{"id":54099,"date":"2017-03-11T14:11:44","date_gmt":"2017-03-11T13:11:44","guid":{"rendered":"http:\/\/www.troeller-deffarge.com\/?page_id=54099"},"modified":"2020-04-07T22:46:25","modified_gmt":"2020-04-07T20:46:25","slug":"gefangen-in-havanna","status":"publish","type":"page","link":"https:\/\/www.troeller-deffarge.com\/zeitungsreportagen\/mittelamerika\/gefangen-in-havanna\/","title":{"rendered":"Gefangen in Havanna"},"content":{"rendered":"

Stern, Heft 48, 2. Dezember 1962 <\/em><\/p>


Nach ihrer Freilassung berichten Gordian Troeller und Claude Deffarge:<\/strong><\/p>

D<\/strong>iesmal hatten wir s\u00e4mtlicher Rekorde geschlagen: Am Dienstag, dem 30. Oktober, waren wir noch in Hamburg – am Mittwoch, dem 31. Oktober, um 16:00 Uhr, landeten wir bereits in Havanna. \u201eCuba territorio libre de America\u201c – \u201eKuba, das freie Land Amerikas\u201c, steht in gro\u00dfen Buchstaben auf dem Dach des Flughafengeb\u00e4udes. Am Fu\u00dfe der Gangway spielen Gitarristen in bunten Blusen eine Rumba. Als wir vor zwei Jahren hier ankamen, waren es sieben, die uns hier mit kubanischen Rhythmen willkommen hie\u00dfen. Einige Monate sp\u00e4ter waren es f\u00fcnf. Heute sind es nur noch zwei.
\u201eDie anderen sind mobilisiert\u201c, sagt man uns, \u201esie k\u00e4mpfen f\u00fcr ein freies Kuba.\u201c
Auch den Rum gibt es nicht mehr, der jedem Reisenden kostenlos angeboten wurde. \u201eWir sind im Krieg\u201c, lautet die Erkl\u00e4rung.
Seit Beginn der Krise ist es der zweite Flug von Mexiko nach Havanna. Nur f\u00fcnfzehn Passagiere kommen mit uns an. Diplomaten, Kubaner und eine Gruppe von f\u00fcnf ostdeutschen Sportlern werden schnell durch Pa\u00df- und Zollkontrolle geschleust. Wir m\u00fcssen warten. Wir, das sind sechs westliche Journalisten: zwei Kanadier, ein Japaner, ein Engl\u00e4nder, meine Kollegin Claude Deffarge und ich.<\/p>

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W\u00e4hrend der Sowjetfrachter \u201eKolchosnik\u201c mit Waffen und Schnellbooten f\u00fcr Kuba vor der amerikanischen Blockade kehrtmachte, flogen Sternreporter ins Herz der Krise. Nach Havanna. Sie wurden verhaftet.
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\u201eSie m\u00fcssen verstehen\u201c, sagt man, \u201edie Situation ist ernst. Es geht auf Leben und Tod. Wir m\u00fcssen wachsam sein.\u201c
Die Wachen des Flugplatzes scheinen jedoch anderer Meinung zu sein. W\u00e4hrend die Empfangsmusiker \u00fcben, tanzen uniformierte M\u00e4dchen und Soldaten wilde Cha-Cha-Chas. Dabei fliegen Maschinenpistolen und Revolver durch die Luft, als seien es harmlose Taktst\u00f6cke. Es w\u00fcrde mich nicht wundern, wenn der Rhythmus mit Sch\u00fcssen untermalt w\u00fcrde. In jedem anderen Land der Welt s\u00e4\u00dfen diese jungen M\u00e4dchen und M\u00e4nner l\u00e4ngst hinter Gittern oder vor dem Kriegsgericht. Allein der Schnitt der Uniformen w\u00fcrde zu Disziplinarstrafen f\u00fchren. Die Hosen der Frauen sind ganz eng auf Ma\u00df geschneidert, wahrscheinlich mit Draht, denn sonst m\u00fcssen sie platzen bei diesen \u00fcppigen Hintern, die selbst die Amerikaner \u201ethe sexiest of the world\u201c nennen. Ich verstehe, warum die kubanischen Schneider sich \u201eanatomische Ma\u00dfschneider\u201c nennen.<\/p>

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Alle wichtigen Geb\u00e4ude werden von M\u00e4dchen der revolution\u00e4ren Miliz bewacht <\/em><\/figcaption><\/figure><\/div><\/div><\/div>


Claude Deffarge z\u00fcckt ihre Kamera. Ein Polizist springt dazwischen: \u201eUm Gottes willen, keine Fotos. Das ist ein Attentat auf unsere Sicherheit.\u201c
Wir machen darauf aufmerksam, da\u00df die tanzenden Waffen viel eher eine echte Bedrohung unserer Sicherheit seien. \u201eSo ein Ding geht schnell los.\u201c
Man l\u00e4chelt stolz. \u201eWir Kubaner haben keine Angst.\u201c
Die Herren der Polizei l\u00e4cheln nicht mehr, als sie unsere Gruppe sechs Stunden sp\u00e4ter mit einem VW-Bus ins Hotel Capri fahren. Im neunten Stock dieses Wolkenkratzers wird jedem von uns ein Zimmer zugeteilt. Wir wissen immer noch nicht, ob wir frei oder verhaftet sind, ob wir arbeiten d\u00fcrfen oder ausgewiesen werden.
Erst als wir uns wieder alle vor dem Fahrstuhl treffen, um ins Restaurant zu fahren, erkl\u00e4ren uns zwei bewaffnete Polizisten, da\u00df wir die Etage nicht verlassen d\u00fcrfen.
\u201eK\u00f6nnen wir telefonieren?\u201c
\u201eNein.\u201c
\u201eWenigstens unsere Botschaften verst\u00e4ndigen?\u201c
\u201eNein.\u201c
\u201eWarum sind wir verhaftet?\u201c
Unsere Wachen schauen sich hilflos an und zucken die Achseln.
\u201eWir wissen von nichts. Wir haben nur Befehl, Sie zu bewachen.\u201c
\u201eUnd wenn wir einfach die Treppe hinunter gehen?\u201c
\u201eDann m\u00fcssen wir Sie daran hindern und schie\u00dfen, wenn es n\u00f6tig ist.\u201cWir sind zu m\u00fcde, um uns wirklich aufzuregen. Und die Wachen sind zu nett. Sie besorgen uns sogar belegte Brote und bulgarischen Rotwein aus einem gegen\u00fcberliegenden Nachtlokal.
Ich sinke ins Bett und schlafe wie ein K\u00f6nig. Kein Wunder: \u201eDiese Etage ist f\u00fcr Hochzeitsreisende reserviert\u201c, erkl\u00e4rt der Ober am n\u00e4chsten Morgen. In wei\u00dfer Uniform mit goldenen Tressen serviert er mir das Fr\u00fchst\u00fcck ans Bett: Fruchtsaft, Kaffee, Toast, Marmelade. \u201eEier und Butter gibt es leider nicht mehr\u201c, meint er. \u201eAuch auf Milch m\u00fcssen Sie verzichten. Fidel hat angeordnet, da\u00df jedes Kind pro Tag einen Liter Milch erh\u00e4lt. Da bleibt nichts f\u00fcr die Erwachsenen \u00fcbrig.\u201c
Nach dem Fr\u00fchst\u00fcck halten wir Kriegsrat. Und das Spiel beginnt, der ewige st\u00fcndliche Kampf, der nie aufgeh\u00f6rt hat, seit es Gefangene und W\u00e4chter gibt.
Unsere Hauptsorge: der Au\u00dfenwelt mitteilen, da\u00df wir verhaftet sind. Die Botschaften einschalten, damit sie unsere Freilassung erwirken. Wir schreiben also unsere Namen auf einen Zettel und werfen ihn aus dem Fenster. Der Mann, der gerade vor\u00fcbergeht und ihn aufheben will, wird verhaftet und abgef\u00fchrt. Wenige Minuten sp\u00e4ter erscheinen vier Polizisten und schlie\u00dfen unsere Fenster so, da\u00df wir sie nicht mehr \u00f6ffnen k\u00f6nnen. Wir protestieren. Sie sagen kein Wort. Unsere Wachen bleiben genauso freundlich wie zuvor.
Einer unserer Kollegen hat ein Radio. \u00dcber einen amerikanischen Sender erfahren wir, da\u00df schwedische Journalisten, die soeben in New York angekommen sind, ebenfalls im Hotel Capri gefangen gehalten waren. \u201eIn allen Zimmern sind Mikrofone versteckt\u201c, hei\u00dft es in ihrem Bericht.
Wir tasten die W\u00e4nde ab. Wir demontieren die Lampen, das Telefon, die Ventilatoren. Alles, was Draht hat, wird sorgf\u00e4ltig untersucht. Wir finden nichts. Doch \u2013 als wir eine Telefonlitze bis in die Wand verfolgen, entdecken wir, da\u00df auch die Leitung der oberen Stockwerke und des Nebenzimmers hier durchgehen – und es klingelt f\u00f6rmlich in unseren K\u00f6pfen. Wir haben zwar keine Mikrofone gefunden, aber hier liegt die einzige M\u00f6glichkeit, mit der Au\u00dfenwelt in Verbindung zu treten.
Die \u00dcberlegung ist einfach. Wenn es uns gelingt, die drei Dr\u00e4hte unserer Leitung mit den drei Dr\u00e4hten eines anderen Zimmers zu koppeln, dann wird in der Telefonzentrale die Nummer dieses Zimmers aufleuchten, sobald wir den H\u00f6rer abheben, und die Telefonistin wird ahnungslos die von uns gew\u00fcnschte Nummer w\u00e4hlen.
Unser erster Versuch mi\u00dflingt. Im angezapften Zimmer wird gerade telefoniert \u2013 auf Russisch.<\/p>

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Hotel Gef\u00e4ngnis „Capri<\/strong>„.<\/em>
In zehn Tagen Haft \u00fcberlegten Claude Deffarge, Gordian Troeller und der kanadische Journalist Dawn North, wie sie Verbindung mit der Au\u00dfenwelt bekommen k\u00f6nnten. Die einzige Unterhaltung war ein Pfennigspiel, das ihr kanadischer Freund ihn beibrachte. Die Hotelzimmer waren luxuri\u00f6s, aber auf dem Flur wachten Revolution\u00e4re<\/em><\/p>


Bevor wir einen erneuten Versuch unternehmen k\u00f6nnen, m\u00fcssen wir warten, bis das Nebenzimmer leer ist. Wir halten abwechselnd Wache. Am Abend entdeckten wir unseren Nachbarn. Ein kleiner Mann mit lustigen Augen, der peinlichst an uns vorbeischaut, denn so haben es die Wachen befohlen: keinen Kontakt mit Gefangenen.
Sofort machen wir uns an die Arbeit. Es klappt. Ich spreche mit der deutschen Botschaft. Meine Kollegen f\u00fchren lange Gespr\u00e4che mit ihren diplomatischen Vertretern. Wir rufen sogar eine westliche Presseagentur an und geben unsere Namen durch.
Um unseren ersten gro\u00dfen Sieg zu feiern, bestellen wir Hummer, Wodka und bulgarischen Wein. Unsere W\u00e4chter geben unsere W\u00fcnsche mit gro\u00dfer Liebe weiter. Betre\u00dfte Ober bedienen uns mit wei\u00dfen Handschuhen. Und alles auf Kosten des kubanischen Staates. Nur die Getr\u00e4nke m\u00fcssen wir selber bezahlen.
Pl\u00f6tzlich dr\u00f6hnen schwere Stiefel \u00fcber den Flur. Wir schleichen zur T\u00fcr: Acht schwer bewaffnete Milizsoldaten stehen vor der T\u00fcr meines Nachbarn.
\u201eAufmachen.\u201c Keine Antwort.
F\u00e4uste trommeln gegen die T\u00fcr. \u201eSofort aufmachen, wir wissen, da\u00df jemand im Zimmer ist.\u201c Es bleibt still. Nur das Zimmerm\u00e4dchen fl\u00fcstert: \u201eDer Herr ist schon um sechs Uhr fortgegangen.\u201c
\u201eDann hat sich jemand in diesem Zimmer versteckt. Von hier aus wurde noch nach sieben telefoniert. Geben Sie den Schl\u00fcssel her.\u201c
Mit gez\u00fcckten Pistolen st\u00fcrzen die acht Revolution\u00e4re ins Zimmer. Sie kriechen unters Bett, winden sich durch die Schr\u00e4nke, schauen zum Fenster hinaus. Sie stehen sprachlos in einem leeren Zimmer vor einem Telefon, das zwischen 7 und 8 benutzt worden ist, obwohl der kleine Herr mit den lustigen Augen im Erdgescho\u00df des Hotels an der Bar sa\u00df. So jedenfalls berichtete uns die Telefonistin, die zum Sto\u00dftrupp geh\u00f6rt hatte.
Am n\u00e4chsten Tag hat Claude Deffarge hohes Fieber. Die besorgten W\u00e4chter telefonieren sofort mit dem Innenministerium, und zwei Stunden sp\u00e4ter erscheint ein bebauchter Herren in Uniform, der neben seiner Arzttasche auch einen schweren Colt tr\u00e4gt. – Diagnose: Grippe. Behandlung: Penicillin.
Sp\u00e4ter kommt eine Krankenschwester der Miliz. Claude bekommt Spritzen, und von Stund an geht es ihr schlechter. Zur Grippe gesellten sich allergische Erscheinungen sonderbarster Art.
Erst als wir nach zehn Tagen freigelassen werden und einen zivilen Arzt hinzuziehen k\u00f6nnen, erhalten wir eine Erkl\u00e4rung. Claude war mit chinesischem Penicillin behandelt worden, da\u00df sehr oft b\u00f6se Nebenerscheinungen hervorruft. \u201eManchmal stirbt man sogar auf der Stelle\u201c, meint der Arzt. \u201eAber was sollen wir tun. Es gibt kaum noch westliche Medikamente. F\u00fcr alles, was der Westen uns schickt, will er bar bezahlt werden – und wir haben keine Devisen.\u201c
Am sechsten Tag geht ein schweres Gewitter \u00fcber Havanna nieder. Auch unsere Etage scheint mit Elektrizit\u00e4t geladen. Es geht einfach nicht mehr. Selbst die W\u00e4chter merken, da\u00df der kritische Augenblick gekommen ist. Koste es, was es wolle.
Ich erkl\u00e4re ihnen, da\u00df wir alles tun werden, um endlich mit den verantwortlichen Stellen in Verbindung zu treten und eine Erkl\u00e4rung \u00fcber ihr Verhalten zu erzwingen. Mit Gewalt, wenn es n\u00f6tig ist.
\u201eWir werden uns einschlie\u00dfen, unsere Betten aus den Fenstern werfen. Wir werden unsere M\u00f6bel anz\u00fcnden und die brennenden Matratzen \u00fcber die Stra\u00dfe streuen.\u201c
\u201eIst das ein Ultimatum?\u201c wollen sie wissen.
\u201eWenn ihr das so nennen wollt, ja.\u201c
Die Wachen wissen, da\u00df es ernst wird. Sie drohen nicht. Sie beschwichtigen kaum. Sie verlieren kein unn\u00fctzes Wort mehr. Sie telefonieren mit ihren Vorgesetzten im Polizeipr\u00e4sidium und wiederholen genau meine Worte.
Zwei Stunden sp\u00e4ter sitzt der stellvertretende Chef der Polizei vor uns.
\u201eWarum sind wir hier?\u201c will ich wissen.
\u201eIhr habt nicht die richtigen Visa.\u201c
\u201eJeder von uns hatte Mexiko beim kubanischen Konsulat ein regul\u00e4res Visum erhalten. Wir sind vollkommen legal hier angekommen.
\u201eJa\u201c, meinte er, \u201edas stimmt. Leider gibt es jedoch seit einigen Wochen neue Vorschriften, denen zufolge alle Journalisten eine spezielle Genehmigung des Innenministeriums brauchen, um ein Visum zu erhalten. Sie haben diese Genehmigung nicht.\u201c
\u201eDiese Vorschrift h\u00e4tte ihr Konsul kennen m\u00fcssen. Nicht wir. Er m\u00fc\u00dfte hier an unserer Stelle sitzen.\u201c
Der kleine Mann mit der schwarzen Lederjacke l\u00e4chelt zum ersten Mal. Er tut mir fast leid. Er ist hierher gekommen, ohne Bewachung, ohne Revolver, ohne wahrscheinlich selber zu wissen, was er sagen soll und warum wir hier sind.
Irgendjemand hatte am Abend des 31. Oktober beschlossen, uns einzusperren. Oder besser gesagt: Keiner hat es auf sich nehmen wollen, sechs westliche Journalisten frei herumlaufen zu lassen. Es geh\u00f6rt zur beklemmenden Atmosph\u00e4re aller totalit\u00e4ren Staaten, da\u00df pers\u00f6nliche Verantwortung zum Schreckgespenst eines jeden wird. Jeder lehnt Entscheidungen ab oder z\u00f6gert sie hinaus. Der am 31. 10. diensttuende Sicherheitsbeamte hat sich gesagt: \u201eWenn ich diese ‚Feinde der Revolution‘ frei arbeiten lasse und sie nachher Kuba beschimpfen \u2013 was die westliche Presse fast ausschlie\u00dflich tut -, dann werde ich ger\u00fcgt, vielleicht entlassen oder sogar der Mitwisserschaft beschuldigt. Morgen kann ja der Kollege entscheiden.\u201c
Und der Kollege sagt sich morgen: \u201eWenn ich den Entscheid meines Kollegen r\u00fcckg\u00e4ngig mache und nachher etwas passiert, dann bin ich dran . . .\u201c.
Und so weiter . . .
Der Mann mit der Lederjacke bittet uns, Verst\u00e4ndnis daf\u00fcr zu haben, dass Kuba im Kriegszustand lebt, dass jeden Tag die Invasion stattfinden und der Kampf auf Leben und Tod beginnen kann.<\/p>

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Mikojans Mission bei Castro<\/strong>
War so wichtig, dass er nicht einmal zur Beerdigung seiner Frau nach Moskau zur\u00fcckkehren konnte. Seine Aufgabe war es, Kuba trotz des Abbaus der Raketenbasis auf der Linie Moskaus zu halten. <\/em>
Marshall Woroschilow neigt sich an seiner Statt \u00fcber die tote Frau des stellvertretenden Ministerpr\u00e4sidenten der Sowjetunion<\/em> <\/p>

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Vier Tage sp\u00e4ter werden die Kanadier und der Engl\u00e4nder freigelassen. Da sie von jetzt an nicht mehr mit uns sprechen d\u00fcrfen, ziehen sie eine Etage h\u00f6her.
Am n\u00e4chsten Tag werden auch der Japaner und wir auf freien Fu\u00df gesetzt. Wir d\u00fcrfen sogar in dem gleichen Zimmer bleiben, aber keine journalistische T\u00e4tigkeit aus\u00fcben. Auf unseren Spazierg\u00e4ngen durch Havanna werden wir st\u00e4ndig beschattet.
Am n\u00e4chsten Tag erhalte ich im Au\u00dfenministerium mit vielen sch\u00f6nen Worten und tausend Entschuldigungen unsere Pressekarten. Als ich jubelnd damit bei Claude ankomme, die immer noch krank im Bett liegt, steht ein Beamter des Innenministeriums vor der T\u00fcr und erkl\u00e4rt mir, da\u00df wir Kuba mit der n\u00e4chsten Maschine verlassen m\u00fcssen.
\u201eAber ich habe gerade meine Pressekarte erhalten. Hier, schauen Sie. Sie ist bis zum 28. g\u00fcltig.\u201c
\u201eUnsinn. Das mu\u00df ein Irrtum sein. Sie fliegen alle am Freitag nach Mexiko. Da\u00df Sie nicht wie die anderen im Gef\u00e4ngnis sitzen, verdanken sie nur der Krankheit ihrer Kollegin. Es muss sich ja jemand um sie k\u00fcmmern.\u201c Er verbeugt sich h\u00f6flich. \u201eW\u00fcnschen Sie ihr gute Besserung. Wir sehen uns am Freitag am Flugplatz. Sin falta \u2013 auf alle F\u00e4lle.\u201c
Die wenigen Tagen relativer Freiheit haben es mir nat\u00fcrlich nicht erlaubt, einen \u00dcberblick \u00fcber die Lage Kubas zu gewinnen. Ich wei\u00df nicht, ob die Bodenreform ein Erfolg oder eine Pleite ist, ob die Industrialisierung voranschreitet oder die Wirtschaft vollkommen lahm liegt. Ich wei\u00df nur, da\u00df es unwahr ist, wenn behauptet wird, es g\u00e4be kaum noch Benzin. Jeder kann tanken, soviel er will. Aber es ist schlecht. Die Auspuffgase bilden eine gl\u00e4nzende Fettschicht, die das \u00dcberqueren der Stra\u00dfen zum halsbrecherischen Wagnis macht.
Die meisten Lebensmittel sind rationiert. Anz\u00fcge, Kleider und Hemden sind noch frei erh\u00e4ltlich. Eine M\u00e4nnerhose kostet 40 Mark. Eine Jacke 120 Mark, Schuhe sind nur schwer aufzutreiben. Die Frauen kleiden sich immer noch so kokett wie fr\u00fcher.
Die Jugend steht noch begeistert hinter Castro. Die \u00c4lteren sind etwas m\u00fcde geworden. Die andauernde Mobilmachung \u2013 sie dauert jetzt schon fast zwei Jahre \u2013 hat sie abgenutzt. Der Tag eines Angestellten sieht ungef\u00e4hr so aus: acht Stunden Arbeit, vier Stunden Wache vor einem Gesch\u00e4ft, einer Bank oder sonst einem Geb\u00e4ude, das vor Saboteuren gesch\u00fctzt werden soll, zwei Stunden exerzieren. Auf den Pl\u00e4tzen Havannas wird jeden Abend bis sp\u00e4t in die Nacht Krieg gespielt und im Gleichschritt marschiert. Die Frauen zeigen dabei die gr\u00f6\u00dfte Begeisterung. Am Wochenende schaufeln sie Sch\u00fctzengr\u00e4ben.
Ganz Kuba ist ein gro\u00dfes Kriegslager. Jeder hat sein Gewehr. Fidel Castro \u00fcbertreibt nicht, wenn er von einem Volk in Waffen spricht. Er mu\u00df sich seiner Landsleute sehr sicher sein, sonst k\u00f6nnte er nicht jedem Granaten und Pistolen in die Hand geben.
Die letzten Ereignisse erscheinen eher ein Machtgewinn als eine Niederlage f\u00fcr Castro zu sein. – Einen Mann, der von allen verlassen wird, l\u00e4\u00dft man nicht allein. Die meisten Kubaner sind nicht nur der Meinung, da\u00df die Amerikaner seit Jahren versuchen, die kleine Insel auf die Knie zu zwingen, sie sind auch \u00fcberzeugt, das\u00dfdie Russen sie schm\u00e4hlich im Stich gelassen haben.
Die Machthaber versuchen, die antirussische Welle aufzufangen, indem sie mehr denn je ihre Freundschaft zur Sowjetunion beteuern. Sie bef\u00fcrchten, die antirussischen Gef\u00fchle k\u00f6nnten leicht zum N\u00e4hrboden einer antirevolution\u00e4ren Bewegung werden. Aber wie sie sich auch anstellen m\u00f6gen, um den Schein einer sozialistischen Front zu wahren, sie sind selber tiefer entt\u00e4uscht \u00fcber die Haltung Chruschtschows als der Mann auf der Stra\u00dfe. Im engeren Kreise machen sie keinen Hehl daraus.
Durch polnische, jugoslawische und brasilianische Journalisten und Diplomaten hatte ich die M\u00f6glichkeit, etwas n\u00e4her in diesem engeren Kreis hineinzuschauen. Hier ist die \u201esozialistische Front\u201c seit Langem nur noch ein Mythos. Castro hatte sie erzwungen. Er war \u00fcberzeugt, nur dann dem Druck der Vereinigten Staaten standhalten zu k\u00f6nnen, wenn Russland sich so weitgehend in Kuba engagiert, da\u00df ein Angriff auf die Insel zum atomaren Weltkrieg f\u00fchren mu\u00df. Also nicht stattfinden kann. Er wollte Kuba zum Berlin des Ostblocks machen.<\/p>

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Trotz Mobilmachung geht das Nachtleben weiter. Diese Show l\u00e4uft im Hotel „Capri“<\/strong><\/em><\/figcaption><\/figure><\/div>


Diese Politik hat sich als falsch erwiesen. Das behaupten jedenfalls die Jugoslawen und alle Neutralen, die Castro gern in ihr Lager ziehen m\u00f6chten. \u201eChruschtschow\u201c hat bewiesen, da\u00df ihm Friede lieber ist als Kuba\u201c, sagen sie.
\u201eHalt\u201c, rufen die Polen, und mit ihnen viele Kubaner, \u201ebis jetzt hat er nur bewiesen, da\u00df ihm der Friede wichtiger ist als Raketen auf Kuba.\u201c
Aber all das scheinen theoretische \u00dcberlegung zu sein, denn die Hauptfrage bleibt offen: Warum hat Chruschtschow diese gro\u00dfe Kuba-Show aufgezogen? In den eingeweihten Kreisen von Havanna spricht man ganz offen dar\u00fcber. Es handelt sich gar nicht um ernst zunehmende Raketenbasen, sondern nur um eine Ausstellung von Raketen, die eigens f\u00fcr die Kameras der US-Air-Force in freiem Gel\u00e4nde aufgestellt wurden. Und das in wenigen Wochen. Sie wurden sogar ungetarnt am helllichten Tage durch Havanna gefahren.
Chruschtschow wu\u00dfte nur zu gut, da\u00df diese Raketen w\u00e4hrend des amerikanischen Wahlkampfes entdeckt w\u00fcrden und Pr\u00e4sident Kennedy zum Handeln zwingen mu\u00dften.
Angesichts dieser Tatsache fragt es sich, ob der Westen wirklich so stolz auf seine energische Reaktion sein kann. Denn was Chruschtschow mit diesem Zirkustrick wirklich im Schilde f\u00fchrt, und wer letzten Endes die Initiative hat, wird sich erst in den n\u00e4chsten Wochen herausstellen.
Eines ist jetzt jedoch schon sicher: Fidel Castro zahlt die Zeche.<\/p>","protected":false},"excerpt":{"rendered":"

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