{"id":54116,"date":"2017-03-11T14:16:15","date_gmt":"2017-03-11T13:16:15","guid":{"rendered":"http:\/\/www.troeller-deffarge.com\/?page_id=54116"},"modified":"2023-07-26T23:00:37","modified_gmt":"2023-07-26T21:00:37","slug":"ein-tag-wischt-1000-jahre-aus","status":"publish","type":"page","link":"https:\/\/www.troeller-deffarge.com\/zeitungsreportagen\/jemen\/ein-tag-wischt-1000-jahre-aus\/","title":{"rendered":"Ein Tag wischt 1000 Jahre aus"},"content":{"rendered":"
Stern, Heft 42, 4. November 1962\u00a0<\/em><\/p>\n Die Sternreporter Gordian Troeller und Claude Deffarge waren die ersten ausl\u00e4ndischen Reporter in der Republik Jemen. Sie flogen nach Aden, der britischen Kronkolonie am Roten Meer. Dort mieteten sie einen Jeep und fuhren ohne Visum, \u00fcber Stock und Stein, ins \u201eVerbotene Land\u201c. Die Revolution\u00e4re nahmen sie herzlich auf. Sie wollten der Welt zeigen, da\u00df es n\u00f6tig war, endlich den Imam und damit das Mittelalter zu verjagen.<\/em><\/p>\n Nein, der Jemen ist kein W\u00fcstenland. Der Jemen ist ein gr\u00fcnes Bergland, in dem die Bauern ihre Felder in kunstvollen Terrassen bis auf 3000 Meter H\u00f6he anlegen. Der Jemen ist auch nicht \u201eTausendundeinenacht\u201c. Harems gab es vielleicht vier oder f\u00fcnf. Und dort wurde nicht im Stil orientalischer Hollywoodschnulzen mit nacktem Nabel bauchgetanzt. Nein, gelangweilte, rauschgiftverseuchte, fette Prinzen sammelten die pornographischen Filme der europ\u00e4ischen Hafenst\u00e4dte und machten nach diesen Vorbildern fragw\u00fcrdige Fotos von ihren Frauen, Sklavinnen, Schwestern. Sie tranken heimlich Whisky und Schnaps. Dem einfachen Mann war das unter Todesstrafe verboten. Er hatte auch meistens nur eine Frau, selten zwei. Nur wenige reiche Leute k\u00f6nnen sich die vom Koran erlaubte Anzahl von vier legalen Frauen leisten. Achtzig Prozent der jemenitischen Frauen zeigen ihr Gesicht. Sch\u00f6ne Gesichter mit gro\u00dfen mandelf\u00f6rmigen Augen.<\/p>\n <\/p>\n Sanaa, die Hauptstadt des Jemen, liegt 2300 Meter hoch; eine mittelalterliche Stadt, von hohen Mauern umgeben. Hochh\u00e4user aus Ziegeln oder grauem Stein, die typische jemenitische Architektur, beherrschen das ganze Land. Die Fensterrahmen sind aus Gips und mit wei\u00dfen Arabesken verziert. Erst seit dem Tode des alten Imams Ahmed ist Sanaa wieder Hauptstadt. Er hatte sich in Theis im S\u00fcden des Landes, niedergelassen, weil er den M\u00e4nnern von Sanaa nie verzeihen konnte, 1948 bei einem Revolutionsversuch seinen Vater ermordet zu haben. Mit der Erlaubnis, Sanaa pl\u00fcndern zu d\u00fcrfen, gewann Achmed die wildesten Bergst\u00e4mme des Landes, ihm den Thron des Vaters zur\u00fcckzuerobern. 20.000 Menschen, ein Drittel der Einwohner Sanaa, wurde niedergemetzelt.<\/em><\/p>\n Der Jemen hat auch keinen St\u00fctzpunkt f\u00fcr russische U-Boote. Im Hafen von Hodeida liegen nicht 19 russische Schiffe mit Waffen und Munition. Dort gibt es eine amerikanische Siedlung mit Air-Condition, in deren N\u00e4he eine Gesellschaft aus USA nach \u00d6l bohrt. Diese Amerikaner haben seit der Erweiterung des Hafens durch russische Ingenieure kaum noch ein Sowjetschiff gesehen. Aber immer noch fahren diese 19 Waffentransporter durch die Spalten der Presse. Sie kommen wieder einmal gelegen. Es ist ja Revolution. Eine Revolution, die sich auch noch \u201esozial\u201c nennt.<\/p>\n