{"id":54143,"date":"2017-03-11T14:18:42","date_gmt":"2017-03-11T13:18:09","guid":{"rendered":"http:\/\/www.troeller-deffarge.com\/?page_id=54143"},"modified":"2020-07-30T00:16:50","modified_gmt":"2020-07-29T22:16:50","slug":"fuer-erwachsene-verboten-indien","status":"publish","type":"page","link":"https:\/\/www.troeller-deffarge.com\/zeitungsreportagen\/die-frauen-dieser-welt\/fuer-erwachsene-verboten-indien\/","title":{"rendered":"F\u00fcr Erwachsene verboten (Indien)"},"content":{"rendered":"
Stern, <\/em>Heft 43, 24. Oktober 1965 Wir sitzen in einer kleinen H\u00fctte im indischen Dschungel. Um uns sind nur Kinder zwischen f\u00fcnf und siebzehn Jahren. Es ist Abend. W\u00e4hrend die Kleinen in einer Ecke spielen, verteilen die Gro\u00dfen die Rollen f\u00fcr die Nacht.
<\/em><\/p>
\u201eWillst du heute dein Lager mit Mukwab teilen?\u201c fragt der Chef der Gruppe ein M\u00e4dchen von vielleicht vierzehn Jahren.
Sie sch\u00fcttelt energisch den Kopf.
\u201eDann schlage ich Dafedar vor\u201c, sagt der Junge.
\u201eDen will ich auch nicht.\u201c
\u201eWen denn?\u201c
\u201eHavaldar\u201c, ruft sie, und ihre Augen strahlen.
Es wird still. Kleine Gruppen bilden sich. Sie scheinen zu beraten. Aus der Ecke der spielenden Kleinen ert\u00f6nt pl\u00f6tzlich eine Stimme: \u201eDas ist unm\u00f6glich\u201c, ruft ein neunj\u00e4hriger Junge, \u201emit dem hast du dein Lager schon dreimal geteilt. Heute nacht m\u00f6chte ich mit dir schlafen. Bitte … \u201c
Das M\u00e4dchen l\u00e4chelt und geht zu dem kleinen Jungen. \u201eEinverstanden\u201c, sagt sie und f\u00e4ngt an, ihm die Haare zu k\u00e4mmen.
Aber stopp! \u2013 Ins Paradies mu\u00df man auf Zehenspitzen treten. Leise, liebevoll, lautlos. Unbeschwert von unseren Urteilen. Wie der Mensch vor dem S\u00fcndenfall. Arglos und unverdorben. Nur wer bereit ist, w\u00e4hrend f\u00fcnfzehn Minuten anzunehmen, da\u00df seine Welt und Moral nicht unbedingt die einzig richtigen sind \u2013 nur der wird am Schlu\u00df dieses Berichtes nicht den Eindruck haben, durch ein S\u00fcndenbabel gef\u00fchrt worden zu sein.
Man braucht vielleicht nicht so weit zu gehen wie Verrier Elwin, ein ber\u00fchmter Theologe und Anthropologe: Als er das Volk der Murias bekehren wollte, legte er sein Priesterkleid ab und erkl\u00e4rte: \u201eEs gibt keinen anderen Gott als die Wahrheit.\u201c Er glaubte, ihm bei den Murias n\u00e4her zu sein und ihm dort besser zu dienen als in der strikten Befolgung christlicher Lehren und der Verbreitung westlicher Zivilisation.
Aber etwas guten Willen mu\u00df auch der Leser unseres Berichtes schon mitbringen.
Auf Elwins Spuren erreichten wir das Gebiet der Murias, eines Volkes von zweihunderttausend Menschen, das s\u00fcdlich von Neu-Delhi im Gebiet von Bastar, mitten im Herzen von Indien, lebt. Umgeben von Tigern, Schlangen \u2013 und Indern, die, \u00fcberzeugt von der Lehre des Hinduismus, im heidnischen Muria den Teufel wittern.<\/p>