{"id":54138,"date":"2017-03-11T14:18:42","date_gmt":"2017-03-11T13:18:09","guid":{"rendered":"http:\/\/www.troeller-deffarge.com\/?page_id=54138"},"modified":"2024-03-13T18:28:50","modified_gmt":"2024-03-13T17:28:50","slug":"durchs-blutige-kurdistan","status":"publish","type":"page","link":"https:\/\/www.troeller-deffarge.com\/zeitungsreportagen\/aufstande-und-freiheitskampfe\/durchs-blutige-kurdistan\/","title":{"rendered":"Durchs blutige Kurdistan I (Kurdistan)"},"content":{"rendered":"
Stern, Heft 3, 19. Januar 1964<\/em><\/p> Es geht auch ohne Gaskammern und Genicksch\u00fcsse. Um ein Volk zu ermorden, gen\u00fcgen D\u00fcsenbomber gegen schutzlose D\u00f6rfer, Panzer gegen Frauen und Kinder, Hunger in K\u00e4lte und Schnee – gegen zwei Millionen Kurden, die im Norden des Irak leben. – Ihr Verbrechen? Der Wunsch nach Selbstbestimmung. Sonst nichts. Allein. Selbst dem Roten Kreuz untersagten die Iraker, Hilfe zu bringen. Sie wollen keine Zeugen. STERN bat nicht um Erlaubnis. Er schickte seine Reporter auf Schleichpfaden ins blutige Kurdistan.<\/em><\/strong><\/p> Der Schah von Persien liebt uns nicht. Unsere Berichte \u00fcber sein Land haben ihm nicht gefallen. Wir k\u00f6nnen deshalb kaum damit rechnen, da\u00df die SAVAC, der allm\u00e4chtige Sicherheitsdienst Persiens, die Augen zudr\u00fcckt, w\u00e4hrend wir ins irakische Kurdistan hin\u00fcberwechseln. Und doch f\u00fchrt der einzige Weg \u00fcber Persien. Wir hingegen m\u00fcssen R\u00e4uber und Soldat spielen und k\u00f6nnen nur heimlich, als Kurden verkleidet, an die Grenze fahren. – Dort sind zwei Maultiere p\u00fcnktlich zur Stelle. Die kurdischen Rebellen haben sie aus dem Irak geschickt.
Durch den Irak zieht sich die Front zwischen Armee und Rebellen. Syrien k\u00e4mpft ebenfalls gegen die kurdischen Partisanen. Die T\u00fcrken ihrerseits haben das hauseigene Kurdenproblem fremden Augen entzogen. Nachdem sie in den zwanziger Jahren Tausende niedergemacht und die \u00dcberlebenden zu \u201eBergt\u00fcrken“ ernannt hatten, erkl\u00e4rten sie ihr Kurdistan zur verbotenen Milit\u00e4rzone, um ungest\u00f6rt die Vert\u00fcrkung der Kurden zu vollenden.
Wir m\u00fcssen also \u00fcber Persien. Auch hier bedarf es einer speziellen Erlaubnis, um ins persische Kurdistan zu gelangen und somit an die Grenze. Aber der Schah hat gro\u00dfe Sorgen. Die St\u00e4mme S\u00fcdpersiens schie\u00dfen auf seinen Soldaten, die Gro\u00dfgrundbesitzer meutern, die Bauern warten ungeduldig auf die versprochenen Reformen, und die Mullahs organisieren den Widerstand. Unter diesen Umst\u00e4nden kann er es sich nicht erlauben, seine kurdischen Untertanen zu ver\u00e4rgern, indem er ihre im Irak k\u00e4mpfenden Br\u00fcder wie Feinde behandelt. In Teheran gern gesehene Journalisten erhalten deshalb ohne Schwierigkeiten Passierscheine. Einige wurden sogar von h\u00f6flichen Sicherheitsoffizieren bis an die Grenze begleitet.<\/p>Verzeihung – hier wird geschossen<\/h3>
„Ich schw\u00f6re auf den Kopf meiner Mutter, da\u00df ich Sie heil nach dr\u00fcben bringe“, fl\u00fcstert der erste Maultiertreiber und zieht uns ins Geb\u00fcsch, „besonders Madame.“
Ich frage mich gar nicht, warum er diese h\u00f6fliche Einschr\u00e4nkung macht. Mir geht es zun\u00e4chst darum, meine Knochen wieder zusammenzufinden. Nach achthundert Kilometern auf Feldwegen f\u00fchle ich mich wie ger\u00e4dert. W\u00e4hrend unser Wagen mit gel\u00f6schten Lichtern den R\u00fcckweg nach Teheran antritt, k\u00fcmmern sich unsere neuen Freunde um das Gep\u00e4ck. Es ist stockdunkel.
Claude tastet die Maultiere ab.
„Wo sind die Kameras?“
Ich ziehe eine Taschenlampe hervor. Sofort werfen sich unsere beiden Begleiter \u00fcber meinen Arm.
„Verzeihung, mein Herr“, fl\u00fcstert einer. „Aber hier wird geschossen.“
„Sie d\u00fcrfen auch nicht rauchen, au\u00dfer wenn wir’s ausdr\u00fccklich sagen“, f\u00fcgt der Zweite hinzu.
„Wie lange dauert der Ritt?“ will ich wissen.
„Zehn Stunden.“<\/p>