{"id":54226,"date":"2017-03-11T16:19:31","date_gmt":"2017-03-11T15:19:31","guid":{"rendered":"http:\/\/www.troeller-deffarge.com\/?page_id=54226"},"modified":"2021-08-02T17:02:21","modified_gmt":"2021-08-02T15:02:21","slug":"in-costa-rica-und-panama","status":"publish","type":"page","link":"https:\/\/www.troeller-deffarge.com\/zeitungsreportagen\/mittelamerika\/in-costa-rica-und-panama\/","title":{"rendered":"In Costa Rica und Panama"},"content":{"rendered":"
Zwischen Kennedy und Castro<\/p>\n
Stern, Heft 22, 28. Mai 1961<\/em><\/p>\n Carlos hatte zwei Beine, zwei Arme, eine Nase, zwei Augen. Er hatte richtige Ohren und f\u00fcnf Finger an jeder Hand. Auch seine Kleidung war wie die der anderen. Ein verschwitztes Hemd, zerfranste Hosen, ein Strohhut f\u00fcr sechzig Pfennig und zwei spitze Schuhe ohne Schn\u00fcrsenkel. Und doch hatte er irgend etwas, das ihn auffallen lie\u00df. Er sprach sicherer, er lachte lauter, sa\u00df bequemer. \u2013 Er hatte Geld. <\/em><\/strong><\/p>\n Beamtenh\u00e4user der United Fruit Company. Siedlung in der amerikanischen Bananengesellschaft schieben sich bis in den Urwald vor<\/em><\/strong><\/p>\n Carlos kann sie auch nicht leiden, obwohl er f\u00fcr sie arbeitet – oder gerade deshalb. Jedenfalls schreit er am Schlu\u00df seiner Erkl\u00e4rungen: \u201eGlaubt ihr denn, ich k\u00f6nnte mit einem Gringo saufen? W\u00fcrdest du, Carmen, mit einem Gringo gehen?\u201c Jedes Mal, wenn wir im Zentrum von Panama-City auch nur hundert Meter von der Hauptstra\u00dfe abkamen, liefen M\u00e4nner hinter uns her und warnten: \u201eHier d\u00fcrfen Sie nicht weitergehen, das Elend ist gro\u00df, und die Messer sitzen locker.\u201c In diesen Vierteln wohnen fast ausschlie\u00dflich Neger*<\/em><\/strong><\/p>\n Millionen Frauen aus dem Volk sind nicht verheiratet, trotz Missionaren und Kirche. Der Hunger ist st\u00e4rker. Sie leben mit einem Mann und haben Kinder von ihm, bis er sie nicht mehr ern\u00e4hren kann. Dann gehen sie zu einem andern und haben Kinder mit dem. Und so geht es weiter. Sollen diese Menschen ein Familiengef\u00fchl kennen wie wir? Au\u00dfer einem Anzug, ein paar T\u00f6pfen, drei Messern und einem Bett wissen sie auch nicht, was Besitz ist. Sollen sie da unser Prinzip des Eigentums verteidigen? Und wenn sie Arbeit finden, rentiert es sich nicht. Es gen\u00fcgt kaum zum Sattwerden. Sollen sie da zu unserem Ethos der Arbeit stehen? Bei 40\u00b0 im Schatten sind H\u00e4user zu hei\u00df. Man schl\u00e4ft in H\u00e4ngematten, durch die der Wind weht<\/em><\/strong><\/p>\n \u201eDer geh\u00f6rt auch der \u201aUnited Fruit\u2019\u201c, erkl\u00e4rt Carlos jedesmal, als sei es eine fixe Idee. \u201eDie Gringos verstehen was von Organisation. Sie lassen uns arbeiten und zahlen gerade genug, da\u00df wir essen k\u00f6nnen. Dann verkaufen sie uns das Essen – und verdienen daran. Sagt mir, ist das gerecht? Glaubst Du, einer von uns d\u00fcrfte hier einen Laden aufmachen? Nur au\u00dferhalb der Plantage. In Villa Neily zum Beispiel. Deshalb gehen wir auch immer dorthin, wenn wir uns am\u00fcsieren wollen.“ <\/em><\/strong><\/p>\n Am Wochenende wird getrunken, bis man vom Pferd f\u00e4llt. Es gibt nur diesen Weg, dem Elend zu entfliehen<\/em><\/strong><\/p>\n Carlos f\u00fchrt mich von einer Bar in die andere. \u00dcberall trifft er Bekannte. Solange sie nicht betrunken sind, zeigen sie ihm einen gewissen Respekt. Junge Banden machen Panama-City unsicher. Arbeitslosigkeit ohne Unterst\u00fctzung \u201eKomm, Amigo, tanz mit mir.“ Eine der beiden Frauen, sie hei\u00dft Maria, zieht mich vor die Juke-Box. \u201eWillst du mit mir gehen?“ Wer ein Gangster werden will, \u00fcbt sich bei Zeiten. Als der Morgen graut, versuche ich Carlos auf die Beine zu bringen. Er klappt zusammen. Marie fa\u00dft mit an. Sie kennt den Weg. Wir schleppten ihn aus der T\u00fcr um die n\u00e4chste Ecke, bis zum Baseballfeld, das wie ein Schlachtfeld aussieht nach dem Kampf. Wir legen Carlos auf die Erde. Was soll ich jetzt tun? Mich betrinken, wie diese M\u00e4nner? Ich lege mich ins Gras und schlie\u00dfe die Augen. Wer leben will ist Kommunist<\/strong><\/p>\n Ein Chef, der diese Situation geschickt ausnutzt, hat Aussichten, die hei\u00df umstrittene Pr\u00e4mie zu verdienen. Es gen\u00fcgt zum Beispiel, einem Mann mehrere Tage keine Arbeit zu geben, um ihn gef\u00fcgig zu machen, unter dem garantierte Stundenlohn zu arbeiten, oder man ruft seine Leute zusammen und sagt: \u201eDieses St\u00fcck Wald mu\u00df gerodet werden. Wieviel wollt ihr daf\u00fcr?“ Die M\u00e4nner nennen ihre Preise. Wer am wenigsten verlangt, darf arbeiten. – So kann ein Capataz sparen und f\u00fcr wenig Geld viel leisten. <\/strong><\/em><\/p>\n Mein Nachbar zieht mich aus meinen Tr\u00e4umereien. Ein dicker eleganter Herr, der sich schon die ganze Zeit beschwert, da\u00df man im Flugzeug keine Zigarren rauchen darf. \u00a0 \u00a0 <\/p>\n Der Knigge der Indianer<\/strong> verlangt von der Frau, da\u00df sie immer stumm und bescheiden hinter ihrem Mann bleibt. Sei es im Urwald, in den Bergen oder in der Stadt, der G\u00e4nsemarsch geh\u00f6rt zum guten Ton. B\u00f6se Zungen behaupten, die Indianer von Chiriqui in Nordpanama h\u00e4tten diese Sitte geschaffen, um auf den langen M\u00e4rschen nicht das Geschnatter ihrer Frauen anh\u00f6ren zu m\u00fcssen. Besonders wenn man aus der Stadt kommt und die Gesch\u00e4fte bewundert hat, gibt es so viel zu erz\u00e4hlen. Und wie soll man sagen k\u00f6nnen: \u201eDieser Hut, dieser Schal gef\u00e4llt mir \u2013 warum kaufst du mir nicht das sch\u00f6ne Kleid?\u201c, wenn man immer nur \u00fcber die Schulter blicken darf und dann wieder kehrt machen mu\u00df und brav dahertrippeln wie der Mann es befiehlt<\/em><\/p>\n *Anmerkung: Der Begriff Neger\/Negerin wird aus dem Originaltext beibehalten. Diese Bezeichnung war damals ohne Abwertung als Fremd- und Selbstzuschreibung gel\u00e4ufig.<\/i><\/p>\n","protected":false},"excerpt":{"rendered":" Zwischen Kennedy und Castro Stern, Heft 22, 28. Mai 1961 Carlos hatte zwei Beine, zwei Arme, eine Nase, zwei Augen. 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\n\u201eVierundzwanzig Dollar und drei\u00dfig Cent\u201c, sagt er und schielt zu den Frauen hin\u00fcber, die gelangweilt aus den Fenstern des fahrenden Zuges schauen. \u201eDamit kann ich sie mir alle kaufen. Wieviel sind es?\u201c Er z\u00e4hlt langsam. \u201eSieben in diesem Wagen. Wenn du das mit drei multiplizierst \u2013 denn in den \u00fcbrigen Wagen sind sicher ebenso viele – dann macht das einundzwanzig. Stimmt\u2019s? Wieviel Geld bleibt mir also \u00fcbrig?\u201c
\n\u201eKenn‘ ich euer Leben?\u201c
\n\u201eDu willst es doch kennenlernen. Also: wenn ich gro\u00dfz\u00fcgig bin, bleiben mir drei Dollar und drei\u00dfig Cent. Wenn ich handle oder bis Montag warte, wenn die andern alles versoffen haben, kostet mich der Spa\u00df h\u00f6chstens zehn Dollar f\u00fcnfzig Cent.\u201c
\n\u201eErz\u00e4hle mir lieber, wie du das Geld beim Hahnenkampf gewonnen hast\u201c, sage ich, um ihn vom Thema abzubringen.
\n\u201eJetzt kommt der feine Herr wieder raus. Du bist hier nicht in Europa oder in einem Luxushotel. Du bist hier mit einem Bananenschlepper im Zug der Bananenfirma in Gesellschaft von billigen Bananenm\u00e4dchen.\u201c
\n\u201eDas ist zu viel f\u00fcr einen Gringo (Amerikaner)\u201c, sagt eine junge Frau, die hinter uns sitzt. \u201eGringos brauchen parf\u00fcmierte R\u00f6cke.\u201c
\n\u201eEr ist kein Gringo. Er ist mein Freund!\u201c sagt Carlos und erkl\u00e4rt umst\u00e4ndlich, wie wir uns vor drei Tagen in Golfito getroffen haben.
\nGolfito ist ein kleiner Hafen im S\u00fcden von Costa Rica. Er geh\u00f6rt der \u201eUnited Fruit Company\u201c, genau wie der Zug, in dem wir sitzen.
\nDiese amerikanische Gesellschaft, einer der m\u00e4chtigsten Konzerne der Welt, besch\u00e4ftigt sich haupts\u00e4chlich mit Bananenanbau und -handel. In allen L\u00e4ndern Mittelamerikas besitzt sie St\u00e4dte, H\u00e4fen, Eisenbahnen und riesige Bananenplantagen mit D\u00f6rfern und Arbeitslagern. \u00dcberall hier ist sie ein Staat im Staate. Ihre Macht ist so gro\u00df, da\u00df sie in den meisten L\u00e4ndern die Politik bestimmt. Wenn die Menschen in Mittelamerika von \u201eamerikanischem Imperialismus\u201c sprechen, dann denken sie zun\u00e4chst an die \u201eUnited Fruit\u201c.<\/p>\n
\n\u201eDu arbeitest ja auch f\u00fcr die Amerikaner\u201c, sagt die Frau.
\nCarlos bleibt einen Moment sprachlos. \u201eDu hast recht\u201c, meint er dann, \u201ewenn\u2019s ums Fressen geht, k\u00f6nnen wir nicht w\u00e4hlerisch sein. \u2013 Das erinnert mich an Liz, die kleine Mulattin aus Panama. Ein Amerikaner war verr\u00fcckt nach ihr. Verstehst du, er mu\u00dfte sie einfach haben. Und wenn ein Gringo was will, dann kriegt er\u2019s. Mit dem Geld. F\u00fcr f\u00fcnf Dollar am Tag wollte er sie ausschlie\u00dflich f\u00fcr sich. F\u00fcnf Dollar ist viel Geld. Viel mehr als ein Mann verdient. Und das f\u00fcr eine Frau. Du siehst die Situation?\u201c
\n\u201eIch kenne die Geschichte\u201c, sagt Carmen gelangweilt. ,,Ein Neger* verliebt sich in Liz und sie sich in ihn. Vier Monate lang sparen sie die f\u00fcnf Dollar des Gringos, um auszuwandern und zu heiraten. Als er es entdeckt, l\u00e4\u00dft er den Neger* von den Plantagen jagen. Liz schl\u00e4gt er so lange, bis sie ein Auge verliert und ihm sagt, wo das Geld versteckt ist. Dann nimmt er seine Dollar und l\u00e4\u00dft Liz nach Panama abschieben. Schlu\u00df der Geschichte.\u201c
\n\u201eNein\u201d, ereifert sich Carlos, \u201edu hast meinem Freund nicht gesagt, da\u00df Liz nie das verweigerte, wof\u00fcr der Gringo bezahlte. Das ist das Wichtigste. Er hatte kein Recht, das Geld zu nehmen und sie zum Kr\u00fcppel zu schlagen.\u201c
\n\u201eWarum machst du es nicht wie Liz und der Neger*?\u201c frage ich Carlos. \u201eWarum sparst du nicht das Geld, das du gewonnen hast? Soviel verdienst du nicht in einer Woche.\u201c
\n\u201eDenk doch einen Moment nach, dann merkst du, wie sinnlos deine Frage ist. Liz und der Neger* hatten ein festes Einkommen. Sie konnten Pl\u00e4ne schmieden, weil sie wu\u00dften: Jeden Tag gibt es f\u00fcnf Dollar mehr. Das macht im Monat hundertf\u00fcnfzig, im Jahr fast zweitausend. Damit kann man sein Leben \u00e4ndern. Man hat eine Zukunft. Verstehst du?\u201c Er schreit es fast heraus: \u201eWeil ich keine Zukunft habe, kann ich nicht sparen! Soll ich meine vierundzwanzig Dollar und drei\u00dfig Cent einbuddeln? Es kommt doch nie etwas dazu. Und wenn, dann nur aus Zufall. Nicht, weil ich es einrichten kann. \u2013 Sparst du Carmen?\u201c
\n\u201eWovon? Von den paar Dollar, die ihr mir gebt, mu\u00df ich meinen drei Kindern zu essen geben. Die \u00e4lteste ist jetzt gro\u00df genug, um mir bei der Arbeit zu helfen. Sie ist nicht h\u00fcbsch. Aber Gott sei Dank macht das hier nichts aus.\u201c
\nNichts in der Stimme der Frau verr\u00e4t Erregung oder Gram, sie klingt auch nicht vulg\u00e4r oder zynisch. Carmen spricht schlicht von ihrem Leben, wie ein Schreiner oder Schuster es tun k\u00f6nnte.
\nDer pr\u00fcde Leser wird sich fragen, warum ich ihn gerade unter Prostituierte und Arbeiter f\u00fchre, um ihm Mittelamerika zu zeigen. Die Antwort ist einfach: Weil d a s\u00a0 Mittelamerika ist. Die erdr\u00fcckende Mehrheit lebt so, sei es auf Bananenfeldern, auf dem Lande oder in den Vororten der St\u00e4dte. Man k\u00f6nnte sie nat\u00fcrlich einfach statistisch erfassen und sagen, es gibt soundso viel Millionen elende, betrunkene, erb\u00e4rmliche Menschen.
\nAber wie sehen sie aus? Wir wissen ja gar nicht, welche erschreckend fremde Welt die Armut ist. Aber wir werden uns mit ihr bekannt machen m\u00fcssen, denn aus drei Erdteilen wird sie immer lauter an unsere T\u00fcren klopfen. Ihre Sprache ist nicht die unsere. Ihre Begriffe sind nicht vergleichbar. Wie sagte einer: \u201eDie Moral ist der Luxus der Reichen.\u201c Hier f\u00fchlt man es bei jeder Begegnung. Diese Frauen zum Beispiel sind keine Prostituierten. Bei uns w\u00e4ren sie es nat\u00fcrlich, denn solch ein M\u00e4dchen k\u00f6nnte Sekret\u00e4rin werden, aufwaschen oder in einer Fabrik arbeiten. Bei uns gibt es immer einen Platz, wenn man zwei H\u00e4nde hat und gesund ist. Aber hier haben sie keine Wahl, und das ist das Entscheidende in der Bewertung. Sie k\u00f6nnen nichts anderes sein. Sie sind Menschen, die nicht sterben wollen. Sonst nichts. Und all unsere Worte haben hier keinen Sinn mehr. Sie sind Schablonen, die nicht mehr passen.<\/p>\n
\nWas Carlos auch tut, ob er vier Stunden mehr arbeitet oder drei Stunden weniger, sein Leben kann sich nicht \u00e4ndern. Er wird nie das Existenzminimum erreichen und jenes Gef\u00fchl der Sicherheit, ohne das es keine Freude an der Arbeit und kein Sparen gibt.
\n\u201eWei\u00dft du, was der Neger* tat, als er Liz kennenlernte?“ fragte er mich.
\n\u201eEr r\u00fchrte keinen Schnaps mehr an. Gerade er, der jeden Sonnabend besoffen in den Feldern lag. Stell dir vor.“
\n\u201eDu solltest auch nicht mehr trinken“, meint Carmen. \u201eDu nimmst dann immer den Mund zu voll. Eines Tages hat er ein Messer im Bauch. Und zu mir gewandt \u2026 \u201eDas geht hier schnell, Carlos ist ein Mordskerl.“
\n\u201eHab\u2019 ich eine Liz und f\u00fcnf Dollar am Tag, he?“
\n\u201eNein.“
\n\u201eSiehst du, da kann ich doch nur Schei\u00dfe schreien. Oder nicht? – Hombre, jede Woche einmal auf die Pauke hauen – damit bl\u00e4st man das Licht aus. Das Leben verschwindet f\u00fcr zwanzig Stunden. Manchmal sackt man schon eher weg. Aber so lange es dauert, kotzt man auf alles. Auf die \u201aUnited Fruit\u2019. Auf die Regierung, die sich die Taschen vollsteckt. Auf den Gott, der das mit ansieht. – Trinken, spielen, lieben, und wieder trinken – das ist abschalten. Entsetzlich ist es, wenn man keinen Pfennig hat und n\u00fcchtern bleibt, w\u00e4hrend andere sich besaufen. Das kommt zu oft vor. Es ist zum Verr\u00fccktwerden. Ich bin schon mal mit dem Kopf gegen die Wand gerannt, hier.“ Er zeigt mir eine gro\u00dfe Narbe auf der Stirn.
\n\u201eN\u00fcchtern.“
\n\u201eDenk an mich, bevor du zu betrunken bist.“
\n\u201eEst\u00e1 bien, Carmen. Nimm dies als Anzahlung.“ Sie steckt den Dollar in die Handtasche und schaut aus dem Fenster.
\nSchon seit einer Stunde fahren wir durch die Plantagen der \u201eUnited Fruit\u201c Bananenstauden sind h\u00e4\u00dflich. Sie sehen aus wie riesiger zerrupfter Kohl. Jede tr\u00e4gt nur eine Bananentraube, dann wird sie gef\u00e4llt, und ihre Ableger werden neu gepflanzt. Es scheint grotesk, da\u00df diese gro\u00dfen Pflanzen, die vier bis f\u00fcnf Meter erreichen, nur einmal Frucht tragen und dann sterben
\nHin und wieder h\u00e4lt der Zug in einem Arbeitslager. Vierzig bis f\u00fcnfzig Baracken und ein gro\u00dfer Laden.<\/p>\n
\nAls wir in Villa Neily ankommen, ist es dunkel. In keinem Cowboy Film habe ich einen Ort gesehen, der so den Vorstellungen entspricht, die wir uns vom Wilden Westen der Goldsucher machen: drei Stra\u00dfen, f\u00fcnfzig H\u00e4user, davon zwanzig Gesch\u00e4fte und zehn \u201eSaloons\u201c. Alles aus Holz hingestellt, als sei es nur ein Jahrmarkt, der morgen wieder abgerissen werden soll. Dahinter eine hohe Wand: der Urwald. In den Gossen liegen M\u00e4nner und schlafen ihren Rausch aus. Vor den Saloons warten Frauen. In den Gesch\u00e4ften stehen Neger*, Wei\u00dfe, Indianer, Mulatten. Jeder hat einen Hut, wenige tragen Schuhe. Reiter halten vor den Bars und lassen sich servieren, ohne abzusteigen. Ein Esel beschnuppert seinen trunkenen Herren, der nicht mehr aufstehen kann. Vor kleinen Buden wird gespielt, geflucht, gestritten. Und \u00fcber all dem mischen sich die Melodien der Juke-Box aus den 10 Saloons zu einem h\u00f6llischen L\u00e4rm, der auch ohne Rum die Besinnung raubt.<\/p>\n
\n\u201eWarum?“ will ich wissen.
\n\u201eWeil ich viel lese. Fr\u00fcher wollte ich mal Lehrer werden. Wei\u00dft du, warum das nicht geklappt hat?“
\n\u201eIch wei\u00df. Die alte Leier. Geld. Aber reden wir doch bitte nicht mehr davon.“
\n\u201eFalsch, Amigo. Ich habe mal einen Arbeiter verteidigt, dem Unrecht geschehen war. Daraufhin nannte man mich Kommunist und beng! – keine T\u00fcr blieb offen. Das war auf der anderen Seite. In Panama. \u201aUnited Fruit\u2019 kann \u00fcberall machen, was sie will.\u201c
\nBis jetzt haben wir in den Bars nur gestanden. In der n\u00e4chsten, die kleiner ist und eleganter aussieht – wenn man dieses Wort \u00fcberhaupt gebrauchen darf -, nehmen wir an einem Tisch Platz, an dem schon vier M\u00e4nner sitzen.
\nAls der kleine Chinese, der hier Ober spielt, einen Rum vor mich hinstellt, zieht einer der M\u00e4nner seinen Schuh aus und trommelt damit w\u00fctend auf dem Tisch herum. Zwei unserer Tischnachbarn folgen. Dann geht es auch auf anderen Tischen los, selbst an der Bar, und in wenigen Sekunden ist die Musik \u00fcbert\u00f6nt.
\nCarlos ist bleich geworden. Er steht auf und schreit: \u201eNo es un gringo, es mi amigo \u2013 er ist keine Gringo, er ist mein Freund.\u201c
\nDas Trommeln klingt ab. Mein Gegen\u00fcber beugt sich vor: \u201ePardon, Se\u00f1or, ich konnte es nicht wissen\u201c
\n\u201eDu h\u00e4ttest ja fragen k\u00f6nnen\u201c, schreit Carlos ihn an.
\n\u201eDarf ich jetzt fragen, warum Sie das getan haben?\u201c sage ich.
\nBevor der Mann antworten kann, ergreift sein Nachbar das Wort. Der einzige am Tisch, der nicht getrommelt hat.
\n\u201eDer liest keine B\u00fccher \u2013 der schreibt welche\u201c, fl\u00fcstert Carlos schnell.
\n\u201eWir haben das von Chruschtschow gelernt\u201c, sagt der Mann. \u201eAls der in der UNO seinen Schuh auszog, habt ihr die Nase ger\u00fcmpft, denn ein solches Benehmen geh\u00f6rt nicht in dem Herrenclub der Diplomaten. Aber wir haben gejubelt. Pl\u00f6tzlich hatten wir Sympathien f\u00fcr den dicken Russen. Der ist ein geschickter Kerl. Er wei\u00df, wir m\u00f6chten alle schon lange mit beiden Schuhen auf den Tisch schlagen und br\u00fcllen.
\nUnd wenn Fidel Castro mitten in New York den Amerikanern seinen Ha\u00df ins Gesichts schleudert, dann regen eure Zeitungen sich nur dar\u00fcber auf, da\u00df die Rede zu lang war und der Ton unm\u00f6glich. Wor\u00fcber sie sich Gedanken machen sollten, ist, was wir dar\u00fcber denken. Wir, die 170 Millionen Besitzlosen Lateinamerikas. Die Amerikaner nennen uns absch\u00e4tzig \u201athe latins\u2019 \u2013 die Lateiner – . Das kommt gleich nach dem Neger*. Nun steht so ein kleiner Lateiner auf und sagt mutig, was wir alle denken. Mehr noch: Er schmei\u00dft die \u201aUnited Fruit\u2019 raus und wagt es, mit seinen paar Millionen Kubanern der st\u00e4rksten Macht der Welt zu trotzen. Was das in Lateinamerika ausl\u00f6sen wird, kann kein Au\u00dfenstehender sich vorstellen.
\nCarlos trinkt. Er h\u00f6rt zu und trinkt. Zwei Frauen setzen sich an unseren Tisch \u201eSeid ihr schon wieder bei der Politik\u201c, sagt eine. \u201eDann m\u00fcssen wir wohl den Mund halten.\u201c
\n\u201eBitte\u201c, sagt Carlos, \u201esprich weiter.\u201c
\nDer Mann f\u00e4hrt fort: \u201eSie glauben jetzt sicher, ich sei Kommunist. Keinesfalls. Daf\u00fcr bin ich aber auch kein Anh\u00e4nger des kapitalistischen Systems. Ich brauche mir nur anzusehen, was der Kapitalismus aus unseren L\u00e4ndern gemacht hat. Seit Jahrhunderten ist er hier unumschr\u00e4nkt Herrscher. Er hat also alle Chancen gehabt. Das m\u00fcssen Sie zugeben. Das Ergebnis ist katastrophal. Warum? Sein einziges Ziel war Bereicherung, ohne R\u00fccksicht auf unsere L\u00e4nder und Menschen.\u201c
\n\u201eBei uns hat er Wunder gewirkt.\u201c
\n\u201eIn hochentwickelten L\u00e4ndern mag der Kapitalismus die bestm\u00f6gliche Gesellschaftsform sein. \u00dcberall dort, wo die demokratischen Sicherheiten fehlen, wo er das Gesetz bestimmt und die Macht zum Werkzeug der Bereicherung wird, f\u00fchrt der Kapitalismus zum Ruin.\u201c
\n\u201eWir haben auch viele Generationen gebraucht, um beim Rechtsstaat anzukommen“, unterbreche ich.
\n\u201eIhr hattet auch Zeit. Ihr sa\u00dft nicht, wie wir, zwischen zwei feindlichen Weltbl\u00f6cken, von denen jeder entscheiden will, wie wir leben sollen. Heute braucht ihr weder Kommunisten zu werden, noch neue soziale Strukturen zu erfinden. Wir aber haben keine andere Wahl.“
\n\u201eHalt. – Diese Notwendigkeit sehe ich nicht ein.“
\n\u201eUnser Weg wird ausschlie\u00dflich durch die Haltung des Westens bestimmt. Wenn er die unvermeidlichen, oft notwendigerweise antikapitalistischen L\u00f6sungen unserer Probleme ablehnt und bek\u00e4mpft, zwingt der uns ins kommunistische Lager. Kuba ist hierf\u00fcr ein Schulbeispiel. Aber es braucht nicht so zu zukommen. Wir wollen ja nicht die Feinde des Westens werden. Wir m\u00f6chten nur, da\u00df er uns begreift. Mangelnde Phantasie ist der Grund f\u00fcr das Unverst\u00e4ndnis der hungrigen Nationen. Es wird nur schwarz-wei\u00df gemalt.“
\nIn diesem Saloon, der wie das B\u00fchnenbild zu einer mittelamerikanischen Dreigroschenoper aussieht, klingen seine Worte wie Sch\u00fcsse. Dann gehen die M\u00e4nner. Carlos will sie zur T\u00fcr bringen, aber er kann nicht mehr aufstehen. Die Frauen werden z\u00e4rtlich. Ein Mann bittet mich um ein Glas. Er st\u00fcrzte den Rum hinunter und k\u00fc\u00dft mir zum Dank die H\u00e4nde. Es riecht nach Marihuana. Carlos spricht vor sich hin:
\n\u201eWas machen? Die Kerle an der Macht haben die Seelen umgebracht. Korruption ist das einzige Vorbild. Nur die bleiben \u00fcbrig, die stehlen, betr\u00fcgen, morden. Aufgepa\u00dft, ihr Bauern, Neger*, Hunde und Huren. Im Gleichschritt, marsch. Solange ihr uns wortlos folgt, d\u00fcrft ihr weiterleben.“ Er schlie\u00dft die Augen pfeift die Marseillaise.<\/p>\n
\n<\/strong><\/em>treibt die Menschen zum Verbrechen und zur politischen Agitation<\/strong><\/em><\/p>\n
\n\u201eNein.“
\n\u201eGibst du mir trotzdem was?“
\n\u201eJa.“
\nSie k\u00fc\u00dft mein Ohr und fl\u00fcstert: \u201eEres un buen amigo – du bist ein guter Freund.\u201c
\nIch sch\u00e4me mich, da\u00df es schon wieder des Geldes bedurfte, um Sympathie zu gewinnen. Es scheint kein Entrinnen zu geben. Der Wert eines Mannes, einer Frau, der Wert einer Idee, eines Gef\u00fchls, einer Freundschaft, einer Liebe – jeder Wert wird in Dollar gemessen. Es ist der einzige Ma\u00dfstab, den man diesen Menschen gelassen hat.<\/p>\n
\nIn dieser Welt muss man hart sein, um zu \u00fcberleben<\/strong><\/em><\/p>\n
\nMaria kniet neben mir. Sie gibt mir einen Ku\u00df. \u201eEs war ein sch\u00f6ner Tag“, sagt sie.
\nAls ihre Schritte verklungen sind, h\u00f6re ich nur noch das St\u00f6hnen der betrunkenen M\u00e4nner.
\nAuf der anderen Seite der Grenze, in Panama, erstreckt sich das gr\u00fcne Reich der \u201eUnited Fruit\u201c ebenfalls von der pazifischen bis zur atlantischen K\u00fcste. Sie besch\u00e4ftigt dort rund 12.000 Arbeiter, die in den H\u00e4fen wohnen oder in den Arbeitslagern der Plantagen leben. Jedes Lager hat einen Chef, den Capataz, der die Arbeiter verteilt und f\u00fcr Ordnung sorgt. Einmal im Jahr verleiht die Gesellschaft dem besten Capataz eine hohe Geldpr\u00e4mie.
\nEin guter Capataz ist man, wenn die M\u00e4nner, die einem unterstehen, f\u00fcr wenig Geld viel Arbeit leisten. Wie das m\u00f6glich ist, ergibt sich aus dem System: Der einfache Arbeiter wird f\u00fcr mehrere Monate verpflichtet. In einer Stube, in der schon viele andere schlafen, gibt man ihm ein Bett. Wenn er eine Frau hat, bekommt er ein ganzes Zimmer. Der garantierte Stundenlohn betr\u00e4gt 25 Cent (eine Mark). Mehr verspricht man ihm nicht. Die Zeit, die er pro Tag oder Woche arbeiten darf, steht nicht fest. Wieviel Geld er am Ende des Monats nach Hause bringt, h\u00e4ngt also von den Umst\u00e4nden ab, vom Wetter oder von der Laune des Capataz.<\/p>\n
\nDa\u00df solche Methoden der \u201eUnited Fruit\u201c keine Sympathien einbringen und zu Streiks f\u00fchren m\u00fcssen, ist nicht verwunderlich. Und doch wird jeder, der menschlichere Arbeitsbedingungen oder etwas mehr Lohn fordert, automatisch zum Kommunisten gestempelt und als solcher verfolgt. Neuerdings nennt man die Unzufriedenen auch \u201eFidelisten\u201c.
\nWenn man die \u201eUnited Fruit\u201c und alle kleinen und gro\u00dfen Kapitalisten Mittelamerikas h\u00f6rt, m\u00f6chte man glauben, der Kommunismus oder Fidel Castro h\u00e4tten den Schrei des Hungers erfunden oder den Wunsch nach Gerechtigkeit gepachtet.
\nIch wei\u00df, die automatische Etikettierung ist nur ein cleverer Propagandatrick. Man stempelt die Unzufriedenheit zum ideologischen Bekenntnis, den Drang nach sozialer Besserung zur politischen Abh\u00e4ngigkeit und erwirbt sich hiermit das Recht, seine ganz pers\u00f6nlichen Interessen brutal zu verteidigen. Die \u00f6ffentliche Meinung des Westens ist beruhigt: Man schl\u00e4gt ja nur auf Kommunisten und k\u00e4mpft damit f\u00fcr die gute Sache. – Wie gef\u00e4hrlich dieses Spiel ist, das skrupellose Gesch\u00e4ftemacher zu beglaubigten Vertretern der freien Welt macht, haben wir in Panama erlebt.
\nIn dem Bananenplantagen der \u201eUnited Fruit\u201c wird gestreikt.
\n\u201eDurch Zufall“, sagt uns ein Arbeiter in Puerto Armuelles, dem kleinen Hafen an der pazifischen K\u00fcste, \u201ewir wu\u00dften gar nicht, da\u00df wir streiken konnten. Mit was denn? Wir hatten keine Gewerkschaft, kein Geld – und jeder war froh, da\u00df er \u00fcberhaupt was zu essen hatte. Dann begann ein Streik an der atlantischen K\u00fcste. Unsere Kameraden von dr\u00fcben baten uns um Unterst\u00fctzung. Wir gingen also von T\u00fcr zu T\u00fcr, wir kratzten die letzten Pfennige zusammen, damit sie durchhalten konnten. Um die Hilfe zu organisieren, mu\u00dften wir kleine Komitees bilden. Wir entdeckten pl\u00f6tzlich, da\u00df alle mitmachten. So viele halfen, da\u00df selbst die Schw\u00e4chsten ihrerAngst verga\u00dfen. Es hatte ja schon so lange gedauert. Seit 15 Jahren stand der Mindestlohn pro Stunde auf 25 Cents (einer Mark). Wir merkten pl\u00f6tzlich: wir k\u00f6nnen selber streiken. 5000 Arbeiter str\u00f6mten zusammen und w\u00e4hlten ihre Vertreter. Das hat es hier noch nie gegeben. Wir legten die Arbeit nieder und verlangten h\u00f6here L\u00f6hne – 40 Cents statt 25 pro Stunde – und bessere Arbeitsbedingungen.“
\n„Das klingt so romantisch“, unterbreche ich ihn. \u201eIn Panama-City hat man mir gesagt, kubanische Agenten und Kommunisten h\u00e4tten euren Streik angezettelt und finanziert.“
\nIm Raum wird es still. Die f\u00fcnf M\u00e4nner schauen mich an, als h\u00e4tte ich sie geohrfeigt. Sie bilden den Vorstand der neuen Gewerkschaft und sind hergekommen, um die \u201eausl\u00e4ndischen Journalisten“ zu treffen.
\nDer Sekret\u00e4r ergreift das Wort: \u201eEs n\u00fctzt ja nichts, wenn ich schw\u00f6re. Sie werden mir doch nicht glauben, da\u00df wir alles allein gemacht haben. Aber wissen Sie, wohin eure L\u00fcgen uns f\u00fchren: in die Arme des Kommunismus.“
\nIch erkl\u00e4re ihm, da\u00df ich ihm glaube. Vorher hatten wir Recherchen angestellt und herausgefunden, da\u00df es sich wirklich um eine ganz spontane Erhebung der Arbeiter gehandelt hat. Das Unvorbereitete und die Naivit\u00e4t der Streikenden waren besonders dadurch zum Ausdruck gekommen, da\u00df sie einen Rechtsanwalt gesucht hatten, um ihre Interessen zu vertreten: Er mu\u00dfte ihnen auch erkl\u00e4ren, wie man eine Gewerkschaft bildet, was bei echten Kommunisten wohl kaum n\u00f6tig gewesen w\u00e4re.
\n\u201eWir wissen nicht, was Kommunismus ist“, sagte Sekret\u00e4r jetzt. \u201eAber jedes Mal, wenn einer von uns nach mehr Brot verlangt, hat man ihn einen Kommunisten genannt. Zun\u00e4chst fanden wir das furchtbar, denn die Priester und Zeitungen haben uns gesagt: \u201aEin Kommunist ist der Teufel, er ist gegen Gott und will nur B\u00f6ses\u2019. Wir aber wollen nichts Schlechtes – wir wollen essen. Wenn man uns deshalb Kommunisten nennt, dann m\u00fcssen wir annehmen, da\u00df der Kommunismus etwas Gutes ist. Wenigstens f\u00fcr uns.“
\n\u201eMan hat sogar auf uns geschossen“, sagt ein Neger*. \u201eAuch diesmal hie\u00df das Alibi: Kommunist. Das war so: Der Justizminister kam hierher und sagte: \u201aIhr habt recht. Ich will f\u00fcr euch verhandeln.\u2019 Dann schlo\u00df er sich mit den Herren der \u201aUnited Fruit\u2019 ein. Als er wieder rauskam, sagte er: \u201aDer Streik ist illegal: Ihr seid Kommunisten. Geht wieder an die Arbeit.\u2019 Wir hatten schon nichts mehr zu essen und lebten ausschlie\u00dflich von den Fischen, die wir selbst fingen. Viele bettelten in den St\u00e4dten, um durchzuhalten. Wir wollten schon aufgeben. Aber der Justizminister hatte es zu eilig. Er setzte zwei Kompanien Nationalgardisten gegen uns ein. Jetzt wuchs der Widerstand erst recht, und der Pr\u00e4sident mu\u00dfte selbst eingreifen. Er lie\u00df sich nicht von der \u201aUnited Fruit\u2019 kaufen. Er verhandelte f\u00fcr uns. Jetzt bekommen wir 36 Cent pro Stunde. Wir haben gewonnen.“
\n\u201eJa, aber viele mu\u00dften zahlen, selbst die Regierung“, sagt ein anderes Mitglied des Vorstandes. \u201eAls Repressalie gegen unseren Pr\u00e4sidenten exportiert die \u201aUnited Fruit\u2019 jetzt einen Teil der Bananen \u00fcber Costa Rica. Das macht ein sch\u00f6nes Loch in unserer Staatskasse. Gegen uns benutzt sie die alten erprobten Methoden. Die M\u00e4nner, die am meisten Mut gezeigt haben, werden in Lager versetzt, in denen sie niemand kennt. Wenn ihr Vertrag abgelaufen ist, werden sie entlassen. Und dann sind sie Vagabunden, die man aus der Stadt jagen darf oder einstecken.“
\n\u201eVagabunden. Ich verstehe nicht.“
\n\u201eJa so nennt man hier alle, die keine feste Arbeit haben. Jeder Stellungslose kann von der Polizei des Ortes verwiesen werden. Wer trotzdem bleibt, kommt ins Gef\u00e4ngnis. Ich brauche nicht zu sagen, von wem die Polizei ihre Befehle erh\u00e4lt.“
\nAls wir wieder im Flugzeug sitzen und \u00fcber die trostlosen Lager der \u201eUnited Fruit\u201c fliegen, mu\u00df sich unwillk\u00fcrlich an Kuba denken. Dort hatten wir, bei unserem ersten Besuch, landwirtschaftliche Genossenschaften und Staatsfarmen besucht und mit den Arbeitern gesprochen. Sie leben in ger\u00e4umigen Einfamilienh\u00e4usern, die der Staat ihnen geschenkt hat. Der Tageslohn 2,80 Pesos (11,20 DM), ob Arbeit da ist oder nicht. Es gibt Schulen f\u00fcr die Kinder und Pflege f\u00fcr die Kranken. Die Begeisterung war gro\u00df. Wir h\u00f6rten selten eine Klage.
\nWenn ich nun ein kleiner Mittelamerikaner w\u00e4re und rein optisch urteilen m\u00fc\u00dfte, ohne die gro\u00dfen Phasen der Weltpolitik zu beachten – von denen ein Landarbeiter sowieso nichts versteht -, wo m\u00f6chte ich lieber leben: bei der \u201eUnited Fruit\u201c oder bei Castro? – In Kuba nat\u00fcrlich. Rein optisch, wohlverstanden. Und wenn ich meinen Magen befragen w\u00fcrde, nur ihn, dann k\u00f6nnte die Antwort nicht anders ausfallen.
\nWenn dann irgendein gescheiter Kerl mit erhobenem Zeigefinger mir sagen w\u00fcrde: \u201eMoment mal, mein Lieber, so einfach ist das nicht. Solange du bei der \u201aUnited Fruit\u2019 bist, geh\u00f6rst du zur \u201aFreien Welt\u2019. In Kuba aber bist du in einem sozialistischen Land. Da gibt es keine Freiheit mehr.“ Wie w\u00fcrde ich reagieren, wenn ich ein kleiner hungernde Mittelamerikaner w\u00e4re? Ich w\u00fcrde wahrscheinlich zun\u00e4chst an meinen leeren Bauch f\u00fchlen, dann auf meine erb\u00e4rmliche H\u00fctte schauen, auf meine kranken Kinder, die nicht lesen k\u00f6nnen, auf den Capataz, der mich ausbeutet, und die \u201eUnited Fruit\u201c, die es so will. Und dann w\u00fcrde ich dem gescheiten Kerl an den Kopf fassen, um zu sehen, ob er noch recht bei Sinnen ist.<\/p>\n
\nDer Panamakanal ist f\u00fcr Amerika als Verbindung zwischen Atlantik und Pazifischem Ozean von gr\u00f6\u00dfter strategischer Bedeutung<\/em><\/strong><\/p>\n
\nSicherheit und Sauberkeit herrschen in der streng bewachten Kanalzone, die Amerika f\u00fcr rund zwei Millionen Dollar im Jahr gepachtet hat<\/strong><\/em><\/p>\n
\n\u201eYankee go home. Der Kanal geh\u00f6rt uns. Nur diese Fahne darf dar\u00fcber flattern.\u201c So lauten die politischen Schlagworte in Panama. Das Land mit seiner gro\u00dfen Armut ist das neue Sorgenkind Kennedys
\n<\/strong><\/em><\/p>\n
\n\u201eSie kommen aus Puerto Armuelles. Ist wieder alles ruhig?“
\n\u201eJa.“
\n\u201eFurchtbar, was? Diese Kommunisten sind zu allem imstande.“
\n\u201eCastros Beispiel steckt an.“
\n\u201eCastro. Ha, ha. Dieser Kerl ist gro\u00dfartig. Dem sollten wir ein Denkmal setzen.“
\n\u201eSie?“ Ich schaue auf seine goldenen Manschettenkn\u00f6pfe und traue meinen Ohren nicht.
\n\u201eWer denn sonst? – Wenn jetzt die Amerikaner Tonnen von Dollars in unsere L\u00e4nder pumpen, haben wir es doch nur ihm zu verdanken. Hoffentlich h\u00e4lt der Kerl sich noch ein paar Jahre. Ha, ha.\u201c
\nWas soll ich da noch sagen. – Er fragte mich, woher ich komme, was ich tue, ob ich viel herumkomme. Dann verf\u00e4llt der in tiefes Gr\u00fcbeln, aus dem er mit diesem Satz auftaucht:
\n\u201eWo, glauben Sie, kann man sein Geld am sichersten anlegen, in Kanada oder in der Schweiz?“<\/p>\n