{"id":54121,"date":"2017-03-11T14:16:16","date_gmt":"2017-03-11T13:16:16","guid":{"rendered":"http:\/\/www.troeller-deffarge.com\/?page_id=54121"},"modified":"2022-06-09T14:06:12","modified_gmt":"2022-06-09T12:06:12","slug":"wer-sanaa-stuermt-darf-pluendern","status":"publish","type":"page","link":"https:\/\/www.troeller-deffarge.com\/zeitungsreportagen\/jemen\/wer-sanaa-stuermt-darf-pluendern\/","title":{"rendered":"Wer Sanaa st\u00fcrmt, darf pl\u00fcndern"},"content":{"rendered":"

Stern, Heft 3, 21. Januar 1968<\/em><\/p>\n

F\u00fcnf Jahre tobt der B\u00fcrgerkrieg im Jemen. F\u00fcnf Jahre lang unterst\u00fctzten \u00e4gyptische Truppen die Republik gegen ihre royalistischen Feinde. Nach ihrer Niederlage gegen Israel mu\u00dften die \u00c4gypter abziehen. Jetzt ist die Republik allein. Sanaa ist umzingelt. Royalistische Krieger beherrschen die Berge. Die Verlockung ist gro\u00df. Wenn sie die Stadt nehmen, d\u00fcrfen sie pl\u00fcndern. Die Prinzen haben es ihnen versprochen.<\/em><\/p>\n

Der Pilot hat Angst und scheut sich nicht, es zu zeigen. Gestern hatte er nicht in Sanaa landen k\u00f6nnen. Gewehrkugeln aus den nahen Bergen durchbohrten seine Maschine. Heute sitzen wir in seiner vergammelten DC 3 und versuchen Sanaa anzufliegen. F\u00fcnf Jahre ist hier B\u00fcrgerkrieg. Heute ist die Hauptstadt des Jemen zum erstenmal v\u00f6llig eingeschlossen. Die Royalisten sitzen auf den nahen Bergen und beherrschen die Stra\u00dfen, die Sanaa mit den beiden gro\u00dfen St\u00e4dten des Landes – Tais und Hodeida – verbinden. Zwei bedrohte Flugpl\u00e4tze sind die letzten Verbindungspunkte mit der Au\u00dfenwelt. Als wir zur Landung auf dem Zivilflughafen ansetzen, begr\u00fc\u00dft uns Granatfeuer aus den Bergen. Der Pilot zieht schleunigst wieder hoch und landet schlie\u00dflich auf dem nahegelegenen Milit\u00e4rflugplatz. Bei laufenden Motoren m\u00fcssen wir aussteigen. Kaum haben wir festen Boden unter den F\u00fc\u00dfen, gibt der Pilot wieder Vollgas.
\nAuf der Fahrt zur Stadt werden wir alle f\u00fcnfhundert Meter von Soldaten angehalten. Beim zweiten Kontrollposten erkl\u00e4rt unser Chauffeur; \u201eGestern war diese Stra\u00dfe noch in den H\u00e4nden der Royalisten.
\nEin paar hundert Meter von der Stra\u00dfe entfernt brennt ein Dorf. Die H\u00e4user, wahre Wolkenkratzer aus Quadersteinen, wie sie f\u00fcr den Jemen typisch sind, brechen, in wei\u00dfen Rauch geh\u00fcllt, langsam in sich zusammen. Ihre Bewohner hatten den Royalisten Zuflucht gew\u00e4hrt. Nun straft sie die republikanische Armee. Es hat Tote gegeben.
\nEs gibt mehr. Drei K\u00f6pfe schm\u00fccken das monumentale Stadttor. Blut tropft noch. Wir mischen uns unter die neugierige, erregte Menge.<\/p>\n

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K\u00f6pfe von Verr\u00e4tern, zur Abschreckung ausgestellt am Statdttor von Sanaa. Diese M\u00e4nner wurden von Saudi-Arabien bezahlt, um gegen die Republik zu k\u00e4mpfen. Auch wei\u00dfe S\u00f6ldner, die auf royalistischer Seite dienten, wurden gek\u00f6pft<\/em><\/figcaption><\/figure>\n

Aus Gespr\u00e4chsfetzen schnappen wir auf: Es sind die abgehackten K\u00f6pfe von Royalisten, von Verr\u00e4tern, bezahlt mit saudi-arabischem Gold, Gold von K\u00f6nig Feisal, Gold auch vom Schah von Persien \u2013 die K\u00f6nige wollen die Republik vernichten.
\n\u201eD\u00fcrfen wir diese K\u00f6pfe fotografieren?\u201c frage ich einen Soldaten.
\n\u201eGern, wenn ihr eure K\u00f6pfe daneben aufgereiht sehen wollt. Einer davon ist ziemlich wei\u00df. Vielleicht war\u2019s ein S\u00f6ldener.\u201c<\/p>\n

Wer bezahlt, gewinnt<\/h3>\n

Ein kleiner Junge schiebt eine amerikanische Zigarette zwischen die Lippen des Kopfes, der vielleicht einem Franzosen geh\u00f6rt hat, einem Belgier, einem Deutschen. Rund dreihundert wei\u00dfe S\u00f6ldner leiten die technischen Dienste der Royalisten und versuchen ein wenig moderne Kriegsf\u00fchrung in diesen Kampf zu bringen, der an das Mittelalter erinnert.
\nHier geh\u00f6rt alles einer vergangenen Epoche an. vor allem die Mentalit\u00e4t. Nur die Waffen, die Fahrzeuge und ein paar h\u00e4\u00dfliche Geb\u00e4ude aus Beton erinnern an das zwanzigste Jahrhundert.
\nErst vor zwei Tagen fand eine Schlacht statt, die eher in die Zeit Attilas pa\u00dft als in unsere: Um den Ring zu sprengen, der sich um Sanaa geschlossen hat, hatte der Oberkommandierende der republikanischen Armee Soldaten auf die Stra\u00dfe nach Tais geschickt: regul\u00e4re Truppen, Volksmiliz und Krieger eines der Republik ergebenen Stammes. Um den Stammeskriegern die Lust am desertieren zu nehmen, wurden sie vorsorglich zwischen die Soldaten und die Miliz gelegt. Aber kaum hatte der Angriff auf die royalistischen Stellungen begonnen, da er\u00f6ffnete der angeblich republikanische Stamm das Feuer auf die vor ihm marschierenden Soldaten. Es gab viele Tote. Einige Goldst\u00fccke hatten gen\u00fcgt, die Stammeskrieger zur K\u00f6nigstreue zu bekehren.<\/p>\n

Beliebte Beute: M\u00e4nnerk\u00f6pfe und Frauen H\u00e4nde<\/strong><\/p>\n

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F\u00fcnf Jahre tobt der B\u00fcrgerkrieg im Jemen. F\u00fcnf Jahre lang unterst\u00fctzten \u00e4gyptische Truppen die <\/em>Republik gegen ihre royalistischen Feinde. Nach ihrer Niederlage gegen Israel mu\u00dften die \u00c4gypter <\/em>abziehen. Jetzt ist die Republik allein. Sanaa ist umzingelt. Royalistische Krieger beherrschen die Berge. Die Verlockung ist gro\u00df. Wenn sie die Stadt nehmen, d\u00fcrfen sie pl\u00fcndern. Die Prinzen haben es ihnen versprochen<\/em><\/p>\n

F\u00fcr die St\u00e4mme des Jemen ist dieser Krieg ein unerwarteter Segen. Er bringt ihnen, was sie wie nichts auf der Welt lieben: Waffen und Gold. Anstatt das Land zu bestellen und kunstvolle Terrassen auf steilen Bergh\u00e4ngen zu bauen, kann ein Mann heute in einem Monat mehr verdienen als mit seiner Landarbeit in einem Jahr. Er ist dem K\u00f6nig nicht mehr ergeben als ein Belgier im Dienste des Imam. Er ist S\u00f6ldner, genau wie der Wei\u00dfe, und wie dieser will er, da\u00df der Krieg m\u00f6glichst lange dauert.
\nWas n\u00fctzt den St\u00e4mmen ein Sieg der Royalisten, wenn damit die Goldquelle versiegt? Einnahme Sanaas \u2013 warum nicht? Dort gibt es kostbar geschm\u00fcckte Frauen, Gesch\u00e4fte mit den Reicht\u00fcmern Europas und Arabiens und wiederum Waffen und Geld \u2013 unwiderstehliche Verlockungen f\u00fcr M\u00e4nner, denen die Pl\u00fcnderung der Stadt als Lohn ihrer Einnahme versprochen worden ist.
\nAber wer wird als erster in Sanaa einziehen? Welcher Stamm darf die Kostbarkeiten der Stadt kassieren? Mit wem mu\u00df man die Beute teilen? Solange Stammesfehde und Rivalit\u00e4t unter den kommandierenden Prinzen vorherrschen, wird das belagerte Sanaa standhalten.<\/p>\n

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Erbeutete Waffen aus USA. Hinter den Kulissen k\u00e4mpfen die Weltm\u00e4chte mit<\/em><\/figcaption><\/figure>\n

Unterdessen kann es den republikanischen Machthabern sogar gelingen, Sanaa uneinnehmbar zu machen. Unter der harten und manchmal grausamen F\u00fchrung des Generals Hassan al Amri, der jetzt zum Ministerpr\u00e4sidenten avanciert ist, nimmt die Armee langsam eine berufsm\u00e4\u00dfige Form an. Dazu kommt die Volksmiliz, alle M\u00e4nner zwischen 14 und 60 Jahren. Jedes Haus wird zur Festung. In allen Wohnungen h\u00e4ufen sich Maschinenpistolen, Granatwerfer und Gewehre. \u201eJeder Mann besitzt heute mindestens vier Gewehre\u201c, erkl\u00e4rt und General Amri. Das sind zwanzigtausend bis an die Z\u00e4hne bewaffnete M\u00e4nner.
\nWenn Amri und das republikanische Regime unbeliebt w\u00e4ren, h\u00e4tte diese waffenstarrende Stadt sie schon lange hinweggefegt. Um so mehr, als man in Sanaa genau wei\u00df, worum es geht. Schon 1948 lie\u00df K\u00f6nig Achmed die Stadt von den gleichen St\u00e4mmen pl\u00fcndern, die sie heute in den nahen Bergen belauern. Damals wurde geraubt, gemordet, vergewaltigt. Frauenh\u00e4nde waren eine ebenso beliebte Beute wie M\u00e4nnerk\u00f6pfe. Um den Matronen ihre Armb\u00e4nder und Ringe abzunehmen, die sie in ihrer Jugend angelegt hatten, mu\u00dfte man ihnen die H\u00e4nde abschneiden. Jetzt vorsichtig geworden, haben die Frauen ihre im Fett des Alters ruhenden Goldreifen aufmei\u00dfeln lassen und sie mit dem \u00fcbrigen Schmuck vergraben.
\nJeder bereitet sich auf das Schlimmste vor, aber es gibt keine Anzeichen f\u00fcr Panik. Wir haben niemanden getroffen, der das Ultimatum der Royalisten zur kampflosen \u00dcbernahme annehmen w\u00fcrde. Sanaa und der republikanische Jemen scheinen um jeden Preis durchhalten zu wollen. Sollte die Stadt dennoch fallen, dann nur durch Verrat.<\/p>\n

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Volksmiliz in Sanaa. Wer Waffen tragen kann, verteidigt seine Stadt<\/figcaption><\/figure>\n

Verrat hat es schon gegeben. So wenigstens bezeichnen die republikanischen Jemeniten den Abzug der \u00e4gyptischen Truppen, ihrer Verb\u00fcndeten seit der Vertreibung des K\u00f6nigs (1962). Sie verlie\u00dfen den Jemen im Oktober letzten Jahres (1967) \u2013 als Folge der Niederlage gegen Israel \u2013 und jeder erwartete anschlie\u00dfend den Zusammenbruch der Republik. Sie kapitulierte jedoch nicht vor den Royalisten und f\u00fchlt sich heute sogar gefestigt. Zum Verdru\u00df der \u00c4gypter, deren milit\u00e4risches Prestige dadurch erneut angeschlagen wird.
\nIn der Tat, wenn zwanzigtausend \u00e4gyptische Soldaten es in f\u00fcnf Jahren nicht geschafft haben, die Royalisten aus der Umgebung von Sanaa zu vertreiben, wie ist es dann m\u00f6glich, da\u00df die junge republikanische Armee, schlecht ausger\u00fcstet und alleingelassen, die Royalisten schon drei Monate lang in Schach h\u00e4lt?
\n\u201eWeil die \u00e4gyptische Armee nichts taugt\u201c, erkl\u00e4rt uns ein republikanischer Offizier. \u201eIm Jemen wurde es noch deutlicher als im Krieg gegen Israel. Dort wurde sie von einem \u00fcberlegenen Gegner vernichtet, hier war sie nicht einmal f\u00e4hig ein paar primitive St\u00e4mme zur R\u00e4son zu bringen. Als wir 1962 den Imam davonjagten, waren die Royalisten nur eine kleine Bande von Fl\u00fcchtlingen. In den n\u00e4chsten Jahren erlangten sie wieder die Herrschaft \u00fcber die n\u00f6rdlichen Provinzen \u2013 trotz der Anwesenheit von 80 000 \u00e4gyptischen Soldaten. Das hat die arabische Welt ersch\u00fcttert, und ich kenne einige Herren in Kairo, die Allah anflehen, uns \u2013 ihre Verb\u00fcndeten \u2013 zu vernichten. Sie w\u00fcnschen insgeheim den Sieg der Royalisten und tun alles, um uns zu demoralisieren.<\/p>\n

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Schon die kleinen Kinder werden an Blut und Rache gew\u00f6hnt. Tag f\u00fcr Tag fallen auf diesem Platz im Sanaa K\u00f6pfe. Denn Gefangene Royalisten werden grunds\u00e4tzlich enthauptet<\/figcaption><\/figure>\n

Ha\u00df den \u00c4gyptern<\/h3>\n

Das ist eine harte Sprache. Es ist jedoch nicht zu leugnen, da\u00df die \u00c4gypter das Signal zur Flucht der Ausl\u00e4nder aus Sanaa gaben, bald gefolgt von den Russen und ihren sozialistischen Freunden. Der Chef der UNO-Mission, ein \u00c4gypter zog seine Mitarbeiter zur\u00fcck, ohne das Hauptquartier der Vereinten Nationen zu konsultieren. Panik brach aus. Die ausl\u00e4ndischen Diplomaten und Techniker sahen schon ihre K\u00f6pfe auf den Bajonetten der Royalisten und st\u00fcrmten die Flugpl\u00e4tze. Der Konsul der DDR gab seinen Sch\u00fctzlingen nur eine einzige Stunde, um ihre Koffer zu packen. Als wir in Sanaa ankamen, trocknete ihre W\u00e4sche noch auf den Terrassen der verlassenen H\u00e4user, und die Weihnachtsg\u00e4nse, eigens aus Ostberlin geschickt, verfaulten in leeren K\u00fcchen.
\nAnstatt sich abwartend nach Tais oder Hodeida zur\u00fcckzuziehen wie ihre Ostblockkollegen, flohen die Techniker aus der DDR gleich bis nach Hause, obwohl ihre Arbeit, der Ausbau des Elektrizit\u00e4tswerks, noch nicht beendet ist.<\/p>\n

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Ein alter russischer<\/em> Panzerwagen ist das ber\u00fchmteste Fahrzeug im Jemen. Stalin schenkte ihn einst dem K\u00f6nig. Heute schie\u00dft der Panzer im Namen der Republik \u2013 auf die Truppen des K\u00f6nigs<\/em><\/figcaption><\/figure>\n

Die Chinesen hingegen sind geblieben und haben sogar die Zahl ihrer \u00c4rzte und Techniker erh\u00f6ht. Auch die Italiener, die jetzt alle westlichen Interessen vertreten, haben an Ansehen gewonnen. In ihren B\u00fcros halten vier Westdeutsche durch, deren Courage dem Ruf der Bundesrepublik mehr nutzt als jahrelange diplomatische Kleinarbeit.
\nDie kurze Geschichte der Republik Jemen klagt \u00c4gypten des Kolonialismus an. Es klingt befremdend, dieses Wort auf ein Land zu beziehen, das sich selbst erst vor wenigen Jahren von fremder Herrschaft befreit hat und heute zu den radikalsten Vertretern des Anti-Imperialismus z\u00e4hlt. Aber im Jemen nennt man heute das Kind bei seinem Namen.
\nAls \u00e4gyptische Truppen der erst wenige Tage alten Republik im September 1962 zur Hilfe eilten, spielten sie Besatzungsmacht. Sie verhafteten alle, die sich Nassers Politik widersetzten. Sie folterten sie in den Gef\u00e4ngnissen von Tais und Sanaa oder brachten sie nach \u00c4gypten, wo einige f\u00fcr immer verschwanden. F\u00fcnf Jahre lang herrschten Polizei und Geheimdienst.
\nDie \u00c4gypter lie\u00dfen nichts zur\u00fcck als Ha\u00df. Die Stra\u00dfen wurden von China und den USA gebaut, die Schulen und Krankenh\u00e4user von Kuwait, Ungarn, Schweden, China und von amerikanischen Baptisten.
\nKein Wunder, da\u00df Nassers Portr\u00e4t nur noch in wenigen B\u00fcros und Gesch\u00e4ften h\u00e4ngt; und auch dort nur, weil der revolution\u00e4re Arabismus noch keine neues Symbol gefunden hat. Aber die Abl\u00f6sung bahnt sich an, und zwar hier im Jemen. Deshalb ist dieser abseits liegende Krieg f\u00fcr die arabische Welt ebenso wichtig wie der Konflikt mit Israel.<\/p>\n

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Die verwegenen Krieger der Republik sitzen in der Mausefalle. Hohe Bergketten schlie\u00dfen Sanaa ein, und oben auf den Graten warten die Royalisten auf das Signal zum Sturm<\/em><\/figcaption><\/figure>\n

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Der Anspruch auf die Nachfolge des Nasserismus als Tr\u00e4ger der arabischen Revolution wird heute offen von der nationalen Befreiungsfront gestellt, von der NLF, die in Aden die Engl\u00e4nder zum Abzug zwang und dort Ende November die Macht ergriff. Den neuen Staat am Zipfel der arabischen Halbinsel taufte sie \u201eVolksrepublik S\u00fcd-Jemen\u201c. Damit gab sie deutlich zu verstehen, da\u00df sie sich zum Jemen geh\u00f6rig f\u00fchlt und die Geschicke dieses Landes mitbestimmen will.
\nSie tut es bereits. Ihr Fernziel ist, den Kampf ins Land des eigentlichen Feindes zu tragen: nach Saudi Arabien. Sie glaubt, da\u00df die britischen Protektorate am Persischen Golf auch bald unabh\u00e4ngig werden und da\u00df dort, genau wie in Aden, die NLF die Macht ergreifen wird. Dann hat sie Feisals K\u00f6nigreich in der Zange. Im \u00fcbrigen werden die 300 000 jemenitischen Arbeiter in Saudi-Arabien, die den Gro\u00dfteil des Proletariats ausmachen, jetzt schon von der NLF kontrolliert. Das Heer ist unterwandert und die \u00d6lt\u00fcrme k\u00f6nnen in die Luft fliegen, sobald die NLF es befiehlt. Das Material und die M\u00e4nner sind bereits am Platze.
\nIm belagerten Sanaa ist es f\u00fcr uns, die einzigen Journalisten am Platze, leicht, mit Ministern und f\u00fchrenden NLF-Leuten zu sprechen. Sieben Tage leben wir im Rhythmus der belagerten Stadt: Nachts wird geschossen, in kleinen Gruppen angegriffen, Granaten explodieren in der N\u00e4he unseres Hotels. Am Tage geht das Leben weiter wie im Frieden.<\/p>\n

\"\"Seit September 1962 schon tobt der B\u00fcrgerkrieg im Jemen. Zum ersten Mal aber bedrohen Royalisten die Hauptstadt Sanaa<\/em><\/p>\n

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Flirt vom Motorrad – im Kanonendonner ein Hauch von s\u00fc\u00dfem Leben<\/em><\/figcaption><\/figure>\n

Jetzt wollen wir zu den Royalisten. Aus Sanaa kommen wir nur mit dem Flugzeug hinaus. Der Start verl\u00e4uft glatt und undramatisch. Sobald wir in Tais sind, organisieren wir Pferde und Maultiere. Wir sind acht Tage lang unterwegs. Jedesmal, wenn wir uns den royalistischen St\u00e4mmen n\u00e4hern, werden wir von den Republikanern zur\u00fcckgeschickt. Aber die Reise lohnt sich.
\nDieses Land, das oberfl\u00e4chliche Beobachter immer als ein kahles W\u00fcstenscheichtum hinstellen, offenbart sich in seiner grandiosen Sch\u00f6nheit: gr\u00fcne Berge, die bis 4000 Meter aufsteigen. Kunstvoll angelegte Terrassen, auf denen Hirse, Korn und Kaffee wachsen. M\u00e4nner, die beim Pfl\u00fcgen singen, um ihre Tiere in den richtigen Rhythmus zu bringen. D\u00f6rfer, die wie mittelalterliche Festungen anmuten. H\u00e4user aus Quadersteinen, zehn Stockwerke hoch, massiv und drohend wie Burgen.
\nJetzt verstehen wir, warum die R\u00f6mer dies Land Arabia Felix, das \u201egl\u00fcckliche Arabien\u201c, nannten. Es war heidnisch, dann j\u00fcdisch, dann christlich und wurde schlie\u00dflich mohammedanisch. Wir entdecken Moscheen aus der Zeit Mohammeds, auf fr\u00fchchristlichen Kirchen erbaut, die ihrerseits auf Tempeln ruhen, die aus der Zeit Salomons stammen. Und jeder Bauer kennt ihre Geschichte, jeder kann sogar lesen und schreiben. Es ist ein Land vor der \u201eUnterentwicklung\u201c, ohne Slums, unterbezahltes Proletariat und Konsumsucht.
\nEndlich scheint es uns zu gelingen, mit den Royalisten ins Gespr\u00e4ch zu kommen. Wir machen in einem Dorf halt, \u00fcber dessen H\u00e4usern viele republikanische Fahnen wehen. Das erstaunt uns, und wir wollen wissen, warum hier soviel Patriotismus an den Tag gelegt wird. \u201eWeil da oben die Royalisten stehen\u201c, erkl\u00e4rt der Dorf\u00e4lteste.
\nDa oben, das ist ein Berg, der dreitausend Meter hoch in den Himmel ragt. Am n\u00e4chsten Tag mache ich mich allein auf den Weg, um nicht viel Aufsehen zu erregen. Nach einer Stunde sto\u00dfe ich auf Krieger, die mich vor ihren b\u00e4rtigen Chef bringen. Ich erkl\u00e4re, was ich vorhabe.<\/p>\n

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Er aber sagt l\u00e4chelnd: \u201eZehntausend Taler wird deine Zeitung zahlen m\u00fcssen, wenn sie dich lebend wiedersehen will.\u201c
\nDas pa\u00dft mir nicht. Ich rede mir den Mund fusselig, behaupte, da\u00df so etwas f\u00fcr den Ruf des gesamten Jemen katastrophal w\u00e4re, sage schlimme internationale Verwicklungen voraus und appelliere an den Geist des Ramadan, des Fastenmonats, w\u00e4hrend dessen man doch nichts B\u00f6ses tun sollte.
\nDer b\u00e4rtige Krieger lacht nur: \u201eW\u00e4hrend des Ramadan sollte man auch nicht Krieg f\u00fchren\u201c, belehrt er mich. \u201eGleichzeitig aber steht geschrieben, da\u00df jeder, der auf dem Schlachtfeld stirbt, schnurstracks in den Himmel f\u00e4hrt.\u201c
\n\u201eAuch Ungl\u00e4ubige?\u201c frage ich ungl\u00e4ubig.
\n\u201eWer Ungl\u00e4ubige t\u00f6tet, kommt auf jeden Fall in den Himmel.\u201c
\nMir ist nicht wohl zumute. Da donnert pl\u00f6tzlich die Kanone, die das Ende der Fastenzeit f\u00fcr diesen Tag ank\u00fcndigt. Die M\u00e4nner st\u00fcrmen in die H\u00e4user zu den vollen Sch\u00fcsseln. Der Chef nimmt mich mit. Wir essen und trinken wie Br\u00fcder. Dann begleitet er mich bis an den Fu\u00df des Berges.
\n\u201eEs war nur ein Spa\u00df\u201c, sagt er zum Abschied. \u201eWir sind gar keine Royalisten. Sag zu Hause deinen Leuten, es sei gar nicht wichtig, wer den Krieg gewinnt. Hauptsache: Der Geist der Gastfreundschaft geht nicht verloren. Sonst ist es um uns geschehen.\u201c<\/p>\n","protected":false},"excerpt":{"rendered":"

Stern, Heft 3, 21. Januar 1968 F\u00fcnf Jahre tobt der B\u00fcrgerkrieg im Jemen. F\u00fcnf Jahre lang unterst\u00fctzten \u00e4gyptische Truppen die Republik gegen ihre royalistischen Feinde. Nach ihrer Niederlage gegen Israel mu\u00dften die \u00c4gypter abziehen. Jetzt ist die Republik allein. Sanaa ist umzingelt. Royalistische Krieger beherrschen die Berge. Die Verlockung ist gro\u00df. Wenn sie die Stadt…<\/p>\n","protected":false},"author":1,"featured_media":59820,"parent":54114,"menu_order":5,"comment_status":"closed","ping_status":"closed","template":"","meta":{"_seopress_robots_primary_cat":"","_seopress_titles_title":"","_seopress_titles_desc":"","_seopress_robots_index":"","footnotes":""},"categories":[602],"tags":[],"class_list":["post-54121","page","type-page","status-publish","has-post-thumbnail","hentry","category-jemen","entry","has-media"],"_links":{"self":[{"href":"https:\/\/www.troeller-deffarge.com\/wp-json\/wp\/v2\/pages\/54121"}],"collection":[{"href":"https:\/\/www.troeller-deffarge.com\/wp-json\/wp\/v2\/pages"}],"about":[{"href":"https:\/\/www.troeller-deffarge.com\/wp-json\/wp\/v2\/types\/page"}],"author":[{"embeddable":true,"href":"https:\/\/www.troeller-deffarge.com\/wp-json\/wp\/v2\/users\/1"}],"replies":[{"embeddable":true,"href":"https:\/\/www.troeller-deffarge.com\/wp-json\/wp\/v2\/comments?post=54121"}],"version-history":[{"count":5,"href":"https:\/\/www.troeller-deffarge.com\/wp-json\/wp\/v2\/pages\/54121\/revisions"}],"predecessor-version":[{"id":64260,"href":"https:\/\/www.troeller-deffarge.com\/wp-json\/wp\/v2\/pages\/54121\/revisions\/64260"}],"up":[{"embeddable":true,"href":"https:\/\/www.troeller-deffarge.com\/wp-json\/wp\/v2\/pages\/54114"}],"wp:featuredmedia":[{"embeddable":true,"href":"https:\/\/www.troeller-deffarge.com\/wp-json\/wp\/v2\/media\/59820"}],"wp:attachment":[{"href":"https:\/\/www.troeller-deffarge.com\/wp-json\/wp\/v2\/media?parent=54121"}],"wp:term":[{"taxonomy":"category","embeddable":true,"href":"https:\/\/www.troeller-deffarge.com\/wp-json\/wp\/v2\/categories?post=54121"},{"taxonomy":"post_tag","embeddable":true,"href":"https:\/\/www.troeller-deffarge.com\/wp-json\/wp\/v2\/tags?post=54121"}],"curies":[{"name":"wp","href":"https:\/\/api.w.org\/{rel}","templated":true}]}}