{"id":54146,"date":"2017-03-11T14:18:42","date_gmt":"2017-03-11T13:18:09","guid":{"rendered":"http:\/\/www.troeller-deffarge.com\/?page_id=54146"},"modified":"2021-08-02T17:19:09","modified_gmt":"2021-08-02T15:19:09","slug":"blutrausch-am-niger-biafranigeria","status":"publish","type":"page","link":"https:\/\/www.troeller-deffarge.com\/zeitungsreportagen\/aufstande-und-freiheitskampfe\/blutrausch-am-niger-biafranigeria\/","title":{"rendered":"Blutrausch am Niger (Biafra\/Nigeria)"},"content":{"rendered":"

Stern, Heft 41, 8. Oktober 1967<\/em><\/p>

Nigeria – mit 56 Millionen das meistbev\u00f6lkerte Land Afrikas – war das Musterbeispiel der englischen Entkolonialisierung. Es sollte das demokratische Vorbild ganz Afrikas werden. Jetzt tobt dort ein B\u00fcrgerkrieg. Die Provinz Biafra hat sich f\u00fcr unabh\u00e4ngig erkl\u00e4rt. Grausam und blutig vollzieht sich in Nigeria, was allen jungen Staaten in Afrika bevorzustehen droht: die Zerst\u00fcckelung.<\/strong><\/p>

Ich hasse Maschinenpistolen. Eigentlich alles, was schie\u00dft. Besonders wenn die L\u00e4ufe auf meine Brust gerichtet sind und ein schwarzer Soldat seinen Finger \u00fcber dem Abzug kr\u00fcmmt. Dem unausbleiblichen \u201e H\u00e4nde hoch“ kommen wir jedes Mal zuvor, indem wir die Arme hoch rei\u00dfen, bevor die rollenden Augen der uniformierten Waffentr\u00e4ger Angst verraten. Vor dieser Angst f\u00fcrchten wir uns noch mehr als vor den Waffen. Wenn die schwarzen Soldaten in Panik geraten, ist es um uns geschehen. Das wissen wir. Sie haben die Aufgabe, die \u201einnere Front\u201c zu halten, das sind die Stra\u00dfen und Wege, die nach Enugu f\u00fchren, der Hauptstadt von Biafra.
Niemand hat ihnen gesagt, da\u00df Journalisten bis hierher vorsto\u00dfen w\u00fcrden, um \u00fcber den Krieg zwischen der abtr\u00fcnnigen Republik Biafra und Nigeria zu berichten. Sie wissen nur, da\u00df Wei\u00dfe S\u00f6ldner sein k\u00f6nnen. Radio Biafra sagt es jeden Tag. \u201eBringt uns die K\u00f6pfe der S\u00f6ldner“, hei\u00dft es. Und wer kann sp\u00e4ter schon entscheiden, wem diese k\u00f6rperlosen K\u00f6pfe geh\u00f6rten, S\u00f6ldnern oder Journalisten? Kein Wunder, da\u00df wir auf dieser Reise unsere H\u00e4nde \u00f6fter und schneller hochheben als w\u00e4hrend unserer ganzen journalistischen Laufbahn.
Es beginnt an der Grenze. Um nach Biafra zu gelangen, mu\u00df man nach Kamerun fliegen, dort Manf\u00e9 erreichen, eine kleine Stadt im Nordwesten, dann sechzig Kilometer im Jeep zur\u00fccklegen und schlie\u00dflich zu Fu\u00df \u00fcber die Grenze gehen. Mit allem Gep\u00e4ck. So die Arme zu heben ist nicht einfach, besonders wenn man um die Kamera besorgt ist. Aber es hilft nichts. Alles mu\u00df im Nu zu Boden fallen. Dann erst n\u00e4hern sich die Soldaten und tasten uns nach Waffen ab. Abschlie\u00dfend wird auch das Gep\u00e4ck untersucht. Jeder Film, jede Unterhose, jeder Brief. Jungen schwarzen Soldaten zu erkl\u00e4ren, dass Journalisten Notizen machen, ist wahrscheinlich ebenso schwer, wie wei\u00dfen Lesern diesem Krieg klarzumachen. Wir m\u00fcssen alles \u00fcbersetzen und beweisen, dass ein Belichtungsmesser keine Zeitbombe ist und das Teleobjektive nicht schie\u00dfen k\u00f6nnen. Siebzehn Mal zwischen der Grenze und Calabar, einem kleinen Hafen im S\u00fcden des Landes.<\/p>

Augen als Henkersmahlzeit<\/h3>

Dort erhalten wir endlich Papiere, die uns als Journalisten ausweisen und uns erlauben, nach Enugu weiterzureisen, der Hauptstadt Biafras. Vom Kampfwillen der Soldaten hatten wir unterwegs \u00fcberzeugende Kostproben genossen. Jetzt k\u00f6nnen wir auch mit Zivilisten sprechen, sie sind ebenso fanatisch. Vom Taxichauffeur bis zum B\u00fcrgermeister, vom Hotelbesitzer bis zum Hafenarbeiter, alle wollen k\u00e4mpfen, wollen siegen.
Neben der Opferbereitschaft f\u00fchlt man die Angst, eine panische Angst vor dem Feind. \u201eWir m\u00fcssen gewinnen“, hei\u00dft es immer wieder, \u201esonst wird kein Bewohner Biafras am Leben bleiben.“
Das sind dreizehn Millionen Menschen. Ein ganzes Volk scheint hier vor der Ausrottung bedroht zu sein. Einen Vorgeschmack erhielten die M\u00e4nner und Frauen von Biafra im letzten Jahr.
\u201eIn wenigen Tagen wurden im Norden des Landes mehr als drei\u00dfigtausend Biafresen niedergemacht\u201c, erkl\u00e4rt man uns. \u201e Man ri\u00df ihnen die Augen aus und zwang sie, sie zu essen. Man schnitt ihnen die Hoden ab und steckte sie ihnen in den Mund. Dann erst brachte man sie um. Zwei Millionen der Unseren mu\u00dften fliehen, um einem \u00e4hnlichen Schicksal zu entgehen. Es gab keinen Pardon, und es wird keinen geben, falls die Haussa aus dem Norden uns besiegen.\u201c<\/p>

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Verwundete f\u00fcrchten vor allem, in die H\u00e4nde des Feindes zu fallen. In diesem Krieg werden nur selten Gefangene gemacht. Verletzte werden einfach ermordet <\/em><\/figcaption><\/figure>


Man zeigt uns die Fl\u00fcchtlinge von damals. Ihre Wunden sind kaum verheilt. Diese zwei Millionen, die den Terror sahen und sich retten konnten, haben in allen Einzelheiten geschildert, wozu die Haussa des Nordens f\u00e4hig sind. Die Ereignisse in Benin war die letzte Best\u00e4tigung: Nach Biafra hatte sich Ende September auch die Mittelwest-Region Nigerias zu unabh\u00e4ngigen Republik erkl\u00e4rt. Wenige Tage sp\u00e4ter aber marschierten die Haussa-Truppen der Zentralregierung in Benin, der Hauptstadt des neuen Staates, ein. Innerhalb einer Stunde metzelten sie 500 Angeh\u00f6rige des Ibo-Stammes nieder. Seit diesem Blutbad gibt es in Biafra niemanden mehr, der nicht bereit w\u00e4re, lieber k\u00e4mpfend zu sterben, als wehrlos zerhackt zu werden.
Auf keiner unserer Kriegsreportagen haben wir je eine solche Einstimmigkeit gesehen. Es gab immer politische Nuancen, Zauderer und Kompromi\u00dffreudige. Hier aber glaubt ein ganzes Volk in seiner nackten Existenz bedroht zu sein und vereint sich im Kampf und im Ha\u00df.
Junge M\u00e4dchen mit Jagdgewehren kontrollieren unsere Papiere. Sie k\u00f6nne es nicht abwarten, an die Front geschickt zu werden. Ein Soldat wird im Triumph als \u201eKiller\u201c gefeiert, als \u201eM\u00f6rder“. Ein Ehrentitel. Er wird nur in jenen verliehen, die zehn Feindesk\u00f6pfe ins Hauptquartier zur\u00fcckbringen.<\/p>

Jenseits der Grenze lauert der Tod<\/h3>

Wenn man bedenkt, da\u00df Biafra und der Rest von Nigeria noch vor wenigen Monaten einen Staat bildeten, fragt man sich angesichts dieses Hasses, wie es sieben Jahre lang gut gehen konnte.
Nigeria, das war das Musterbeispiel der englischen Entkolonialisierung. Mit 56 Millionen das meist bev\u00f6lkerte Land Afrikas. Auch das reichste, da\u00df industrialisierteste. Dort funktionierte sogar die parlamentarische Demokratie. England war stolz, drei gro\u00dfe und sehr unterschiedliche V\u00f6lker in einer F\u00f6deration zusammengeschlossen zu haben. Drei\u00dfig Millionen Haussa und Fulani im Norden. Zehn Millionen Joruba im S\u00fcdwesten. Dreizehn Millionen Ibo im S\u00fcdosten. Dazu noch einige kleinere St\u00e4mme. Nigeria war die schwarze Perle des Commonwealth. Es sollte das Vorbild Afrikas werden.
Jetzt ist Nigeria ein Beispiel – das Beispiel daf\u00fcr, da\u00df die von den Kolonialm\u00e4chten willk\u00fcrlich geschaffenen L\u00e4nder keine lebensf\u00e4hige Einheiten sein k\u00f6nnen. In Nigeria vollzieht sich blutig, was ganz Afrika bevorstehen mag: die Zerst\u00fcckelung.<\/p>

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In Scharen verlassen die Europ\u00e4er Nigeria. Das \u201edemokratische Musterland Afrikas\u201c versinkt im Blut und Chaos<\/em><\/figcaption><\/figure><\/div>


Wenn man heute in Europa Spanier, Schweden, Polen und Griechen in einem Staat vereinigen k\u00f6nnte, d\u00fcrfte das auch kaum gut gehen. \u00c4hnlich ist man fast \u00fcberall in Afrika vorgegangen. F\u00fcnfzig oder hundert Jahre kolonialer Verwaltung haben nicht gen\u00fcgt, um die ethnischen, religi\u00f6sen und sprachlichen Unterschiede zu verwischen.
Nigeria ist in der Tat das Schulbeispiel: Der Norden wird von einer Reihe von Emiren beherrscht, die religi\u00f6se und politische F\u00fchrung in einer Person vereinigen. Es ist ein feudales System, das sich den mohammedanischen Sultanen des Tschads und Nordkameruns verwandt f\u00fchlt, aber nichts mit den Christen und Animisten des S\u00fcdens gemein hat – au\u00dfer der Kolonialisierung durch England. Die Haussa und Fulani des Nordens sind fanatische Mohammedaner. Sie glauben an ihre rassische \u00dcberlegenheit und f\u00fchlen sich berufen, die Religion des Islam ins schwarze Afrika vorzutragen.
Im S\u00fcdwesten des Landes zeichnen sich die Joruba durch ihre soziale Dynamik aus. Die Geschichte dieses Volkes ist ein langer Kampf gegen die Haussa und Fulani des Nordens, denen es gelang, einen betr\u00e4chtlichen Teil der Joruba zum Islam zu bekehren.
Die Ibo, die den S\u00fcden bev\u00f6lkern – das heutige Biafra – sind zum gro\u00dfen Teil christianisiert. Sie gelten als das flei\u00dfigste das Volk Afrikas, mit seinem verh\u00e4ltnism\u00e4\u00dfig hohen Bildungsgrad und einem kaum zu \u00fcbertreffenden Wissensdurst. W\u00e4hrend der Kolonialzeit rekrutierte England unter ihnen den Gro\u00dfteil seiner Beamten. Nach der Unabh\u00e4ngigkeit wurden sie die Techniker der Armee, die Spezialisten der Ministerien, die Leiter vieler Industrien. Millionen Ibo fluteten \u00fcber die Grenzen ihrer Provinz. Selbst der Norden brauchte sie als Kaufleute, Bankiers, Lehrer und Facharbeiter.
So sieht in gro\u00dfen Z\u00fcgen das Mosaik aus, aus dem Gro\u00dfbritannien glaubte, einen f\u00f6derativen Modellstaat aufbauen zu k\u00f6nnen. Die Haussa und Fulani wollten zun\u00e4chst gar nicht mitmachen. Sie f\u00fcrchteten die flei\u00dfigen und intelligenten M\u00e4nner aus dem S\u00fcden. Mit Recht, denn der Bildungsunterschied ist so gewaltig, da\u00df die Ibo automatisch in die verantwortlichen Stellen aufr\u00fccken mu\u00dften.
Die eigentliche Krise, die zum jetzigen Krieg f\u00fchrte, begann im Januar letzten Jahres. Junge Offiziere aller beteiligten Volksgruppen wollten die traditionellen politischen F\u00fchrer beseitigen, um – wie sie sagten – der Korruption und der Willk\u00fcr ein Ende zu bereiten. Der Putsch mi\u00dflang. General Ironsi, der Chef des Generalstabes, \u00fcbernahm die Staatsgewalt und bestrafte die meuternden Offiziere.
Ungl\u00fccklicherweise war er ein Ibo. Die mohammedanischen Haussa und Fulani des Nordens sahen in diesem Christen aus dem S\u00fcdosten den Feind, der seinem Volk zur Vormachtstellung verhelfen w\u00fcrde. Sie ruhten nicht eher, bis sie ihn ermordet hatten und einer ihrer Offiziere die Macht \u00fcbernahm: Oberstleutnant Gowon.<\/p>


Gleichzeitig machten sie drei\u00dfigtausend Ibo nieder. Ibo-Offiziere und -Soldaten wurden zu Tode gefoltert. Um das Massenmorden zu beenden, sah man sich gezwungen, alle Zivilisten und Soldaten in ihre Heimatsprovinzen zur\u00fcckzuziehen. Besonders f\u00fcr die Ibo war es nicht mehr m\u00f6glich, au\u00dferhalb ihrer eigenen Region zu wohnen, ohne um Leben und Eigentum f\u00fcrchten zu m\u00fcssen.<\/p>

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Damit war die nigerianische F\u00f6deration im Grunde schon zerbrochen. Die am 30. Mai dieses Jahres erfolgte Unabh\u00e4ngigkeitserkl\u00e4rung der s\u00fcd\u00f6stlichen Provinz unter dem Namen Biafra war nur noch die Best\u00e4tigung der un\u00fcberwindlichen ethischen, religi\u00f6sen und weltanschaulichen Differenzen.
Oberstleutnant Gowon sandte seine Truppen – ausschlie\u00dflich Haussa und Fulani -, um die abtr\u00fcnnige Provinz zur R\u00e4son zu bringen. Seither verk\u00fcnden seine Sender und Zeitungen Siege.
Wir sind in Biafra, um den wahren Sachverhalt zu erkunden. Erste Feststellung: Radio Lagos l\u00fcgt. Als zum Beispiel gemeldet wurde, das Calabar und Enugu bombardiert w\u00fcrden, waren wir in diesen St\u00e4dten und haben nichts bemerkt.
Diese Falschmeldungen sind sicherlich nur f\u00fcr den Hausgebrauch bestimmt. Aber die Welt h\u00f6rt mit. Der Gro\u00dfteil der Journalisten sitzt in Lagos. In Biafra sind nur das englische Fernsehen BBC und die franz\u00f6sische Presseagentur AFP vertreten – und mit uns der STERN. Die Verbindungen mit der Au\u00dfenwelt sind nahezu unm\u00f6glich. Deshalb m\u00fcssen wir unterstreichen, da\u00df die Meldungen aus Lagos \u00fcbertrieben oder gar erfunden sind – wenigstens alle, die wir selber kontrollieren konnten.
Wir besuchen zum Beispiel die Nordfront, Oberst Gowon behauptet, auf Enugu zu marschieren. Das stimmt nicht. Die Universit\u00e4tsstadt Nsukka, die seine Truppen im ersten Ansturm genommen hatten, ist jetzt Niemandsland. Die Haussa liegen in kleinen Gruppen zersprengt um Nsukka und werden systematisch vernichtet.
Wir sind dabei. Man macht keine Gefangenen. Es mu\u00df schon ein besonderes \u201emenschlicher\u201c Offizier das Kommando f\u00fchren, um das Leben eines Haussa zu schonen. Neben uns bricht ein Soldat mit einem Bauchschu\u00df zusammen. – \u201eEs ist sch\u00f6n, das Pfeifen der Kugeln zu h\u00f6ren\u201c, ruft uns ein anderer ermunternd zu. \u201eSolange du sie h\u00f6rst, wei\u00dft du, da\u00df du noch am Leben bist.“
Wir wollen es nicht erst ausprobieren und ziehen uns aus dem Kampfgebiet zur\u00fcck. Unsere K\u00f6pfe sollen in den Zeitungen von Lagos nicht als \u201eBeweis\u201c dienen, da\u00df S\u00f6ldner auf Seiten Biafras k\u00e4mpfen. Wei\u00dfe K\u00f6pfe sind heute gefragte Troph\u00e4en. Auf beiden Seiten. Das erschwert unsere Arbeit. Niemand will die Verantwortung f\u00fcr unsere Sicherheit \u00fcbernehmen. Man wei\u00df, da\u00df eigene Soldaten f\u00fcr uns ebenso gef\u00e4hrlich sein k\u00f6nnen wie die feindlichen. Wei\u00dfe Pflanzer wurden gek\u00f6pft, weil man sie f\u00fcr S\u00f6ldner hielt.
In Enugu m\u00fcssen wir hart um Reiseerlaubnis k\u00e4mpfen. Letztlich mu\u00df der fr\u00fchere Milit\u00e4rgouverneur und jetzige Staatschef der jungen Republik pers\u00f6nlich seine Einwilligung geben: Oberst Ojukwu.
Der b\u00e4rtige Offizier, erst 33 Jahre alt, ist die Seele des Aufstandes. Leider aber auch der Einzige, der Entscheidungen f\u00e4llen kann. Obwohl viele Minister, Beamte und Offiziere dank europ\u00e4ischer Universit\u00e4tsausbildung kompetente M\u00e4nner sind, wagt keiner es, Verantwortung zu \u00fcbernehmen. St\u00e4ndig schwirrt eine Schar von Bittstellern um Oberst Ojukwu. Alles h\u00e4ngt an einem Mann. Im Krieg, wo schnelles Handeln entscheidend sein kann, d\u00fcrfte dies ein ernstes Handikap f\u00fcr Biafra sein.
Andere Schwierigkeiten scheint es kaum zu geben. Biafra verf\u00fcgt \u00fcber die Elite der ehemals nigerianischen Armee. Es sind vor allem jene Fachkr\u00e4fte, die w\u00e4hrend der ersten Unruhen in ihre Provinz zur\u00fcckkehren mu\u00dften, und deren Fehlen sich jetzt auf der Gegenseite empfindlich bemerkbar macht. Die Einberufung neuer Rekruten ist n\u00f6tig. Sechzigtausend junge M\u00e4nner haben sich freiwillig gemeldet und werden in einer Miliz zusammengefa\u00dft.<\/p>

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Biafra drillt mit Holzgewehren seine M\u00e4dchen. Sie dr\u00e4ngen fanatisch an die Front, wo es kein Erbarmen im grausamen Kampf der feindlichen St\u00e4mme gibt<\/em><\/figcaption><\/figure><\/div>

Panzerwagen aus Traktoren<\/h3>

Waffen gibt es auch gen\u00fcgend. W\u00e4hrend unseres Aufenthaltes wird Kriegsmaterial im Hafen von Calabar entladen. Drei Schiffe bringen es aus Fernando P\u00f3o, einer spanischen Besitzung vor der nigerianischen K\u00fcste. Es soll sich um israelisches Material handeln. Beute aus dem Sinaifeldzug.
In einem Hotel in Enugu treffen wir Waffenh\u00e4ndler verschiedener Nationalit\u00e4ten. Ihre Transportmaschinen fliegen leichte Waffen direkt von Lissabon nach Enugu.
Noch gibt es keine Rationierung. Falls der Krieg l\u00e4nger dauert, d\u00fcrften Zucker, Milch und Salz knapp werden. Auch Ersatzteile f\u00fcr die vielen Autos werden fehlen. Aber wenn man gesehen hat, wie Biafresen aus Lastwagen und Traktoren kampff\u00e4hige Panzerwagen bauen, wei\u00df man, da\u00df sie sich zu helfen wissen. Auch an Treibstoff wird es nicht fehlen. Sie erzeugen \u00d6l und raffinieren es selbst.
Biafra ist in der Tat der reichste Teil der ehemaligen F\u00f6deration. Allein die \u00d6lproduktion (15 Millionen Tonnen) bringt j\u00e4hrlich 900 Millionen Mark ein. Die Reserven an Kohle und Erdgas versprechen eine gesunde Zukunft.
Das gen\u00fcgt, um die \u201erevolution\u00e4ren\u201c Regierungen Afrikas auf die Barrikaden zu rufen. Algerien, \u00c4gypten, Guinea und Kongo-Brazaville bezichtigen die \u201eImperialisten\u201c, die Erhebung Biafras gewollt zu haben. – \u201eEin kleines Land l\u00e4\u00dft sich leichter manipulieren als eine m\u00e4chtige F\u00f6deration\u201c, sagen sie. \u201eOjukwu ist ein neuer Tschomb\u00e9 und Biafra ein neues Katanga.\u201c
Das stimmt nicht. Katanga war bereits vor der Unabh\u00e4ngigkeit des Kongos die Hochburg – um nicht zu sagen das Eigentum – der belgischen \u201eUnion Mini\u00e8re du Haut Katanga\u201c. Tschomb\u00e9 wurde gezielt von ihr aufgebaut und finanziert, um diese Provinz aus dem kongolesischen Staatsverband zu l\u00f6sen. In Nigeria hingegen bestanden die ethnischen und religi\u00f6sen Voraussetzungen zur Spaltung schon lange vor den massiven internationalen Investitionen. Ibo wurden schon von Haussa get\u00f6tet, als es noch kein \u00d6l gab, und Oberst Ojukwu wurde nicht von fremdem Geld, sondern durch die Einstimmigkeit des Volkes an die Spitze des jungen Staates getragen.
Das ist ein gro\u00dfer Unterschied. Es schlie\u00dft nat\u00fcrlich nicht aus, da\u00df sich auch hier – wie \u00fcberall – internationale Interessen gegen\u00fcberstehen. Ungew\u00f6hnlich ist nur die Gruppierung der Allianzen. Auf nigerianischer Seite stehen die UdSSR und Polen. Auf Seiten Biafras helfen Frankreich und Amerika gemeinsam hinter den Kulissen. Das hat es unter de Gaulle noch nicht gegeben. Die Russen schicken Flugzeuge, die Engl\u00e4nder leichte Waffen. Sie k\u00f6nnen es offiziell tun, denn Nigeria ist nach wie vor der international anerkannte Staat. Aus dem gleichen Grund mu\u00df die amerikanische und franz\u00f6sische Hilfe inoffiziell geleistet werden.<\/p>

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Der 33-j\u00e4hrige Oberst Ojukwu ist der Staatschef der neuen Republik Biafra. Seine Armee k\u00e4mpft mit wilder K\u00fchnheit. Der einzige Bomber der Biafra \u2013 Luftwaffe wagte sich sogar bis Lagos und griff die Hauptstadt der Zentralregierung mit Bomben und Bordwaffen an<\/em><\/p>

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Oberst Ojukwu geh\u00f6rt nicht zu den Revolution\u00e4ren der Dritten Welt. Er ist kein Castro, kein Nasser. Ganz im Gegenteil. Als wir ihn fragen, ob man ihn einen fortschrittlichen oder gar sozialistischen Politiker nennen k\u00f6nnte, wirft er irritiert die Arme in die Luft und ruft: \u201e Nein. Unter keinen Umst\u00e4nden. Wir werden nie nationalisieren. Fremdes Kapital ist hier immer willkommen. Wir werden es mit allen Mitteln sch\u00fctzen.\u201c
Dieser in Oxford erzogene, von Shakespeare und Ludwig XIV. schw\u00e4rmende Offizier ist sicherlich nicht das Werkzeug irgendeiner \u201eimperialistischen Kabale\u201c. Als Sohn eines Million\u00e4rs ist er jedoch ein fanatischer Verfechter der freien Marktwirtschaft – was ihm wenig Sympathien in der Dritten Welt einbringt. Ebenso wenig seine heimlichen Verb\u00fcndeten: Portugal erleichtert ihm Nachrichten-und Flugverbindungen nach Europa und liefert Waffen \u00fcber private H\u00e4ndler. Spanien gibt Landeerlaubnis f\u00fcr Schiffe und Flugzeuge mit Kriegsmaterial. S\u00fcdafrika soll Geld gegen Konzessionsversprechen zur Verf\u00fcgung gestellt haben.<\/p>

Gemeinsam, aber unabh\u00e4ngig<\/h3>

Diese Bindungen m\u00f6gen aus Not geboren sein. In den Augen der afrikanischen Staaten machen sie Oberst Ojukwu verd\u00e4chtig, und niemand d\u00fcrfte Biafra anerkennen, bevor es nicht einen entscheidenden Sieg davongetragen hat. Im \u00dcbrigen haben alle afrikanischen Nationen innere Schwierigkeiten mit ethnischen und religi\u00f6sen Minderheiten. Sie k\u00f6nnen Biafras Alleingang nicht guthei\u00dfen, ohne separatistische Tendenzen im eigenen Land zu ermutigen.
Um diese Bef\u00fcrchtungen zu zerstreuen, ist Oberst Ojukwu sehr vorsichtig in der Formulierung seiner Ziele. Er will zwar die Unabh\u00e4ngigkeit Biafras, schl\u00e4gt aber gleichzeitig eine neue Form der Verbindung mit dem \u00fcbrigen Nigeria vor: \u201eEine Art Benelux\u201c, erkl\u00e4rt er. \u201eZollunion, gemeinsame Verkehrs- und Wirtschaftspolitik. Wir wollen den Norden nicht aushungern. Wir bemitleiden die Haussa und wollen ihnen helfen, sich zu entwickeln. Wir sprechen ihnen nur das Recht ab, uns zu unterdr\u00fccken.\u201c
Das wird alles mit einem perfekten Oxford-Akzent gesagt. Bestimmt, gelassen, souver\u00e4n. Dieser Mann hat sicherlich das Zeug zum F\u00fchrer einer Nation. Seine gro\u00dfe Popularit\u00e4t ist kein Zufall, sie ist auch nicht die Kristallisierung des kollektiven Hasses gegen die Haussa. Und wenn er uns sagt, dass er seinen Streit mit Nigeria nicht im Rahmen des Commonwealth, sondern innerhalb der \u201eOrganisation der Afrikanischen Einheit\u201c diskutieren m\u00f6chte, macht er einen geschickten Schachzug, indem er bewu\u00dft die sprichw\u00f6rtliche Eitelkeit der afrikanischen Staatsm\u00e4nner anspricht.<\/p>

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Biafras Staatschef Odumegwu Ojukwu (hier im Gespr\u00e4ch mit Sternmitarbeiterin Claude Deffarge) will sich so lange den Bart stehen lassen, wie im Land die Krise herrscht<\/em><\/figcaption><\/figure><\/div>


W\u00e4hrend wir uns unterhalten, schleichen hohe Offiziere und Beamte um uns herum. Jeder hat etwas auf dem Herzen und w\u00fcnscht dringend, da\u00df wir verschwinden. Wir haben den Eindruck, da\u00df selbst wenn die nigerianischen Truppen im Anmarsch w\u00e4ren, niemand sie aufhalten w\u00fcrde ohne die ausdr\u00fcckliche Genehmigung des Obersten. Wenn dieser Mann verschwindet, d\u00fcrfte Biafra schweren Stunden entgegengehen. Eine Bombe w\u00fcrde gen\u00fcgen, um den Regierungspalast zu zerst\u00f6ren – und alle die darin sind. Er liegt einsam auf einem H\u00fcgel. Ein ideales, nicht zu verfehlen des Ziel. Ohne ein einziges Abwehrgesch\u00fctz.
Glauben Sie nicht, da\u00df die russischen MiGs den Krieg letztlich zu Gunsten Nigerias entscheiden?\u201cfragen wir.
\u201eKein Nigerianer kann diese Maschinen fliegen\u201c, meinte er. \u201eRussische Piloten w\u00fcrden den Konflikt internationalisieren. Dann k\u00f6nnten auch wir mit massiver Hilfe rechnen.\u201c
\u201eEs brauchen nicht Russen zu sein. S\u00f6ldner gen\u00fcgen \u2026“
Er macht eine vage Handbewegung. Vielleicht denkt er daran, da\u00df sein einziger Bomber auch von einem Ausl\u00e4nder geflogen wird, von einem Franzosen. Wir haben den Piloten jeden Abend an der Bar des Hotels gesehen. Vom Einsatz zur\u00fcck. V\u00f6llig betrunken. \u201eSchon wieder zwanzig Leute umgebracht\u201c, lallte er.
Es fliegt eine alte B 26 mit hausgemachten Bomben aus Kugellagern, Glasscherben, Pulver und Z\u00fcnder. Sie zerst\u00f6ren nicht viel – aber sie t\u00f6ten. – \u201eDie armen Opfer \u201c, murmelte er. \u201eWarum tu‘ ich das nur?\u201c
Ein sentimentaler S\u00f6ldner, der seine Gewissensbisse im Alkohol ertr\u00e4nkt. \u00c4hnliche d\u00fcrfte auch Nigeria finden. F\u00fcr 1000 Pfund (11.000 Mark) im Monat.
Da\u00df auch Oberst Ojukwu so denkt, entdecken wir durchs Fenster. Drau\u00dfen im Garten werden in aller Eile Sch\u00fctzengr\u00e4ben ausgehoben. Da die Front weit entfernt ist, kann es sich nur um Unterst\u00e4nde handeln.
Aber was auch geschieht – selbst wenn die MiGs Biafra verw\u00fcsten und Oberst Ojukwu verschwindet, die F\u00f6deration Nigeria ist tot. Der Kampf wird weitergehen oder bei der ersten Gelegenheit wieder aufflackern. Auf Ha\u00df und Mord kann man keine Nation aufbauen.<\/p>","protected":false},"excerpt":{"rendered":"

Stern, Heft 41, 8. Oktober 1967 Nigeria – mit 56 Millionen das meistbev\u00f6lkerte Land Afrikas – war das Musterbeispiel der englischen Entkolonialisierung. Es sollte das demokratische Vorbild ganz Afrikas werden. Jetzt tobt dort ein B\u00fcrgerkrieg. Die Provinz Biafra hat sich f\u00fcr unabh\u00e4ngig erkl\u00e4rt. Grausam und blutig vollzieht sich in Nigeria, was allen jungen Staaten in…<\/p>\n","protected":false},"author":1,"featured_media":62339,"parent":54136,"menu_order":5,"comment_status":"closed","ping_status":"closed","template":"","meta":{"_seopress_robots_primary_cat":"","_seopress_titles_title":"","_seopress_titles_desc":"","_seopress_robots_index":"","footnotes":""},"categories":[628,630],"tags":[],"class_list":["post-54146","page","type-page","status-publish","has-post-thumbnail","hentry","category-afrika","category-nigeria","entry","has-media"],"_links":{"self":[{"href":"https:\/\/www.troeller-deffarge.com\/wp-json\/wp\/v2\/pages\/54146"}],"collection":[{"href":"https:\/\/www.troeller-deffarge.com\/wp-json\/wp\/v2\/pages"}],"about":[{"href":"https:\/\/www.troeller-deffarge.com\/wp-json\/wp\/v2\/types\/page"}],"author":[{"embeddable":true,"href":"https:\/\/www.troeller-deffarge.com\/wp-json\/wp\/v2\/users\/1"}],"replies":[{"embeddable":true,"href":"https:\/\/www.troeller-deffarge.com\/wp-json\/wp\/v2\/comments?post=54146"}],"version-history":[{"count":5,"href":"https:\/\/www.troeller-deffarge.com\/wp-json\/wp\/v2\/pages\/54146\/revisions"}],"predecessor-version":[{"id":64088,"href":"https:\/\/www.troeller-deffarge.com\/wp-json\/wp\/v2\/pages\/54146\/revisions\/64088"}],"up":[{"embeddable":true,"href":"https:\/\/www.troeller-deffarge.com\/wp-json\/wp\/v2\/pages\/54136"}],"wp:featuredmedia":[{"embeddable":true,"href":"https:\/\/www.troeller-deffarge.com\/wp-json\/wp\/v2\/media\/62339"}],"wp:attachment":[{"href":"https:\/\/www.troeller-deffarge.com\/wp-json\/wp\/v2\/media?parent=54146"}],"wp:term":[{"taxonomy":"category","embeddable":true,"href":"https:\/\/www.troeller-deffarge.com\/wp-json\/wp\/v2\/categories?post=54146"},{"taxonomy":"post_tag","embeddable":true,"href":"https:\/\/www.troeller-deffarge.com\/wp-json\/wp\/v2\/tags?post=54146"}],"curies":[{"name":"wp","href":"https:\/\/api.w.org\/{rel}","templated":true}]}}