{"id":54118,"date":"2017-03-11T14:16:16","date_gmt":"2017-03-11T13:16:16","guid":{"rendered":"http:\/\/www.troeller-deffarge.com\/?page_id=54118"},"modified":"2021-12-13T21:19:01","modified_gmt":"2021-12-13T20:19:01","slug":"ein-kriegsbericht-aus-dem-mittelalter-nieder-mit-nasser","status":"publish","type":"page","link":"https:\/\/www.troeller-deffarge.com\/zeitungsreportagen\/jemen\/ein-kriegsbericht-aus-dem-mittelalter-nieder-mit-nasser\/","title":{"rendered":"Ein Kriegsbericht aus dem Mittelalter: Nieder mit Nasser"},"content":{"rendered":"

Stern, Heft 27, 7. Juli 1963\u00a0<\/em><\/p>\n

Im Jemen ist Krieg. Vor neun Monaten verjagten republikanische Offiziere den jungen K\u00f6nig, den Imam El Badr, und ergriffen mit Hilfe \u00e4gyptischer Soldaten die Macht. Der gest\u00fcrzte Imam organisierte den Widerstand im Norden des Landes mit Unterst\u00fctzung Saudi-Arabiens. So ist der Jemen zu einem Schlachtfeld geworden, auf dem sich die beiden feindlichen Systeme der arabischen Welt gegen\u00fcberstehen: fortschrittliche panarabische Republiken gegen feudalistische Monarchien \u2013 Neuzeit gegen Mittelalter. In diesem ungleichen Kampf scheint das Mittelalter h\u00e4rter zu sein als Panzer und D\u00fcsenj\u00e4ger. Mit dem Schlachtruf: \u201eNieder mit Nasser\u201c hat es die H\u00e4lfte des Jemen zur\u00fcckerobert. Stern war dabei
\n\u00a0\u00a0\u00a0\u00a0\u00a0\u00a0\u00a0\u00a0\u00a0\u00a0\u00a0\u00a0\u00a0\u00a0\u00a0\u00a0\u00a0\u00a0\u00a0\u00a0\u00a0\u00a0\u00a0\u00a0\u00a0\u00a0\u00a0\u00a0\u00a0\u00a0\u00a0\u00a0\u00a0\u00a0\u00a0\u00a0\u00a0\u00a0\u00a0\u00a0\u00a0\u00a0\u00a0\u00a0\u00a0\u00a0\u00a0\u00a0\u00a0\u00a0\u00a0\u00a0\u00a0\u00a0\u00a0\u00a0\u00a0\u00a0\u00a0\u00a0\u00a0\u00a0\u00a0\u00a0\u00a0\u00a0\u00a0\u00a0\u00a0\u00a0\u00a0\u00a0\u00a0\u00a0\u00a0\u00a0\u00a0\u00a0\u00a0\u00a0\u00a0\u00a0\u00a0\u00a0\u00a0\u00a0\u00a0\u00a0\u00a0\u00a0\u00a0\u00a0\u00a0\u00a0\u00a0\u00a0\u00a0\u00a0\u00a0\u00a0\u00a0\u00a0\u00a0\u00a0\u00a0\u00a0\u00a0\u00a0\u00a0\u00a0\u00a0\u00a0\u00a0\u00a0 Lagebericht aus dem Kampfgebiet<\/em><\/strong>
\n<\/em><\/strong>\u00a0\u00a0\u00a0\u00a0 \u00a0 \u00a0 \u00a0 \u00a0 \u00a0 Die graue Fl\u00e4che umfa\u00dft die Gebiete, die von den Truppen des Imams und k\u00f6nigstreuen St\u00e4mmen kontrolliert werden. Die hellen Gebiete werden von der Republik gehalten, mit Unterst\u00fctzung \u00e4gyptische Truppen. Die STERN-Reporter Gordian Troeller und Claude Deffarge <\/em>reisten auf Maultier und Esel durch die vom Iman zur\u00fcckeroberten Gebiete<\/em>\u00a0\u00a0\u00a0\u00a0\u00a0\u00a0\u00a0\u00a0\u00a0\u00a0\u00a0\u00a0\u00a0\u00a0\u00a0\u00a0\u00a0\u00a0\u00a0\u00a0\u00a0\u00a0\u00a0\u00a0\u00a0\u00a0\u00a0\u00a0\u00a0\u00a0\u00a0\u00a0\u00a0\u00a0\u00a0\u00a0\u00a0\u00a0\u00a0\u00a0\u00a0\u00a0\u00a0 <\/strong>
\n<\/em><\/p>\n

\u201eKeine Angst. Es wird schon gut gehen. Allah ist gro\u00df.\u201c Der jemenitische Prinz zieht hastig seinen Sicherheitsgurt fester und klammert seine H\u00e4nde um den Verschlu\u00df. Wie zum Gebet.
\nAuch uns zum Beten zumute. Seit einer Stunde fliegen wir durch einen Sandsturm. Durchs Fenster sehe ich jetzt kleine, schwarze Wolken auftauchen. Sie bersten.
\n\u201eFlag?\u201c frage ich. Der Prinz nickt.
\n\u201eWieso? Wo sind wir?\u201c
\n\u201e\u00dcber Na\u00efran.\u201c
\nDas kann nicht wahr sein. Als wir aus Er-Riad abflogen, hatte man uns diesen Ort als unser Ziel genannt. Es ist die s\u00fcdlichste Oase in Saudi-Arabien, am Fu\u00df der jemenitischen Berge. Wir wissen, da\u00df sie seit dem Krieg im Jemen die bedeutendste Nachschubbasis der k\u00f6niglichen Truppen ist. Aber warum schie\u00dft man auf eigene Flugzeuge?
\n\u201eWir m\u00fcssen \u00fcber Sanaa sein!\u201c rufe ich dem Prinzen zu. \u201eDer Pilot rei\u00dft aus. Zu den \u00c4gyptern. F\u00fcr Sie bekommt er sicher eine hohe Belohnung.
\nDer Prinz sch\u00fcttelt nur den Kopf und deutet auf seine Pistole. Ich erinnere mich pl\u00f6tzlich an die Freude, die uns \u00fcberfallen hatte, als uns der saudi-arabische Kriegsminister in Er Riad pers\u00f6nlich die Erlaubnis zu diesem Flug erteilte. Eine Erlaubnis, um die Arch\u00e4ologen und Wissenschaftler jahrelang vergebens gek\u00e4mpft haben. Sie wollten die Geheimnisse der K\u00f6nigin von Saba entschleiern, die einst \u00fcber Na\u00efran herrschte. W i r wollen den Stand des Krieges im Jemen ergr\u00fcnden, der sich in der Presse fast nur als Propagandakrieg niederschl\u00e4gt. Radio Mekka in Saudi-Arabien und Radio Kairo sind die tendenzi\u00f6sen Quellen, auf die man angewiesen ist, denn gewaltige Hindernisse, Gefahren und Strapazen halten den Journalisten ab, selbst Augenzeuge zu werden.
\nUnser Flugzeug kreist wie betrunken, eingekesselt zwischen hohen Bergen. Pl\u00f6tzlich sehen wir Sand – nur Sand, der rasend schnell n\u00e4her kommt.
\n\u201eKeine Angst\u201c, st\u00f6\u00dft der bla\u00df gewordene Prinz hervor. \u201eWir haben den besten Piloten Saudi-Arabiens. Er wird es schaffen. Allah ist mit uns.\u201c
\nDie Maschine b\u00e4umt sich auf, ber\u00fchrt den Boden, springt, rollt \u00fcber Steine, L\u00f6cher, Str\u00e4ucher und bleibt endlich stehen.
\nWild gestikulierende Offiziere des saudi-arabischen Heeres dr\u00e4ngen sich um den Piloten, der schwei\u00df\u00fcberstr\u00f6mt zur Erde klettert. Sein Gesicht ist grau \u2013 vor Angst. Er wu\u00dfte, da\u00df man auf uns schie\u00dfen w\u00fcrde, denn alle in Na\u00efran landende Flugzeuge m\u00fcssen von Osten einfliegen, wenn sie nicht als Feinde behandelt werden wollen. Nur die \u00c4gypter kommen von Westen, wenn sie Na\u00efran bombardieren. Aber im Sandsturm hatte es die Orientierung verloren. Hier gibt es keinen Kontrollturm, kein Radio, deshalb mu\u00dfte er zwischen den Bergen nach der Karawanenspur suchen, die nach Na\u00efran f\u00fchrt. Sie aber schl\u00e4ngelt sich von Westen heran.
\n\u201eNa, wer hatte recht?\u201c l\u00e4chelt der Prinz. \u201eEs konnte nicht schiefgehen. Es war nicht unsere Stunde.\u201c
\nIn unserem Fall war sie es offenbar nicht, und der Emir von Na\u00efran sch\u00fcttelt uns unsere angstkalten H\u00e4nde. Er, der Herr der Oase, ist von jetzt an f\u00fcr unsere Sicherheit verantwortlich. Trotz unseres Schreckens geben wir uns alle M\u00fche nett zu sein. Wenn es ihm nicht passen sollte, da\u00df wir die k\u00f6niglichen Truppen im Jemen besuchen, kann er uns Tage oder Wochen hier festhalten. H\u00f6flich und mit perfekter Gastfreundschaft nat\u00fcrlich.<\/p>\n

Radio Mekka gegen Radio Kairo<\/strong><\/p>\n

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Das Mittelalter wei\u00df sich zu helfen.<\/strong> Im Norden des Jemen gibt es keine Elektrizit\u00e4t, kein Telefon, keine Stra\u00dfen. Im Inneren des Landes werden die Nachrichten nur mit den F\u00fc\u00dfen weiter getragen. Prinzen aber, die hier gro\u00dfe Politik machen, m\u00fcssen wissen, was in der Welt geschieht. Ohne Radio geht das nicht. Emir Ibrahim ben Mohammed bezieht seine Nachrichten von Radio Mekka, die Ersatzbatterien durch die Kamel-Karawanen<\/em><\/figcaption><\/figure>\n

M\u00e4nner wie dieser sind die Schl\u00fcsselfiguren Saudi-Arabiens. Au\u00dferhalb der wenigen gro\u00dfen St\u00e4dte sind sie die absoluten Herren ihrer jeweiligen Gebiete. Alle geh\u00f6ren zur k\u00f6niglichen Familie. Einige Tausend.
\nNasser und seine panarabischen Freunde hassen nat\u00fcrlich diese Emire, die ihnen den Weg nach Saudi-Arabien versperren. Es gen\u00fcgt in der Tat, da\u00df jeder von ihnen hundert ergebene Freunde hat, um das Land zu kontrollieren. Bei steinreichen Leuten ist das einfach. Dabei vermehren sie sich in geometrischer Progression. Viel schneller als die Arbeiter der \u00d6lgesellschaften, Zement- und Limonadenfabriken, unter denen Nasser seine Anh\u00e4nger hat. Dazu kommt das Problem der Kindersterblichkeit. Die Reichen leiden darunter viel weniger \u2013 eine unl\u00f6sbare Rechenaufgabe f\u00fcr alle arabischen Revolution\u00e4re.
\nNasser wollte dieses Problem und den Widerstand der immer st\u00e4rker werdenden Gro\u00dffamilien umgehen, indem er seine Truppen zur Unterst\u00fctzung der Revolution in den Jemen schickte. Dort hatte General Sallal den K\u00f6nig gest\u00fcrzt, den arabischen Sozialismus proklamiert und somit die s\u00fcdliche Flanke Saudi-Arabiens angeschlagen.
\nDer Jemen, dieser kleine s\u00fcdlichste Zipfel der arabischen Halbinsel, hat ebenso viele Einwohner wie das zehnmal gr\u00f6\u00dfere Saudi-Arabien; M\u00e4nner, die mit Dolch und Gewehr zur Welt kommen, wie sie selbst von sich sagen. Wenn sie zum Werkzeug der \u00e4gyptischen Hegemoniebestrebungen werden, ist die Herrschaft der Emire ernsthaft bedroht.<\/p>\n

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\u00a0<\/strong><\/em><\/figcaption><\/figure>\n

\u00a0<\/strong>Beim Revolutionsf\u00fchrer El-Sallal<\/strong>
\n(<\/em>Mitte) im K\u00f6nigspalast von Sanaa waren die STERN-Reporter im Oktober letzten Jahres zu Gast. Damals hie\u00df es, der Imam und K\u00f6nig des Jemen sei unter den Tr\u00fcmmern seines Palastes umgekommen. Die Revolution schien zu triumphieren<\/em><\/p>\n

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\nIm Lager des gest\u00fcrzten K\u00f6nigs<\/strong><\/em><\/p>\n

Der totgesagte K\u00f6nig El Badr rettete sich in den Norden des Landes. Von hier aus organisierte er mit saudi-arabischer Hilfe den Widerstand gegen die Republik Sallals. Jetzt trafen ihn die STERN-Reporter auf dem Vormarsch, nur drei Tagesm\u00e4rsche von Sanaa entfernt. Der Imam (mit Turban) sagte, er hoffe, in drei Monaten dort einziehen zu k\u00f6nnen<\/em><\/p>\n

Die m\u00e4chtige K\u00f6nigsfamilie Saudi-Arabiens handelt deshalb aus purer Notwehr, wenn sie den gest\u00fcrzten K\u00f6nig und Imam des Jemen unterst\u00fctzt \u2013 mit Geld, Waffen und Lebensmitteln.
\nDas, meint Radio Kairo, sei nur halb so schlimm und h\u00e4tte den Sieg der Revolution im Jemen nicht aufhalten k\u00f6nnen. Entscheidend sei die Gegenwart saudi-arabischer Einheiten auf jemenitischem Gebiet. \u201eSie verl\u00e4ngern den Krieg, sie haben die Revolution zum internationalen Konflikt erweitert, sie allein haben den massiven Einsatz \u00e4gyptischer Truppen auf seiten der Republikaner herausgefordert\u201c, behauptet Nassers Propaganda.<\/p>\n

Radio Mekka bestreitet das, und wir m\u00fcssen den Saudi-Arabern in diesem Punkt recht geben:
\nW\u00e4hrend unserer vierw\u00f6chigen Reise durch die k\u00f6nigstreuen Gebiete des Jemen haben wir keinen saudi-arabischen Soldaten gesehen \u2013 Verzeihung: einen. Im Hauptquartier des Oberkommandierenden der k\u00f6niglichen Streitkr\u00e4fte reparierte er einen kleinen Sender, der durch \u00e4gyptische Bombenangriffe besch\u00e4digt worden war.
\nIm \u00fcbrigen werden die Waffen (amerikanischer Herkunft), die Zigaretten (\u201eDrei Rosen\u201c aus England) und die Lebensmittel von saudi-arabischen Chauffeuren \u00fcber die Grenze gefahren. Im Norden des Jemen gibt es keine Stra\u00dfe, keine Autos, mithin auch keine Jemeniten, die einen Wagen steuern k\u00f6nnten.<\/p>\n

Am Tag ist die W\u00fcste t\u00f6dlich …<\/strong><\/p>\n

Aktive milit\u00e4rische Hilfe wird in einem kleinen Ausbildungslager geleistet, das hier in Na\u00efran auf saudi-arabischem Gebiet liegt. Die Rekruten sind in Saudi-Arabien ans\u00e4ssige Jemeniten, die sich freiwillig melden. Das wenigstens behaupten sie – soweit man von Freiwilligen sprechen kann, wenn der t\u00e4gliche Sold drei Mark (ein sonst unerreichbarer Reichtum) ist und die in Aussicht gestellte Pl\u00fcnderung \u00e4gyptischer Lager den tausendj\u00e4hrigen Traum aller St\u00e4mme \u00f6stlich des Roten Meeres verwirklicht.
\nUns wurde versprochen, von hier aus ins Lager des Prinzen Hassan gef\u00fchrt zu werden, ins Hauptquartier des Oberkommandierenden \u2013 irgendwo im Jemen.
\nDiesseits des Mittelmeeres beginnen alle Versprechungen mit \u201eBukhra \u2013 morgen, wenn es Allah gef\u00e4llt …\u201c Wir sind deshalb erstaunt, als uns der Emir von Na\u00efran kurz erkl\u00e4rt, da\u00df wir noch heute weiterreisen.
\n\u201eSie m\u00fcssen nachts fahren\u201c, meint er. \u201eAm Tage ist die W\u00fcste hier t\u00f6dlich.\u201c
\n\u201eWir haben H\u00fcte …\u201c
\n\u201eNicht wegen der Sonne. In der W\u00fcste gibt es keine Deckung gegen die \u00e4gyptischen Bomber.\u201c
\nSchon wenige Stunden sp\u00e4ter sitzen wir neben dem Fahrer eines kleinen Lastwagens mit Kurs auf die jemenitische Grenze.
\nNach einer Stunde erkl\u00e4rt der Mann: \u201eHier beginnt der Jemen.\u201c
\nWir schauen uns um. Keine Grenzwachen, keine Soldaten, kein Zoll, kein Schild oder Stein. Nur ganz in der Ferne erkennen wir im Mondschein hohe Berge. Je l\u00e4nger wir fahren, desto n\u00e4her r\u00fccken sie. Als wir sie fast greifen k\u00f6nnen, ert\u00f6nt ein schriller Pfiff. Andere Trillerpfeifen antworten. Taschenlampen blitzen auf. M\u00e4nner springen hinter Geb\u00fcschen hervor und stellen sich uns in den Weg. Sie sind barfu\u00df, tragen R\u00f6cke und krumme Dolche, farbige Patronentaschen und Gewehre, in deren L\u00e4ufe wir blicken.
\n\u201eJournalisten f\u00fcr den Prinzen Achmed\u201c, erkl\u00e4rt unserer Fahrer. Es klingt, als w\u00fcrden wir hier als eine Delikatesse f\u00fcr das morgige Fr\u00fchst\u00fcck des Prinzen abgeliefert.
\n\"\"
\nIm Triumph durch die eroberte Stadt<\/em><\/strong>
\nStellreporterin Claude Deffarge reitet an der Spitze der Soldaten in die eroberte Stadt ein. Vor ihr hatte noch keine ausl\u00e4ndische Frau ihren Fu\u00df in den Norden des Jemen gesetzt. Um die erste Europ\u00e4erin zu feiern, bestanden die b\u00e4rtigen Krieger darauf, Sse und Ihren Esel im Triumph durch die Stadt zu f\u00fchren<\/em><\/p>\n

Ganz so einfach hatte ich mir diesen Abschnitt der Reise nicht vorgestellt. Wir sind zwar schon sieben Stunden unterwegs, es ist vier Uhr morgens, und wir f\u00fchlen jeden Zentimeter unserer Knochen. Aber mir kommt es vor, als sei ich pl\u00f6tzlich auf der Place de l’Op\u00e9ra in Paris. Die Pfeifen m\u00fcssen daran schuld sein, deren fanatische Bet\u00e4tiger jetzt auch noch im Stile franz\u00f6sischer Polizisten unseren Einwagenverkehr trillernd zu regeln versuchen. Es geht um B\u00fcsche herum, an Bombenkratern vorbei, bis wir unter einem Baum halten. \u201eDeckung gegen Flugzeuge“, meint der Fahrer.
\nAber das interessiert mich jetzt nicht \u2013 mitten in der Nacht. Ich will wissen, warum hier soviel gepfiffen wird.
\n\u201eWeil es Spa\u00df macht.\u201c
\n\u201eGeh\u00f6rt denn die Trillerpfeife zur Ausr\u00fcstung jedes Soldaten?\u201c
\nEr schaut mich fassungslos an.
\n\u201eWann wird gepfiffen?\u201c frage ich wieder.
\n\u201eWenn man Lust hat.\u201c
\n\u201eAch so …\u201c Jetzt bleibt bei mir der Groschen stecken. Wir haben in Europa Vorurteile, die gewisse Gedankeng\u00e4nge verstopfen. Fixe Ideen von Ordnung, Disziplin, Gehorsam. Unsere Soldaten machen nur Krach, wenn der Kalender es befiehlt oder der Chef es erlaubt, und auch dann nur im Gleichschritt, im Chor, nach Takt und Regel.
\n\u201eKann denn der Prinz dabei schlafen?\u201c will ich noch wissen.
\n\u201eDer ist daran gew\u00f6hnt.\u201c<\/p>\n

Prinz Achmed kennt die \u00e4gyptischen Kniffe<\/strong><\/p>\n

Gr\u00fcndlich, wie wir feststellen k\u00f6nnen. Die im Zelt herumliegenden Wachen werden gebeten, uns Platz zu machen und im Gr\u00fcnen weiterzuschlafen. Nur ein schnarchender Haufen bleibt zur\u00fcck: der Prinz. Er schnarcht noch, als wir beim Morgengrauen vom ersten Pfeifkonzert aus dem Schlaf gerissen werden. Man bringt uns Wasser zum Waschen und Tee zum Trinken. Die Sonne steigt langsam \u00fcber die Berge. Ein schwerer Sack wird ins Zelt geschleppt und aufgeschnitten: Gro\u00dfe silberne Mariatheresientaler rollen zur Erde: die W\u00e4hrung des Landes. Sie werden sorgf\u00e4ltig aufgestapelt. Es ist Zahltag. Die Soldaten gehen durchs Zelt. Es wird gepfiffen, gelacht. Aber der Prinz schl\u00e4ft. Erst als wir Anstalten machen, das Lager zu verlassen, r\u00fctteln ihn seine Soldaten wach.
\nEin junges, blasses Gesicht sch\u00e4lt sich aus den Decken. Prinz Achmed ist einundzwanzig Jahre alt. Er ist der einzige der k\u00f6niglichen Familie, der etwas von moderner Kriegsf\u00fchrung versteht. Er hat bei Nasser gelernt. Nur zehn Tage vor dem Ausbruch der Revolution im Jemen hatte er seine Studien an der Milit\u00e4rakademie in Kairo abgeschlossen und \u00c4gypten verlassen.
\n\u201eSonst w\u00e4re ich sicher erschossen worden\u201c, meint er. Auf mich haben die \u00c4gypter es auch jetzt noch ganz besonders abgesehen, denn ich kenne ihre Kniffe.\u201c
\nPrinz Achmed leitet den Kampf im Djouf, einem W\u00fcstenstreifen, der die Stra\u00dfe Sanaa \u2013 Saada mit den \u00f6stlichen St\u00e4dten Marib und Harib verbindet und f\u00fcr den \u00e4gyptischen Nachschub unentbehrlich ist. Hier hatten die \u00c4gypter acht befestigte Lager errichtet.<\/p>\n

\"\"
\nKetten f\u00fcr Jemeniten \u2013 das Messer f\u00fcr \u00c4gypter<\/em><\/strong>
\nSoldaten der Republik, die in k\u00f6nigliche H\u00e4nde fallen, werden in Ketten gelegt, aber sonst gut behandelt. Sie sind die S\u00f6hne des gleichen Volkes.
\nAnders ergeht es den \u00c4gyptern, den Fremden. Ihnen werden die Ohren abgeschnitten, manchmal auch Nasen und Lippen. So schickt man sie zu ihrer Einheit zur\u00fcck. Das ist die Rache f\u00fcr die Spreng- und Napalmbombem, die \u00e4gyptische Flugzeuge t\u00e4glich \u00fcber k\u00f6nigstreuen D\u00f6rfern abwerfen.
\nWenn jetzt die Republik in der Verteidigung ist, hat sie es den \u00c4gyptern und deren Kriegsmethoden zu verdanken. Die St\u00e4mme des Nordens haben sich um den Imam geschart, um die Ausl\u00e4nder aus dem Land zu jagen, die wahllos Bomben werfen und sich wie Eroberer geb\u00e4rden<\/em><\/p>\n

\u201eDrei davon haben wir bereits vernichtet\u201c, erkl\u00e4rt Prinz Achmed. \u201eNat\u00fcrlich ist der Kampf f\u00fcr uns dort am verlustreichsten. Es gibt keine Deckung in der W\u00fcste. Die \u00c4gypter sind die Herren der Luft. Sie haben Panzer, Kanonen, Napalmbomben. Wir greifen deshalb nachts an und versuchen morgens wieder in den Bergen zu sein. Dort sind wir die Herren. Die \u00c4gypter haben Angst vor den Bergen. Ohne Panzerdeckung f\u00fchlen sie sich nackt. Ihre automatischen Handwaffen sind ausgezeichnet in einer Stra\u00dfenschlacht oder beim Nahkampf, aber zwischen den Felsen sind sie nutzlos. Unsere Leute erledigen jeden \u00c4gypter auf f\u00fcnfhundert Meter mit dem ersten Schu\u00df. Nur so erkl\u00e4ren sich unsere geringen Verluste. Auf zehn tote \u00c4gypter kommen zwei gefallene Jemeniten.\u201c
\n\u201eWieviel Mann kommandieren Sie hier?\u201c
\n\u201e3500 Freiwillige aus Saudi-Arabien; Jemeniten nat\u00fcrlich, die dort ans\u00e4ssig sind; und au\u00dferdem 2000 Einheimische. Das ist der eigentliche Kern meiner Truppe. Hinzu kommen die St\u00e4mme, die hier wohnen. Sie K\u00e4mpfen alle auf unserer Seite. Im Notfall k\u00f6nnen wir 40 000 Mann auf die Beine stellen. Nur in meinem Sektor, wohlverstanden.\u201c<\/p>\n

Auch tote Ohren haben ihren Rang \u2026<\/strong><\/p>\n

Als wir mit zwei Eseln und sechs Wachen weiterreisen, treffen wir Gruppen dieser St\u00e4mme: fr\u00f6hlich singende Landsknechte. Selbst der oberfl\u00e4chliche milit\u00e4rische Schliff der Soldaten um Prinz Achmed fehlt ihnen. Wenn man mir sagen w\u00fcrde, wir seien pl\u00f6tzlich aus den Wolken ins Europa des Mittelalters gefallen \u2013 es k\u00f6nnte nicht verbl\u00fcffender sein. Denn hier sind wir im tiefsten Mittelalter. Keine unserer modernen Vorstellungen, kein Gedanke des Westens hat hier Kurswert. Nur das Gewehr erinnert an unsere Welt \u2013 und die Trillerpfeifen. Manchmal auch ein paar Schuhe oder eine Uniformjacke. Sie geh\u00f6rten toten \u00c4gyptern und werden mit Stolz getragen.
\nNoch stolzer aber ist der kleine Mann, der jetzt ein Tuch aus seinem G\u00fcrtel zieht und es behutsam entfaltet. Ungef\u00e4hr ein Dutzend h\u00e4\u00dfliche, halbkreisf\u00f6rmige Gegenst\u00e4nde liegen auf seiner Hand.
\n\u201eOhren\u201c, erkl\u00e4rt er l\u00e4chelnd, \u201e\u00e4gyptische Ohren.\u201c
\nDrei davon sind von Dolchstichen durchl\u00f6chert. Er h\u00e4lt sie triumphierend hoch. \u201eOffiziere\u201c, meint er, \u201edrei Offiziere.\u201c
\nSelbst tote Ohren verlieren ihren Rang nicht. Ein Loch f\u00fcr den Leutnant, zwei f\u00fcr den Hauptmann, usw.
\n\u201eIhr schneidet jedesmal nur ein Ohr ab?\u201c frage ich.
\n\u201eUnd wenn er lebt?\u201c
\n\u201eBeide.\u201c
\nIch reibe mir unwillk\u00fcrlich die Ohren.
\n\u201eMacht Ihr Gefangene?\u201c
\nSie lachen nur und schie\u00dfen fr\u00f6hlich in die Luft.<\/p>\n

\"\"Panzerbek\u00e4mpfung mit dem Turban<\/strong><\/em>
\nDie k\u00f6nigstreuen Jemeniten haben eine originelle Methode im Kampf gegen \u00e4gyptische Panzer entwickelt: In H\u00f6hlen am Fu\u00df des Gebirges verstecken sie sich, bis ein Kampfwagen in g\u00fcnstige Position steht. Dann wickeln sie Steine in ihrer Turbane, kriechen im toten Winkel von r\u00fcckw\u00e4rts an den Panzer heran und verstopfen die Auspuffrohre. Nach kurzer Zeit muss die Besatzung aufgeben<\/em><\/p>\n

\"\"Es scheint also doch zu stimmen, was man sich in Na\u00efran erz\u00e4hlt: Es werden kaum Gefangene gemacht, obwohl der Imam und die k\u00f6niglichen Prinzen f\u00fcnf Goldpfunde f\u00fcr jeden lebenden \u00c4gypter bezahlen. Sie wollen diesen Krieg \u201evermenschlichen\u201c, wie sie uns sp\u00e4ter selber sagten. Aber was ist dieses Geld im Vergleich zu Gewehr, Uniform, Patronen, Schuhen und was so ein \u00e4gyptischer Soldat noch mit sich herumschleppt. Krieger, f\u00fcr welche die Aussicht auf Beute seit Jahrtausenden der Hauptreiz zum Kampf ist, k\u00f6nnen nicht pl\u00f6tzlich aus internationalen R\u00fccksichten \u201emenschlich\u201c werden.
\nSie haben, so erz\u00e4hlt man uns, eine eigene Art, mit den Gefangenen umzugehen. Zun\u00e4chst nehmen sie ihnen alles ab, au\u00dfer der Unterw\u00e4sche, denn in Fragen der Nacktheit ist man hier ziemlich zimperlich. Dann werden die Ohren fein s\u00e4uberlich abgeschnitten, die Nase und auch die Lippen.
\nDie Soldaten, die in diesem Zustand zu ihrer Einheit zur\u00fcckkehren, werden angeblich sofort erschossen. Obwohl wir diese Ger\u00fcchte nicht best\u00e4tigen k\u00f6nnen, scheint es glaubhaft. Der bereits stark angeschlagene Kampfgeist der \u00e4gyptischen Truppen d\u00fcrfte wahrscheinlich v\u00f6llig zusammenbrechen, wenn allgemein bekannt w\u00fcrde, was einem Soldaten geschieht, der lebend in k\u00f6nigliche H\u00e4nde f\u00e4llt.
\nEs bleibt keine Zeit mehr f\u00fcr Gespr\u00e4che in gebrochenem Arabisch. Zwei D\u00fcsenbomber heulen \u00fcber die n\u00e4chste Bergspitze. Wir rennen in Deckung. Bomben fallen. Nur eine explodiert in unserer N\u00e4he. Der Krater ist h\u00f6chstens zwanzig Zentimeter tief. Niemand wird getroffen.
\n\u201eFeige Hunde\u201c, murmelt der Krieger, der sich neben mir zwischen die Felsbl\u00f6cke geworfen hat.
\nIch mu\u00df ihm recht geben. Die \u00c4gypter fliegen in mindestens 2000 Meter H\u00f6he, obwohl hier unten nur harmlose Flinten auf sie warten.
\n\u201eNein\u201c, sagt er, \u201eHunde, keine S\u00f6hne Allahs\u201c, und zeigt in die Ferne, wo eine Napalmbombe mehrere Str\u00e4ucher zu Fackeln macht.<\/p>\n

Mit der Flinte gegen die Bomber<\/strong><\/p>\n

Jetzt verstehe ich, und das ist die Antwort auf meine unausgesprochene Frage. F\u00fcr diesen Mann ist es unmenschlich, Bomben auf H\u00e4user, Tiere, Frauen und Kinder zu werfen.
\nGewi\u00df f\u00fchlt sich der Mann, der da oben am Dr\u00fccker sitzt als ein Supermensch im Vergleich zu meinen b\u00e4rtigen Ohrenabschneidern. Der Pilot hat seinen Beruf erlernt, f\u00fcr teures Geld. Er kennt die Technik des T\u00f6tens. Er hat ein Diplom in der Tasche, das ihn zum Fachmann macht.
\nAber nicht nur in seinem Beruf ist er diesen Barf\u00fc\u00dflern haushoch \u00fcberlegen. Selbst in New York w\u00fcrde er sich zurechtfinden und kaum Brigitte Bardot mit Anita Ekberg verwechseln. Er kennt den Bossa Nova, wei\u00df wie Elektronen tanzen und lebt vergn\u00fcgt nach der g\u00e4ngigen Moral: Du sollst nicht t\u00f6ten \u2013 es sei denn, man befiehlt es dir. Kurzum, ein normaler Mensch unserer Zeit, der \u2013 mit amerikanischem Benzin – in einer russischen Ilyushin mit \u00dcberschallgeschwindigkeit die Aufgabe hat, ein wenig Fortschritt ind Zivilisation unter diese primitiven Menschen zubringen.
\nSeine schmerzverzerrten, verst\u00fcmmelten Opfer treten nicht einmal im Traum vor ihn hin. Der anonyme Mord r\u00fcttelt nicht am Gewissen. Aber ein handgeschnittenes, echtes Menschenohr, mit ein paar blutigen H\u00e4rchen daran, w\u00fcrde seinen Glauben an die Menschheit ins Wanken bringen und wahrscheinlich vollends ersch\u00fcttern, wenn er erf\u00fchre, da\u00df hier nicht aus Gehorsam geschnippelt wird, sondern gegen den Befehl.
\nIch kann diese Gedanken nicht weiterspinnen. Die Bomber kommen zur\u00fcck. Mein Begleiter springt pl\u00f6tzlich auf und beginnt zu schie\u00dfen. Wenn er Chancen auf Erfolg h\u00e4tte, w\u00e4re nicht viel dagegen zu sagen, aber so kann er nur die Aufmerksamkeit des Piloten auf uns ziehen. Ich winke ihm zu. Es n\u00fctzt nichts. Ich springe auf und will ihn zu Boden ziehen. Er widersteht. Wir kommen ein wenig ins Handgemenge und fallen beide hin. Dabei f\u00fchle ich seinen Gewehrlauf in meinem Mund und ein Loch, wo eben noch ein Zahn war.
\nIch mache mich fluchend auf die Suche. Auch die anderen kommen hinzu. Zwanzig k\u00f6nigstreue Krieger suchen auf allen vieren nach dem einzigen Opfer des Angriffs: nach meinem Zahn.
\n\u201eIch wei\u00df nicht, er geh\u00f6rt mir . . .\u201c
\n\u201eSei froh, da\u00df du noch lebst. Das Gewehr h\u00e4tte losgehen k\u00f6nnen.\u201c
\n\u201eDanke . . .\u201c Ich kann ihr nicht sagen, wie gern ich ihr die Ohren abschneiden m\u00f6chte, denn unser Suchkommando tanzt auf meinem Zahn
\nherum und schie\u00dft wild schreiend um sich. Der Grund ihrer Freude scheint auf einem Berg zu liegen, der ungef\u00e4hr f\u00fcnf Kilometer entfernt ist und jetzt mit Bomben und Napalm belegt wird.<\/p>\n

1200 Krieger begr\u00fc\u00dfen uns<\/strong><\/p>\n

\"\"
Angetreten zum Sturm. Eine Stadt soll genommen werden. Gewehre und Patronen werden gez\u00e4hlt, w\u00e4rhend die Wachen auf den Bergen nach \u00e4gyptischen Bombern sp\u00e4hen<\/strong> <\/em><\/figcaption><\/figure>\n

\u201eDas ist Barhat\u201c, ruft einer. \u201eBarhat. Ja. Allah ist gro\u00df.\u201c
\nPrinz Achmed hatte uns erkl\u00e4rt, da\u00df wir an Barhat vorbeireiten w\u00fcrden, einer kleinen Stadt, die noch von den \u00c4gyptern gehalten wird und von seinen Truppen umzingelt ist. Deshalb der Jubel. Pr\u00e4zision scheint nicht die St\u00e4rke der \u00e4gyptischen Piloten zu sein. Man mu\u00df ihnen zugute halten, da\u00df es keine exakten Karten vom Jemen gibt. Deshalb nehmen sie oft Einheimische als F\u00fchrer mit, die ihnen ihre D\u00f6rfer zeigen sollen. Aber selbst wenn ein Bauer bei stockfinsterer Nacht sein Dorf mit einem blinden Esel finden kann, aus der Luft sieht das ganz anders aus, bei 600 Kilometer Geschwindigkeit pro Stunde. Und im \u00fcbrigen sieht man die Bomben viel lieber aufs Nachbardorf fallen.
\nDer kleine Haufen der Stammeskrieger verabschiedet sich und zieht seines Weges, w\u00e4hrend wir mit unserer Eskorte die vierte Bergkette in Angriff nehmen. Unsere Esel sind schwach. Wenn es steil aufw\u00e4rts geht, m\u00fcssen wir absteigen. So geht es zw\u00f6lf Stunden lang, bergauf, bergab, bergauf, bergab. Mehrere Male machen wir ersch\u00f6pft halt oder werden von Bombern gezwungen, uns zu verkriechen. Als wir endlich das Lager des Prinzen Hassan sichten, des Oberkommandierenden der k\u00f6niglichen Streitkr\u00e4fte, schleppen wir uns nur noch vorw\u00e4rts. die Esel haben seit langem den Dienst verweigert.
\n\"\"
\nUm uns jedoch einen w\u00fcrdigen Einzug zu erm\u00f6glichen, ist ein Bote vorausgelaufen, der jetzt mit zwei frischen Maultieren zur\u00fcckkommt. Es ist h\u00f6chste Zeit. Eintausendzweihundert Krieger sind angetreten, um uns zu begr\u00fc\u00dfen. Wir rei\u00dfen uns mit letzter Kraft zusammen, um wenigstens den STERN nicht zu blamieren, und donnernd schallt es uns entgegen:
\n\u201eLong live LIFE.\u201c
\nDer junge Prinz Ibrahim ben Mohammed hei\u00dft uns willkommen. Ich mu\u00df mit ihm die Front abschreiten, und wieder rufen die Krieger:
\n\u201eLang lebe LIFE.\u201c
\n\u201eWir sind vom STERN\u201c sage ich. \u201eWir kommen aus Deutschland.\u201c
\n\u201eIhr seid nicht die beiden LIFE-Reporter, die vor drei Wochen angemeldet wurden\u201c, fragt er.
\n\u201eNein, wir haben die beiden Amerikaner in Beirut getroffen. Sie haben vier Wochen vergebens versucht, nach Na\u00efran zu kommen, und dann entmutigt aufgegeben.\u201c
\n\u201eVerzeihung . . .\u201c Er dreht sich um und spricht zu seiner Eskorte. Als wir weitergehen rufen sie zaghaft: \u201eEs lebe STERN\u201c. Der Ruf pflanzt sich fort, bis die Berge ihn zur\u00fcckwerfen.
\nMan bringt uns in ein Zelt, wo sofort eine heftige Diskussion zwischen dem Prinzen und einer Gruppe von M\u00e4nnern entsteht. Es handelt sich um die Wache. In diesem Lager befinden sich Krieger der verschiedenen St\u00e4mme. Jeder Stamm fordert f\u00fcr sich die Ehre, w\u00e4hrend der Nacht \u00fcber uns zu wachen. Der Prinz beendet das lange Palaver mit einem salomonischen Spruch: Jeder Stamm darf zwei Stunden Wache halten, und da viele St\u00e4mme hier vertreten sind, werden beide Eing\u00e4nge bewacht.
\nAm n\u00e4chsten Tag soll eine Stadt eingenommen werden. Die \u00c4gypter und Republikaner sind unter dem Druck n\u00e4chtlicher Guerillak\u00e4mpfe schon seit einiger Zeit abgezogen, ohne da\u00df die K\u00f6niglichen es bisher f\u00fcr n\u00f6tig befunden haben, die Stadt zu besetzen. Krieger von dort sind zwar zu ihnen gesto\u00dfen, aber jetzt bittet die Stadt um offizielle \u00dcbergabe.
\nWir marschieren los. Unterwegs sto\u00dfen vierhundert Mann zu uns. Nach sechs Stunden erreichen wir endlich die Stadt. Die Soldaten schw\u00e4rmen aus und st\u00fcrmen mit wildem Geschrei und vielen Sch\u00fcssen – in die Luft. Am Stadtrand wartet ein Empfangskomitee auf die br\u00fcllende Welle. Auch dort wird geschossen. In die Luft. Trommeln erklingen. Die Krieger quirlen durcheinander und schie\u00dfen nach allen Seiten. So feiert man hier Siege.
\nDa wir fotografieren, haben wir mit dem Sturm nicht Schritt halten k\u00f6nnen. Meine Kameras funktionieren nicht richtig. Eine liegt im Sand. Die andere ist blockiert.
\n\u201eHast du gute Fotos gemacht?\u201c frage ich Claude.<\/p>\n

Der Prinz hat Sinn f\u00fcr Public Relations<\/strong><\/p>\n

Mit den ersten Bildern, die interessant gewesen w\u00e4ren, war es nichts.
\n\u201eReite schnell zum Prinzen und bitte ihn, seine Krieger nochmals \u201arunterrennen zu lassen\u201c, sage ich zu Claude.
\n\u201eBist du verr\u00fcckt. Diese Leute sind im Krieg, nicht im Filmstudio.\u201c
\nUm meiner Erbitterung ein wenig Luft zu machen, treibe ich den Esel zum Galopp an.
\nDer Gesang h\u00f6rt auf. Es wird still, und ich frage mich, ob wir jetzt h\u00f6flich gebeten werden, das Land zu verlassen. Aber pl\u00f6tzlich rennen vierhundert Kerle auf mich zu. Schie\u00dfend, schreiend und Dolche schwingend. Es hat also doch geklappt. Der Prinz hat Verst\u00e4ndnis f\u00fcr Public Relations.
\nMein Weitwinkel funktioniert zweimal. Dann ist auch er blockiert. Ich k\u00f6nnte vor Wut heulen.
\nAls der Prinz mich niedergeschlagen den Berg heraufkommen sieht, will er wissen, was passiert ist. Ich erz\u00e4hle es ihm.
\n\u201eSollen wir noch mal st\u00fcrmen?\u201c fragt er.
\nIch habe schon seit drei Tagen hohes Fieber und keine Courage mehr. \u201eNein. Danke.\u201c
\nDer Prinz glaubt, ich w\u00fcrde an seinem guten Willen zweifeln und f\u00e4hrt for: \u201eZwei Tagesreisen von hier ist ein \u00e4gyptisches Lager. Wir hatten zwar nicht vor, es jetzt zu nehmen, obwohl es einfach ist. Wenn das gute Bilder f\u00fcr Sie hergibt, k\u00f6nnen wir in drei Tagen angreifen. Einverstanden?\u201c
\nHier scheint das Paradies der Reporter zu seine. Sensation nach Ma\u00df.
\n\u201eWird es dabei Tote geben?\u201c
\n\u201eKrieg ist Krieg.\u201c
\n\u201eDas scheint mir doch ein zu hoher Preis f\u00fcr ein paar sensationelle Bilder\u201c, meint Claude. Sie wendet stolz ihren Esel und reitet an der Spitze der Truppen in die Stadt ein.<\/p>\n

Tod des Tyrannen
\n<\/strong>(Gordian Troeller schilderte die Lage im Jemen nach der Revolution: Nr. 44)<\/p>\n

\"\"
Grausamer K\u00f6nig Ahmed<\/strong><\/figcaption><\/figure>\n

Zum Tode des jemenitischen Staatsoberhauptes sandte Bundesratspr\u00e4sident Dr. Hans Ehart im Namen des Bundespr\u00e4sidenten ein Telegramm, in dem es u. a. hie\u00df : “ ..<\/em>. Die Nachricht von dem pl\u00f6tzlichen Ableben Seiner Majest\u00e4t des Imam nach heldenhaft getragenen Jahren schweren Leidens hat mich auf das Tiefste bewegt. Das deutsche Volk wei\u00df sich mit dem jemenitischen Volk in der Trauer um einen gro\u00dfen Herrscher einig.\u201c
\nEin Despot, der mit grausamsten Mitteln das Volk unterdr\u00fcckt, ist keinesfalls heldenhaft. Das ist doch glatter Hohn. Grausamkeit und Brutalit\u00e4t sind heute nicht mehr die idealen Eigenschaften eines Herrschers. Ich kann daher als junger Mensch ein solches Beileidstelegramm nicht widerspruchslos hinnehmen.<\/p>\n

HERBERT LEDERER JUN.
\n(stud. jur.) Essen<\/p>\n","protected":false},"excerpt":{"rendered":"

Stern, Heft 27, 7. Juli 1963\u00a0 Im Jemen ist Krieg. Vor neun Monaten verjagten republikanische Offiziere den jungen K\u00f6nig, den Imam El Badr, und ergriffen mit Hilfe \u00e4gyptischer Soldaten die Macht. Der gest\u00fcrzte Imam organisierte den Widerstand im Norden des Landes mit Unterst\u00fctzung Saudi-Arabiens. So ist der Jemen zu einem Schlachtfeld geworden, auf dem sich…<\/p>\n","protected":false},"author":1,"featured_media":59683,"parent":54114,"menu_order":2,"comment_status":"closed","ping_status":"closed","template":"","meta":{"_seopress_robots_primary_cat":"","_seopress_titles_title":"","_seopress_titles_desc":"","_seopress_robots_index":"","footnotes":""},"categories":[602],"tags":[],"class_list":["post-54118","page","type-page","status-publish","has-post-thumbnail","hentry","category-jemen","entry","has-media"],"_links":{"self":[{"href":"https:\/\/www.troeller-deffarge.com\/wp-json\/wp\/v2\/pages\/54118"}],"collection":[{"href":"https:\/\/www.troeller-deffarge.com\/wp-json\/wp\/v2\/pages"}],"about":[{"href":"https:\/\/www.troeller-deffarge.com\/wp-json\/wp\/v2\/types\/page"}],"author":[{"embeddable":true,"href":"https:\/\/www.troeller-deffarge.com\/wp-json\/wp\/v2\/users\/1"}],"replies":[{"embeddable":true,"href":"https:\/\/www.troeller-deffarge.com\/wp-json\/wp\/v2\/comments?post=54118"}],"version-history":[{"count":5,"href":"https:\/\/www.troeller-deffarge.com\/wp-json\/wp\/v2\/pages\/54118\/revisions"}],"predecessor-version":[{"id":64237,"href":"https:\/\/www.troeller-deffarge.com\/wp-json\/wp\/v2\/pages\/54118\/revisions\/64237"}],"up":[{"embeddable":true,"href":"https:\/\/www.troeller-deffarge.com\/wp-json\/wp\/v2\/pages\/54114"}],"wp:featuredmedia":[{"embeddable":true,"href":"https:\/\/www.troeller-deffarge.com\/wp-json\/wp\/v2\/media\/59683"}],"wp:attachment":[{"href":"https:\/\/www.troeller-deffarge.com\/wp-json\/wp\/v2\/media?parent=54118"}],"wp:term":[{"taxonomy":"category","embeddable":true,"href":"https:\/\/www.troeller-deffarge.com\/wp-json\/wp\/v2\/categories?post=54118"},{"taxonomy":"post_tag","embeddable":true,"href":"https:\/\/www.troeller-deffarge.com\/wp-json\/wp\/v2\/tags?post=54118"}],"curies":[{"name":"wp","href":"https:\/\/api.w.org\/{rel}","templated":true}]}}