{"id":54228,"date":"2017-03-11T16:19:31","date_gmt":"2017-03-11T15:19:31","guid":{"rendered":"http:\/\/www.troeller-deffarge.com\/?page_id=54228"},"modified":"2021-08-02T16:54:07","modified_gmt":"2021-08-02T14:54:07","slug":"in-nicaragua-3","status":"publish","type":"page","link":"https:\/\/www.troeller-deffarge.com\/zeitungsreportagen\/mittelamerika\/in-nicaragua-3\/","title":{"rendered":"In Nicaragua"},"content":{"rendered":"
Zwischen Kennedy und Castro<\/p>
Stern, Heft 21, 21. Mai 1961<\/em><\/p> Der Diktator von Nicaragua ist Luiz Somoza. Er reagiert mit dem Heer, das von seinem Bruder organisiert und gef\u00fchrt wird. Die beiden Br\u00fcder erbten die Macht von ihrem Vater. Gleichzeitig hinterlie\u00df er ihnen sechzig Millionen Dollar, die er w\u00e4hrend seiner zwanzigj\u00e4hrigen Herrschaft anh\u00e4ufen konnte. Nicaragua wurde sein Privatunternehmen, und nun verwalten die Kinder es in seinem Sinne weiter: Sie stecken sich die Taschen voll und haben die Finger in allen eintr\u00e4glichen Gesch\u00e4ften des Landes. Sie sperren ihre Gegner ins Gef\u00e4ngnis und verteidigen ihr v\u00e4terliches Erbe, indem sie nicht gerade sparsam mit Menschenleben umgehen<\/span><\/strong><\/p> Z<\/strong>wei nackte F\u00fc\u00dfe hingen neben meinen Ohren. Der Fluggast, der hinter mir schnarchte, hatte es sich bequem gemacht, indem er seine Beine \u00fcber meine R\u00fcckenlehne baumeln lie\u00df. Indianerf\u00fc\u00dfe sind etwas faszinierendes. Sie reagieren gar nicht wie die unseren. Ich versuchte es zun\u00e4chst mit etwas einfachem Kitzeln, dann mit Kneifen, zuletzt mit einer Stecknadel, aber es n\u00fctzte nichts. Um durch die einen Zentimeter dicke Hornhaut hindurchzukommen, h\u00e4tte ich einen Bohrer gebraucht.Andererseits wollte ich nicht bei meinem ersten Kontakt mit Nicaragua unh\u00f6flich werden, dazu noch dreitausend Meter \u00fcber den Urw\u00e4ldern, in denen diese F\u00fc\u00dfe wahrscheinlich die H\u00e4lfte ihres Lebens zugebracht hatten. Man wird heute so schnell der Rassenvorurteile, des Imperialismus oder des Kommunismus beschuldigt, da\u00df Vorsicht geboten ist. Ich bitte also meine Kollegin Claude Deffarge, mir die F\u00fc\u00dfe vorsichtig vom Hals zu nehmen. Nat\u00fcrlich wacht der Mann auf.
\u201eFidel“, murmelt er, und dann, als er endlich die Augen aufschl\u00e4gt: \u201ePardon, Se\u00f1or, es soll nie wieder vorkommen.“
\u201eIch bin nicht Fidel Castro“, sage ich, obwohl man das eigentlich sehen kann.
\u201eIch wei\u00df, Se\u00f1or. Fidel ist in Kuba. Sind die Amerikaner?“
\u201eNein, ich komm aus Europa.“
\u201eGott sei Dank. Man mu\u00df vorsichtig sein, wenn man tr\u00e4umt.“
Als ich wissen will, was er getr\u00e4umt hat, sch\u00fcttelte er nur den Kopf und bleibt still. – Da soll man nicht neugierig werden. Ich setze mich neben ihn und rede so lange auf ihn ein, bis er mir seinen Traum erz\u00e4hlt.
\u201eBei uns haben nur die Missionare B\u00e4rte“, sagt er. \u201eRichtige B\u00e4rte, sowie Fidel. Die Gendarmen haben keine B\u00e4rte. Don Francisco, der Landbesitzer, auch nicht. Bei Indianern w\u00e4chst keiner. Die Missionare sind die einzigen, und doch sind sie die Freunde des Besitzers und des Hauptmanns. Ich habe getr\u00e4umt, da\u00df sie unsere Freunde wurden. Sie sahen pl\u00f6tzlich aus wie Fidel Castro und jagten Don Francisco aus dem Dorf. Zum Schlu\u00df hatten wir alle B\u00e4rte. Selbst die Indianer.“ Er l\u00e4chelt verlegen und streichelt sein bartloses Kinn. \u201eAber es war nur ein Traum.“
\u201eWoher wissen Sie denn, wie Castro aussieht“, frage ich, \u201elesen Sie Zeitungen?“
\u201eIch kann nicht lesen. Aber in der Goldmine, in der ich arbeite, haben viele von uns ein Bild von Fidel. Auch zu Hause, in meinem Dorf, gibt es ein Bild von ihm. Ich komme gerade aus dem Dorf und gehe wieder in die Mine.“
\u201ePer Flugzeug?“
\u201eEs gibt keinen anderen Weg. Wir fliegen alle. Schauen Sie hinter sich.“
Mehr als die H\u00e4lfte der Flugg\u00e4ste sind barf\u00fc\u00dfige Indianer.
Als die Maschine in Siuna (im Nordosten Nicaraguas) ausl\u00e4uft, steigen sie aus. Keiner hat Gep\u00e4ck. Mein Tr\u00e4umer schwingt seine Schuhe \u00fcber die Schulter und fragt:
\u201eSind Sie wirklich kein Amerikaner, Se\u00f1or?“
\u201eNein.“
\u201eDann kann ich ja wieder froh sein. Der Goldmine, in der ich arbeite, geh\u00f6rt n\u00e4mlich Amerikanern.“<\/p>