneiden dick, genau wie vorher. Seit drei Tagen schleppten wir ihn mit uns herum, in den Kleidern, den Schuhen, den Haaren. Und da half kein Schrubben und kein Waschen. Es war hartn\u00e4ckig und unausweichlich \u2013 genau wie die sizilianische Blutrache. In den Elendsvierteln von Palermo, die mehr als die H\u00e4lfte der Stadt ausmachen, in Licata, Partinico, Montelepre und vielen anderen D\u00f6rfern und St\u00e4dten hatte er f\u00fcr uns schon seit Wochen den Duft der Mandelbl\u00fcten verdr\u00e4ngt. Aber so wie in Palma di Montechiaro, wo wir seit drei Tagen fotografierten, war er uns noch nicht begegnet. Selbst nicht in Asien oder Afrika. Hier wateten wir f\u00f6rmlich in der offenen Latrine von 22 000 Menschen, die die wenig beneidenswerte Ehre haben, die B\u00fcrger dieser Stadt zu sein.
Palma di Montechiaro liegt im S\u00fcden Siziliens an der Hauptstra\u00dfe Nr. 115, zwischen Agrigento und Ragusa. Wir kamen dort an einem Sonntag an.
\u201eSuchen Sie jemanden?\u201c fragte der kleine Mann im zerfransten Mantel, der uns schon eine Stunde lang schweigend gefolgt war und diskret versucht hatte, uns die bettelnden Kinder vom Leib zu halten. Noch bevor ich antworten konnte, schrie Claude entsetzt auf. Aus einem der H\u00e4user hatte eine Frau im Eifer des morgendlichen Reinemachens den Familiennachteinmer, ohne hinzugucken, auf die Stra\u00dfe gesch\u00fcttet und dabei genau Claudes Beine getroffen. \u201eIch kann es nicht mehr aushalten, stammelt Claude, \u201eseit wir auf Sizilien sind, ist mir \u00fcbel. Dieser fade, s\u00fc\u00dfe Geruch, diese Mischung von Mensch und Tier dreht mir den Magen um.\u201c Sie zeigt hilflos auf ihre triefenden Beine. \u201eErinnerst du dich an die neidischen Gesichter unserer Freunde als wir nach der \u201aTrauminsel des Mittelmeeres\u2019 aufbrachen? Die sollten uns jetzt mal sehen.\u201c<\/p>