{"id":54038,"date":"2017-03-11T14:08:55","date_gmt":"2017-03-11T13:08:55","guid":{"rendered":"http:\/\/www.troeller-deffarge.com\/?page_id=54038"},"modified":"2020-02-01T17:22:05","modified_gmt":"2020-02-01T16:22:05","slug":"blut-ist-billiger-als-geld","status":"publish","type":"page","link":"https:\/\/www.troeller-deffarge.com\/zeitungsreportagen\/sizilien\/blut-ist-billiger-als-geld\/","title":{"rendered":"Blut ist billiger als Geld"},"content":{"rendered":"

Stern Heft 15,\u00a0 9. April 1960
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F\u00fcr den Westen mag es unbequem sein, zuzugeben, da\u00df es ein menschliches und politisches Verbrechen ist, jene materiell und moralisch zu unterst\u00fctzen, die auf Sizilien ausbeuterisch Armut schaffen und sich dabei unseres Namens bedienen. Menschlich, weil die Not mordet. Politisch, weil das Elend zum Kommunismus treibt.<\/strong><\/p>\n

Die beiden V\u00e4ter erhoben ihre Gl\u00e4ser. \u201eFigli Maschi\u201c, sagten sie, \u201em\u00e4nnliche Erben\u201c, und ihre Augen bohrten sich ineinander wie zu einem stummen Schwur. Die M\u00fctter k\u00fc\u00dften sich so herzhaft, da\u00df die Tr\u00e4nen der Freude zwischen ihren Wangen zu kleinen B\u00e4chen zerschmolzen. Es war der sch\u00f6nste Tag ihres Lebens. Dort, unter der der Madonna, zwischen der K\u00f6nigskrone und einer Alpenlandschaft sa\u00dfen ihre Kinder, Luciana und Mario, zitternd vor Gl\u00fcck und Erregung.
\nSie durften heiraten. Es war soeben beschlossen worden, und auch der Tag stand schon fest: der 6. Mai.
\nW\u00e4hrend zweier Jahre hatten sie ihrer Liebe nur durch Blicke und kurze Worte Ausdruck geben k\u00f6nnen, weil sie nie allein sein durften; aber nun, trunken von Wein und Erwartung, hatte Luciana pl\u00f6tzlich einen Gedanken, der mit jedem Schluck verlockender und zwingender wurde. Sie wollte endlich wissen, wie ein Ku\u00df ist. Sie wollte jetzt schon, acht Wochen vor dem Fest, ein ganz klein wenig Frau werden.
\n\u00dcberm\u00fctig springt sie auf. \u201eKomm Mario, ich zeige dir unsere K\u00fche und Schafe.\u201c
\nMario schaut fragend auf seinen Vater, der die Augen von Lucianas Vater sucht; denn nur er kann entscheiden, weil die Ehre seiner Tochter seine Ehre ist. Und wieder bohren sich die Blicke der beiden M\u00e4nner ineinander zum stummen Dialog der Ehre. Hier gibt es keine Worte. Die Ehre ist wie das Herz, das nicht fragt, wann es schlagen soll.
\nAuch Lucianas Herz schl\u00e4gt heute in einem eigenwilligen Rhythmus. Sie ergreift Marios Hand und zieht den sich str\u00e4ubenden Verlobten aus dem Zimmer. Keiner widerspricht.
\nAls sie im Stall angekommen sind, geht Luciana ernst auf Mario zu und bleibt mit erhobenem Gesicht vor ihm stehen. Sie sp\u00fcrt endlich den Ku\u00df, von dem sie seit Jahren getr\u00e4umt hat. Nun kann sie wieder ins Haus zur\u00fcck. Aber Mario h\u00e4lt sie fest. Er hat nicht nur von einem Ku\u00df getr\u00e4umt. Er wirft sie ins Stroh. \u201eWir sind ja fest verlobt\u201c, fl\u00fcstert er. \u2013 \u201eMario, nein, ich will im wei\u00dfen Brautkleid zur Trauung gehen. Ich w\u00fcrde nie wagen, wei\u00df zu tragen \u2026 Es sind ja nur noch acht Wochen.\u201c Er nimmt ihren Kopf in seine Arme. \u201eAcht lange Wochen.\u201c
\nIm Haus ist kein Wort mehr gefallen. Nach zwanzig Minuten verl\u00e4\u00dft Lucianas Vater das Zimmer. Er ruft nicht. Er geht suchend \u00fcber den Hof. In der Stallt\u00fcr begegnet er einem Knecht, der scheu zur Seite blickt, ohne ihn zu gr\u00fc\u00dfen. Im Stroh findet er seine Tochter, ihr Kopf ruht auf Marios Arm. Die Kinder sind eingeschlafen. Er weckt sie nicht. Auf dem Hof bleibt er einen Augenblick stehen und schaut dem Knecht nach, der langsam zum Nachbarhaus geht. Er wei\u00df, was er zu tun hat.
\nAls die zwei Sch\u00fcsse fallen, fahren die M\u00fctter zusammen. Sie bekreuzigen sich und fangen lautlos an zu weinen. Marios Vater geht zur T\u00fcr. Auf dem Hof begegnet er Lucianas Vater, der ihm das Jagdgewehr \u00fcberreicht: \u201eSie sind im Stroh,\u201c, sagt er nur, \u201eich gehe zur Polizei.\u201c
\nDie Leichen der beiden Kinder wurden getrennt beigesetzt. Der M\u00f6rder erhielt zehn Jahre Gef\u00e4ngnis. F\u00fcr \u201eVerbrechen der Ehre\u201c gibt es in Sizilien immer mildernde Umst\u00e4nde.
\nMildernde Umst\u00e4nde wurden auch Vincenzina d\u2019Uso zugestanden, der h\u00fcbschen 21j\u00e4hrigen Br\u00fcnetten aus Catania, als sie resolut ihre besudelte Ehre wieder reinwusch. Sie war mit Enzo d\u2019Agustino, einem Chauffeur, verlobt. Enzo hatte sie seiner Familie vorgestellt, aber wenig Verst\u00e4ndnis f\u00fcr seine Wahl gefunden, da Vincenzinas Eltern keine zufriedenstellende Mitgift aufbringen konnten, und auch nicht gen\u00fcgend Geld da war, die Hochzeit standesgem\u00e4\u00df zu feiern. Die beiden waren aber zu verliebt, um sich zu trennen und rannten ohne Einverst\u00e4ndnis der Familien davon.
\nDas war der Augenblick, an dem Vincenzinas Ehre zur Sprache kommen mu\u00dfte. Sechs Jahre vorher, gestand sie unter Tr\u00e4nen, als sie 15 Jahre alt war, hatte es einen Ernesto gegeben. Aber Ernesto war l\u00e4ngst verheiratet. Obwohl er noch nicht der angetraute Mann Vincenzinas war, konnte Enzo dieses Gest\u00e4ndnis nicht hinnehmen. Gekr\u00e4nkt in seiner Ehre f\u00fchrte er seine Ex-Verlobte ihrem Vater wieder zu, der nun seinerseits so tief in seiner Ehre getroffen war, da\u00df er Vincenzina davonjagte und die T\u00fcr seines Hauses mit schwarzem Stoff verkleidete.
\nVon jetzt ab wu\u00dfte Vincenzina, was sie zu tun hatte. Sie kaufte sich ein Schlachtermesser, wickelte es in Zeitungspapier und irrte rachs\u00fcchtig durch die Stra\u00dfen. An einer Bushaltestelle fand sie endlich Ernesto, ihren ersten Liebhaber. \u201eDu bist sch\u00f6ner denn je\u201c, hatte er gerade noch Zeit zu sagen, dann brach er mit tiefen Wunden an Brust und Leib zusammen.
\nMit viel M\u00fche rettete man sein Leben, und in Anbetracht dessen, da\u00df eine Frau die H\u00fcterin ihrer Ehre ein mu\u00df, verurteilte der Richter Vincenzina nur zu drei Jahren Haft.
\nJetzt konnte ihr Vater getrost die Trauerfahne wieder einziehen. Auch f\u00fcr Enzo hatte Vicenzina ihre volle Ehre wiedererlangt. In der Kapelle des Gef\u00e4ngnisses wurden sie feierlich getraut.
\nNur Blut kann Ehre reinwaschen \u2013 oder Geld: doch im Armenhaus Sizilien ist Blut billiger.
\nEs ist grotesk zu sehen, wie gro\u00dfm\u00fctig die Hungernden damit umgehen, um ihre W\u00fcrde vor der Welt zu beweisen. Aber nur unter ihresgleichen zahlen die Armen mit Blut. Sobald die Moneten klingen, wird die sizilianische Stimme des Blutes zum unh\u00f6rbaren Gefl\u00fcster.
\nEin Herr, der sein Dienstm\u00e4dchen verf\u00fchrt \u2013 was gang und g\u00e4be ist \u2013 wird nie erstochen oder kastriert aufgefunden, weil er dem M\u00e4dchen eine Mitgift gibt, die deren Vater taub macht, ihre Mutter stumm und den zuk\u00fcnftigen Mann blind. Er, der seiner Schwester den Leib aufschneiden w\u00fcrde, wenn sie auch nur ann\u00e4hernd ihr Jungfr\u00e4ulichkeit mit einem Mann ihres Standes verloren h\u00e4tte, \u00fcbernimmt seine Frau unbesehen aus zweiter Hand, weil sie beschenkt aus reicher Hand kommt.
\nIch habe keinen Reichen getroffen, es gibt, glaube ich, keinen wohlhabenden Mann in Sizilien, der nicht eine oder mehrere Geliebte hat, die ja die Frauen oder wenigsten die T\u00f6chter und Schwestern anderer Sizilianer sein m\u00fcssen. Und doch f\u00fcrchtet keiner um sein Leben.
\nEinen dieser sizilianischen Don Juans traf ich doch eines Tages in recht aufgel\u00f6stem Zustand an der Bar meines Hotels. Ein kleiner Baron mit feinem Schnurrbart, der geschworen zu haben schien, dem Ideal der sizilianischen M\u00e4nnlichkeit voll und ganz zu leben. Er hatte offiziell eine Frau und vier Geliebte. Diesmal sah es so aus, als sei ein eifers\u00fcchtiger Mann mit dem Messer hinter ihm her, und ich fragte nach seinem Kummer.
\n\u201eGleiche Schwierigkeiten an zwei Fronten\u201c, erkl\u00e4rte er niedergeschlagen, \u201ean der verheirateten Front und an der unverheirateten Front.\u201c
\n\u201eWas, deine Frau wei\u00df etwas?\u201c
\n\u201eNat\u00fcrlich wei\u00df sie, wie k\u00f6nnte sie sonst stolz auf mich sein. Aber das ist nicht das Problem\u201c, setzte er mit soviel Verachtung f\u00fcr meine psychologische Begabung hinzu, da\u00df ich am liebsten nie gefragt h\u00e4tte. \u201eDie Schwierigkeiten liegen bei Maria, das ist eine verheiratete Freundin, und bei Rosa, das ist die unverheiratete Front. \u2013 Beide haben sich in mich verliebt.\u201c
\n\u201eDann ist ja alles in bester Ordnung.\u201c
\nJetzt schickt sein Blick mich endg\u00fcltig unter die unheilbaren Idioten. Nur um sich selber noch zu bedauern, solch einen Gespr\u00e4chspartner zu haben, f\u00e4hrt er fort: \u201eIm Gegenteil, sobald diese Weiber sich verlieben, wollen ihre M\u00e4nner und Eltern nichts mehr von uns wissen. K\u00f6rperchen verkaufen, sch\u00f6n, das geht noch, aber Vergn\u00fcgen haben, da h\u00f6rt der Spa\u00df auf. Dann wird es S\u00fcnde, Diebstahl, und ich wei\u00df nicht was. Dann ist Feierabend, und man sucht nach einem anderen Reichen oder wartet geduldig, bis er kommt!\u201c
\n\u201eDas kann ich dir nicht glauben, Bruno.\u201c
\nEr leert seinen Whisky in einem Zug, um \u00fcberhaupt noch Courage zu haben, mit mir zu sprechen.
\n\u201eIhr Zeitungsfritzen fr\u00fchst\u00fcckt Statistiken und kackt L\u00fcgen. Aber wenn euch mal einer die Wahrheit sagt, bleibt euch die Spucke weg. Verkleide doch deine Reporterkollegin als arme Frau und schicke sie zur Beichte. La\u00df sie das verf\u00fchrte Kind spielen. \u201aHast du aus Not gehandelt oder aus Lust\u2019, wird man sie fragen. Dann sollst du mal sehen, wie viele \u201aAve Marias sie aufgebrummt kriegt, wenn sie sch\u00fcchtern sagt: \u201aAus Lust\u2019.\u201c
\n\u201eUnd wenn sie \u201aNot\u2019 sagt?\u201c frage ich.
\n\u201eDann ist sie eine M\u00e4rtyrerin der Ehre, du Idiot.
\n\u201eDas hei\u00dft?\u201c
\n\u201eSie opfert ihre Ehre auf dem Altar der Not.\u201c
\n\u201eJetzt brauche auch ich ein Glas Whisky.\u201c
\n\u201eLogisch?\u201c fragt Bruno.
\n\u201eLogisch vielleicht, aber doch ein wenig verwirrend. Ich hab\u2019 ja schon lange begriffen, da\u00df eure ber\u00fchmte Ehre ein recht dehnbarer Begriff ist, aber wenn ich die Lokalchroniken eurer Zeitungen lese, wo die Verbrechen der Ehre sich h\u00e4ufen wie bei uns die Autounf\u00e4lle, dann kommen mir immer wieder Zweifel. Sizilien erscheint mir dann wie ein gieriger Schwamm, der sich mit Blut ern\u00e4hrt. Aber nur mit dem Blut der Armen. Schon die kleinen B\u00fcrger scheinen in Sicherheit vor dem Gespenst der Ehre.\u201c
\n\u201eDas ist es ja gerade: Die Ehre ist der Heldenfriedhof der Armen\u201c, schreit er. \u201eEure legendensuchenden Schreiberlinge haben euch die Ohren vollgepaukt mit der sizilianischen Ehrauffassung, und tausend verst\u00fcmmelte Leichen scheinen beredte Zeugen f\u00fcr die wilde W\u00fcrde unserer Rasse. Literatur, mein Lieber, Literatur, die wir gerne unterst\u00fctzen, weil sie Touristen anzieht. Wenn du aber genau hinsiehst, merkst du, da\u00df unsere Ehre kein ethischer Wert ist mit romantisch-heldischem Glanz im Nibelungenstil altpreu\u00dfischer Junker. Sie ist nichts anderes als ein Kapital. Das einzige, erb\u00e4rmliche Kapital der Armen. Unter ihresgleichen verteidigen sie es mit Dolch und Gewehr wie eine Schafherde oder ein St\u00fcck Acker; deshalb gibt es so viele Tote, denn es darf nicht genommen, das hei\u00dft, gestohlen werden. Es mu\u00df angelegt werden und Zinsen tragen wie jedes Kapital. Und wenn ein Armer die Ehre nimmt, ein Dieb, der nicht bezahlen kann, dann mu\u00df sein Blut sie waschen bis sie wieder gl\u00e4nzt wie Gold. Und je mehr Blut flie\u00dft, umso h\u00f6her werden die Preise. – Schau nicht so dumm\u201c, schreit er mich an, \u201ewas sind schon drei oder sechs Liter Blut, wenn man sich vermehrt wie die Kaninchen? Die paar Liter sind in neun Monaten sowieso wieder da; aber die Ehre, dieser Scheck auf die Zukunft, darf nicht verlorengehen, weil er nicht ersetzt werden kann. Der mu\u00df kassiert werden.\u201c<\/p>\n

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\nWer als Kind \u00fcberlebt, mu\u00df ich mit dem Messer in der Hand verteidigen<\/em><\/strong><\/p>\n

Ei<\/strong>ne kurze Kopfbewegung \u2013 und der Barmann f\u00fcllt wieder unsere Gl\u00e4ser.
\n„Aber du hast nat\u00fcrlich Ehre?\u201c frage ich mit einem gewollten Unterton von Ironie.
\n\u201eNat\u00fcrlich\u201c, sagt er, ohne mit der Wimper zu zucken, \u201eich bin ein Galantuomo, ein Ehrenmann: Wie sollte ich mich sonst verkaufen k\u00f6nnen.\u201c Er lacht aus vollem Halse. \u201eAber das geht nat\u00fcrlich in deinen nordischen Querkopf schwer hinein, weil ihr unter Ehre manchmal noch seelisch gesteuerte Prinzipienreiterei versteht, obwohl ihr Heuchler auch schon nach unserem Motto lebt: Ehre = Ansehen = soziale Stellung = Geld. Ist es dir nicht aufgefallen, da\u00df wir in unserem Milieu unsere eigenen Damen freim\u00fctig herumreichen, w\u00e4hrend die weniger Bemittelten Jungfr\u00e4ulichkeit und Treue zu blutr\u00fcnstigen G\u00f6tzen erhoben haben? Warum dieser Unterschied, wo wir doch alle Sizilianer sind?\u201c
\nDa er nicht fortf\u00e4hrt, mu\u00df die Frage nicht nur rhetorisch gemeint sein. \u201eIch habe begriffen\u201c, sage ich deshalb schnell. \u201eWeil ihr Geld habt, und eure T\u00f6chter deshalb immer unter die Haube bringt.\u201c
\n\u201eQuatsch\u201c, widerspricht er, \u201eweil Jungfr\u00e4ulichkeit und Treue der kl\u00e4gliche Ersatz f\u00fcr soziales Ansehen sind.\u201c
\n\u201eDas ist doch ungef\u00e4hr dasselbe.\u201c
\n\u201eNa, wenn du willst\u201c, meint er. \u201eAm schlimmsten ist nat\u00fcrlich der kleine Mittelstand dran\u201c, f\u00e4hrt er nachdenklich fort, \u201edie haben im Gegensatz zu den Armen ein mehr oder weniger festes Einkommen. Das l\u00e4dt zum Rechnen ein, zum genauen Einteilen. Sie z\u00e4hlen also nicht nur das Geld, sondern auch ihre Kinder und fabrizieren nur das ern\u00e4hrbare Quantum. Das verteuert aber das Blut so ungeheuerlich, da\u00df der Mittelstand keins mehr abgeben kann. Die Verbrechen der Ehre werden damit zu einem Luxus, den nur die Armen sich leisten k\u00f6nnen. Und da die Halbarmen weder Blut noch Geld haben, sind sie am leichtesten zu kaufen.\u201c<\/p>\n

E<\/strong>r ist nicht betrunken, da\u00df sehe ich, er ist nur so ungl\u00fccklich, weil zwei seiner Geliebten sich in ihn verliebt haben, da\u00df er alles zum Teufel w\u00fcnscht, was irgendwie schuld an dieser Katastrophe ist \u2013 besonders die sizilianische Gesellschaftsordnung.
\n\u201eDu hast es vielleicht selbst schon gemerkt, und wenn nicht, mu\u00df ich es dir sagen\u201c, f\u00e4hrt er fort, \u201ediese Insel der Tr\u00e4ume beherbergt das verlogenste, korrupteste, gemeinste Volk, das ich kenne \u2013 widersprich nicht, ich mu\u00df es wissen, ich geh\u00f6re selbst dazu.\u201c
\n\u201eSch\u00f6n gesprochen, Bruno, aber das ist auch alles.\u201c
\n\u201eIhr ewig statistik-hungrigen Nachrichtenjodler. Als ob ich dir nicht schon genug Beweise gegeben h\u00e4tte. Du willst noch mehr? Ich bin der erste und nicht der D\u00fcmmste. Ich habe eine sch\u00f6ne Stellung in einem Ministerium, die nat\u00fcrlich nur fiktiv ist, und stecke als Gehalt Spesen, Reisen usw., runde 300 000 Lire (2 000 DM) im Monat ein. Einfache Kombination: Ich sage meinen Landarbeitern, wen sie w\u00e4hlen m\u00fcssen, und der Gew\u00e4hlte zeigt sich dann erkenntlich. Mein Freund L. macht es noch besser: Vor den Wahlen l\u00e4\u00dft er immer seinen gef\u00e4hrlichsten Gegner von der Mafia umlegen. Daf\u00fcr erh\u00e4lt die Mafia seiner Provinz das Monopol der M\u00e4rkte und Obstpreise und darf ungest\u00f6rt ihren anderen kleinen und gro\u00dfen Gesch\u00e4ften nachgehen.
\n\u201eKalter Kaffee, Bruno, das habe ich schon geh\u00f6rt.\u201c
\n\u201eAber da\u00df ich 300 000 Lire kassiere, wu\u00dftest du noch nicht.\u201c
\n\u201eAuch das.\u201c
\n\u201eJa, wenn du Exklusiv-Berichte haben willst, mu\u00dft du nicht nach Sizilien kommen. Hier wissen alle alles. Und doch geht es weiter. Keiner kann schreien, weil ihm sonst der eigene Dreck in den Hals l\u00e4uft. Die \u00f6ffentlichen Gelder werden verschwendet, um die Wahlkundschaft zu unterhalten. Die Ministerien k\u00f6nnen wirtschaften, wie sie wollen. Wenn sie \u201aUnterst\u00fctzung\u2019 oder \u201aWohlfahrt\u2019 hinter eine Ausgabe schreiben, brauchen sie keine Belege. So gehen siebzig Millionen an Herrn X und drei\u00dfig Millionen an Herrn Y. Unter dem sch\u00f6nen Titel \u201aTourismus\u2019 kann man noch besser den Rahm absch\u00f6pfen. Millionen verschwinden in der Produktion von Kulturfilmen, die nie gedreht werden. F\u00fcr einige Amateurfotos erh\u00e4lt man tausend Mark. Ich selber schreibe hin und wieder kleine Artikel f\u00fcr den Tourismus, die selten ver\u00f6ffentlicht werden, mir aber siebenhundert Mark pro St\u00fcck einbringen. Schau nicht so ungl\u00e4ubig. Ihr deutschen Journalisten seid eben unterbezahlt.\u201c<\/p>\n

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Die Liebe der Eltern, die sich erfinderisch bem\u00fcht, dieses Kind zu kleiden und aus verrosteten R\u00f6hren ein Bett zu basteln, vermag es jedoch nie, Sie aus dem tiefen Elend zu rei\u00dfen, in der sie geboren wurden<\/em><\/strong><\/p>\n

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B<\/strong>runo lacht zufrieden, er hat den Eindruck, da\u00df er nun endlich etwas Gefunden hat, was ich noch nicht wei\u00df.
\n\u201eUnter Ehrenm\u00e4nnern bezahlt man gut\u201c, erkl\u00e4rt er weiter, \u201ewenn du ein kleiner Knirps bist, bekommst du nat\u00fcrlich viel weniger. Mein Rechtsanwalt, ein armer Kerl, wird in einem Ministerium als Bahnw\u00e4rter gef\u00fchrt, in einem anderen als Liftboy. Das macht immerhin ein paar hundert Mark im Monat. Mein Vetter \u2013 du wirst es nicht glauben \u2013 fungiert als Koch der Irrenanstalt. Er hat nat\u00fcrlich nie eine K\u00fcche gesehen, ist daf\u00fcr aber ein umso besserer Aktivist unserer Partei. Und noch etwas, was du nicht wei\u00dft: Meine Nichte ist Sekret\u00e4rin, ihr Gehalt ist gering. Sie erh\u00e4lt jedoch zus\u00e4tzlich 1 000 Lire (6,70 Mark) pro Stunde Reisekostenverg\u00fctung, weil sie \u2013 bitte lach nicht \u2013 den ganzen Tag zwischen ihrem B\u00fcro und dem ihres Chefs hin- und hergeht. Unsere Aufsichtsratsmitglieder lassen sich jede Sitzung dreifach bezahlen: einen Tag zur Vorbereitung, einen Tag f\u00fcr die Sitzung und einen Tag, um \u00fcber die besprochenen Dinge nachzudenken. Wenn es um Geld geht, sind wir Virtuosen in der Kunst der Multiplikation.\u201c<\/p>\n

Bruno springt auf. Eine h\u00fcbsche blonde Frau ist in der T\u00fcr stehengeblieben und guckt sich suchend um. Sofort wird sie von einigen M\u00e4nnern umringt, die sie an einen Tisch begleiten. Auch Bruno mischt sich ein, gr\u00fc\u00dft, spricht einige Worte und kommt an unseren Tisch zur\u00fcck.
\n\u201eDie offizielle Hotel-Hure\u201c, erkl\u00e4rt er. \u201eGro\u00dfe Klasse. Mail\u00e4nderin. Kenne sie gut. Fr\u00fcher Catania, Taormina. In jedem Hotel von Ruf findest du hier zwei bis drei Damen dieser Art. K\u00f6nnen nat\u00fcrlich nur mit offizieller Genehmigung der Direktion arbeiten. Gute Einrichtung. Macht das Reisen verflucht angenehm.\u201c
\n\u201eGibt es denn gar nichts Normales bei euch\u201c, frage ich, fast ersch\u00f6pft.
\n\u201eOh doch\u201c, antwortet er l\u00e4chelnd. \u201eDie Landreform. Unsere gro\u00dfe Revolution der Land- und Menschw\u00fcrde. Irgend jemand hatte laut gebr\u00fcllt, da\u00df Sizilien von Leuten wie ich ausgebeutet w\u00fcrde, von Gro\u00dfgrundbesitzern und Feudalherren, die Tausende von Morgen hatten. Wir waren meistens verschuldet, aber das nur nebenbei. Die Landreform hat uns n\u00e4mlich wieder flottgemacht. Es wurde also beschlossen, da\u00df alle Besitzungen, die 200 Hektar \u00fcbersteigen, aufgeteilt w\u00fcrden. Die gro\u00dfen Familien teilten nat\u00fcrlich das beste Land unter sich, ihren Kindern und Geschwistern auf. Was dann noch eventuell an gutem Land \u00fcbrig blieb, verkauften sie an reiche Spekulanten in der Stadt. Und was dann noch eventuell \u00fcbrigblieb, das hei\u00dft die felsigen, h\u00fcgeligen und unfruchtbaren Landstreifen ohne Wasser und Mist, wurden gegen gute Bezahlung der Landreform zu Verf\u00fcgung gestellt.<\/p>\n

\"\"Landarbeiter<\/strong> kommen vom Feld zur\u00fcck. M\u00e4nner, Frauen, Kinder, deren Tageslohn zwischen drei und sechs Mark liegt. Sie gehen in Gruppen, weil \u00dcberf\u00e4lle auf Einzelg\u00e4nger nicht selten sind. Aus dem selben Grunde wohnen sie nicht auf dem Land, sondern in den St\u00e4dten<\/em><\/p>\n

\u201eDa wir von solcher Reform keine Ahnung hatten und nat\u00fcrlich nicht wollten, da\u00df eine neue soziale Klasse von selbstst\u00e4ndigen Kleinbauern ins Leben gerufen wurde \u2013 was logischerweise die Preise der Landarbeiter gesteigert h\u00e4tte und auch politisch bedenklich gewesen w\u00e4re, kopierten wir die Erfahrungen aus der Po-Ebene, wo drei Hektar fruchtbarer Erde ihren Mann gut ern\u00e4hren. Wir gaben also unseren landhungrigen Gelegenheitsknechten zwei bis vier Hektar steiniger Erde, von der nat\u00fcrlich keiner leben kann, und zwingen sie somit, sich nach wie vor f\u00fcr billiges Geld auszudingen. Gar nicht dumm, was? Es gibt nat\u00fcrlich ein paar Ausnahmen, aber die sind nicht der Rede wert. Da das Geld f\u00fcr die Landreform aus Italien kommt, wollten wir nat\u00fcrlich den kontinentalen Besserwissern zeigen, was wir k\u00f6nnen. Wir bauten nagelneue D\u00f6rfer und Siedlungen f\u00fcr unsere Kleinbauern. Du hast sie sicher auf deinen Rundfahrten gesehen. Sechzig Prozent der H\u00e4user stehen heute noch leer. Viele D\u00f6rfer sind nie bezogen worden. Wir bauten zwar prachtvolle Kirchen, deren Glocken nie l\u00e4uten werden, verga\u00dfen aber Wasser, Licht, Kanalisation und alles, was man zum Leben braucht. Und im \u00fcbrigen k\u00f6nnen die neuen Grundbesitzer ihren alten Arbeitsplatz nicht verlassen, weil sie ihr eigenes Land nicht ern\u00e4hrt.\u201c
\n\u201eIch habe sie gesehen, die Gespensterd\u00f6rfer der Landreform, und mit den neuen Kleinbauern gesprochen. Es ist schlimmer, als du sagst.\u201c
\n\u201eDu kannst nicht verlangen, da\u00df ich zu schlecht von der Landreform spreche.\u201c Er lacht. \u201eDu mu\u00dft nicht vergessen, da\u00df ich Gro\u00dfbauer bin. \u2013 Sch\u00f6nes Sizilien \u2013 was?\u201c Er dreht sich um und macht eine theatralische Handbewegung, die die ganze Bar umfa\u00dft. \u201eSchau sie dir an, da sitzen sie, die Hauptverantwortlichen. Du hast dir das richtige Hotel ausgesucht, das Hotel Delle Palme, Zentralmarkt der sizilianischen Ehre. Ich brauche nur \u201eOnorevole\u201c (Ehrenwerter, Titel der Abgeordneten) zu rufen, und drei\u00dfig Gesichter werden sich uns mit breitem L\u00e4cheln anbieten.\u201c
\n\u201eOnorevole\u201c, ruft er wirklich. Ich z\u00e4hle vierundzwanzig K\u00f6pfe, die sich uns zuwenden. Bruno hat ein wenig \u00fcbertrieben. Er schaut auf die Uhr.
\n\u201eZweiundzwanzig Uhr drei\u00dfig\u201c, ruft er erstaunt, \u201eso sp\u00e4t und die Bombe ist immer noch nicht geplatzt. Entschuldige mich, heute nacht habe ich noch viel zu tun.\u201c
\nEr l\u00e4\u00dft sich vom Schemel gleiten und gibt dem Barmann durch ein Zeichen zu verstehen, da\u00df er von mir kein Geld annehmen darf.
\n\u201eWelche Bombe\u201c, will ich noch wissen.
\n\u201eDu wei\u00dft, da\u00df unsere regionale Regierung in den letzten Z\u00fcgen liegt. Heute nacht soll ihr auf echt sizilianische Art der Todessto\u00df versetzt werden. Es ist der 14. Februar. Morgen wird mein Geschw\u00e4tz dir weniger dumm vorkommen. Ciao, ciao, Gordian.\u201c
\nEr ist schon an einem Tisch, wo heftig diskutiert wird und k\u00fcmmert sich nicht mehr um mich. Ich gehe zum Portier und bitte um meinen Schl\u00fcssel.
\n\u201eSie gehen schon schlafen?\u201c fragt er, und ich haber den Eindruck, da\u00df er ziemlich nerv\u00f6s ist. \u201eSie sollten mal ins Mirage gehen, die haben eine neue Show. Palermo bei Nacht\u201c, sagt er mit einem versprechenden L\u00e4cheln.<\/p>\n

I<\/strong>ch sage, da\u00df ich m\u00fcde bin und bitte nochmals um meinen Schl\u00fcssel.
\n\u201eDer mu\u00df oben sein\u201c, antwortet er schnell, \u201ein Ihrem Fach ist er nicht.\u201c Ich finde mein Zimmer verschlossen. Auch der Schl\u00fcssel steckt nicht, aber unter der T\u00fcr sehe ich Licht. Als ich wieder umkehren will, h\u00f6re ich wie mein Telefon klingelt. Ich h\u00f6re auch deutlich, wie die Badezimmert\u00fcr aufgerissen wird. Einige Schritte und das Telefon wird abgehoben. \u201eJa, ja\u201c, sagt eine M\u00e4nnerstimme, \u201esofort.\u201c Das Licht geht aus. Es wird still. Ich klopfe, rufe. Keine Antwort. Die Nebent\u00fcren werden leise aufgemacht. K\u00f6pfe erscheinen und verschwinden wieder. Mehrere Telefone klingeln zur gleichen Zeit. Mein Zimmer hat die Nummer 119. Als ich an Zimmer 128 vorbeigehe, steht ein beschnurrbarteter Herr im Pyjama in der T\u00fcr und starrt mich verst\u00f6rt an.
\n„Sie m\u00fcssen sich im Zimmer geirrt haben\u201c, sagt der Portier h\u00f6flich, als ich ihn um eine Erkl\u00e4rung bitte. \u201eHier ist \u00fcbrigens Ihr Schl\u00fcssel, er war noch beim Zimmerm\u00e4dchen.\u201c
\nIch untersuche mein Zimmer. Es ist alles in Ordnung. Nur auf dem Badeteppich sehe ich den Abdruck eines Schuhs, der viel zu gro\u00df f\u00fcr meinen Fu\u00df ist.<\/p>\n

A<\/strong>ls ich am n\u00e4chsten Morgen die Zeitungen aufschlage, ist die Bombe geplatzt, und zwar auf meiner Etage \u2013 im Zimmer 128. Der beschnurrbartete Herr im Pyjama, der mich angestarrt hatte, als sei ich ein Gespenst, hat die Regierung gest\u00fcrzt, und zwar auf echt sizilianische Art, wie Bruno vorausgesagt hatte.
\nIch stelle die Hauptdarsteller vor:
\n– Der beschnurrbartete Herr ist der \u201eOnorevole\u201cSantalco, christlich-demokratischer Abgeordneter im sizilianischen Parlament.
\n– Ein mysteri\u00f6ser Mittelsmann.
\n– Der \u201eOnorevole\u201c Corrao, Minister der sizilianischen Regierung.
\nBis zum Oktober 1958 regierten die christlichen Demokraten ungest\u00f6rt in Sizilien. Dann begingen sie einen schweren Fehler, der sie die Macht kosten sollte: Sie stie\u00dfen Signore Milazzo, den popul\u00e4rsten sizilianischen Politiker aus ihren Reihen aus. Milazzo organisierte daraufhin sofort eine eigene Partei und brachte es fertig, selber an die Macht zu kommen. Er st\u00fcrzte die christlich-demokratische Regierung mit Unterst\u00fctzung der Kommunisten und Sozialisten. Seine Mehrheit war schwach, sie bestand nur aus drei Stimmen, aber es war die Mehrheit.
\nNun wird Italien, das Mutterland, seit 1948 von der christlich-demokratischen Partei regiert. Die konnte es nicht zulassen, da\u00df Sizilien, eine autonome Provinz, ihrer Kontrolle entging und von einer Art Volksfrontregierung gef\u00fchrt wurde. Gerade jetzt, kurz vor den Gemeindewahlen im April, wollten die christliche Demokraten die Macht in Sizilien wieder \u00fcbernehmen. Denn man braucht hier die Macht-, Zwangs-, Geldmittel der Verwaltung, wenn man eine Wahl gewinnen will. Die christlichen Demokraten ben\u00f6tigten also drei Stimmen, koste es, was es wolle. Eine halbe Milliarde Lire, behaupten die Kenner des politischen Pokerns in Sizilien.
\nKurz entschlossen warben sie einfach drei Minister ab. Dem wichtigsten davon, dem Finanzminister, Baron Majorana, versprachen sie als Gegenleistung den Pr\u00e4sidentenposten. Er nimmt nat\u00fcrlich an, bittet aber um absolute Diskretion.
\nAls er am n\u00e4chsten Tag in Palermo ins Kaffee Caflisch tritt, begr\u00fc\u00dft ihn der Kellner: \u201eIch k\u00fcsse Ihre H\u00e4nde – Herr Pr\u00e4sident\u201c, und Majorana wir rot bis hinter die Ohren.<\/p>\n

\"\"Eintreiben<\/strong> muss man die Stimmen auf jede Art. Die B\u00fcros der politischen Parteien sind Spiels\u00e4le, in denen Besch\u00e4ftigungslose und Kinder die Zeit totschlagen. Die Wahlen sind das gro\u00dfe Fest der Armen. Endlich erinnert man sich ihrer. Man kauft ihre Stimmen mit Spaghetti, Brot und Kleidern. Unsichere Klienten erhalten einen neuen Schuh vor der Wahl, den zweiten gibt es, wenn \u00a0sie richtig gew\u00e4hlt haben<\/em><\/p>\n

\"\"AustreibenEintreiben<\/strong> darf man nur den Teufel, der die meisten Sizilianer mehr besch\u00e4ftigt als Gott. Sie glauben an den b\u00f6sen Blick, an Geister, D\u00e4monen und magische Kr\u00e4fte, die von Menschen gesteuert werden und jedes Schicksal bestimmen. Die\u00a0Sizilianer\u00a0gehen zum Teufelsaustreiber, wie die Amerikaner zu Psychoanalytiker. In den D\u00f6rfern Siziliens gibt es bei weitem mehr Hexen und Magier als \u00c4rzte und Priester muss man die Stimmen auf jede Art. Die B\u00fcros der politischen Parteien sind Spiels\u00e4le, in denen Besch\u00e4ftigungslose und Kinder die Zeit totschlagen. Die Wahlen sind das gro\u00dfe Fest der Armen. Endlich erinnert man sich ihrer. Man kauft ihre Stimmen mit Spaghetti, Brot und Kleidern. Unsichere Klienten erhalten einen neuen Schuh vor der Wahl, den zweiten gibt es, wenn \u00a0sie richtig gew\u00e4hlt haben<\/em><\/p>\n

Vertreiben<\/strong> will man die Kommunisten, indem man jeden, der sich zur Partei bekennt, die Arbeit erschwert und Gottes Segen verwehrt. Deshalb sehen die Parteib\u00fcros der kommunistischen Partei aus wie traurig Abstellpl\u00e4tze alter M\u00e4nner, auf die keine Arbeit mehr wartet, und die in ihrer Armut vergessen haben, da\u00df es Gott gibt<\/em><\/p>\n

\"\"<\/strong><\/p>\n

\u00a0<\/em><\/p>\n

A<\/strong>uch die sizilianische Regierung ist mittlerweile von den geheimen Verhandlungen ihrer drei Minister mit der Opposition unterrichtet und versucht eiligst die abtr\u00fcnnigen Schafe wieder einzufangen. Regierungsautos werden durch Sizilien gehetzt, um sie in ihren Schlupfl\u00f6chern aufzust\u00f6bern. \u201eWarum verl\u00e4\u00dft du uns? Was willst du den haben?\u201c fragt man Barone, einen der drei Abtr\u00fcnnigen. Er f\u00e4ngt an zu weinen. \u201eIhr habt mich immer schlecht behandelt\u201c, jammert er, \u201eihr habt mir nicht einmal einen neuen Wagen gegeben, sondern eine alte Kiste, die unvereinbar ist mit meiner W\u00fcrde.\u201c
\nEr ist nicht mehr einzufangen. Auch die anderen zwei sind verloren.
\nAber die Regierung steckt nicht zur\u00fcck. Sie holt zum Gegenschlag aus. Drei M\u00e4nner sind weg, drei neue m\u00fcssen ran. Koste es, was es wolle.
\nMan studiert die Namen der gegnerischen christlichen Demokraten, um zu sehen, wer am billigsten ist. Der Finger f\u00e4llt auf meinen schnurrb\u00e4rtigen Zimmernachbarn, auf den \u201eOnorevole\u201c Santalco. Mann nennt ihn \u201eHerr Zehnprozent\u201c, weil man ihm nachsagt, Prozente einzustecken, Bestechungsgelder anzunehmen, mit gef\u00e4lschten Dokumenten zu handeln und Meister im Unterschlagen zu sein. Er scheint der geeignete Mann.
\nAls er im Hotel Delle Palme von einem mysteri\u00f6sen Unbekannten angesprochen wird, der ihm verlockende Angebote der Regierung \u00fcbermittelt, Angebote f\u00fcr ihn und f\u00fcr zwei seiner Kollegen, l\u00e4uft er schnell zum Sekret\u00e4r seiner Christlich-Demokratischen Partei . Hier wird sofort entschieden, den K\u00f6der der Regierung in eine t\u00f6dliche Falle zu verwandeln. Er, der schnurrb\u00e4rtige Santalco soll 70 Millionen (470 000 DM) f\u00fcr sich und 30 Millionen (200 000 DM) f\u00fcr seine beiden Kollegen fordern, und zwar so, da\u00df man die versuchte Bestechung beweisen kann. Den Skandal kann die Regierung nicht \u00fcberleben.
\nDem mysteri\u00f6sen Mittelsmann sagt Santalco also: \u201eJa, einverstanden, aber ich will direkt mit dem Chef der Regierung sprechen. Mit einem unbekannten Dritten will ich nichts mehr zu tun haben. Die Herren sollen ihre Gesichter zeigen.\u201c
\nSchnell wird von den christlichen Demokraten ein Bandger\u00e4t in einem Wagen untergebracht. auch ein Hotelzimmer wird zum Abh\u00f6ren vorbereitet. Aber Milazzo, der Regierungschef, bei\u00dft nicht an. Statt seiner schaltet sich nun der Minister Corrao, der Vertrauensmann Milazzos, ein. Er verspricht, alles selber in die Hand zu nehmen. Rendezvous am 14. Februar im Zimmer 128 \u2013
\nSantalco verst\u00e4ndigt seine Freunde: \u201eAlles ist fertig, aber la\u00dft mich nicht allein.\u201c Sie hatten schon den Mittelsmann \u00fcberwachen lassen, jetzt wird auch das Hotel Delle Palme diskret besetzt, besonders die erste Etage. \u00dcberall wimmelt es von Geheimen und Leibw\u00e4chtern der Mafia. Zwei verstecken sich im Badezimmer des Herrn Schnurrbart. Freunde und eingeweihte Abgeordnete warten aufgeregt in der Bar.<\/p>\n

U<\/strong>m 22.00 Uhr ist Santalco in seinem Zimmer. Er liegt auf dem Bett, im Pyjama, liest, fiebernd nerv\u00f6s. Um 23.30 Uhr klopft es an die T\u00fcr. Das ist Minister Corao, denkt er, aber eine Dame tritt ein, schlank, ernst, etwas steif wie ein Lehrerin. \u201eEntschuldigen Sie \u2026\u201c, beginnt sie. \u2013 \u201eIch mu\u00df mich entschuldigen\u201c, antwortet Santalco, indem er aufspringt, \u201eich erwartete Sie nicht, ich bin im Pyjama.\u201c Die Dame erkl\u00e4rt: \u201eMan bittet Sie nach oben zu kommen, um ungest\u00f6rt sprechen zu k\u00f6nnen.“
\nSantalco begreift schnell. \u201eIch kann nicht\u201c, antwortet er, verstehen Sie mich recht, ich bin nicht angezogen.\u201c
\nWenige Minuten sp\u00e4ter l\u00e4\u00dft der Minister bestellen, da\u00df er selber herunterkommen werde. \u2013 Es ist etwas nach Mitternacht, als er endlich in die Falle geht. Er ist elegant gekleidet und gut gestimmt wie immer. \u201eIn diesem Aufzug empf\u00e4ngst du mich, im Pyjama\u201c, ruft er vergn\u00fcgt, zieht die Dokumente hervor und unterschreibt sie vor den Augen Santalcos. Als er das Zimmer verl\u00e4\u00dft, scherzt er wieder: \u201e70 Millionen f\u00fcr dich, 30 f\u00fcr deine beiden Freunde. Ich glaube wirklich, da\u00df du die christlichen Demokraten daf\u00fcr zum Teufel jagst.\u201c
\n\u201eSeit sechs oder sieben Tagen bin ich ernstlich besorgt um das Schicksal unserer Insel \u2026\u201c, beginnt er seine Rede und erz\u00e4hlt, wie die Regierung versucht hat, ihn zu bestechen.
\nSkandal. Minister Corrao tritt zur\u00fcck. Die Regierung mu\u00df gehen. Der Weg ist frei f\u00fcr die neue rechtsgerichtet Koalition unter christlich-demokratischer F\u00fchrung.
\n\u201ePech gehabt\u201c, sagt Corrao gelassen. \u201eSo was macht man auch nicht schriftlich\u201c, entr\u00fcstet sich Majorana, der neue Chef der neuen Regierung.<\/p>\n

Im n\u00e4chsten Heft:<\/p>\n

Die Mafia regiert Sizilien<\/strong><\/p>\n","protected":false},"excerpt":{"rendered":"

Stern Heft 15,\u00a0 9. April 1960 F\u00fcr den Westen mag es unbequem sein, zuzugeben, da\u00df es ein menschliches und politisches Verbrechen ist, jene materiell und moralisch zu unterst\u00fctzen, die auf Sizilien ausbeuterisch Armut schaffen und sich dabei unseres Namens bedienen. Menschlich, weil die Not mordet. Politisch, weil das Elend zum Kommunismus treibt. Die beiden V\u00e4ter…<\/p>\n","protected":false},"author":1,"featured_media":61592,"parent":54035,"menu_order":2,"comment_status":"closed","ping_status":"closed","template":"","meta":{"_seopress_robots_primary_cat":"","_seopress_titles_title":"","_seopress_titles_desc":"","_seopress_robots_index":"","footnotes":""},"categories":[632],"tags":[],"class_list":["post-54038","page","type-page","status-publish","has-post-thumbnail","hentry","category-sizilien","entry","has-media"],"_links":{"self":[{"href":"https:\/\/www.troeller-deffarge.com\/wp-json\/wp\/v2\/pages\/54038","targetHints":{"allow":["GET"]}}],"collection":[{"href":"https:\/\/www.troeller-deffarge.com\/wp-json\/wp\/v2\/pages"}],"about":[{"href":"https:\/\/www.troeller-deffarge.com\/wp-json\/wp\/v2\/types\/page"}],"author":[{"embeddable":true,"href":"https:\/\/www.troeller-deffarge.com\/wp-json\/wp\/v2\/users\/1"}],"replies":[{"embeddable":true,"href":"https:\/\/www.troeller-deffarge.com\/wp-json\/wp\/v2\/comments?post=54038"}],"version-history":[{"count":5,"href":"https:\/\/www.troeller-deffarge.com\/wp-json\/wp\/v2\/pages\/54038\/revisions"}],"predecessor-version":[{"id":61612,"href":"https:\/\/www.troeller-deffarge.com\/wp-json\/wp\/v2\/pages\/54038\/revisions\/61612"}],"up":[{"embeddable":true,"href":"https:\/\/www.troeller-deffarge.com\/wp-json\/wp\/v2\/pages\/54035"}],"wp:featuredmedia":[{"embeddable":true,"href":"https:\/\/www.troeller-deffarge.com\/wp-json\/wp\/v2\/media\/61592"}],"wp:attachment":[{"href":"https:\/\/www.troeller-deffarge.com\/wp-json\/wp\/v2\/media?parent=54038"}],"wp:term":[{"taxonomy":"category","embeddable":true,"href":"https:\/\/www.troeller-deffarge.com\/wp-json\/wp\/v2\/categories?post=54038"},{"taxonomy":"post_tag","embeddable":true,"href":"https:\/\/www.troeller-deffarge.com\/wp-json\/wp\/v2\/tags?post=54038"}],"curies":[{"name":"wp","href":"https:\/\/api.w.org\/{rel}","templated":true}]}}