{"id":54145,"date":"2017-03-11T14:18:42","date_gmt":"2017-03-11T13:18:09","guid":{"rendered":"http:\/\/www.troeller-deffarge.com\/?page_id=54145"},"modified":"2021-08-02T17:14:48","modified_gmt":"2021-08-02T15:14:48","slug":"hier-duerfen-araber-neger-morden-suedsudan","status":"publish","type":"page","link":"https:\/\/www.troeller-deffarge.com\/zeitungsreportagen\/aufstande-und-freiheitskampfe\/hier-duerfen-araber-neger-morden-suedsudan\/","title":{"rendered":"Hier d\u00fcrfen Araber Neger* morden (S\u00fcdsudan)"},"content":{"rendered":"

Stern, Heft 17, 23. April 1967<\/em><\/p>

Gordian Troeller und Claude Deffarge gelang es als ersten Reportern zu den Freiheitsk\u00e4mpfern im sudanesischen Busch vorzudringen. Sie begleiteten sie auf der st\u00e4ndigen Flucht vor den arabischen Regierungstruppen, die hier einen grausamen Vernichtungskrieg f\u00fchren, von dem die Welt nichts wei\u00df. \u00dcber eine halbe Million Neger * sind diesem Massaker bereits zum Opfer gefallen.<\/em><\/strong><\/p>

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Wie werden die sieben Neger* sich verhalten, wenn eine wei\u00dfe Frau sich auszieht? Nachts. Im Busch. M\u00e4nner, die wir erst seit wenigen Stunden kennen, Schwarze, die vorher noch keine Wei\u00dfen gesehen haben. Diese Frage bewegt mich im Augenblick mehr als die Gefahr, in der wir schweben. Wir befinden uns an der verbotenen Grenze, die Uganda vom Sudan trennt: an einem der vielen Nebenfl\u00fcsse des Nils, den die Regenzeit in einen rei\u00dfenden Strom verwandelt hat.
\u201eK\u00f6nnt ihr schwimmen?\u201c fragt der Anf\u00fchrer unserer Eskorte.
Wir k\u00f6nnen. – Sollen wir uns nun ausziehen? – Wir m\u00fcssen uns ausziehen. Die N\u00e4chte sind kalt. Wenn wir angezogen in den Sudan hin\u00fcberschwimmen und dann mit nassen Kleidern weitermarschieren, d\u00fcrfte es mit dem Rest der Reise aus sein.
Au\u00dferdem m\u00fcssen wir uns beeilen. Der Morgen graut, bald werden Menschen wach, die uns hier nicht sehen d\u00fcrfen. Die Soldaten haben Befehl, auf alle zu schie\u00dfen, die sich dieser Grenze n\u00e4hern.
W\u00e4hrend Claude Deffarge sich auszieht, drehen unsere Begleiter sich diskret um. Erst als sie h\u00f6ren, da\u00df wir im Wasser sind, packen Sie unsere Sachen in Gummis\u00e4cke, ziehen sich selbst aus und folgen uns.
Es geht nicht ohne Zwischenf\u00e4lle. Filme schwimmen davon. Claude verf\u00e4ngt sich im Ge\u00e4st eines toten Baumes, in den die Str\u00f6mung sie geschwemmt hat, und wir m\u00fcssen sie zu dritt befreien.<\/p>

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Als wir nach zehn Minuten alle heil am anderen Ufer sind, ist die Nacktheit kein Problem mehr. Sie ist einfach vergessen.
Eine Frage hatte mich im Flu\u00df fast gel\u00e4hmt, aber jetzt erst wage ich sie auszusprechen: \u201eGibt es hier Krokodile?\u201c
\u201eNat\u00fcrlich\u201c, sagte der Anf\u00fchrer. \u201eAber die schlafen nachts genau wie die Soldaten, die diese Grenze bewachen.\u201c
Wir lachen. Sieben nackte Neger* und zwei Wei\u00dfe kr\u00fcmmen sich vor Lachen, weil dieser kleine Scherz die Spannung der wahren Angst und der falschen Scham gel\u00f6st hat. F\u00fcr einen Augenblick sind Krieg und Massaker fast vergessen – obwohl wir nur ihretwegen das Wagnis auf uns genommen haben, auf Schleichwegen in den verbotenen Sudan zu gelangen.
Es gibt keinen anderen Weg. Wenn man in Khartoum, der Hauptstadt des Sudans, um die Erlaubnis bittet, den S\u00fcden des Landes zu besuchen, wird man h\u00f6flich, aber bestimmt abgewiesen. Im S\u00fcden tobt n\u00e4mlich ein Krieg, den die Welt vergessen hat – und der vergessen bleiben soll. \u00dcber f\u00fcnfhunderttausend Menschen sind bisher umgebracht worden, mindestens ebenso viele wurden aus ihren D\u00f6rfern vertrieben.
Die ersten Fl\u00fcchtlinge treffen wir nach drei Stunden Marsch. Tief im Busch versteckt, haben sie ihre H\u00fctten gebaut. Als sie uns sehen, laufen die Frauen und Kinder laut schreiend davon. Die M\u00e4nner greifen nach ihren Speeren und Pfeilen. Weil wir hellh\u00e4utig sind, h\u00e4lt man uns f\u00fcr Araber, f\u00fcr Feinde. Ein Speer bohrt sich neben Claude in den Boden. Wir m\u00fcssen in Deckung gehen, bis unsere Begleiter erkl\u00e4rt haben, wer wir sind. Die Frauen kommen nur z\u00f6gernd zur\u00fcck. Sie zittern immer noch.
Erst vor zwei Monaten haben die arabischen Regierungstruppen ihr Heimatdorf zerst\u00f6rt und alle, die nicht schnell genug laufen konnten, umgebracht.<\/p>

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Ihr Dorf ist zerst\u00f6rt, ihre Ernte vernichtet. Ihre H\u00fctten sind verbrannt, die Eltern get\u00f6tet. Jeden Tag kommen Fl\u00fcchtlinge, um sich unter den Schutz der Freiheitsk\u00e4mpfer zu stellen. Die Frauen sind noch bekleidet, aber schon nach wenigen Wochen Sind ihre Kleider verschlissen, und sie m\u00fcssen nackt herumlaufen wie einst ihre Vorfahren<\/em><\/p>


Man bietet uns Erdn\u00fcsse an. Sonst gibt es hier nichts zu essen. Zwei M\u00e4nner werden in den Wald geschickt, um in den Fallen nachzusuchen, ob vielleicht ein Buschbock oder ein Wildschwein hineingefallen ist. Nach zwei Stunden kommen sie jubelnd mit einer riesigen Boa zur\u00fcck, die sie unterwegs get\u00f6tet haben. Jeder von uns bekommt zwanzig Zentimeter Schlangenfleisch. F\u00fcr uns beide wird das Schwanzende gebraten. Es soll der beste Teil sein. Jedenfalls schmeckt es vorz\u00fcglich, denn wir haben schon drei\u00dfig Stunden nichts mehr gegessen.
W\u00e4hrend unseres vierw\u00f6chigen Marsches durch den Sudan haben wir noch oft an diese Mahlzeit gedacht. Sie war die beste unserer ganzen Reise. Je weiter wir ins Innere vordringen, desto karger wird die Speisekarte.
Fast jeden Tag \u00e4ndert sich unsere Eskorte. Heute ist einer dabei, der besonders stolz aussieht. An seinem G\u00fcrtel h\u00e4ngen vier Handgranaten. Jeder seiner Kameraden wei\u00df, da\u00df er schon sieben Araber im Nahkampf get\u00f6tet hat. Er hei\u00dft Bismarck und will endlich wissen warum.
\u201eDu mu\u00dft es mir sagen\u201c, fordert er. \u201eDu bist die Geschichte, die Politik und die Geografie.\u201c
Das sind wir schon seit Beginn der Reise. Jeden Abend, wenn wir am Lagerfeuer sitzen, scharen sich Rebellen und Bauern um uns und \u00fcbersch\u00fctten uns mit Fragen. Seitdem sie uns \u201eGeschichte, Politik und Geografie\u201c getauft haben, glauben sie, uns benutzen zu k\u00f6nnen wie ein W\u00f6rterbuch – selbst wenn wir vierzig Kilometer marschiert sind und todm\u00fcde von unseren weichen Betten in Hamburg tr\u00e4umen.
Aber das ist noch ertr\u00e4glich. Meist sind wir dann in Sicherheit, tief im Dschungel und vor \u00dcberraschungsangriffen gedeckt durch schwer bewaffnete Wachen.
Jetzt jedoch scheint mir der Zeitpunkt schlecht gew\u00e4hlt, Lexikon zu spielen. Ganz in der N\u00e4he patrouillieren Panzer der Regierungstruppen. Fl\u00fcchtlinge haben uns erz\u00e4hlt, da\u00df man auf uns Jagd macht. Die arabische Regierung in Khartoum liebt es nicht, wenn Journalisten sich in den S\u00fcden des Landes einschleichen, um der Welt berichten zu k\u00f6nnen, wie grausam hier gek\u00e4mpft und get\u00f6tet wird. <\/p>

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Der Sudan ist zehnmal so gro\u00df wie die Bundesrepublik. Im Norden des Landes wohnen sechs Millionen Araber, im S\u00fcden (dunkel) vier Millionen Neger*.
Von Uganda aus gingen Gordian Troeller und Claude Deffarge heimlich \u00fcber die Grenze<\/em><\/figcaption><\/figure><\/div>

Dieser Krieg wird vergessen bleiben, solange es keine ausl\u00e4ndischen Zeugen gibt. Deshalb will man uns fangen, uns umbringen. \u201eMan wird euer Leben nicht schonen\u201c, wu\u00dften Fl\u00fcchtlinge zu berichten. \u201eUnd den Rebellen euren Tod in die Schuhe schieben, um sie als grausame Banditen hinzustellen.\u201c
Bismarck l\u00e4\u00dft nicht locker. Als ich ihm erkl\u00e4re, da\u00df er den Namen eines deutschen Staatsmannes tr\u00e4gt und da\u00df der Pfarrer ihm diesen Namen wahrscheinlich nur gegeben hat, um die damaligen Kolonialherren, die Engl\u00e4nder, zu \u00e4rgern, ist er immer noch nicht zufrieden.
\u201eWar Bismarck auch ein Heiliger?“
\u201eNein. Aber er war aus Eisen.\u201c
So etwas, hoffe ich, h\u00f6rt ein Krieger gern. Irrtum, mein schwarzer Bismarck m\u00f6chte lieber den Namen eines Heiligen tragen, genau wie seine katholisch getauften Freunde.
\u201eUm mich in einem wei\u00dfen Gesicht zu spiegeln.\u201c
In der Ferne dr\u00f6hnen die Motoren der arabischen Panzer. Hin und wieder f\u00e4llt ein Schu\u00df. Trotzdem setzen sich auch noch andere Rebellen zu uns. Es ist ein wilder Haufen. Einige haben Uniformen, andere laufen in Lumpen herum. Insgesamt vierzehn Mann. Besch\u00fctzer und Tr\u00e4ger zugleich. Zwei Maschinenpistolen, sieben Gewehre, drei Speere. Der Chef mit dem klangvollen Namen Casimiro ist ein Leutnant der Partisanenarmee. Er ist f\u00fcr unsere Sicherheit verantwortlich. Diese Aufgabe nimmt er so ernst, da\u00df er jedes Mal, wenn Gefahr droht, ganz nah an uns heranger\u00fcckt, als wolle er uns mit seinem K\u00f6rper vor den feindlichen Kugeln sch\u00fctzen.
\u201eDie Araber nennen uns immer noch abid – Sklaven\u201c, sagt er. \u201eSie behaupten, wir seien Untermenschen, die sie zivilisierten m\u00fc\u00dften.\u201c
\u201eMir haben sie in der Schule beigebracht, da\u00df sie zu einer h\u00f6heren Rasse geh\u00f6ren als wir und deshalb Gott n\u00e4her sind\u201c, erkl\u00e4rt Bismarck. \u201eKann das stimmen?\u201c
\u201eJedenfalls seid ihr die ersten Wei\u00dfen, die das Essen mit uns teilen und in unseren H\u00fctten schlafen\u201c, meint Casimiro. \u201eDas gibt uns Vertrauen.\u201c
\u201eSag, doch was\u201c, bittet, Bismarck. \u201eSind alle Menschen gleich, oder geh\u00f6ren wir Schwarzen zu einer minderwertigen Rasse?\u201c
Jedes Mal wenn \u201ediskutiert“ wird, vergessen sie die Gefahr. Sie wollen erfahren, lernen, wissen. Letztlich geht es ihnen immer um die gleiche Frage, die auch jetzt nicht ausbleibt: \u201eSind wir eigentlich richtige Menschen?\u201c
W\u00e4hrend unseres ganzen Marsches durch den sudanesischen Busch verfolgt sie uns wie der Klageschrei eines verwundeten Tieres. Sie taucht an jedem Lagerfeuer auf, in jedem Dorf, \u00fcberall wo wir halt machen. Jedes Mal, wenn wir neue Gesichter sehen, wollen sie wissen, warum sie schwarz sind, warum sie verachtet und gejagt werden wie Freiwild.
Das ist nicht verwunderlich. Die Neger* im Sudan sind von all jenen, die zu ihnen kamen, kaum als Menschen behandelt worden. Zun\u00e4chst kamen die \u00c4gypter, die Araber. Sie fingen die Schwarzen wie Vieh und schleppten sie als Sklaven in den Norden. Die Frauen zum Vergn\u00fcgen, die M\u00e4nner zur Arbeit. St\u00e4mme, die einst Hunderttausende z\u00e4hlten, schrumpften innerhalb eines Jahrhunderts auf ein Zehntel zusammen. Ein Land, das von den ersten Reisenden als ein bl\u00fchender Garten beschrieben worden war, verwandelte sich durch Krieg und organisierten Menschenraub in eines der verlassensten Gebiete Afrikas.
Sp\u00e4ter kamen die Engl\u00e4nder und verschmolzen den von Arabern bewohnten Norden mit dem von Schwarzen bewohnten S\u00fcden zu einem Staat. Dieser Zusammenschlu\u00df von zwei rassisch und kulturell v\u00f6llig verschiedenen V\u00f6lkern wurde auch beibehalten, als der Sudan am 1. Januar 1956 unabh\u00e4ngig wurde.
Die St\u00e4mme des S\u00fcdens protestierten. Sie f\u00fcrchteten, den Arabern abermals schutzlos ausgeliefert zu sein und forderten deshalb eine autonome Verwaltung innerhalb eines f\u00f6deralistischen Staatenbundes. Auch in London wurden Stimmen laut gegen eine Verbindung, die angesichts der zahlenm\u00e4\u00dfigen \u00dcberlegenheit und des h\u00f6heren Bildungsgrades der Araber nur zu einer neuen Kolonialisierung des S\u00fcdens durch den Norden f\u00fchren konnte. Aber der Suezkanal und die englischen \u00d6lkonzessionen im Vorderen Orient waren zwingende Tr\u00fcmpfe in der Hand der Araber, um London f\u00fcr die These eines zentral regierten Sudans zu gewinnen.<\/p>

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Sie waren Bauern. Jetzt sind sie Soldaten. In Lumpen, aber diszipliniert. Wenn die Araber einen der schwarze Freiheitsk\u00e4mpfer fangen, wird er get\u00f6tet. Pardon gibt es nur f\u00fcr junge Frauen. Die Araber machen sie zu ihren Konkubinen. Auch dagegen k\u00e4mpfen die Rebellen<\/em><\/figcaption><\/figure><\/div>
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Die neuen Herren des Landes, die so lautstark den Abzug der englischen Imperialisten gefordert haben, entpuppten sich nun ihrerseits als weit r\u00fccksichtslosere Imperialisten. Sie bem\u00e4chtigten sich der Verwaltung und der Wirtschaft, des Heeres und der Polizei. Die Neger* haben nichts mehr zu melden, obwohl sie \u00fcber ein Drittel der Bev\u00f6lkerung ausmachen. In Khartoum wird zwar noch verhandelt. Schwarze Abgeordnete sitzen im Parlament. Aber im Busch wird hart durchgegriffen. Neben der Gewalt erscheint den Arabern ihre Religion, der Islam, als das beste Mittel f\u00fcr eine brutale Gleichschaltung. Christen werden verfolgt, Heiden zu Mohammedanern gemacht, Moscheen erbaut, Schulen geschlossen. Je ungebildeter die Schwarzen bleiben, umso eher kuschen sie, hei\u00dft es. Englisch, das bisher als Lingua Franca (Verkehrssprache zwischen einheimischer Bev\u00f6lkerung und Europ\u00e4ern) diente, wird durch Arabisch abgel\u00f6st.
Die Reaktion der schwarzen Bev\u00f6lkerung bleibt nicht aus. Das Christentum hat sie gelehrt, da\u00df alle Menschen gleich seien, gleich vor Gott und den Menschen. Aber wiederum behandelt man sie wie niedere Wesen, und sie versuchen, sich zu wehren. Im Busch formieren sich kleine Widerstandsgruppen, die den Arabern zu schaffen machen, wenn sie Land enteignen wollen oder D\u00f6rfer \u00fcberfallen.
Dieser Widerstand wird von Christen gef\u00fchrt. Missionare, die um die Glaubensfreiheit bangen und eine gewaltsame Islamisierung des S\u00fcdens f\u00fcrchten, unterst\u00fctzen sie. Daraufhin schlie\u00dfen die Araber alle Missionen und Seminare und verweisen die ausl\u00e4ndischen Missionare des Landes. Kirchen werden zerst\u00f6rt, christliche D\u00f6rfer Erdboden gleichgemacht.
Aber damit nicht genug. In einer einzigen Nacht im Juni 1965 wurden in Juba, der Hauptstadt des S\u00fcdens, 1400 Neger* get\u00f6tet. Von Soldaten der Regierung. In Khartoum wei\u00df man, da\u00df der Widerstand im S\u00fcden des Landes ohne intellektuelle F\u00fchrer zusammenbrechen mu\u00df, und macht systematisch Jagd auf alle, die lesen und schreiben k\u00f6nnen.<\/p>

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Die Missionare sind vertrieben, die Kirchen zerst\u00f6rt, die Schulen geschlossen. Die Araber machen systematisch Jagd auf alle Christen. Wer in Gemeinschaft beten will, mu\u00df tief in den Busch fliehen. Nur wenige schwarze 
Priester sind \u00fcbriggeblieben. Wenn sie durch die D\u00f6rfer ziehen, versammeln sich Christen und Heiden. Gemeinsam flehen sie Gott und die G\u00f6tter an: befreie uns von dem Terror der Araber!<\/em><\/p>


Damit ist der Bruch zwischen Arabern und Negern*, zwischen Norden und S\u00fcden endg\u00fcltig. Hunderttausend Schwarze fliehen vor dem Terror in die Nachbarstaaten. D\u00f6rfer, in denen die Regierung Widerstandsk\u00e4mpfer vermutet, werden in Brand gesteckt, die Einwohner erschossen. F\u00fcnfhunderttausend Menschen sind – nach Sch\u00e4tzungen der Vereinten Nationen – auf diese Weise umgebracht worden, mehr als ein Zehntel der Bev\u00f6lkerung des S\u00fcdens. Nicht vor hundert Jahren. Heute.
Trotzdem gibt es keine internationalen Proteste. Dieser organisierte V\u00f6lkermord interessiert nur ein paar Moralisten. Die Politiker bleiben stumm, weil weder westliche noch \u00f6stliche Interessen auf dem Spiel stehen. Im Sudan gibt es keine ideologische Auseinandersetzung, keinen kalten Krieg, keine Kommunisten, nicht einmal Chinesen. Dort werden ja nur Neger* umgebracht. Und im \u00dcbrigen liegt der Sudan weit weg. Es ist gef\u00e4hrlich, an Ort und Stelle zu untersuchen, was wirklich passiert. Mit der Anprangerung eines V\u00f6lkermordes, der au\u00dferhalb der gro\u00dfen internationalen Spannungsfelder begangen wird, k\u00f6nnen sich weder Diplomaten noch Journalisten Sporen verdienen – und wenn Bismarck nicht gepfiffen h\u00e4tte, w\u00e4ren auch wir wohl nicht zur\u00fcckgekehrt.
W\u00e4hrend wir noch \u00fcber die Gleichheit der Menschen diskutieren, pfeift er pl\u00f6tzlich leise durch die Z\u00e4hne. Er hat als Einziger das Warnsignal geh\u00f6rt und gibt es weiter. Die Partisanen schw\u00e4rmen aus. Nach f\u00fcnf Minuten h\u00f6ren wir einige Sch\u00fcsse. Eine arabische Patrouille, die sich an uns heranschleichen wollte, zieht sich zur\u00fcck in den Schutz ihrer Panzer, die auf der Landstra\u00dfe warten.
Zum Gl\u00fcck haben wir bei unserem heimlichen Besuch in S\u00fcdsudan das Ende der Regenzeit erwischt. Wenn es monatelang gegossen hat, ist das Gras \u00fcber zwei Meter hoch. Wir haben oft geflucht, wenn wir uns da hindurchk\u00e4mpfen mu\u00dften und die scharfen Bl\u00e4tter Gesicht und H\u00e4nde blutig rissen. Aber jetzt sind wir froh, denn nur selten wagen Regierungstruppen sich in das undurchsichtige Gewirr fingerdicker Gr\u00e4ser, in denen Heckensch\u00fctzen perfekte Deckung haben und Fallen qualvollen Tod bedeuten.
Die Natur hat uns zun\u00e4chst wieder einmal gerettet. Aber wir k\u00f6nnen nicht weiter. Unsere Reiseroute sollte \u00fcber die Stra\u00dfe f\u00fchren, die jetzt von feindlichen Panzern und Truppen abgeriegelt ist. Wir m\u00fcssen zur\u00fcck. Das n\u00e4chste Dorf ist zehn Kilometer entfernt. Sechs H\u00fctten. Ein paar Felder. M\u00e4nner in Lumpen. Frauen, die ihre Scham mit Bl\u00e4ttern verdecken. Zur Begr\u00fc\u00dfung knien sie nieder.
Man hat sie gelehrt, vor einer anderen Hautfarbe Demut zu zeigen. Fremde sind wie Naturgewalten, denen man sich beugen mu\u00df, ob sie Gutes bringen oder B\u00f6ses. Sie vertreten h\u00f6here M\u00e4chte. \u201eEuch mu\u00df Gott geschickt haben\u201c, sagt der Dorf\u00e4lteste. \u201eBitte rettet meine Tochter.\u201c
Sie liegt auf einer Strohmatte und windet sich vor Schmerzen. Der Leib ist geschwollen. An jeder Seite des M\u00e4dchens hockt eine alte Frau. Sie halten ihre H\u00e4nde und summen leise vor sich hin. Das ist hier das einzige Mittel, um Schmerzen zu stillen.
Was sollen wir tun? Wahrscheinlich handelt es sich um eine Blinddarmentz\u00fcndung. Wenn wir auf Reisen in entfernten Gebieten sind, wo es keinen Arzt gibt, keine Hilfe, kein Zur\u00fcck – dann f\u00fcrchten auch wir diese sonst harmlose Krankheit mehr als Malaria, Schlangenbissen oder Kugeln. Ich habe selbst mit Fieber und Leibschmerzen zwei Tage lang in einer H\u00fctte gelegen, und wir bef\u00fcrchteten schon das Schlimmste. Jetzt sehen wir, was geschehen w\u00e4re, wenn ich wirklich eine Blinddarmentz\u00fcndung gehabt h\u00e4tte. Noch am selben Tag stirbt das M\u00e4dchen. Wir k\u00f6nnen nur die Schmerzen lindern und ihr das Sterben erleichtern.
Es gibt wohl kaum eine Gegend der Welt, die so n\u00f6tigt der Hilfe bedarf wie der s\u00fcdliche Sudan. Seit Krieg und Terror hier toben, gibt es kein Medikament mehr, keinen Verbandsstoff, keinen Arzt oder Krankenpfleger, weder Kleidung noch Seife, weder Milch noch Zucker. Selbst Salz ist selten. Man mu\u00df Asche essen, um den Salzbedarf teilweise zu decken.<\/p>

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Immer wieder mu\u00dfte Claude Deffarge Kranke und Verwundete pflegen<\/em><\/figcaption><\/figure><\/div>


W\u00e4hrend der Trauerfeier f\u00fcr das M\u00e4dchen wird nur ganz leise gesungen. Tamtam, Tanz und Musik sind seit Beginn des Krieges verbannt. Die Araber sollen nicht h\u00f6ren, wo man sich im Busch vor ihnen versteckt. Die Trommeln sind vergraben. Selbst die Masken und Fetische sind verschwunden. Sie verbrannten mit den H\u00fctten. Wir wollen es zun\u00e4chst nicht glauben: Alle D\u00f6rfer, in denen wir \u00fcbernachten und die westlichen Augen wie idyllische Bauernsiedlungen anmuten, sind nur provisorische Unterk\u00fcnfte gehetzter Menschen.<\/p>

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Claude Deffarge und Gordian Troeller teilten sechs Wochen lang das gef\u00e4hrliche Leben der Freiheitsk\u00e4mpfer und Fl\u00fcchtlinge im sudanesische Busch<\/em><\/figcaption><\/figure><\/div>


\u201eSeit Generationen wohnten wir am Rande der Stra\u00dfe, die von Juba nach Yei f\u00fchrt\u201c, sagt der Chef des Dorfes, in dem wir heute halt machen. \u201eEines Morgens h\u00f6rten wir das Ger\u00e4usch vieler Motoren. Eine Milit\u00e4rkolonne n\u00e4herte sich. Die jungen Leute und die meisten Frauen rannten sofort in den Busch. Als die Lastwagen abgefahren waren, schlichen wir ins Dorf zur\u00fcck. Die Araber hatten es niedergebrannt, und wir z\u00e4hlten vierzehn Leichen. Auch eine junge schwangere Frau war darunter.\u201c
\u201eUnd wann seid ihr hier hergekommen?\u201c will ich wissen.
\u201eVor drei Monaten. In den letzten zwei Jahren mu\u00dften wir viermal fliehen und uns jedes Mal tiefer Busch verstecken. Bald m\u00fcssen wir auch von hier wieder fort. Wenn die Regenzeit zu Ende ist, stecken die Araber das trockene Gras an. Dann haben sie bessere Sicht und weniger Angst, die Stra\u00dfe zu verlassen.\u201c
Aber auch jetzt f\u00fcrchten sich diese Menschen vor einem n\u00e4chtlichen \u00dcberraschungsangriff. Nachdem sie uns das Essen zubereitet haben (Maniok mit Erdn\u00fcssen und Pfeffersauce), verschwinden sie ihren Dschungel, wo sie die Nacht verbringen werden. Selbst unsere Anwesenheit kann sie nicht dazu bewegen, einmal in ihren H\u00fctten zu schlafen.
Wir f\u00fchlen uns auch nicht wohl in unserer Haut. Dieses verlassene Dorf, in dem nur zwei magere Hunde herumschleichen, wirkt gespenstisch. Wir haben zwar ein Feuer, das wenigstens die Illusion der Geborgenheit ausstrahlt, trotzdem w\u00e4ren auch wir lieber mit den anderen im Dschungel, anstatt hier unser westliches \u201eGesicht zu wahren\u201c. Es mu\u00df sein – sonst w\u00fcrden unsere Begleiter, die au\u00dferhalb des Dorfes Wache halten, jeden Respekt verlieren.
Im \u00fcbrigen haben wir ja all dies gewollt: die Gefahr, das karge Essen, den Mangel an Salz und Zucker, die Strapazen der t\u00e4glichen drei\u00dfig Kilometer, die rei\u00dfenden Fl\u00fcsse, die wir durchqueren m\u00fcssen, und die giftigen Spinnen, die wir morgens aus den Schuhen sch\u00fctteln. Wenn wir ein wenig Gl\u00fcck haben, liegen wir bald wieder mit vollem Magen in warmen Betten und denken mit etwas Wehmut an diese aufregende Zeit im afrikanischen Busch. F\u00fcr diese Menschen hier wird es jedoch nie ein Ende geben.
Es gibt keinen Pardon. Die Truppen der arabischen Regierung in Khartoum unterscheiden nicht zwischen ihren k\u00e4mpfenden Feinden, den Partisanen, und der Zivilbev\u00f6lkerung. Es ist ein Kampf gegen ein ganzes Volk. Nur junge M\u00e4dchen k\u00f6nnen hoffen, am Leben zu bleiben, wenn ihr Dorf niedergebrannt wird. Sie werden mitgeschleppt.
Feuer und Schwert sind nicht die einzigen Mittel der Vernichtung. Ebenso wirksam, wenn auch weniger Aufsehen erregend, ist die unabl\u00e4ssige Vertreibung der schwarzen Bev\u00f6lkerung von einem Versteck ins andere. Sie sind Bauern, und sie brauchen Felder, um zu leben. Wenn sie aus ihrem Heimatdorf vertrieben werden und an einem anderen Ort gerade gerodet, gepfl\u00fcgt und ges\u00e4t haben, dann bleibt ihnen meistens nicht die Zeit zum Ernten. Sie m\u00fcssen wieder fliehen und abermals versuchen, den neuen Boden urbar zu machen, bis eine weitere Strafexpedition sie davongejagt.<\/p>

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Solange der Krieg dauert, sind sie zur st\u00e4ndigen Flucht verurteilt. Selten bleibt ihnen Zeit zum Ernten. Sie haben kein Brot, kein Salz, keinen Zucker und auch keine Medikamente. Immer wieder mu\u00dfte Claude Deffarge Kranke und Verwundete pflegen<\/em><\/figcaption><\/figure><\/div>


So werden sie mehr und mehr in die Steinzeit zur\u00fcckgetrieben. Sie m\u00fcssen neu erfinden, wie ihre Vorfahren im Busch \u00fcberlebten. Anstatt zur Schule zu gehen, machen Kinder sich mit essbaren Wurzeln vertraut und mit dem Legen von Fallen. Bald haben die Frauen ihre letzten Kleider aufgetragen und m\u00fcssen wieder nackt gehen.
Die Beweggr\u00fcnde dieser Politik der Ausrottung sind Machthunger und der Wahn rassischer \u00dcberlegenheit. Fr\u00fcher holten die Araber ihre Sklaven aus dem S\u00fcden, heute streben sie nach gr\u00f6\u00dferem Lebensraum. Dabei ist keineswegs der Sudan allein im Spiel. Es geht um weit mehr: um den F\u00fchrungsanspruch des arabischen Nordafrikas \u00fcber den Schwarzen Kontinent. Nicht umsonst unterst\u00fctzen \u00e4gyptische und algerische Offiziere die Truppen von Khartoum im Kampf um den S\u00fcden.
Im Sudan versuchen die Araber, die Grenzen ihres Einflusses mit Waffengewalt zu erweitern. Im \u00fcbrigen Afrika vergr\u00f6\u00dfert sie ihren Einflu\u00df durch die systematische Islamisierung der schwarzen Bev\u00f6lkerung.
Was heute zum Beispiel in Nigeria geschieht, ist nur in diesem Zusammenhang zu verstehen. Auch dort streben die mohammedanischen Haussas nach Herrschaft \u00fcber die in ihrer Mehrzahl heidnisch gebliebenen Yorubas und Ibos. Die Front des zur politischen Waffe gewordenen Islams zieht sich quer durch Afrika. Im Sudan spricht man heute schon oft vom \u201eHeiligen Krieg“ und der zivilisatorischen Mission des Islams. Nicht zuf\u00e4llig wurden dort vor allem Christen verfolgt, Missionare vertrieben und von Priestern erzogene Neger* get\u00f6tet. Man schaltet die \u201eKonkurrenz“ aus.
Diese Offensive des Islams mag die gro\u00dfen Auseinandersetzungen der n\u00e4chsten Jahrzehnte in Afrika bestimmen. Die einzige Gruppe, die sich ihr heute schon mit Waffen widersetzt, sind die Rebellen der s\u00fcdsudanesischen Freiheitsbewegung. \u00dcber diese M\u00e4nner und unser Leben mit ihnen berichten wir im n\u00e4chsten STERN.<\/p>

Teil zwei<\/em><\/strong><\/p>

Stern, Heft 18, 30. April 1967 <\/em><\/p>

Krieg zwischen Arabern und Negern* im Sudan. Seit zehn Jahren. Eine halbe Million Neger* wurden bisher get\u00f6tet. Aber die Welt wei\u00df von diesem V\u00f6lkermord nichts. Sternreporter Gordian Troeller und Claude Deffarge kehrten jetzt von einer abenteuerlichen Reise durch das entlegene Kriegsgebiet im S\u00fcdsudan zur\u00fcck. Sechs Wochen waren sie bei den schwarzen Fl\u00fcchtlingen und Freiheitsk\u00e4mpfern im Busch.<\/strong><\/p>

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Bewacht von Freiheitsk\u00e4mpfern, beten schwarze Fl\u00fcchtlinge in einem s\u00fcdsudanesischen Dorf zu Gott: Sch\u00fctze uns vor den Arabern<\/em><\/figcaption><\/figure>

Handgranaten sind scheu\u00dfliche Dinger. Konserven des Todes. An einem Ende baumelt ein Ring. Wenn der herausgezogen wird, dauert es nur noch wenige Sekunden – und das Ding explodiert.
Diese Ringe m\u00fcssen verdammt fest verankert sein. Vor mir marschiert Elias, ein Partisan, der seit dem fr\u00fchen Morgen seine Handgranate spazieren f\u00fchrt. Sein Zeigefinger steckt im Ring und wirbelt die Todeskonserve herum wie ein Filmcowboy seinen Colt. Mir steht der Schwei\u00df auf der Stirn. Ich habe ja nichts dagegen, hier im sudanesischen Busch Kriegskorrespondent zu spielen und zu beobachten, wie Neger* und Araber sich gegenseitig umbringen. Aber ich versp\u00fcre wenig Lust, das Opfer eines verspielten Partisanen zu werden.
In Reiseb\u00fcchern hatte ich viel \u00fcber die Gefahren des afrikanischen Busches als gelesen. Da tritt man auf t\u00f6dliche Schlangen, Panther warten hinter Str\u00e4uchern und heimt\u00fcckische Zauberer verhexen ganze Karawanen. Solch aufregende Dinge haben wir nicht erlebt. Nur ein Affe schmi\u00df mir einmal einen Ast in den R\u00fccken. Der wollte scherzen. – Aber Handgranaten haben keinen Humor.
Jetzt kugelt sie \u00fcber den Boden. Ein Befehl hat Elias zusammenfahren lassen. Er steht wie versteinert. Wieder ein Ruf.
\u201eNicht bewegen!\u201c ruft Elias mir zu. Aus dem Geb\u00fcsch treten drei M\u00e4nner mit Maschinenpistolen. Die L\u00e4ufe sind auf unsere Brust gerichtet. Obwohl Elias mir erkl\u00e4rt, da\u00df wir es mit den Wachtposten eines Partisanenlagers zu tun haben, ist mir nicht wohl zu Mute. Bis jetzt sind Kinder und Frauen meistens davongelaufen, weil sie uns Wei\u00dfe f\u00fcr Araber hielten, und ich kann mir lebhaft vorstellen, was passiert, wenn diese jungen Freiheitsk\u00e4mpfer dem gleichen Irrtum unterliegen.
Zum Gl\u00fcck n\u00e4hert sich jetzt auch das Gros unserer Karawane, und Casimiro, der Chef, kann den Posten erkl\u00e4ren, wer wir sind. Trotzdem m\u00fcssen wir mit erhobenen H\u00e4nden bis zu einer Strohh\u00fcte gehen, wo ein Offizier unsere Ausweise kontrolliert.
So erreichen wir endlich das Hauptquartier der \u201e Anya nya\u201c. Diese Namen haben die Freiheitsk\u00e4mpfer sich selbst zugelegt. Er bezeichnet ein t\u00f6dliches Gift. So wollen sie ausdr\u00fccken, da\u00df ihr Kampf bis zur Vernichtung des Gegners gef\u00fchrt wird, bis zum Abzug der Araber, die ihre Herrschaft \u00fcber den S\u00fcdsudan mit Gewalt aufrechterhalten wollen.
Es ist ein grausamer Krieg. Nach Sch\u00e4tzungen der Vereinten Nationen haben die Araber von 1963-1966 mehr als eine halbe Million Neger* get\u00f6tet. Ebenso viele wurden aus ihren D\u00f6rfern vertrieben und irren jetzt als Fl\u00fcchtlinge durch den Busch, gehetzt von den Regierungstruppen, besch\u00fctzt von den Anya nya.
Das Hauptquartier, in dem wir heute angekommen sind, ist ein gro\u00dfes Lager. Etwa f\u00fcnfzig H\u00fctten. \u00dcberall wird exerziert. Es wird gefegt und gewaschen. Wenn die Strohh\u00fctten aus Zement w\u00e4ren, k\u00f6nnte man sich in einer richtigen Kaserne w\u00e4hnen. Als Vorbild gilt die englische Armee. Viele F\u00fchrer der Anya nya dienten einst im \u201e\u00c4quatorial Corps\u201c, einer schwarzen Eliteeinheit des englischen Kolonialheeres.<\/p>

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M\u00e4dchen – Marketenderinnen und K\u00f6chinnen zugleich – bringen uns warmes Wasser in riesigen K\u00fcbeln. Frisch und sauber stellen wir uns dem Chef des Lagers vor. Der Oberst empf\u00e4ngt uns in einer gro\u00dfen H\u00fctte, umgeben von etwa f\u00fcnfzig Offizieren. Wir sind \u00fcberrascht, angenehm \u00fcberrascht. Die Regierung in Khartoum behauptet, die Anya nya seien nur Banditen oder bestenfalls \u201efanatisierte Wilde\u201c, die mordend durchs Land z\u00f6gen. Hier aber stehen wir uniformierten Herren gegen\u00fcber, die gut Englisch sprechen und ihre Ziele sachlich darlegen.
Zun\u00e4chst wollen sie die schwarze Bev\u00f6lkerung gegen den Terror der arabischen Regierungstruppen sch\u00fctzen und den vielen Fl\u00fcchtlingen die M\u00f6glichkeit geben, sich neu anzusiedeln. Auf lange Sicht streben sie die v\u00f6llige Unabh\u00e4ngigkeit des S\u00fcdsudans an. Obwohl die Regierung 18.000 Mann (zwei Drittel ihres Heeres) in den S\u00fcden geschickt hat und nahezu die H\u00e4lfte ihres Haushaltes f\u00fcr diesen Krieg ausgibt, kontrolliert sie nur noch die St\u00e4dte, befestigte Stellungen und gro\u00dfe Verbindungsstra\u00dfen. Im Busch herrschen die Rebellen, die Anya nya. Sie verf\u00fcgen \u00fcber rund 12.000 Mann. Wenn Sie mehr Waffen h\u00e4tten, k\u00f6nnten sie doppelt so stark sein
Es ist sicherlich keine ideale Beruhigungstherapie, wenn man einem den ganzen Tag mit Handgranaten, Maschinenpistolen und Gewehren vor der Nase herumfuchtelt. Vor allem, wenn sie geladen sind und dazu noch entsichert. Eine Panzerfaust scheint mir besonders gewogen zu sein. Der Posten vor meiner H\u00fctte hat sich so geschickt damit aufgestellt, da\u00df ich mir jedes Mal den Kopf daran sto\u00dfe, wenn ich durch den schmalen Ausgang krieche. Die Beule ist bis jetzt meine einzige Kriegsverletzung. Ich bin das Opfer der strengsten aller Guerillaregeln, nie die Waffe aus der Hand zu legen. Hier schl\u00e4ft man sogar damit. Aber warum mu\u00df gerade eine Panzerfaust vor meiner H\u00fctte Wache halten, wo doch die arabischen Panzer sechzehn Kilometer entfernt sind und gar nicht hierher kommen k\u00f6nnen?
\u201eWeil Panzerf\u00e4uste sch\u00f6n sind\u201c, meint Casimiro. \u201eWeil wir stolz auf sie sind. Sie haben viel Blut gekostet.\u201c
Hier werden die Waffen nicht mit Geld erworben. Sie werden mit Blut bezahlt. Man mu\u00df sie k\u00e4mpfend erbeuten. Von allen Freiheitsk\u00e4mpfern sind die Anya nya die einzigen, die von keiner fremden Macht unterst\u00fctzt werden.<\/p>

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Die schwarzen Freiheitsk\u00e4mpfer im S\u00fcdsudan erhalten keine fremde Hilfe. Von den Bauern werden sie mit Nahrung versorgt. Und ihre Waffen erbeuten sie von den Arabern<\/em><\/figcaption><\/figure><\/div>


Ein wenig Hilfe erhalten sie von katholischen Organisationen. Geld, Kleidung, Medikamente. Seit die sudanesische Regierung s\u00e4mtliche Missionare vertrieben und die meisten Kirchen zerst\u00f6rt hat, f\u00fcrchtet man in katholischen Kreisen eine gewaltsame Islamisierung der schwarzen Bev\u00f6lkerung. Nahezu alle F\u00fchrer der Anya nya sind getauft. Am Lagerfeuer m\u00fcssen wir mit ihnen \u00fcber die Unsterblichkeit der Seele diskutieren, \u00fcber das Paradies und die Vor-und Nachteile der christlichen Einehe. Jedes Mal geht es sehr lebhaft zu. Auch Heiden mischen sich ein. Sie wollen wissen, ob es nach diesem Leben ein anderes gibt, und wer von dort zur\u00fcckkam, um es zu verk\u00fcnden.<\/p>

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\u201eWir besiegen den Teufel\u201c<\/strong><\/p>


\u201eIch werde mich nicht taufen lassen\u201c, verk\u00fcndet heute lautstark ein b\u00e4rtiger Riese, der sein Gewehr wie ein kleines Kind in den Armen wiegt. \u201eWenn ich mich taufen lie\u00dfe und sp\u00e4ter in den Himmel k\u00e4me, w\u00fcrde ich keinen meiner Sippe dort antreffen. Heiden ist der Eintritt ins Paradies verboten. Warum nur? Meine Vorfahren konnten doch nicht wissen, da\u00df es einen Erl\u00f6ser gab. Sind sie deshalb schlechtere Menschen? Nein, nach dem Tode will ich mit den Meinen zusammen sein. Wo auch immer. Selbst wenn es dort ebenso schrecklich ist wie hier auf Erden.“
\u201eAlle guten Menschen kommen in den Himmel\u201c, sagt Casimiro. \u201eAuch Heiden.\u201c
\u201eUnd wer entscheidet zwischen Guten und B\u00f6sen?\u201c ruft der b\u00e4rtige Riese. \u201eDie Wei\u00dfen nat\u00fcrlich! Die Christen. Sie h\u00fcten ihren Himmel ebenso eifers\u00fcchtig wie ihren Reichtum. Da d\u00fcrfen nur \u201agute Neger*\u2018 mitmachen, Neger*, deren Seele wei\u00df geworden ist und die sich ihrer Vorfahren sch\u00e4men.\u201c
Wir haben etwas getrunken. Ja, das gibt es auch hier im Busch: selbstgebrautes Bier und Schnaps aus Mais. Der Bauer, der die Getr\u00e4nke aus dem n\u00e4chsten Dorf gebracht hat, mu\u00df aus jedem K\u00fcbel ein Glas trinken, um zu beweisen, da\u00df sie nicht vergiftet sind.
Ich f\u00fcrchte, da\u00df trotzdem berauschende Kr\u00e4uter darin waren, denn ich h\u00f6re mich sagen: \u201eMeine Herren, wie Ihr wi\u00dft, bin ich ein weit gereister Mann. Ich kenne sogar den Himmel und bin auch durch die H\u00f6lle gekommen. \u00dcber alle gibt es Schwarze und Wei\u00dfe, Braune und Gelbe, Menschen aller Religionen. Im Himmel sind alle gleich und leben in Frieden zusammen. In der H\u00f6lle aber benehmen sie sich genau wie hier auf Erden. Jeder glaubt besser zu sein als der andere. Im Namen ihres Gottes oder ihrer Rasse bek\u00e4mpfen sie sich. Nur das Blut, das flie\u00dft, hat die gleiche Farbe. Und am Ende der Schlucht liegt der Teufel auf dem Bauch. Er lacht und s\u00e4uft das Blut, denn nur davon kann er leben – von der Zwietracht der Menschen.\u201c
Es ist still geworden. Nur das Lagerfeuer knistert und ein paar Affen bellen. Der Riese erhebt sich. Hoch \u00fcber mir gl\u00e4nzt sein ernstes Gesicht. Er ergreift meine Schultern, zieht mich hoch und k\u00fc\u00dft mich. Casimiro ist n\u00e4her getreten. Auch er will mein Gesicht mit seinen Lippen ber\u00fchren. Alle stehen auf. Vierzehn Mann. Protestanten, Katholiken und Heiden k\u00fcssen mich der Reihe nach so vorsichtig, als sei ich zerbrechlich und das Ganze eine religi\u00f6se Handlung. Auch Claude Deffarge wird in das Fest der Br\u00fcderlichkeit einbezogen. Die M\u00e4nner umarmen sie. Thimot\u00e9e, der einzige Christ seiner Sippe, weint.<\/p>

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Bei den Fl\u00fcchtlingen im Busch: So wenig sie auch zu essen und zu trinken hatten \u2013 die Schwarzen teilten alles mit Claude Deffarge (Bild) und Gordian Troeller<\/em><\/figcaption><\/figure><\/div>


\u201eWarum d\u00fcrfen Protestanten und Katholiken sich nicht endg\u00fcltig vers\u00f6hnen?\u201c fragt er z\u00f6gernd.
\u201eJa\u201c, ruft Casimiro. \u201eWarum k\u00f6nnen wir Christen nicht in Frieden die gleichen Kinder des gleichen Gottes sein?\u201c
Diese Frage kommt so \u00fcberraschend, da\u00df ich mich wieder setzen mu\u00df. Ich erkl\u00e4re, da\u00df meines Wissens das letzte Konzil ausdr\u00fccklich eine Ann\u00e4herung der Konfessionen empfohlen habe.
Das wei\u00df man auch hier im Busch, aber: \u201eDas gilt nicht f\u00fcr Afrika.\u201c
\u201eWoher wollt ihr das wissen?“
\u201eDie italienischen Missionare haben es uns gesagt. Obwohl sie nach Uganda fliehen mu\u00dften, sind sie immer noch unsere Seelsorger und politischen Berater. In Afrika geht der Kampf um die Seelen weiter, behaupten sie.\u201c
Es ist zum Heulen. Hier k\u00e4mpfen Christen und Heiden gemeinsam f\u00fcr die Freiheit des Glaubens. Aber diese M\u00e4nner, die im Kampf zu Br\u00fcdern wurden, m\u00fcssen zusehen, wie auf h\u00f6herer Ebene die Rivalit\u00e4t zwischen Katholiken und Protestanten ihre Einheit gef\u00e4hrdet. Von den etwa hunderttausend christlichen Seelen des S\u00fcdsudans besitzen die Katholiken den L\u00f6wenanteil und wollen ihn behalten. Das hat nat\u00fcrlich politische Folgen: Nach dem Motto \u201eGeld ist Macht“ verlangen wei\u00dfe Missionare und schwarze Priester – als Gegenleistung f\u00fcr ihre sp\u00e4rliche materielle Unterst\u00fctzung – die politische und milit\u00e4rische F\u00fchrung f\u00fcr die Katholiken.
Dieser religi\u00f6se Starrsinn aus einer \u00fcberlebten Zeit f\u00fchrt langsam zur Spaltung der Freiheitsbewegung. Die Anya nya, die im Innern des Landes die ganze Last des Kampfes tragen, distanzieren sich immer mehr von den politischen F\u00fchrern im Exil und ihren geweihten Geld- und Ratgebern.
Wir hatten geglaubt, da\u00df die sprachlichen und strukturellen Unterschiede der vielen St\u00e4mme, die den S\u00fcdsudan bev\u00f6lkern, die Einheitsbestrebungen am st\u00e4rksten behindern w\u00fcrden. An unserem Lagerfeuer aber sitzen heute Abend Vertreter von sieben verschiedenen St\u00e4mmen. In v\u00f6lliger Eintracht. Die Freiheitsbewegung ist zu einem Schmelztiegel geworden, in dem Jahrhunderte w\u00e4hrende Stammesfehden \u00fcberwunden worden sind.
Das haben die Schwarzen geschafft. Allein. Sobald sie jedoch von Fremden beraten werden, scheint der Teufel die Hand im Spiel zu haben.
\u201eAm Ende der Schlucht liegt er lachend auf dem Bauch und lebt vom Streit der Menschen\u201c, sagt Casimiro mit vertr\u00e4umter Stimme. \u201eHa\u00df und Streit ist der Teufel. Aber du wirst sehen, da\u00df wir ihn im Busch besiegt haben. Du mu\u00dft einem Gottesdienst beiwohnen. Morgen.
Das ist gar nicht so einfach, es gibt nur noch ein paar \u00fcberlebende Geistliche, die, seit ihre D\u00f6rfer und Kirchen zerst\u00f6rt wurden, durch den Busch ziehen und gelegentlich Gottesdienste abhalten. Solch einen m\u00fcssen wir finden. Claude kommt diesmal nicht mit. Wir fahren mit dem Fahrrad durch den Busch, um schneller vorw\u00e4rtszukommen. Die Pfade sind nur zwei Fu\u00df breit, das Gras \u00fcber zwei Meter hoch. Vor mehr radelt ein Partisan mit seiner Maschinenpistole, hinter mir ein Leutnant mit dem sch\u00f6nen Namen Emanuel.
Im ersten Dorf fragen wir, wo ein Prediger zu finden sei.
\u201eAcht Meilen n\u00f6rdlich.“
Dort angekommen, fragen wir wieder. \u201eAcht Meilen westlich\u201c, hei\u00dft es jetzt. Und auch dort schickt man uns wieder \u201eacht Meilen weiter“. Immer wieder acht Meilen. Der scheint das Einheitsma\u00df hier zu sein.
So hasten wir auf R\u00e4dern durch den Busch. Nach der sechzehnten Meile hatte man uns selbstgebranntes Maisbier angeboten. Der Partisan, der noch nichts gegessen hatte, kippte gierig zwei Liter herunter und war prompt betrunken.
\u201eWo sind die Araber?\u201c will ich wissen.
\u201eNicht weit\u201c, lallt er, und schon \u00fcberqueren wir eine ihrer Landstra\u00dfen. Hundert Meter rechts steht ein Panzer. Dahinter ein Dutzend Lastwagen mit Soldaten. Sie m\u00fcssen so verdutzt vom Anblick des radelnden Dreiergespanns sein, da\u00df sie gar nicht ans Schie\u00dfen denken. Erst als wir im Gras auf der anderen Seite der Stra\u00dfe sind, fliegen ein paar Kugeln hinter uns her.<\/p>


\u00dcberall lauern Feinde<\/strong><\/p>


Jetzt wird dies zum Karussell. Wir haben etwa hundert Kilometer zur\u00fcckgelegt und wissen nicht mehr, wo wir sind. In den D\u00f6rfern kann man uns auch nicht sagen, wie wir ins Lager zur\u00fcckkommen. Die Bewohner sind Fl\u00fcchtlinge, die diese Gegend ebenso wenig kennen wie wir. Die ewigen \u201eacht Meilen\u201c haben uns irregef\u00fchrt. Wir schlafen bei einem Zauberer und erhalten ein Huhn. Das erste seit einer Woche. Um uns zu helfen, spricht er mit seinen G\u00f6ttern und bestellte Regen f\u00fcr den n\u00e4chsten Tag. \u201eDann verschwinden die Araber von der Stra\u00dfe.\u201c
Und der Zirkus geht weiter. So jedenfalls kommt es mir vor, wenn ich pl\u00f6tzlich aus dem Geb\u00fcsch heraus in ein Dorf radele, aufgescheuchten Menschen bl\u00f6de zul\u00e4chele und wenige Sekunden sp\u00e4ter wieder wie ein Spuk im Geb\u00fcsch verschwinde.
\u201eAchtung rechts!\u201c
Die Warnung kommt zu sp\u00e4t. Ich radele mitten in eine Herde hinein. Was ich f\u00fcr schwarze Ziegen hielt, entpuppt sich als eine Gruppe nackter M\u00e4dchen, die Wurzeln sammeln. Sie rennen schreiend auseinander. Ich torkele weiter. Mein Partisan ist verschwunden.
„Halt\u201c, schreit er pl\u00f6tzlich hinter mir. Ich halte. Aus dem Transistor meines jetzt n\u00fcchternen Besch\u00fctzers singt Sinatra sein \u201e Strangers in the Night\u201c. Was so ein paar M\u00e4dchen doch zaubern k\u00f6nnen. Seit Tagen ging ich das Ger\u00e4t nicht. Die nackten Damen haben sich mittlerweile beruhigt und wollen mich begr\u00fc\u00dfen. Ich setze mich hin, und sie stellen sich auf.
Pl\u00f6tzlich sprudeln Fragen: \u201e Wie hei\u00dft du? Wie alt bist du? Bist du \u00fcberall wei\u00df – am ganzen K\u00f6rper?\u201c
Ich ziehe mein Hemd aus. Sie kommen z\u00f6gernd n\u00e4her und streicheln mich. Wie zart doch die schwarzen Finger sein k\u00f6nnen.
Zum Gl\u00fcck f\u00e4llt mir ein, sie zu fragen, ob nicht ein Prediger vorbeigekommen sei. Er ist hier, in ihrem Dorf, und wir w\u00e4ren wohl wieder vorbeigefahren – \u201eacht Meilen weiter“ – Spuk auf R\u00e4dern.
Der Gottesdienst ist ergreifend. Da knien Katholiken, Protestanten und Heiden gemeinsam nieder und beten das Vaterunser in einer Sprache, die ich nicht verstehe. Die Heiden summen nur den Rhythmus. Ihre Gesichter – auf die H\u00e4nde gest\u00fctzt, mit denen sie Pfeil und Bogen halten – dr\u00fccken ebenso tiefe Inbrunst aus wie die der Christen.
Um das Dorf herum haben M\u00e4nner mit Pfeilen und Speeren Stellung bezogen. Heiden wachen so \u00fcber den Frieden des Gebets an einen fremden Gott. Wenn ich je einen \u00f6kumenischen Geist gesehen habe, dann hier im afrikanischen Busch. Casimiro hatte Recht: Hier ist der Teufel besiegt.
Aber nur hier im Busch. Im Exil haben die Christen es nicht fertiggebracht, eine geschlossene Front gegen die Offensive des Islam in Afrika zu bilden. Ebenso wenig gibt es eine schwarze Solidarit\u00e4t gegen die nach S\u00fcden dringenden Araber. Die Anya nya stehen ganz allein da. Sie erhalten keine Unterst\u00fctzung von den schwarzen Nachbarstaaten. Uganda macht sogar gemeinsame Sache mit den Arabern.
Wir erleben es, als wir wieder zur\u00fcck wollen, zur\u00fcck nach Uganda, um von dort nach Hamburg zu fliegen. Jeder von uns hat zehn Kilo abgenommen. Es wird Zeit, da\u00df wir heimkommen. Wir m\u00fcssen wieder heimlich die Grenze \u00fcberqueren, genau wie vor sechs Wochen, als wir uns nachts auf verbotenen Pfaden in den Sudan schlichen.
Als wir noch einen Tagesmarsch von der Grenze entfernt sind, treffen wir die ersten Fl\u00fcchtlinge. Es sind Sudanesen. Vor zwei Jahren waren Zehntausende von ihnen vor dem Terror der Araber geflohen und hatten sich in Uganda angesiedelt. Mit Erlaubnis der dortigen Regierung. Jetzt treibt man sie gewaltsam \u00fcber die Grenze zur\u00fcck.
Die Brutalit\u00e4t der Soldaten von Uganda ist ber\u00fcchtigt. Wir treffen verwundete Fl\u00fcchtlinge, deren Verwandte vor ihren Augen erschossen wurden. Einfach so, um andere zur kopflosen Flucht zu bewegen.
Wir erfahren auch, da\u00df die Armee von Uganda uns sucht. Sie will uns fangen und wahrscheinlich umbringen, damit die Welt nicht erf\u00e4hrt, wie grausam ein schwarzer Staat mit schwarzen Fl\u00fcchtlingen umgeht.
Die ugandischen Soldaten meinen es ernst. Sie dringen sogar in den Sudan ein und \u00fcberfallen ein Dorf, das wir vor kaum einer Stunde verlassen haben.
Jetzt macht man regelrecht Jagd auf uns. Vier Tage lang gelingt es uns, immer acht bis zehn Kilometer schneller zu sein als unsere Verfolger. Wir schlafen nicht mehr in D\u00f6rfern, um zu vermeiden, da\u00df man sie am n\u00e4chsten Tag aus Vergeltung zerst\u00f6rt. Unsere Eskorte ist nicht stark genug, um einen Kampf gegen schwer bewaffnete regul\u00e4re Truppen zu f\u00fchren. Erst als wir wieder tief im Innern des Sudans in einem gro\u00dfen Lager der Anya nya ankommen, atmen wir auf.
Wie weiter? Irgendwo heimlich \u00fcber die Grenze nach Uganda zu schl\u00fcpfen, ist unm\u00f6glich.
Wir m\u00fcssen also einen anderen Weg w\u00e4hlen, um aus dem S\u00fcdsudan herauszukommen. Der Norden kommt nicht infrage. Dort stehen die Feinde der Anya nya, die Regierungstruppen des Sudan. Was uns passiert, wenn sie uns fangen, brauchen wir uns nicht erst auszumalen. Es gibt also nur zwei M\u00f6glichkeiten: Entweder wir versuchen uns s\u00fcdostw\u00e4rts nach Kenia durchzuschlagen oder wir fl\u00fcchten uns in den Kongo. Um Kenia zu erreichen, brauchen wir etwa zwei Monate. Im Kongo k\u00f6nnen wir in f\u00fcnf bis sechs Tagen sein. Wir haben nat\u00fcrlich keine Einreisevisa f\u00fcr den Kongo. Aber was bleibt uns \u00fcbrig – f\u00fcr die sechzig Tagesm\u00e4rsche bis nach Kenia fehlt uns der Mut, wahrscheinlich auch die Kraft.<\/p>


Das Ende einer Reportage: Verhaftung, Gef\u00e4ngnis, Flucht<\/strong><\/p>


Nach f\u00fcnf Tagen \u00fcberschreiten wir die Grenze. Wir sind im Kongo. Jetzt brauchen wir uns nur unter den Schutz der kongolesischen Beh\u00f6rden zu stellen, und bald werden wir wieder in Hamburg sein. Um alles ordnungsgem\u00e4\u00df zu machen, schicken wir einen Boten nach Aru, der n\u00e4chsten kongolesischen Stadt. Dort erkl\u00e4rt der Bote unsere Lage – und am Abend geht der Tanz los: Sechzig schwerbewaffnete Soldaten unter F\u00fchrung eines Leutnants und der Chef des Sicherheitsdienstes umzingeln unsere H\u00fctte, nehmen uns gefangen und f\u00fchren uns ab. Wir d\u00fcrfen nicht einmal mehr essen. Unterwegs aber wollen sie alle bewirtet werden. \u201eOhne Bier w\u00e4ren die Soldaten nicht mitgekommen\u201c, erkl\u00e4rt der Chef des Sicherheitsdienstes. \u201eAber wir wollen euch doch richtig besch\u00fctzen.\u201c
In Aru werden wir eingesperrt. Vorher hatte uns der Chef des Sicherheitsdienstes erkl\u00e4rt, wie teuer so eine Gefangenschaft sei, und hundert Dollar eingesteckt. Das war nur der Anfang. Von jetzt an kostet alles viele Dollar. Das Auto, das uns nach Bunia, der Provinzhauptstadt, bringen soll. Das Benzin. Die Verpflegung der Truppen, die uns begleiten. Wir f\u00fcrchten schon, da\u00df man uns so lange festhalten wird, bis wir den letzten Dollar losgeworden sind. Wer soll sich schon um uns k\u00fcmmern? Niemand wei\u00df, da\u00df wir hier sind. Unsere P\u00e4sse sind beschlagnahmt. An Flucht ist nicht zu denken.
In Bunia m\u00fcssen die Dollar wieder herhalten. So einen guten Fang scheint man hier schon lange nicht mehr gemacht zu haben. Als wir erfahren, da\u00df die Polizisten und Beamten schon seit Monaten kein Gehalt mehr bekommen, verstehen wir zwar ihre Geldgier, aber unsere Lage wird dadurch nicht besser.
Wir wandern von einem Gef\u00e4ngnis ins andere. Als wir endlich Kinshasa (L\u00e9opoldville) erreichen, lernen wir das schlimmste Gef\u00e4ngnis von allen kennen. Da sitzen wir mit Huren, Zuh\u00e4ltern, Dieben und geschminkten Homosexuellen in einer Zelle ohne Fenster. Eine Ecke dient als Toilette. Ratten w\u00fchlen dort. Wir stehen im Urin. Wo sollen wir nur schlafen? Wie jemals gesund hier herauskommen? Unser Verbrechen: Wir haben kein Visum – das ist alles. Und wieder rettet uns das Geld. Wir d\u00fcrfen im Freien vor der Zelle schlafen.
Durch Zufall hat ein Belgier gesehen, wie man uns abf\u00fchrte. Er alarmiert Freunde. Sie finden uns und lassen ihre Verbindungen spielen. Unter der Bedingung, da\u00df wir das Land innerhalb von vierundzwanzig Stunden verlassen, l\u00e4\u00dft man uns frei. \u201eEure P\u00e4sse erhaltet ihr am Flugplatz\u201c, hei\u00dft es.
Nat\u00fcrlich sind sie nicht da. Und dort drau\u00dfen auf dem Rollfeld steht die Maschine, die uns aus dieser H\u00f6lle heraus nach Paris fliegen kann.
\u201eWenn ihr jetzt nicht herauskommt, schleppt man euch noch ein paar Wochen durch die Gef\u00e4ngnisse\u201c, sagt unser Freund, der schon zw\u00f6lf Jahre im Kongo lebt. Er wei\u00df, wovon er spricht.
Was tun? – Wir z\u00e4hlen unsere letzten Dollar. Wir tun es so offensichtlich, da\u00df einigen schwarzen Herren das Wasser im Munde zusammenl\u00e4uft. Vielleicht warten sie schon einige Monate auf ihr Gehalt. Wir lassen das Geld auf dem Tisch liegen und gehen einfach durch die Sperre auf die D\u00fcsenmaschine zu. Die zweihundert Meter bis zur Freiheit erscheinen uns l\u00e4nger als der aufreibende Marsch durch den Busch. Wir schwitzen vor Angst – aber niemand h\u00e4lt uns zur\u00fcck.
Sieben Stunden sp\u00e4ter sind wir in Paris. Ohne Geld, ohne Gep\u00e4ck, ohne P\u00e4sse, nur mit den Sachen bekleidet, mit denen wir durch den Busch marschiert sind. Dreckig, zerrissen, verlaust. Trotzdem sind wir gl\u00fccklich, wie nur selten, denn wir leben, wir sind frei.
Jedoch bleibt die Verzweiflung \u00fcber das, was wir gesehen haben: Ein ganzes Volk wird ermordet, ohne da\u00df jene V\u00f6lker, die sich christlich oder zivilisiert nennen, protestieren. Wir haben die Gefahren auf uns genommen, um die Verschw\u00f6rung des Schweigens zu brechen, die sich um diese afrikanische Trag\u00f6die gesponnen hat.<\/p>

*Anmerkung: Der Begriff Neger\/Negerin wird aus dem Originaltext beibehalten. Diese Bezeichnung war damals ohne Abwertung als Fremd- und Selbstzuschreibung gel\u00e4ufig.<\/em><\/p>","protected":false},"excerpt":{"rendered":"

Stern, Heft 17, 23. April 1967 Gordian Troeller und Claude Deffarge gelang es als ersten Reportern zu den Freiheitsk\u00e4mpfern im sudanesischen Busch vorzudringen. Sie begleiteten sie auf der st\u00e4ndigen Flucht vor den arabischen Regierungstruppen, die hier einen grausamen Vernichtungskrieg f\u00fchren, von dem die Welt nichts wei\u00df. \u00dcber eine halbe Million Neger * sind diesem Massaker…<\/p>\n","protected":false},"author":1,"featured_media":62367,"parent":54136,"menu_order":4,"comment_status":"closed","ping_status":"closed","template":"","meta":{"_seopress_robots_primary_cat":"","_seopress_titles_title":"","_seopress_titles_desc":"","_seopress_robots_index":"","footnotes":""},"categories":[628,578],"tags":[],"class_list":["post-54145","page","type-page","status-publish","has-post-thumbnail","hentry","category-afrika","category-suedsudan","entry","has-media"],"_links":{"self":[{"href":"https:\/\/www.troeller-deffarge.com\/wp-json\/wp\/v2\/pages\/54145"}],"collection":[{"href":"https:\/\/www.troeller-deffarge.com\/wp-json\/wp\/v2\/pages"}],"about":[{"href":"https:\/\/www.troeller-deffarge.com\/wp-json\/wp\/v2\/types\/page"}],"author":[{"embeddable":true,"href":"https:\/\/www.troeller-deffarge.com\/wp-json\/wp\/v2\/users\/1"}],"replies":[{"embeddable":true,"href":"https:\/\/www.troeller-deffarge.com\/wp-json\/wp\/v2\/comments?post=54145"}],"version-history":[{"count":5,"href":"https:\/\/www.troeller-deffarge.com\/wp-json\/wp\/v2\/pages\/54145\/revisions"}],"predecessor-version":[{"id":64086,"href":"https:\/\/www.troeller-deffarge.com\/wp-json\/wp\/v2\/pages\/54145\/revisions\/64086"}],"up":[{"embeddable":true,"href":"https:\/\/www.troeller-deffarge.com\/wp-json\/wp\/v2\/pages\/54136"}],"wp:featuredmedia":[{"embeddable":true,"href":"https:\/\/www.troeller-deffarge.com\/wp-json\/wp\/v2\/media\/62367"}],"wp:attachment":[{"href":"https:\/\/www.troeller-deffarge.com\/wp-json\/wp\/v2\/media?parent=54145"}],"wp:term":[{"taxonomy":"category","embeddable":true,"href":"https:\/\/www.troeller-deffarge.com\/wp-json\/wp\/v2\/categories?post=54145"},{"taxonomy":"post_tag","embeddable":true,"href":"https:\/\/www.troeller-deffarge.com\/wp-json\/wp\/v2\/tags?post=54145"}],"curies":[{"name":"wp","href":"https:\/\/api.w.org\/{rel}","templated":true}]}}