{"id":54119,"date":"2017-03-11T14:16:16","date_gmt":"2017-03-11T13:16:16","guid":{"rendered":"http:\/\/www.troeller-deffarge.com\/?page_id=54119"},"modified":"2021-12-12T17:46:53","modified_gmt":"2021-12-12T16:46:53","slug":"ein-kriegsbericht-aus-dem-mittelalter-eine-hoehle-fuer-den-koenig","status":"publish","type":"page","link":"https:\/\/www.troeller-deffarge.com\/zeitungsreportagen\/jemen\/ein-kriegsbericht-aus-dem-mittelalter-eine-hoehle-fuer-den-koenig\/","title":{"rendered":"Ein Kriegsbericht aus dem Mittelalter: Eine H\u00f6hle f\u00fcr den K\u00f6nig"},"content":{"rendered":"
Stern, Heft 28, 14. Juli 1963\u00a0<\/em><\/p>\n Revolution\u00e4re haben seinen Palast zerschossen. Bomben haben ihn in die Berge gejagt. Der Dekor hat gewechselt \u2013 aber das Protokoll ist geblieben. Vor der H\u00f6hle, in der ich \u2013 in Schafsfelle gewickelt \u2013 mein Fieber h\u00fcte, geht es geheimnisvoll zu. Barf\u00fc\u00dfige Krieger schleichen am Eingang vorbei und blicken sehnsuchtsvoll ins Innere. Wenn sie stehenbleiben, werden sie von den Wachen davongejagt. Waffen von \u201eMister Kanada\u201c<\/strong><\/p>\n Ich atme auf. Dank dieses kleinen Schreckens enth\u00fcllt sich eine der vielen eigenartigen Sitten dieses Krieges: ein Gewehr kann ins Gef\u00e4ngnis geworfen werden. Im Jemen ist die Waffe wichtiger als Frau oder Besitz. Sie ist ebenso wertvoll wie das Leben, denn sie ist das Zeichen der Freiheit und des Mannestums. Abh\u00e4ngige Bauern oder Juden zum Beispiel, die auf dem Gebiet eines Stammes wohnen, d\u00fcrfen keine Gewehre tragen. Sie sind dieser Ehre nicht w\u00fcrdig. Sie stehen zwar unter dem Schutz des Stammes und werden gut behandelt, aber das sichtbare Zeichen der Herren, das Gewehr, geh\u00f6rt nur in die H\u00e4nde der M\u00e4nner eines ruhmreichen Stammes. Wie im biblischen Zeiten<\/em><\/strong> Ich habe mich w\u00e4hrend der ganzen Reise gewundert, da\u00df die Truppen des Imam \u00fcberhaupt noch Munition haben, bei der fanatischen Lust an der Knallerei. Ob es unsere Eskorte war oder Gruppen, die zu uns stie\u00dfen, bei jedem kleinsten Aufenthalt passierte das gleiche: Einer der Krieger rannte pl\u00f6tzlich davon, stellte ein Dutzend Steine in f\u00fcnfhundert Meter Entfernung auf und kam au\u00dfer Atem zur\u00fcck. Und dann wurde so lange geknallt, bis keines der improvisierten Ziele mehr sichtbar war. Nassers Frau mu\u00df raus<\/strong><\/p>\n Abdullah wei\u00df alles besser. Er hat sicher die gleichen Kisten gesehen wie wir, auf denen man zwei sich sch\u00fcttelnde H\u00e4nde und die von Abdullah richtig gelesene Aufschrift sieht, aber weder Kennedy noch Imam. Exil nicht gefragt<\/strong><\/p>\n Fast allein, mit l\u00e4cherlich geringem Schutz ist jeder von ihnen bis tief in den Jemen vorgedrungen, um die St\u00e4mme zum Kampf aufzurufen und sich selbst an die Spitze der ausgehobenen Truppen zu stellen. Ohne Leibwache, ohne andere Waffen als ihren Namen und ihren Mut. Hierdurch unterscheiden sie sich von anderen orientalischen K\u00f6nigen und Prinzen, die beim ersten Schu\u00df ihr Land verlassen und sich auf ihre dicken Bankkonten in der Schweiz zur\u00fcckziehen. Wenn Nasser nicht geschossen h\u00e4tte …<\/strong><\/em> … s\u00e4\u00dfe der Imam nicht mehr im Jemen<\/em><\/strong> \u201eSo hatten wir uns den arabischen Sozialismus nicht vorgestellt\u201c, erkl\u00e4rt mir Prinz Ibrahim, noch vor einigen Monaten ein fanatischer Anh\u00e4nger Nassers. \u201eWir m\u00fcssen unseren eigenen Weg gehen und dabei der mittelalterlichen Gesellschaftsstruktur unseres Landes Rechnung tragen. Das ist unm\u00f6glich, wenn der Jemen zum Exerzierplatz \u00e4gyptischer Milit\u00e4rs wird. Ich habe fest an den gro\u00dfen arabischen Bruder geglaubt, der berufen ist, die unfreien und r\u00fcckst\u00e4ndigen Bruderv\u00f6lker zu erl\u00f6sen. Aber dieser Mythos ist endg\u00fcltig zerst\u00f6rt. Nicht nur f\u00fcr mich. F\u00fcr fast alle, die hier nach Reformen d\u00fcrsten und in \u00c4gypten ein Vorbild sahen. Nasser hat sein wahres Gesicht gezeigt. Kann man an einen Bruder glauben, der r\u00fccksichtslos Bomben auf Frauen und Kinder wirft, auf Araber, die er vorgibt, befreien zu wollen?\u201c Ein h\u00f6flicher Frauenhasser<\/strong><\/p>\n Als vor Jahren eine in Sanaa ans\u00e4ssige franz\u00f6sische \u00c4rztin ihn um die Erlaubnis bat, sich seinem Gefolge auf einer kurzen Reise ins Innere des Landes anschlie\u00dfen zu d\u00fcrfen, stellte er zwei Bedingungen: Sie durfte keine Hosen tragen und nicht mit ihm sprechen. Deshalb ziehen wir es vor, die \u00e4gyptischen Stellungen einzukreisen, aber nicht zu nehmen. So ersparen wir der Zivilbev\u00f6lkerung gro\u00dfe Verluste. Es dauert etwas l\u00e4nger, aber wir werden doch zu unserem Ziel kommen.\u201c Sozialismus \u2013 ein b\u00f6ses Wort<\/strong><\/p>\n Prinz Hassan will wissen, was drau\u00dfen in der Welt passiert, von der er seit Monaten abgeschnitten ist. Er fragt, wie es nach den Staatsstreichs im Irak und in Syrien um die Vereinigte Arabische Republik steht. Ich erz\u00e4hle ihm, da\u00df ich vor kurzem noch in Damaskus gewesen bin, wo ich einen alten Freund besucht habe, Michel Aflak, den Chef der Baath-Partei, die jetzt in beiden L\u00e4ndern an der Macht ist. Er wird immer lebhafter und ungezwungener. Er h\u00fcpft auf seinen Gummibeinen herum und ruft: Der alte Fuchs<\/strong> Ist Kennedys Politik falsch?<\/strong><\/p>\n Der Krieg im Jemen betrifft vor allem die Vereinigten Staaten. Sie haben die republikanischen Regime anerkannt und Pr\u00e4sident Nasser durch massive Wirtschaftshilfe erlaubt, seinen kostspieligen Feldzug im Jemen zu finanzieren. Damit haben sie zum ersten Mal offiziell gegen ihre traditionellen Freunde in der arabischen Welt Stellung bezogen: gegen die K\u00f6nige von Saudi-Arabien und Jordanien.
\n<\/strong><\/em>In seiner H\u00f6hle empf\u00e4ngt der Imam El Badr genau wie in Sanaa. Warten geh\u00f6rt dazu.Wir mu\u00dften uns 24 Stunden gedulden, bevor wir empfangen wurden. F\u00fcr STERN-Reporterin Claude Deffarge wurde ein Baldachin errichtet<\/strong><\/em><\/p>\n
\nAuch Abdullah, ein Mann unserer Eskorte, schleicht schon zum vierten Male vorbei. Diesmal zeigt er flehend in die hinterste Ecke meiner H\u00f6hle, und seine Lippen machen deutlich; \u201eBum – Bum.\u201c
\nIn der Ecke stehen f\u00fcnf Gewehre: zwei Mauser, ein MG, eine Winchester und eine alte Flinte undeutbarer Herkunft, deren Kolben mit einem Schafskopf verziert ist. Das ist Abdullahs Waffe. Ich erkenne sie wieder. Unterwegs hatte er sie mir oft gegeben, damit ich meine Schie\u00dfkunst beweise, und jedesmal bi\u00df sich der Schafskopf f\u00f6rmlich in meine Schulter. Abdullah will zu mir, aber die Wachen halten ihn zur\u00fcck.
\nIch m\u00f6chte wissen, was los ist.
\n\u201eSie liegen im Gef\u00e4ngnis, Herr\u201c, lautet die Antwort.
\nSo gut es geht, richte ich mich auf und verlange eine Erkl\u00e4rung.
\n\u201eIm Gef\u00e4ngnis der Gewehre. Nicht Sie, nein, die Gewehre stehen unter Arrest.\u201c
\n
\nIm Jemen gibt es keine Betten<\/em><\/strong>
\nSternreporter Gordian Troeller (im Bild) und Claude Deffarge reisten vier Wochen lang durch den hohen Jemen. Sie a\u00dfen mit den Fingern und schliefen auf der Erde. Im Hintergrund ihre bewaffnete Escorte<\/em><\/p>\n
\nEin echter Jemenit f\u00fchlt sich deswegen entehrt und entmannt, wenn er seine Waffe verliert. Selbst ein Toter ist entehrt, dessen Waffe verlorengeht, und das kostet im Krieg ebenso viel Blut wie der eigentliche Kampf. Wenn ein Mann f\u00e4llt, m\u00fcssen seine Stammesbr\u00fcder zun\u00e4chst sein Gewehr retten und dann erst die Leiche. So m\u00fcssen f\u00fcr das Gewehr eines Toten oft viele mit dem Leben bezahlen.
\nIn einem B\u00fcrgerkrieg kann man Gef\u00e4ngnisse f\u00fcr widerspenstige Krieger nur schwer unterhalten. Man stellt einfach ihre Gewehre unter Arrest und setzt so die M\u00e4nner der Scham aus, unbewaffnet einhergehen zu m\u00fcssen \u2013 wie Sklaven, Bauern und Juden.
\nAbdullah wurde bestraft, weil er zuviel Munition sinnlos verpulvert hatte.
\n\u201eSechzig Patronen\u201c, erz\u00e4hlt er am n\u00e4chsten Tag, w\u00e4hrend er lachend auf seinen wiedergewonnenen Schafskopf schl\u00e4gt, \u201edas war doch etwas zuviel.\u201c
\n<\/p>\n
\nVor dreitausend Jahren sind vertriebene Juden im Jemen angekommen. Seither haben sie ihren Lebensstil kaum ge\u00e4ndert. Kleine j\u00fcdische Gemeinden leben auf den Gebieten gro\u00dfer St\u00e4mme. Die Juden d\u00fcrfen keine Waffen tragen. Sie werden von ihrem Gaststamm besch\u00fctzt \u2013 notfalls sogar mit Blut ger\u00e4cht<\/em><\/p>\n
\nIch frage Abdullah, weshalb er soviel schie\u00dfe, ob er nicht wisse, da\u00df die Patronen von weit herkommen, aus Saudi-Arabien, und da\u00df sie schwer zu beschaffen sind.
\n\u201eMir kannst Du nichts weismachen\u201c, sagt sein L\u00e4cheln. Laut f\u00fcgt er hinzu:
\n\u201eDer Imam ist reich. Viel Geld von K\u00f6nig Saud. Auch von Mister Kanada (er meint Kennedy).\u201c
\n\u201eIrrtum, Mister Kanada hat Sallal anerkannt und gibt Abd el-Nasser sehr viel Geld\u201c, versuche ich zu belehren. Aber Abdullah wiederholt:
\n\u201eDie Waffen schickt uns Mister Kanada.\u201c
\n\u201eEr schickt sie an K\u00f6nig Saud.\u201c
\n\u201eAber wir bekommen sie. In sch\u00f6nen Kisten, darauf reicht Mister Kanada unserem Imam die Hand. \u201aVerbr\u00fcderung der V\u00f6lker\u2019 steht darunter, in Arabisch.\u201c<\/p>\n
\n\u201eWarum k\u00e4mpfst Du eigentlich auf seiten des Imam?\u201c frage ich ihn.
\n\u201eUm Nassers Frau aus dem Land zu jagen.\u201c
\n\u201eNassers Frau. Ist die hier?\u201c
\n\u201eJa, die Republik.\u201c
\nIch hatte f\u00fcr Augenblicke vergessen, da\u00df wir im Mittelalter sind. Eine Staatsform hat f\u00fcr diesen einfachen Mann nat\u00fcrlich keinen Sinn. F\u00fcr ihn gibt es Menschen, die Macht aus\u00fcben. Nasser in \u00c4gypten, Mister Kanada in Amerika. K\u00f6nig Saud in Arabien, und fr\u00fcher war es der Imam im Jemen. Jetzt ist es Sallal, ein General, den jeder kennt, und die Djumhurija \u2013 die Republik, von der man zum ersten Mal h\u00f6rt. Niemand hat sie bisher gesehen. Sie ist mysteri\u00f6s, verschleiert wie eine Frau. \u00c4gyptische Soldaten k\u00e4mpfen f\u00fcr sie. Sollte sie etwa die Frau Nassers sein? Gewi\u00df, denn Nasser kann nicht selber herkommen, er mu\u00df in Kairo bleiben, um dort zu herrschen. Also raus mit der fremden Dame und ihren gepanzerten Truppen. Das w\u00e4re ja noch sch\u00f6ner: stolze Krieger und freie St\u00e4mme von einer fremden Frau kommandieren zu lassen.
\nDiese Ansicht ist nat\u00fcrlich nur unter den primitiven M\u00e4nnern der Bergst\u00e4mme verbreitet, wo selbst das Transistorger\u00e4t noch nicht hingefunden hat, um eine Br\u00fccke zur modernen Welt zu schlagen. Die Scheichs, Emire und Stammes\u00e4ltesten wissen jedoch, worum es geht.
\nDer wichtigste aller Emire ist Prinz Hassan, auf dessen Gebiet wir hier sind. Er ist der Onkel des Imam, mit dem er sich nie verstanden hat. Schon unter der Herrschaft seines Bruders, der ihn zum Vizek\u00f6nig der Nordprovinzen gemacht hatte, war er unzufrieden und strebte zur Macht. Als sein Bruder starb und dessen Sohn, El-Badr, nach einw\u00f6chiger Herrschaft gest\u00fcrzt wurde, eilte Hassan nach Saudi-Arabien, an die Grenze seines jetzt republikanischen Vaterlandes, um den Widerstand gegen die Revolution\u00e4re zu organisieren.
\nVon \u00fcberall her stie\u00dfen jemenitische Prinzen zu ihm. Junge M\u00e4nner, die in Europa studierten. Sie murmelten heilige Schw\u00fcre, lie\u00dfen die B\u00e4rte wachsen und wurden \u00fcber Nacht die F\u00fchrer b\u00e4rtiger Landsknechte. Auch sie hatten unter dem alten Imam Achmed gelitten und gehofft, nach seinem Tod ihr Land ins zwanzigste Jahrhundert f\u00fchren zu k\u00f6nnen. Einige von ihnen waren sogar Bewunderer Nassers und Verfechter eines arabischen Sozialismus. Sie hatten nie wie \u201eorientalischen Prinzen\u201c gelebt. Mit ungef\u00e4hr f\u00fcnfhundert Mark mu\u00dften sie ihr Leben und ihre Studien bestreiten. Jetzt fanden sie sich an den Grenzen eines Landes wieder, von dem sie nur die Hauptstadt kannten und das seit Jahrhunderten von den M\u00e4nnern ihrer Familie in einem mittelalterlichen Korsett gehalten worden war.<\/p>\n
\nAuch diesen Prinzen wurden von verschiedenen interessierten Gruppen goldene Br\u00fccken ins Exil geschlagen. Alle lehnten sie ab. Selbst die fr\u00fcheren Freunde Nassers, junge M\u00e4nner, die \u00c4rzte, Ingenieure und Volkswirte werden wollten und von einem modernen Leben tr\u00e4umten. Statt in einer Luxusvilla am Genfer See schlafen sie auf der Erde, essen mit den Fingern und trinken Wasser aus schmutzigen Pf\u00fctzen. Sie lehnen ihr Land und seinen Lebensstil nicht ab, obwohl sie unsere Zivilisation geschmeckt haben. Das kann nicht einfach sein, besonders wenn Nasser, das fr\u00fchere Idol aus \u00c4gypten, Napalmbomben auf sie wirft und einen Preis auf ihren Kopf setzt.<\/p>\n
\n\u00c4gyptische Bomben, zerst\u00f6rte H\u00e4user, sind die besten Alliierten des Imam. Sie haben die Republik diskreditiert \u2013 und ihm Freunde gebracht.<\/em>
\nAuch religi\u00f6se Gr\u00fcnde erkl\u00e4ren seinen Vormarsch: Die St\u00e4mme des Nordens geh\u00f6ren zur Sekte der Schiiten, die an einen Imam glauben, w\u00e4hrend ein geistliches Oberhaupt nicht ins religi\u00f6se Konzept der Sunniten pa\u00dft, die im republikanischen S\u00fcden ans\u00e4ssig sind.
\nDie Fronten des Krieges entsprechen ann\u00e4hernd dieser religi\u00f6sen Teilung des Jemen
\n
\n<\/em><\/p>\n
\nIn seiner H\u00f6hle empf\u00e4ngt der Imam ber\u00fchmte Scheiche. Sie kommen aus allen Gebieten des Jemen, um ihm zu huldigen. Nachdem sie ausgiebig Qat gekaut haben (ein leichtes Rauschgift) und bester Stimmung sind, schw\u00f6ren sie ihm hoch und heilig Treue. Nasser und Sallal werden verflucht, Allah und der Prophet als Zeugen angerufen. Dann wird um Waffen gefeilscht. Die St\u00e4mme wollen rechtzeitig auf der Seite des St\u00e4rkeren sein. Und der ist im Augenblick offensichtlich der Imam<\/em><\/p>\n
\n\u201eWollen Sie die alte Ordnung wiederherstellen?\u201c frage ich.
\n\u201eUm Gottes Willen. Dieser Krieg darf nicht vergeblich sein. Wir haben gr\u00fcndliche Reformen n\u00f6tig, und wir werden sie durchf\u00fchren.\u201c
\n\u201eWird die \u00e4ltere Generation nicht verbissen am alten festhalten?\u201c
\nEr umgeht die Antwort. \u201eAlle Prinzen haben sich zusammengefunden. Wir haben beschlossen, jeden inneren Zwist ruhen zu lassen, bis die \u00c4gypter aus dem Land gejagt sind.\u201c
\n\u201eUnd w\u00e4hrend dieser Zeit habt Ihr K\u00f6nig Saud zum Schiedsrichter Eurer eventuellen Meinungsverschiedenheiten ernannt.\u201c
\n\u201eWoher wissen Sie das?\u201c
\n\u201eIch war in Er Riad.\u201c
\nPrinz Ibrahim l\u00e4chelt. Trotz des Bartes und der Haare, die er laut heiligem Schwur erst nach der Einnahme Sanaas schneiden darf, sieht er wie ein Kind aus. Er ist der Sekret\u00e4r des Prinzen Hassan, des \u201ealten Fuchses\u201c, wie man ihn nennt, der jetzt Ministerpr\u00e4sident und Kriegsminister der k\u00f6niglichen Regierung ist. Im Schatten eines gro\u00dfen Felsblocks wartet er auf unseren Besuch. Ich bin gespannt, ob er Marie-Claude die Hand geben wird, denn er hat den Ruf eines Stockkonservativen und Feindes alles Ausl\u00e4ndischen.<\/p>\n
\nClaude hat Hosen an und diskutiert leidenschaftlich gern, besonders \u00fcber Politik und mit M\u00e4nnern, die Frauen verachten. Ich mache mich also auf alles gefa\u00dft und dr\u00fccke die Daumen. Aber der \u201ealte Fuchs\u201c verdient seine Spitznamen zu Recht. Er springt auf, sch\u00fcttelt Claude herzlich die Hand und sagt, wie gl\u00fccklich er sei, sie als erste ausl\u00e4ndische Frau begr\u00fc\u00dfen zu k\u00f6nnen, die je den Hohen Jemen besuchte.
\n\u201eStellen Sie sich vor\u201c, f\u00fcgte er l\u00e4chelnd hinzu, \u201eals der Bote die Ankunft von zwei Journalisten verk\u00fcndete, stockte er pl\u00f6tzlich und meinte, was er jetzt zu sagen habe, d\u00fcrfe nur ich h\u00f6ren. Er n\u00e4herte sich meinem Ohr und fl\u00fcsterte: \u201aIch glaube, einer davon ist eine Frau.\u2019 Ja, es ist ungew\u00f6hnlich, eine Frau in einem Kriegslager zu sehen \u2013 aber seien Sie herzlich willkommen.\u201c
\nEr l\u00e4dt uns ein, neben ihm Platz zu nehmen, und wieder stellt sich das Problem, das ich w\u00e4hrend der ganzen Reise nicht l\u00f6sen konnte: bequem zu sitzen. Hier gibt es keine St\u00fchle. Man lebt auf der Erde.
\nW\u00e4hrend diese M\u00e4nner ihre Beine wie Gummikissen unter ihren Hintern schieben, wei\u00df ich nie, was ich mit meinen anfangen soll. Versuche ich den Schneidersitz, dann schlafen meine Beine bald ein, und ich komme kaum noch hoch, wenn es weitergeht. Strecke ich sie von mir, dann stolpern Boten, Krieger und Prinzen dar\u00fcber. Setze ich mich auf die Fersen, dann versto\u00dfe ich gegen das Protokoll, denn nur Untergebene nehmen diese dem\u00fctige Haltung ein. Es ist schwierig, unge\u00fcbt auf der Erde herumzukriechen, ohne seine W\u00fcrde zu verlieren. Ich suche deshalb eine kleine Erh\u00f6hung zum Sitzen und einen Halt f\u00fcr meinen R\u00fccken, w\u00e4hrend Prinz Hassan meine ersten Fragen beantwortet.
\n\u201eJa\u201c, meint er, \u201ees bestehen Gr\u00fcnde zu gro\u00dfem Optimismus. In drei Monaten k\u00f6nnen wir in Sanaa sein. Mein Sohn Abdullah k\u00e4mpft schon mit dem Stamm der Khaulan am Rande der Stadt. Es scheint mir jedoch verfr\u00fcht, Sanaa schon jetzt anzugreifen. Wir f\u00fcrchten, da\u00df die \u00c4gypter die Stadt bombardieren, sobald sie in unsere H\u00e4nde gefallen ist. Das tun sie immer, wenn wir eine Ortschaft erobern.
\n
\n(Die schwarzen Punkte kennzeichnen die \u00e4gyptischen St\u00fctzpunkte)<\/em><\/p>\n
\n\u201eSind schon viele Ortschaften zerst\u00f6rt?\u201c
\n\u201eUngef\u00e4hr f\u00fcnftausend H\u00e4user. Deutschland k\u00f6nnte helfen, sie wieder aufzubauen. Was meinen Sie?\u201c
\n\u201eDie Bundesrepublik hat die Republik anerkannt.\u201c
\n\u201eNa, wenn schon. Sie wird uns anerkennen, wenn wir gesiegt haben. Ich habe \u00fcbrigens einen alten Vertrag mit Krupp, den ich selber ausgehandelt und unterschrieben habe. Meine Kopie ist verbrannt. Aber Krupp wird sicher seine Kopie haben, die wir nach dem Krieg best\u00e4tigen k\u00f6nnen.\u201c<\/p>\n
\n\u201eErz\u00e4hlen Sie schnell. Was will der Baath?\u201c
\n\u201eDie arabische Einheit\u201c, sage ich, \u201eaber nicht unter der Herrschaft Nassers. Sie will gleichberechtigte Mitsprache aller beteiligten L\u00e4nder, ein \u201akollegiales Direktorat\u2019 und nicht die \u00e4gyptische \u201aArabische Sozialistische Partei\u2019 als Einheitspartei des Vereinigten Arabiens, sondern ein Mehrparteiensystem.\u201c
\n\u201eI agree, I agree\u201c \u2013 einverstanden \u2013 jubelt er, \u201ehat Aflaq Ihnen auch Geheimnisse anvertraut?\u201c
\n\u201eJa\u201c, sage ich l\u00e4chelnd, \u201eda\u00df er sich mit allen Mitteln dem Imperialismus Nassers widersetzen wird.\u201c
\n\u201eGro\u00dfartig, ein mutiger Mann. Genau wie wir.\u201c
\n\u201eMit einem Unterschied, k\u00f6nigliche Hoheit. Aflaq k\u00e4mpft f\u00fcr Fortschritt und Sozialismus.\u201c
\nPrinz Hassan l\u00e4\u00dft sich nicht aus dem Konzept bringen.
\n\u201eSozialismus ist ein b\u00f6ses Wort \u2013 aber Fortschritt, ja, Fortschritt ist auch mein Programm. Ich werde mich sicher mit Aflak verstehen.\u201c
\nPrinz Hassan mu\u00df sich sehr ge\u00e4ndert haben. Er, der Erzkonservative, der M\u00e4nner umbringen lie\u00df, weil sie Alkohol tranken, der die Regeln des Korans zu den Gesetzen des Staates machte, spricht von Fortschritt und von Programm. Oder ist er nur ein guter Schauspieler, der wei\u00df, wie man Public Relations macht?
\nIch glaube nicht. Es scheint eher, als habe er sich diese Reformpl\u00e4ne zu eigen gemacht, um die jungen Prinzen zu beruhigen und seinen amerikanischen Freunden zu gefallen.<\/p>\n
\nso nennen die k\u00f6niglichen Krieger den Prinzen Hassan. Er ist der Onkel des Imams, der Oberkommandierende der Truppen und der Ministerpr\u00e4sident.
\nEin wichtiger Mann mit Hunger nach Macht<\/em><\/p>\n
\nDiese radikale Neuorientierung der amerikanischen Politik entspricht der Einstellung Kennedys gegen\u00fcber den Entwicklungsl\u00e4ndern. Seine Regierung will nicht mehr, wie ihre Vorg\u00e4nger, in China, Vietnam, Korea usw. der Verb\u00fcndete korrupter Oligarchen sein, sondern jene fortschrittlichen Kr\u00e4fte unterst\u00fctzen, denen die Zukunft zu geh\u00f6ren scheint. Der Krieg im Jemen nahm jedoch eine unvorhergesehene Wendung: Die \u00e4gyptischen Truppen konnten den Widerstand der K\u00f6nigstreuen nicht brechen, und Washington hatte alte Freunde ver\u00e4rgert, ohne politische Erfolge verbuchen zu k\u00f6nnen.
\n\u201eNat\u00fcrlich\u201c, rufen seine Gegner von der Republikanischen Partei der USA, \u201ewir haben es immer gesagt. Es ist Selbstmord mit Revolution\u00e4ren zu paktieren.\u201c
\nIn Er-Riad trafen wir amerikanische Politiker, die uns diesen Satz voller Freude an den Kopf warfen; eingefleischte Lobbyisten, die den Prinzen Hassan und seine Freunde unter ihre Fittiche genommen haben und in Amerika vertreten. Sie machen keinen Hehl aus ihren Meinungen und Pl\u00e4nen. Sie wollen die \u00f6ffentliche Meinung gegen Kennedys Entwicklungspolitik mobilisieren und im Kongre\u00df zur Sprache bringen, da\u00df Amerikas Wirtschaftshilfe im Jemen als Napalm von Himmel f\u00e4llt und das Ansehen der Vereinigten Staaten untergr\u00e4bt.
\nDer Jemen soll ihnen dazu dienen, Kennedys neuen Kurs in allen Entwicklungsl\u00e4ndern unter Beschu\u00df zu nehmen und nach M\u00f6glichkeit zu torpedieren. Das wenigstens erz\u00e4hlten sie uns.
\nSie vergessen jedoch, da\u00df der Jemen nicht mit anderen Entwicklungsl\u00e4ndern zu vergleichen ist. Hier ist die Uhr der Geschichte im zehnten Jahrhundert stehengeblieben. Es gab keine Kolonialherrschaft, kaum Kontakte mit der Umwelt. Um die St\u00e4dte ziehen sich nicht, wie in Afrika, Indien oder S\u00fcdamerika, jene unheimlichen Elendsg\u00fcrtel von Siedlungen entwurzelter Bauern und verhungerter Gelegenheitsarbeiter, die ungeduldig auf die Stunde der Abrechnung warten.
\nVon \u201ekommunistischer Gefahr\u201c kann schon gar nicht die Rede sein. Im Jemen \u00fcberlebt eine Stammesgesellschaft patriarchalischer Gliederung, f\u00fcr die keine unserer g\u00e4ngigen historischen Analysen und politischen Klischees zutreffen kann. Solche Ideen liegen hier nutzlos herum wie Elektrok\u00fchlschr\u00e4nke in einem Land ohne Elektrizit\u00e4t.
\nAber das schienen unserer Bekannten in Er-Riad nicht h\u00f6ren zu wollen. Und es w\u00fcrde mich nicht wundern, wenn diese Herren unter der Hand ein paar Waffen an die k\u00f6niglichen Truppen liefern, um so ihre These etwas zu untermauern, da\u00df Kennedy fehlgeht, wenn er Sallal und Nasser wirtschaftlich und diplomatisch unterst\u00fctzt. Prinz Hassan ist der erkl\u00e4rte Kandidat dieser amerikanischen Politiker. Deshalb mu\u00df auch er ein wenig fortschrittlich tun, denn M\u00e4nner vom Typ des alten Tyrannen Achmed finden selbst bei Senatoren aus dem tiefsten S\u00fcden der USA kaum noch Unterst\u00fctzung.
\nAls ich Prinz Hassan andeute, was seine amerikanischen Freunde uns in Er-Riad erz\u00e4hlt haben, l\u00e4chelt er nur verschmitzt und wechselt das Thema.<\/p>\n