{"id":54045,"date":"2017-03-11T14:08:55","date_gmt":"2017-03-11T13:08:55","guid":{"rendered":"http:\/\/www.troeller-deffarge.com\/?page_id=54045"},"modified":"2021-07-29T16:50:36","modified_gmt":"2021-07-29T14:50:36","slug":"mit-geld-gegen-kennedy","status":"publish","type":"page","link":"https:\/\/www.troeller-deffarge.com\/zeitungsreportagen\/brasilien\/mit-geld-gegen-kennedy\/","title":{"rendered":"Mit Geld gegen Kennedy"},"content":{"rendered":"
Stern, Heft 10,\u00a0 11. M\u00e4rz 1962<\/em><\/p>\n [Anmerkung: Im Folgenden wird der Begriff Neger\/Negerin aus dem Originaltext beibehalten. Diese Bezeichnung war damals ohne Abwertung als Fremd- und Selbstzuschreibung gel\u00e4ufig.]<\/em><\/p>\n Pr\u00e4sident Kennedy will Lateinamerika helfen, die Grund\u00fcbel der Unsicherheit auszurotten: politische Korruption und soziale Ungerechtigkeit. Dabei bek\u00e4mpft ihn amerikanisches Kapital. In Brasilien hat es \u2013 zun\u00e4chst \u2013 gesiegt.<\/strong><\/p>\n Willy Lupion liebt keine Besen. Besonders keine politischen Besen. Deshalb sprang er schnurstracks \u00fcber den Ozean, als Pr\u00e4sident Janio Quadros vor einem Jahr in Brasilia einzog und das gro\u00dfe Reinemachen losging. In der Schweiz stie\u00df Willy zu den bereits vorausgeschickten vierhundert Millionen Mark, die sein Exil ein wenig aufheiterten. Aus allen Teilen des Landes fliehen Menschen vor Not, D\u00fcrre, Arbeitslosigkeit und Hunger in die Stadt des Jahres 2000. Im Dekor der Zukunft suchen sie das Leben der Zukunft: Friede und Arbeit im Schatten k\u00fchner Bauten<\/span><\/em><\/p>\n Da\u00df Willy vor Janios Besen davonlief und jetzt wieder zur\u00fcckeilt, zeigt deutlich, was Quadros in Brasilien bedeutete und l\u00e4\u00dft zum Teil erkennen, warum er gehen mu\u00dfte. John Kennedy macht Revolution<\/strong><\/p>\n Der R\u00fccktritt Janio Quadros\u2018 trifft besonders die Vereinigten Staaten. Er bedeutet f\u00fcr die neue Politik Washingtons eine gr\u00f6\u00dfere Niederlage als die mi\u00dfgl\u00fcckte Invasion Kubas. In Lateinamerika steht Pr\u00e4sident Kennedy zum ersten Mal einem m\u00e4chtigen Gegner aus dem eigenen Lager gegen\u00fcber: dem Big Business. Kennedys neue Konzeption der interamerikanischen Beziehungen, die Roosevelts \u201eGute Nachbar-Doktrin\u201c an Gro\u00dfz\u00fcgigkeit und Weitblick \u00fcbertrifft, wird systematisch von den amerikanischen Privatinteressen sabotiert: Sie machen ihre eigene Politik. Im Falle Quadros siegten sie und bewiesen, da\u00df sie sich nicht um die fortschrittlichen Ideen ihres Pr\u00e4sidenten k\u00fcmmern, wenn es um ihr Geld geht. Es ist deshalb sicher nicht \u00fcbertrieben, wenn objektive Beobachter behaupten, John F. Kennedy setze seine Pr\u00e4sidentschaft nicht in Berlin, Laos oder Afrika aufs Spiel, sondern hier auf dem amerikanischen Kontinent. Brasilia: 500 Millionen Dollar im Glas und Zement.<\/strong> Ein futuristischer Traum. Eine Stadt f\u00fcrs Auge. Ein Denkmal des nationalen Stolzes. Stein und Eisen gewordenes Symbol des brasilianischen Genies. Moderne Hauptstadt des Landes \u2013 aber kein Platz f\u00fcr die Menschen<\/em><\/p>\n <\/strong><\/em><\/p>\n In Brasilia wird der Mensch einem Traum geopfert Die Bedeutung dieses Kurswechsels wird erkennbar, wenn man das \u201eB\u00fcndnis f\u00fcr den Fortschritt\u201c mit dem vorj\u00e4hrigen interamerikanischen Abkommen vergleicht. W\u00e4hrend der Konferenz von Bogot\u00e1 bot die Eisenhower-Verwaltung nur 500 Millionen Dollar f\u00fcr 21 Staaten und bestand sogar darauf, da\u00df der Gro\u00dfteil in Form von nordamerikanischen Privatkapitalanlagen investiert werden sollte. Der Schwerpunkt des B\u00fcndnisses liegt auf dem Wort \u201eFortschritt\u201c, und dieser wiederum ist sozial gemeint. Es kann deshalb nur wirksam durchgef\u00fchrt werden von fortschrittlichen Regierungen mit ausgesprochen sozialen Tendenzen, von M\u00e4nnern, die Kennedys \u00dcberzeugung teilen, da\u00df tiefgreifende Struktur\u00e4nderungen unumg\u00e4nglich geworden sind.<\/p>\n Wallstreet gegen Washington<\/strong><\/p>\n Aber gerade solche M\u00e4nner erwecken das Mi\u00dftrauen des nordamerikanischen Privatkapitals in S\u00fcdamerika. Die Gesch\u00e4ftsleute der Vereinigten Staaten f\u00fchlen sich wohl in L\u00e4ndern wie Nicaragua, wo sie kaum Steuern zahlen, keiner Kontrolle unterworfen sind, wo ein \u201estarkes Regime\u201c von ihren Gnaden alle Spielverderber in Schach h\u00e4lt. Sie betrachten deshalb jeden Reformer als Wegbereiter des Fidelismus und bek\u00e4mpfen ihn mit allen Mitteln. Das bedeutet: Die einzigen m\u00f6glichen B\u00fcndnispartner Pr\u00e4sident Kennedys stehen auf der Abschu\u00dfliste des Big Business. Hierdurch wird die Schlacht um Lateinamerika um ein neues Element bereichert: den Kampf zwischen Washington und Wallstreet. Erpressung mit Dollars<\/strong><\/p>\n Im Grunde kann Castro sich dar\u00fcber freuen. Wenn die Presse der Vereinigten Staaten oder Europas gegen Castro schreibt, bildet sie die Meinung ihrer Leser, denn Amerikaner und Europ\u00e4er sind \u00fcberzeugt, eine objektive und ehrliche Information zu lesen. In S\u00fcdamerika hingegen wei\u00df jedes Kind, da\u00df die Presse das Instrument finanzieller Gruppen ist und da\u00df man auf keinen Fall glauben darf, was man liest. Quadros unterst\u00fctzt Castro<\/strong><\/p>\n Der Druck dieser Privatinteressen wird umso aggressiver, als sie einerseits die Unterst\u00fctzung Washingtons verloren haben und andererseits zum ersten Mal ein t\u00f6dlicher Feind innerhalb der westlichen Hemisph\u00e4re aufgetaucht ist: Kuba. Brasilien:<\/strong> das f\u00fcnftgr\u00f6\u00dfte Land der Erde. Die gr\u00f6\u00dfte Nation Lateinamerikas. Vierunddrei\u00dfigmal so gro\u00df wie die Bundesrepublik. Siebzig Millionen Einwohner. Obwohl es sich durch die portugiesische Sprache von den s\u00fcdamerikanischen Schwesterrepubliken unterscheidet, wird dieser erwachende Riese die Zukunft des ganzen Kontinents bestimmen<\/em><\/p>\n Aus diesem Grund unterst\u00fctzte er Fidel Castro. F\u00fcr ihn war Kuba das einzige Land Lateinamerikas – und er scheute sich nicht, es laut zu sagen -, das die herk\u00f6mmlichen Ketten politischer und wirtschaftlicher Bevormundung erfolgreich gesprengt hatte. Und Quadros ging nicht nur nach Havanna. Er kn\u00fcpfte auch diplomatische Beziehungen zu den Staaten des Ostblocks an und bef\u00fcrwortete die Aufnahme Chinas in die UN. Reformen bedeuten Selbstmord<\/strong><\/p>\n Was war geschehen? Warum haben die \u201edunklen M\u00e4chte\u201c, wie Quadros die Koalition zwischen ausl\u00e4ndischem Kapital und einheimischen Konservativismus nennt, pl\u00f6tzlich beschlossen, ihre gewaltigen Mittel gegen den Pr\u00e4sidenten ins Feld zu f\u00fchren, um ihn zum R\u00fccktritt zu zwingen? Milit\u00e4rs werden gekauft<\/strong><\/p>\n Da er andererseits keinen Unterschied machte zwischen ausl\u00e4ndischem und inl\u00e4ndischem Kapital, wenn es um die Interessen des Landes ging, sah er sich einer einheitlichen Front gegen\u00fcber, der er umso weniger widerstehen konnte, als auch das Heer den konservativen Kreisen verbunden ist. <\/em><\/strong><\/p>\n Im Schatten k\u00fchner Bauten begraben die meisten Menschen ihre Hoffnung in ebensolchen Menschenst\u00e4llen, denen sie zu entfliehen suchten, w\u00e4hrend die Abgeordneten des Bundesparlamentes f\u00fcr Arbeit und Aufenthalt im abgelegenen Brasilia besondere Zulagen verlangen<\/em><\/strong><\/p>\n <\/strong><\/p>\n Kapitalismus kein Dogma des Christentums<\/strong><\/p>\n Die Niederlage des \u201eJanismus\u201c ist f\u00fcr Pr\u00e4sident Kennedy ein weit schwererer Schlag als die mi\u00dfgl\u00fcckte Invasion Kubas. Brasilia:<\/strong> Eine erdr\u00fcckende Last auf den Schultern des Volkes. So stellt ein avantgardistisches Theater die neue Hauptstadt dar. Um den Bau zu finanzieren wurden vor allem die Ausgaben f\u00fcr Erziehung und Gesundheit gek\u00fcrzt. Anstelle von mehr Krankenh\u00e4usern und neuen Schulen gibt es stolze Formen aus Glas und Zement in einem Land, dessen Haupt\u00fcbel hohe Sterblichkeit und Analphabeten sind<\/em><\/p>\n Es ist nicht Fidel Castro, der seine Revolution exportiert. Sie sind es: die \u201edunklen M\u00e4chte\u201c. Mit ihrem Egoismus, ihrer Propaganda, ihrer Korruption, mit ihren Milit\u00e4rputschen werden sie die S\u00fcdamerikaner dazu treiben, nicht mehr zu versuchen wie Quadros, sondern so zu handeln wie Fidel Castro. Castro: \u201e Kommunisten sind die Pest\u201c<\/strong><\/p>\n Ja, lieber Leser, das haben Sie gelesen – aber Fidel Castro hat es nie gesagt. Auch Sie sind das Opfer des \u201egesteuerten Mi\u00dfverst\u00e4ndnisses\u201c geworden. Eine verst\u00fcmmelte Agenturmeldung wurde Ihnen blindlings serviert, interpretiert und \u201emeinungsbildend verleitartikelt\u201c. Das Big Business verr\u00e4t den Westen<\/strong><\/p>\n Pr\u00e4sident Kennedy will dies vermeiden. Er will ihnen zu Gerechtigkeit und Freiheit verhelfen. Seine Politik ist die erste konsequente Antwort auf die Herausforderung des Kommunismus in S\u00fcdamerika, der einzige erfolgversprechende Versuch, diesen Kontinent vor extremen L\u00f6sungen zu bewahren. Stern, Heft 10,\u00a0 11. M\u00e4rz 1962 [Anmerkung: Im Folgenden wird der Begriff Neger\/Negerin aus dem Originaltext beibehalten. Diese Bezeichnung war damals ohne Abwertung als Fremd- und Selbstzuschreibung gel\u00e4ufig.] Pr\u00e4sident Kennedy will Lateinamerika helfen, die Grund\u00fcbel der Unsicherheit auszurotten: politische Korruption und soziale Ungerechtigkeit. Dabei bek\u00e4mpft ihn amerikanisches Kapital. In Brasilien hat es \u2013 zun\u00e4chst \u2013…<\/p>\n","protected":false},"author":1,"featured_media":61665,"parent":54040,"menu_order":4,"comment_status":"closed","ping_status":"closed","template":"","meta":{"_seopress_robots_primary_cat":"","_seopress_titles_title":"","_seopress_titles_desc":"","_seopress_robots_index":"","footnotes":""},"categories":[592],"tags":[],"class_list":["post-54045","page","type-page","status-publish","has-post-thumbnail","hentry","category-brasilien","entry","has-media"],"_links":{"self":[{"href":"https:\/\/www.troeller-deffarge.com\/wp-json\/wp\/v2\/pages\/54045"}],"collection":[{"href":"https:\/\/www.troeller-deffarge.com\/wp-json\/wp\/v2\/pages"}],"about":[{"href":"https:\/\/www.troeller-deffarge.com\/wp-json\/wp\/v2\/types\/page"}],"author":[{"embeddable":true,"href":"https:\/\/www.troeller-deffarge.com\/wp-json\/wp\/v2\/users\/1"}],"replies":[{"embeddable":true,"href":"https:\/\/www.troeller-deffarge.com\/wp-json\/wp\/v2\/comments?post=54045"}],"version-history":[{"count":5,"href":"https:\/\/www.troeller-deffarge.com\/wp-json\/wp\/v2\/pages\/54045\/revisions"}],"predecessor-version":[{"id":64069,"href":"https:\/\/www.troeller-deffarge.com\/wp-json\/wp\/v2\/pages\/54045\/revisions\/64069"}],"up":[{"embeddable":true,"href":"https:\/\/www.troeller-deffarge.com\/wp-json\/wp\/v2\/pages\/54040"}],"wp:featuredmedia":[{"embeddable":true,"href":"https:\/\/www.troeller-deffarge.com\/wp-json\/wp\/v2\/media\/61665"}],"wp:attachment":[{"href":"https:\/\/www.troeller-deffarge.com\/wp-json\/wp\/v2\/media?parent=54045"}],"wp:term":[{"taxonomy":"category","embeddable":true,"href":"https:\/\/www.troeller-deffarge.com\/wp-json\/wp\/v2\/categories?post=54045"},{"taxonomy":"post_tag","embeddable":true,"href":"https:\/\/www.troeller-deffarge.com\/wp-json\/wp\/v2\/tags?post=54045"}],"curies":[{"name":"wp","href":"https:\/\/api.w.org\/{rel}","templated":true}]}}
\nMittlerweile hat sich die Lage in Brasilien radikal ge\u00e4ndert. Janio mu\u00dfte den Besen in die Ecke stellen, die Koffer packen und selbst ins Exil gehen. Willys Stunde scheint wieder gekommen. Er will zur\u00fcck in die Heimat, denn seine Freunde sind wieder an der Macht. Und Freunde hat Willy viele. \u00dcber drei\u00dfigtausend M\u00e4nner verdanken ihm Geld und Einflu\u00df, und mindestens zehnmal so viele sind fanatische Anh\u00e4nger seiner Methoden.
\nWilly hat seine Laufbahn als Bonbonverk\u00e4ufer begonnen. Aber 1945 hatte er es bereits zum Gouverneur des Staates Paran\u00e1 gebracht – zum Segen seines Bankkontos und seiner vielen Freunde.
\nFr\u00fch schon hatte er begriffen, da\u00df man nur dann wirklich ungest\u00f6rt stehlen kann, wenn man so viele Menschen wie m\u00f6glich am Gesch\u00e4ft beteiligt; unter besonderer Ber\u00fccksichtigung der politischen Freunde. Die konsequente Befolgung dieser \u00dcberlegung machte Willi zum Meister in der Stellenvermittlung. Im Laufe von f\u00fcnf Jahren vergab er 30.000 Regierungsposten, davon jedem mindestens viermal. Die guten Freunde lie\u00df er nach wenigen Tagen zum h\u00f6chsten Tarif pensionieren.
\nAls eines Tages die drei Posten als offizielle Einbalsamierer frei wurden, ernannte Willy gleich 600 neue – genug, um s\u00e4mtliche Einwohner seines Staates ausstopfen lassen zu k\u00f6nnen.
\nBald waren keine Stellen mehr zu vergeben. Aber Willy spr\u00fchte vor Einf\u00e4llen. Er forderte von der Zentralregierung das Recht, eine Million Morgen Land unter einer Immobiliengesellschaft zusammenfassen zu d\u00fcrfen. Schon am n\u00e4chsten Tag verkaufte er dieses Land: 40 Mark pro Morgen f\u00fcr Freunde – 140 Mark f\u00fcr sonstige Liebhaber. Das Gesch\u00e4ft ging so gut, da\u00df er auch anliegende L\u00e4ndereien an seine Freunde verteilte. Und als die rechtm\u00e4\u00dfigen Besitzer sich widersetzten, schickte er einfach die Soldaten. War er nicht Gouverneur? \u00dcber hundert Bauern mu\u00dften ins eigene Gras bei\u00dfen.
\nWillys brillanteste Idee war jedoch eine andere: Er erkl\u00e4rte seinen Staat zum \u201eNotstandsgebiet\u201c und f\u00fchrte Enteignungen durch im Werte von 50 Millionen Mark, mit denen er seine politischen Freunde und die Gesch\u00e4fte seiner Familie finanzierte.
\nAls der Besen Janio Quadros am politischen Horizont aufstieg, wollte Willy noch schnell ein paar zus\u00e4tzliche Gefolgsm\u00e4nner f\u00fcr die unsichere Zukunft schaffen: Er verkaufte die \u00f6ffentlichen G\u00e4rten von Curitiba, der Hauptstadt seines Staates, zu Spottpreisen. Den Jo\u00e3o-Gulberto-Platz f\u00fcr 28 Mark und sieben andere Pl\u00e4tze f\u00fcr 40 Mark das St\u00fcck, einschlie\u00dflich Karussell, Spielpl\u00e4tzen, Brunnen, Marmorstatuen usw.
\nDer Staat Paran\u00e1 geh\u00f6rte nicht zum Norden Brasiliens, der, \u201ewie hier jeder wei\u00df“, r\u00fcckst\u00e4ndig, voller Neger und korrupt ist, sondern zum fortschrittlichen, stolzen, wei\u00dfen S\u00fcden.<\/p>\n
\nAndererseits kann nichts die politische Lage Brasiliens und ganz Lateinamerikas besser illustrieren als dieser dramatische Abgang, der das Land an den Rand des B\u00fcrgerkrieges f\u00fchrte und dessen Auswirkungen heute noch nicht abzusehen sind.<\/p>\n
\nDie neue Politik des Pr\u00e4sidenten dr\u00fcckt sich durch das \u201eB\u00fcndnis f\u00fcr den Fortschritt\u201c aus, das Kennedy selbst den \u201ePakt des Jahrhunderts\u201c genannt hat. Drei Wochen vor dem R\u00fccktritt Janio Quadros‘ war dieses B\u00fcndnis in Punta del Este von allen amerikanischen Staaten, mit Ausnahme Kubas, unterzeichnet worden. Die Vereinigten Staaten verpflichteten sich, mit 20 Milliarden Dollar Wirtschaftshilfe dazu beizutragen, die soziale Struktur Lateinamerikas grundlegend zu \u00e4ndern. Das ist eine Revolution der amerikanischen Politik. Es handelt sich nicht mehr darum, Positionen zu verteidigen, indem man einer Gruppe von M\u00e4nnern mit Geld hilft, an der Macht zu bleiben. Im Gegenteil: Pr\u00e4sident Kennedy will diese M\u00e4nner zwingen, die Grund\u00fcbel der Unsicherheit auszurotten: veraltete Gesellschaftsformen und ungerechte Verteilung des Nationalverm\u00f6gens.<\/p>\n
\n<\/strong>Schon die brasilianische Verfassung verlangt den Bau einer Hauptstadt im Innern des Landes. Mit Brasilia ist sie entstanden: ei<\/em>n geographisches Zentrum f\u00fcr die gewaltigen Gebiete Brasiliens. Ein Vorposten zu Erschlie\u00dfung des Hinterlandes. Aber jede Stadt ist das Abbild der <\/em>Nation. Wenn es zehn Prozent Reiche, zwanzig Prozent Mittelstand und siebzig Prozent Arme gibt, dann wird sich dieses Verh\u00e4ltnis in organisch gewachsen\u00a0 St\u00e4dten wiederfinden. Im k\u00fcnstlichen Brasilia jedoch sind die Armen vergessen worden. Man hat phantasiert, sehr k\u00fchn konstruiert \u2013 aber vor allem spekuliert. Brasilia ist der Traum eines reichen Brasiliens \u2013 der viele reich gemacht hat<\/em><\/p>\n
\nAls Fidel Castro 1959 in Punta del Este vorschlug, Washington solle Lateinamerika mit 30 Milliarden Dollar unpolitischer Wirtschaftshilfe retten, antwortete der damalige US Au\u00dfenminister Herter mit einem wegwerfenden Achselzucken, und die New Yorker Presse besp\u00f6ttelte den kubanischen Revolution\u00e4r als einen \u00fcberspannten Tr\u00e4umer. – Heute ist Castros Vorschlag zum \u201eB\u00fcndnis f\u00fcr den Fortschritt\u201c geworden, zur Hauptwaffe Kennedys im Kampf um S\u00fcdamerika.<\/p>\n
\nEs geht um die Definition des Begriffes \u201enationales Interesse\u201c. Bis zur Wahl Kennedys galt es als selbstverst\u00e4ndlich, das \u201enationale Interesse\u201c der Vereinigten Staaten in Lateinamerika mit den Interessen des dort investierten Kapitals zu identifizieren.
\nFolglich sah das amerikanische Au\u00dfenministerium es als seine Hauptaufgabe an, die dortigen Privatinvestitionen zu sch\u00fctzen. Wenn es sein mu\u00dfte, durch milit\u00e4rische Intervention. Das Verh\u00e4ltnis der Vereinigten Staaten zur kubanischen Revolution wurde durch diese Doktrin bestimmt. Es war also letzten Endes immer das \u201eBig Business\u201c, das die amerikanische Politik s\u00fcdlich der Grenzen bestimmte. Wenn sich die Lateinamerikaner heute gegen den Imperialismus erheben, dann meinen sie vor allem das Big Business.
\nPr\u00e4sident Kennedy hat resolut einen neuen Weg eingeschlagen. Er vertritt den Standpunkt, dass die Addition materieller Egoismen nicht unbedingt die Summe der nationalen Interessen eines Landes ausmacht. Im Gegenteil, in einem weltweiten B\u00fcrgerkrieg zwischen reichen und armen V\u00f6lkern mag nur das Opfer gewisser privater Vorteile die Nation vor dem Untergang retten. Anstatt die armen Nationen auszubeuten und in Schach zu halten, wollen die neuen M\u00e4nner in Washington ihren Nachbarn die Mittel geben, gesunde unabh\u00e4ngige Nationen zu werden.
\nSchon die Tatsache, da\u00df jedermann heute gezwungen ist, politisch zu Fidel Castro Stellung zu beziehen, macht den kubanischen Revolution\u00e4r zur wichtigsten Figur Lateinamerikas. Es gibt hier einfach keine Politik mehr ohne Bezugnahme auf Kuba. Und die Massen sind zweifellos pro-kubanisch. Die gro\u00dfe Presse der Welt hat nur oberfl\u00e4chlich \u00fcber die Solidarit\u00e4tskundgebungen berichtet, die nach der mi\u00dfgl\u00fcckten Invasion Kubas ganz Lateinamerika ersch\u00fctterten. Wer wei\u00df in Europa, da\u00df ganz Chile 72 Stunden lang von einem Generalstreik lahmgelegt war? Da\u00df die amerikanischen Touristen in Mexiko von Milit\u00e4r in Schutz genommen werden mu\u00dften? Dass Blut geflossen ist, in fast allen St\u00e4dten dieses Kontinents.
\nDas \u201eBig Business\u201c hingegen wei\u00df es. Es ist an Ort und Stelle. Daher auch seine panische Angst vor allen, die sich nicht eindeutig und radikal gegen Castro stellen. Bis zum Invasionsversuch gab es in S\u00fcdamerika noch gro\u00dfe Zeitungen, die offen f\u00fcr Kuba eintraten. Wenige Tage sp\u00e4ter riefen die Direktoren ihre Redaktion zusammen und erkl\u00e4rten: \u201eVon jetzt ab mu\u00df gegen Castro geschrieben werden, ob ihr es wollt oder nicht.\u201c Die nordamerikanischen Unternehmer hatten gewarnt: \u201eWer nicht gegen Castro schreibt, bekommt keine Anzeigen mehr.\u201c Und wer nicht eines schnellen wirtschaftlichen Todes sterben wollte, mu\u00dfte sich gleichschalten, denn es gibt kaum Anzeigenkunden, die nicht von amerikanischem Kapital abh\u00e4ngig sind.
\nSo entstand eine paradoxe – um nicht zu sagen undemokratische – Situation sondergleichen: In einem ganzen Kontinent, in dem die Mehrheit der \u00f6ffentlichen Meinung selbst nach Ansicht amerikanischer Kreise pro-kubanisch ist, gibt es keine einzige unabh\u00e4ngige Tageszeitung, die es noch wagen darf, offen f\u00fcr die kubanische Revolution einzutreten.<\/p>\n
\nDer Druck beschr\u00e4nkt sich jedoch nicht auf die Presse. Gemeinsam mit den Besitzenden des Kontinents hat das amerikanische Kapital eine Front geschaffen, der kaum ein Politiker widerstehen kann. Die Willy Lupions und kleinen Leute werden ganz einfach gekauft. Bei den Pr\u00e4sidenten geht das nat\u00fcrlich nicht. Besonders nicht in den gro\u00dfen Republiken Lateinamerikas. Hier kann kein Herr Smith einfach Geld anbieten oder Befehle geben. Aber er kann erpressen. Er kann zum Beispiel erkl\u00e4ren, da\u00df sein \u00d6l- oder Bergbaukonzern nicht mehr an der Entwicklung des Landes interessiert sei. Das bedeutet einen Verlust von 50 oder 100. Millionen Dollar f\u00fcr die Staatskasse. Andere Industrielle k\u00f6nnen hinzuf\u00fcgen, da\u00df sie kein Vertrauen mehr haben und es vorziehen, ihr Geld woanders anzulegen.
\nSo wurde der Exkommunist und heutige Pr\u00e4sident von Venezuela, Romulo Betancourt, zum fanatischen Castrohasser, nachdem viele Millionen Dollar sein Land verlassen hatten. Um Venezuela vor einer t\u00f6dlichen Dollarausblutung zu retten, mu\u00dfte Betancourt das \u201eVertrauen des Kapitals\u201c wiedergewinnen, wie man hier sagt. Das hei\u00dft, er mu\u00dfte sich von den \u201eLinken\u201c lossagen, verd\u00e4chtige Minister und Beamte kaltstellen und jeden Tag erkl\u00e4ren, da\u00df Castro ein Verr\u00e4ter sei.
\nMexiko erlebte eine \u00e4hnliche Dollarflucht, als es in den Vereinigten Nationen die Invasion Kubas verurteilte.
\n\u00dcberall auf dem Kontinent gibt es tausend F\u00e4lle dieser Art. Wenn die Lateinamerikaner gegen den Neo-Imperialismus wettern, dann meinen sie vor allem diese durch Erpressung und Korruption erzwungene Gleichschaltung ihrer nationalen Interessen mit ausl\u00e4ndischen Privatinteressen.<\/p>\n
\nJanio Quadros besa\u00df zun\u00e4chst das volle Vertrauen des amerikanischen Kapitals und dessen lokaler Verb\u00fcndeter. Er hatte eine brillante Karriere gemacht. Vom einfachen Stadtrat war er, ohne die Hilfe einer Partei, bis zur Pr\u00e4sidentschaft der Republik aufger\u00fcckt. Als Gouverneur von S\u00e3o Paulo gewann er sich den Ruf eines ehrlichen um besonders tatkr\u00e4ftigen Organisators. Er unterst\u00fctzte weitgehend Privatinvestitionen. Sein Symbol w\u00e4hrend der Wahlschlacht um die Pr\u00e4sidentschaft war der Besen. Sein Programm: der Kampf gegen die Korruption.
\nAber Quadros wollte nicht nur im Innern des Landes die Achtung vor Gesetz und Gewissen wiederherstellen. Er verlangte f\u00fcr Brasilien das Recht, eine eigene Au\u00dfenpolitik zu betreiben, wie es einem Land zusteht, das so riesig wie ein Kontinent ist. – \u201eIch bin kein Neutralist\u201c, pflegte er zu sagen, \u201esondern ein Verfechter totaler Unabh\u00e4ngigkeit.\u201c<\/p>\n
\nTrotz alledem betrachtete das Big Business ihn nicht als einen Feind. Im Gegenteil: Auf innenpolitischem Gebiet erweckte er zun\u00e4chst den Anschein eines Konservativen. Sein au\u00dfenpolitisches Gehabe wurde deshalb als eigenwillige Demonstration der Unabh\u00e4ngigkeit gedeutet und gleichzeitig als geschicktes Man\u00f6ver, um die \u201eLinke\u201c zu beschwichtigen.
\nWenn die gro\u00dfen Republiken Lateinamerikas es heute ablehnen, aktiv am nordamerikanischen Kreuzzug gegen Kuba teilzunehmen, dann haben sie \u00e4hnliche Beweggr\u00fcnde: Es ist zun\u00e4chst eine Frage des Prestiges. Sie wollen unter keinen Umst\u00e4nden als Satelliten der Vereinigten Staaten erscheinen. Andererseits stehen ihre Regierungen unter politischem Druck. Es ist deshalb nicht verwunderlich, da\u00df die Gro\u00dfen Lateinamerikas sich vor einigen Wochen in Punta del Este der Stimme enthielten, als US Au\u00dfenminister Rusk Kollektivsanktionen gegen Kuba verlangte.
\nFrancisco Juli\u00e3o, der als Beobachter anwesend war, gab hierzu einem Reporter die beste Erkl\u00e4rung.
\nAuf die Frage, was geschehen w\u00fcrde, wenn der brasilianische Au\u00dfenminister doch \u201eim letzten Moment umfallen w\u00fcrde\u201c, antwortete Juli\u00e3o:
\n\u201eDas kann er nicht.\u201c
\n\u201eWarum nicht?\u201c, wollte der Journalist wissen.
\n\u201eWeil dies B\u00fcrgerkrieg bedeuten w\u00fcrde.\u201c
\nAus dem gleichen Grund glaubte man, Janio Quadros seine eigenwillige Au\u00dfenpolitik verzeihen zu m\u00fcssen.
\nUnd doch mu\u00dfte er zur\u00fccktreten. In seiner dramatischen Abschiedsbotschaft sagte er unter anderem: \u201eIch bin von der Reaktion besiegt worden und verlasse deshalb mein Amt. Ich habe meine Pflicht erf\u00fcllt. Aber meine Anstrengungen, diese Nation auf den Weg echter politischer und wirtschaftlicher Befreiung zu f\u00fchren, sind umsonst gewesen \u2026 Ich f\u00fchle mich erdr\u00fcckt. Dunkle M\u00e4chte haben sich gegen mich erhoben \u2026\u201c<\/p>\n
\nQuadros ist kein Idiot, kein Hysteriker, verschrobene Professor, Alkoholiker oder Homosexueller, wie eine gewisse Presse schamlos behauptet, um die wirklichen Hintergr\u00fcnde der Krise zu vertuschen.
\nWir haben mit Freunden des Pr\u00e4sidenten gesprochen, Mitarbeiter interviewt. Sie alle sprachen voller Bewunderung von der Integrit\u00e4t, der Intelligenz, dem kompromi\u00dflosen Verantwortungsbewu\u00dftsein des Pr\u00e4sidenten. Und sie erkl\u00e4rten uns, warum Quadros gehen mu\u00dfte.
\nWeil er Reformen durchf\u00fchren wollte, wie sie dem Geist des \u201eB\u00fcndnis\u2018 f\u00fcr den Fortschritt\u201c entsprechen, und diese Reformen unvermeidlich die Macht und einige Vorteile der \u201edunklen M\u00e4chte\u201c beschneiden mu\u00dften. Auf der Liste der Reformen, die er im Herbst letzten Jahres in Angriff nehmen wollte, standen: Antitrust-Gesetz, Bankreform, Ausfuhrbeschr\u00e4nkung der Gewinne, h\u00f6here Versteuerung der Gewinne, Beschr\u00e4nkung der Dividenden, Landreform usw. \u2026
\nAber lassen wir Jo\u00e3o Agripino das Wort, dem Bergbauminister in der Regierung Janio Quadros:
\n\u201eJanio wollte die Eisenerzproduktion steigern und die Gewinne f\u00fcr die wirtschaftliche Entwicklung des Landes benutzen. Die Ausfuhr von Eisenerz wirft einen Gewinn von ungef\u00e4hr 40 Prozent ab. Es schien uns deshalb nicht zu viel verlangt, die Voraussetzungen zu schaffen, damit ein Teil dieser Gewinne in Grundindustrien angelegt werden konnte, besonders in der Eisenindustrie.
\nDrei ausl\u00e4ndische Gruppen wurden von unseren Reformpl\u00e4nen betroffen: die Hanna (amerikanisch), die Rio Tinto (englisch), die Bethlehem Steel (amerikanisch).
\nIch machte im \u00fcbrigen die schmerzhafte Entdeckung, da\u00df reiche Erzvorkommen, die in ausl\u00e4ndischen H\u00e4nden liegen, gar nicht ausgebeutet werden. Zum gro\u00dfen Teil seit Vergabe der Konzession. Nickel, Zink, Kupfer, Aluminium und andere Metalle liegen hier in Brasilien brach, w\u00e4hrend wir sie einf\u00fchren m\u00fcssen.
\nAndere, von ausl\u00e4ndischen Gruppen kontrollierte Bergwerke werden regelrecht ausgeraubt, das hei\u00dft, man baut nur die leicht zug\u00e4nglichen Erze ab, was nat\u00fcrlich die Produktion verbilligt und gro\u00dfe Gewinne bringt, jedoch eine schnelle Ersch\u00f6pfung der Erzlager zur Folge hat.
\nIch unterrichtete den Pr\u00e4sidenten von dem, was ich vorgefunden hatte und schlug vor, alle jene Konzessionen zu k\u00fcndigen, die nicht in Betrieb genommen oder industrialisiert w\u00fcrden. Er stimmte diesem Plan voller Begeisterung zu. Die Hanna h\u00e4tte \u00fcber die H\u00e4lfte ihrer Gruben verloren.\u201c
\nAber es kam nicht dazu. Bevor die Reform Gesetz werden konnte, war Quadros zur\u00fcckgetreten.
\nUnd genauso ging es mit den Uranvorkommen in Minas Gerais. Bevor Quadros die unter mysteri\u00f6sen Umst\u00e4nden vergebene Konzession r\u00fcckg\u00e4ngig machen konnte, mu\u00dfte er die Pr\u00e4sidentschaft verlassen.
\nUnd nicht anders war es mit dem Programm der Elektrifizierung des Landes. Es forderte einige Opfer von den ausl\u00e4ndischen Firmen, die hier die Elektrizit\u00e4t kontrollieren.
\nElektrizit\u00e4t, Gas, Stra\u00dfenbahn und Telefon werden hier nicht vom Staat, vom Land oder von der Stadt verwaltet. Sie liegen in der Hand ausl\u00e4ndischer Unternehmen. Uns w\u00fcrde es sicher sehr erstaunen, wenn wir Gas- oder Telefonrechnungen in franz\u00f6sischer oder englischer Sprache zugestellt bek\u00e4men. Genau das passiert in Brasilien.
\nQuadros wollte diese Unternehmen keineswegs verstaatlichen. So k\u00fchn waren seine Reformpl\u00e4ne gar nicht. Er wollte die ausl\u00e4ndischen Betriebe nur soweit bringen, sich nicht mehr gegen die vitalen Interessen der Nation zu stellen. Das brachte ihn zu Fall.<\/p>\n
\nAlle lateinamerikanischen Republiken unterhalten ebenso kostspielige wie nutzlose Armeen. Brasilien, das eine Auslandsschuld von mehr als 3 Milliarden Dollar hat, gab 46 Prozent seines Staatshaushaltes f\u00fcr die Verteidigung aus. Es hat 3500 Gener\u00e4le und 7 Marsch\u00e4lle.
\nAls Pr\u00e4sident Kubitschek, der Vorg\u00e4nger von Janio Quadros, ernsthafte Schwierigkeiten mit der Wehrmacht hatte, kaufte er der Marine, dem reaktion\u00e4rsten Fl\u00fcgel der M\u00e4nner in Uniform, einen Flugzeugtr\u00e4ger. Der Preis: 16 Millionen Dollar. Die Instandsetzung: weitere 14 Millionen. Hiermit h\u00e4tte man den ganzen Nordosten bew\u00e4ssern k\u00f6nnen. Aber es ging um Wichtigeres. Es ging um die kritischste Seite der Herren Offiziere: das Prestige. Und jetzt besitzen die stolzen Krieger ein nutzloses Spielzeug f\u00fcr reiselustige Admirale und erholungsbed\u00fcrftige Korvettenkapit\u00e4ne. Das Schiff war noch nie einsatzbereit. Die Brasilianer nennen es den \u201e Sch\u00f6nen Antonio\u201c, weil es, genau wie dieser Geck, vollkommen impotent ist und meistens nur vor dem Strand von Copacabana auf und ab f\u00e4hrt.
\nQuadros jedoch war nicht so kompromi\u00dfbereit wie Kubitschek. Er hatte \u00a0jeglicher Form der Korruption den Kampf angesagt und wollte das Geld dort anlegen, wo es allen dient. Er k\u00fcrzte deshalb die Milit\u00e4rausgaben und bestimmte, da\u00df Brasilien genug Marsch\u00e4lle habe.
\nEs ist deshalb verst\u00e4ndlich, da\u00df nicht nur die vielen Willy Lupions sich gegen ihn stellten, sondern da\u00df auch die Milit\u00e4rkaste zum Werkzeug der \u201edunklen M\u00e4chte\u201c wurde.
\nSo fiel Janio Quadros. Man hat ihm vorgeworfen, nicht an das Volk appelliert zu haben, das ihn mit einer bis dahin nie dagewesenen Mehrheit gew\u00e4hlt hatte. Er wollte keinen B\u00fcrgerkrieg. Quadros ist ein Reformer. Er ist kein Revolution\u00e4r.<\/p>\n
\nWas bedeutet das? Es bedeutet, da\u00df das Big Business die letzten von John F. Kennedy erkannten und konsequent ergriffenen Chancen des Westens verspielt.
\nDas \u201eB\u00fcndnis f\u00fcr den Fortschritt\u201c fordert vor allem: angemessene Besteuerung, angemessene Verteilung des Landes und soziale Gerechtigkeit. Drei Wochen nach Unterzeichnung dieser neuen Kennedy-Doktrin bricht das einzige Experiment zusammen, das in S\u00fcdamerika versucht hat, dieses Ziel durch gewaltlose Methoden zu erreichen. \u2013 Der \u201eJanismus\u201c, die einzig m\u00f6gliche, westlich orientierte Antwort auf Kuba erweist sich als undurchf\u00fchrbar. \u2013 Der im Sinn der neuen amerikanischen Politik handelnde Reformer muss gehen, weil amerikanische Interessen es wollen.
\nWas bedeutet das? Es bedeutet, da\u00df das Big Business die letzten von John F. Kennedy erkannten und konsequent ergriffenen Chancen des Westens verspielt.
\nWenn Reformer wie Quadros daran gehindert werden, ihrem Volk W\u00fcrde, Unabh\u00e4ngigkeit und soziale Gerechtigkeit im Rahmen der bestehenden Ordnung zu geben, dann werden die Massen mehr denn je die \u00dcberzeugung gewinnen, da\u00df es nur einen Ausweg gibt: die Zertr\u00fcmmerung des ganzen Systems.<\/p>\n
\nSo sehen es nicht nur M\u00e4nner von \u201elinks\u201c oder aus der \u201eMitte\u201c, so sehen es auch hervorragende Vertreter der katholischen Kirche und christliche Politiker.
\nDer fr\u00fchere Pr\u00e4fekt von Brasilia, Paolo de Tarso sagt: \u201eF\u00fcr den Christen kann es nur eine vertretbare Haltung geben: den Kampf zur \u00dcberwindung beider Materialismen, des Kapitalismus und des Kommunismus. Wir m\u00fcssen die Grundlagen einer neuen Zivilisation schaffen, die nichts davon abh\u00e4lt, aus dem wirtschaftlichen System des Kommunismus das anzunehmen, was mit dem Respekt vor der menschlichen Person vereinbar ist. Das Christentum hat kein \u00f6konomisches System demagogisch aufzuzwingen. Unser Glaube verpflichtet uns nicht, die wirtschaftlichen Positionen des Sozialismus zu bek\u00e4mpfen. Die ganze Verwirrung kommt daher, da\u00df der Kapitalismus sich anma\u00dft, das \u00f6konomische Dogma des Christentums zu sein.\u201c
\n\u201eHier liegt das \u00dcbel\u201c, erkl\u00e4rt uns ein hoher Geistlicher. \u201eEs geht um den Mi\u00dfbrauch des Christentums. Ein ideologisches, durch gesteuerte Propaganda unterhaltenes Mi\u00dfverst\u00e4ndnis ist verantwortlich f\u00fcr die heutige Situation in Lateinamerika. Ohne dieses gewollte Mi\u00dfverst\u00e4ndnis h\u00e4tten wir schon lange unsere wirtschaftliche und politische Unabh\u00e4ngigkeit erzielt. Auch das kubanische Experiment w\u00e4re heilbringend f\u00fcr unseren Kontinent gewesen. – Stattdessen ist Castro gezwungen worden, im Lager der Marxisten Zuflucht zu suchen.\u201c
\nIch h\u00f6re jetzt alle Leser schreien: \u201eUnsinn, Castro hat doch selber erkl\u00e4rt, er sei immer Kommunist gewesen. Er hat es nur vertuschen wollen, um die ahnungslosen B\u00fcrger f\u00fcr seine Revolution zu gewinnen. – Das hab ich gelesen.“<\/p>\n
\nIch glaube eine Wette eingehen zu k\u00f6nnen, da\u00df keiner der Kommentatoren sich die M\u00fche gegeben hat, die Meldung zu kontrollieren oder die Rede Castros zu lesen. Sonst h\u00e4tten Sie erfahren m\u00fcssen, da\u00df Fidel Castro sich selbstverst\u00e4ndlich noch als Revolution\u00e4r betrachtete, als er gesiegt hatte, da\u00df seine Kenntnisse des Marxismus jedoch sehr beschr\u00e4nkt waren (370 Seiten \u201eKapital\u201c als Student gelesen) und da\u00df er den Kommunisten gegen\u00fcber die gr\u00f6\u00dften Vorbehalte hatte – selbst noch nach seiner Machtergreifung.
\nIn der Rede, in der angeblich \u201eendlich die Maske\u201c abwirft, sagt er w\u00f6rtlich:
\n\u201eHabe ich Vorurteile gehabt? Ja, ich glaube, es ist gut, davon zu sprechen. Ich habe den Kommunisten gegen\u00fcber Vorurteile gehabt. Kommunist zu sein bedeutete, eine Art Pest zu haben \u2026\u201c
\nEr erkl\u00e4rt weiter, da\u00df er erst im Laufe der Zeit zu der \u00dcberzeugung gezwungen worden ist: \u201edass es keinen Mittelweg zwischen Kapitalismus und Sozialismus gibt \u2026\u201c
\nAber warum nicht? Er beschreibt selber, wie er diese Gewi\u00dfheit erlangt hat:
\n\u201eJe mehr das Leben uns Erfahrungen schenkt, je mehr man den Imperialismus kennt – nicht in Worten, sondern im Fleisch unseres Volkes und im Blut unseres Volkes – umso mehr entdeckten wir die Wahrheiten, welche die marxistische Doktrin enth\u00e4lt.\u201c
\nKlarer kann es gar nicht sagen, da\u00df nur der wirtschaftliche, diplomatische und milit\u00e4rische Krieg gegen seine Revolution ihn ins \u201esozialistische Lager\u201c gedr\u00e4ngt hat. Denn 1960 erkl\u00e4rte er noch, auch in einer Rede, da\u00df er weder an den Kommunismus noch an den Kapitalismus glaube, sondern seine Revolution zwischen den beiden Systemen halten wolle, die sich die Welt teilen. – Das mag in Afrika oder Asien m\u00f6glich sein, weil Pr\u00e4sident Kennedy dort die amerikanische Politik bestimmt, aber nicht in S\u00fcdamerika, wo amerikanische Privatinteressen seine Politik sabotieren.
\nDie gleichen \u201edunklen Kr\u00e4fte\u201c, die Quadros zum R\u00fccktritt zwangen, wollten auch Castro st\u00fcrzen. Aber Castro ist nicht, wie Quadros, ein friedlicher Reformator, er ist ein Revolution\u00e4r, der k\u00e4mpfen gelernt hat.
\nSeit seiner Rede vom 1. Dezember reiben sich die Gegner der kubanischen Revolution die H\u00e4nde. Sie haben es geschafft. Castro mu\u00dfte sich zum Marxismus bekennen. \u201e Jetzt hat seine Revolution ihre Anziehungskraft in S\u00fcdamerika verloren\u201c, jubeln sie, \u201edenn auch dort bedeutet es eine Art Pest, Kommunist zu sein \u2026\u201c
\nEs ist leider zu bef\u00fcrchten, da\u00df sie selbst die Opfer ihres \u201egesteuerten Mi\u00dfverst\u00e4ndnisses\u201c geworden sind. Denn: die Niederlage des \u201eJanismus\u201c untergr\u00e4bt den Glauben an Reformen im Rahmen der bestehenden Ordnung. Das Beispiel Kubas ersch\u00fcttert die Hoffnung auf unabh\u00e4ngige Revolutionen.
\nDie V\u00f6lker Lateinamerikas m\u00f6gen daraus die Lehre ziehen, da\u00df es unm\u00f6glich ist, auf Reformen zu warten, wie Quadros sie wollte, oder einen \u201eMittelweg zwischen Kapitalismus und Kommunismus\u201c anzustreben, wie Fidel Castro es versuchte. Wenn Reformer und Revolution\u00e4re erkennen m\u00fcssen, da\u00df jeder Schrei nach Gerechtigkeit zum kommunistischen Kriegsruf gestempelt wird, um mit \u201egutem Gewissen\u201c erdrosselt werden zu k\u00f6nnen, dann m\u00f6gen die Massen des Kontinents zu einem fatalen Fehlschlu\u00df gezwungen werden: Sie k\u00f6nnen nur noch glauben, da\u00df das, was sie anstreben, Kommunismus ist und nur im marxistischen Lager verwirklicht werden kann.<\/p>\n
\nIn Brasilien hat er seine Schlacht verloren. Aber der Kampf geht weiter. Im eigenen Lager. Er entscheidet unsere Zukunft. Deshalb m\u00fcssen wir John F. Kennedy unterst\u00fctzen. Wir k\u00f6nnen dies nur tun, wenn wir uns weigern, weiterhin schweigend die Mitwisser des \u201egesteuerten Mi\u00dfverst\u00e4ndnisses\u201c zu sein. Wenn wir uns nicht mehr scheuen, jene zu nennen, die ihren Egoismus als Schild der Demokratie tarnen und somit unsere Verteidigung br\u00fcchig machen und uns verraten Sie \u00f6ffnen dem Kommunismus die T\u00fcr. Nicht die Millionen hungrige M\u00e4uler, die nach Gerechtigkeit schreien, sind es, sondern jene wenigen, die ihnen Freiheit und W\u00fcrde verweigern.<\/p>\n","protected":false},"excerpt":{"rendered":"