{"id":54146,"date":"2017-03-11T14:18:42","date_gmt":"2017-03-11T13:18:09","guid":{"rendered":"http:\/\/www.troeller-deffarge.com\/?page_id=54146"},"modified":"2021-08-02T17:19:09","modified_gmt":"2021-08-02T15:19:09","slug":"blutrausch-am-niger-biafranigeria","status":"publish","type":"page","link":"https:\/\/www.troeller-deffarge.com\/zeitungsreportagen\/aufstande-und-freiheitskampfe\/blutrausch-am-niger-biafranigeria\/","title":{"rendered":"Blutrausch am Niger (Biafra\/Nigeria)"},"content":{"rendered":"
Stern, Heft 41, 8. Oktober 1967<\/em><\/p> Nigeria – mit 56 Millionen das meistbev\u00f6lkerte Land Afrikas – war das Musterbeispiel der englischen Entkolonialisierung. Es sollte das demokratische Vorbild ganz Afrikas werden. Jetzt tobt dort ein B\u00fcrgerkrieg. Die Provinz Biafra hat sich f\u00fcr unabh\u00e4ngig erkl\u00e4rt. Grausam und blutig vollzieht sich in Nigeria, was allen jungen Staaten in Afrika bevorzustehen droht: die Zerst\u00fcckelung.<\/strong><\/p> Ich hasse Maschinenpistolen. Eigentlich alles, was schie\u00dft. Besonders wenn die L\u00e4ufe auf meine Brust gerichtet sind und ein schwarzer Soldat seinen Finger \u00fcber dem Abzug kr\u00fcmmt. Dem unausbleiblichen \u201e H\u00e4nde hoch“ kommen wir jedes Mal zuvor, indem wir die Arme hoch rei\u00dfen, bevor die rollenden Augen der uniformierten Waffentr\u00e4ger Angst verraten. Vor dieser Angst f\u00fcrchten wir uns noch mehr als vor den Waffen. Wenn die schwarzen Soldaten in Panik geraten, ist es um uns geschehen. Das wissen wir. Sie haben die Aufgabe, die \u201einnere Front\u201c zu halten, das sind die Stra\u00dfen und Wege, die nach Enugu f\u00fchren, der Hauptstadt von Biafra. Dort erhalten wir endlich Papiere, die uns als Journalisten ausweisen und uns erlauben, nach Enugu weiterzureisen, der Hauptstadt Biafras. Vom Kampfwillen der Soldaten hatten wir unterwegs \u00fcberzeugende Kostproben genossen. Jetzt k\u00f6nnen wir auch mit Zivilisten sprechen, sie sind ebenso fanatisch. Vom Taxichauffeur bis zum B\u00fcrgermeister, vom Hotelbesitzer bis zum Hafenarbeiter, alle wollen k\u00e4mpfen, wollen siegen.
Niemand hat ihnen gesagt, da\u00df Journalisten bis hierher vorsto\u00dfen w\u00fcrden, um \u00fcber den Krieg zwischen der abtr\u00fcnnigen Republik Biafra und Nigeria zu berichten. Sie wissen nur, da\u00df Wei\u00dfe S\u00f6ldner sein k\u00f6nnen. Radio Biafra sagt es jeden Tag. \u201eBringt uns die K\u00f6pfe der S\u00f6ldner“, hei\u00dft es. Und wer kann sp\u00e4ter schon entscheiden, wem diese k\u00f6rperlosen K\u00f6pfe geh\u00f6rten, S\u00f6ldnern oder Journalisten? Kein Wunder, da\u00df wir auf dieser Reise unsere H\u00e4nde \u00f6fter und schneller hochheben als w\u00e4hrend unserer ganzen journalistischen Laufbahn.
Es beginnt an der Grenze. Um nach Biafra zu gelangen, mu\u00df man nach Kamerun fliegen, dort Manf\u00e9 erreichen, eine kleine Stadt im Nordwesten, dann sechzig Kilometer im Jeep zur\u00fccklegen und schlie\u00dflich zu Fu\u00df \u00fcber die Grenze gehen. Mit allem Gep\u00e4ck. So die Arme zu heben ist nicht einfach, besonders wenn man um die Kamera besorgt ist. Aber es hilft nichts. Alles mu\u00df im Nu zu Boden fallen. Dann erst n\u00e4hern sich die Soldaten und tasten uns nach Waffen ab. Abschlie\u00dfend wird auch das Gep\u00e4ck untersucht. Jeder Film, jede Unterhose, jeder Brief. Jungen schwarzen Soldaten zu erkl\u00e4ren, dass Journalisten Notizen machen, ist wahrscheinlich ebenso schwer, wie wei\u00dfen Lesern diesem Krieg klarzumachen. Wir m\u00fcssen alles \u00fcbersetzen und beweisen, dass ein Belichtungsmesser keine Zeitbombe ist und das Teleobjektive nicht schie\u00dfen k\u00f6nnen. Siebzehn Mal zwischen der Grenze und Calabar, einem kleinen Hafen im S\u00fcden des Landes.<\/p>Augen als Henkersmahlzeit<\/h3>
Neben der Opferbereitschaft f\u00fchlt man die Angst, eine panische Angst vor dem Feind. \u201eWir m\u00fcssen gewinnen“, hei\u00dft es immer wieder, \u201esonst wird kein Bewohner Biafras am Leben bleiben.“
Das sind dreizehn Millionen Menschen. Ein ganzes Volk scheint hier vor der Ausrottung bedroht zu sein. Einen Vorgeschmack erhielten die M\u00e4nner und Frauen von Biafra im letzten Jahr.
\u201eIn wenigen Tagen wurden im Norden des Landes mehr als drei\u00dfigtausend Biafresen niedergemacht\u201c, erkl\u00e4rt man uns. \u201e Man ri\u00df ihnen die Augen aus und zwang sie, sie zu essen. Man schnitt ihnen die Hoden ab und steckte sie ihnen in den Mund. Dann erst brachte man sie um. Zwei Millionen der Unseren mu\u00dften fliehen, um einem \u00e4hnlichen Schicksal zu entgehen. Es gab keinen Pardon, und es wird keinen geben, falls die Haussa aus dem Norden uns besiegen.\u201c<\/p>