{"id":54228,"date":"2017-03-11T16:19:31","date_gmt":"2017-03-11T15:19:31","guid":{"rendered":"http:\/\/www.troeller-deffarge.com\/?page_id=54228"},"modified":"2021-08-02T16:54:07","modified_gmt":"2021-08-02T14:54:07","slug":"in-nicaragua-3","status":"publish","type":"page","link":"https:\/\/www.troeller-deffarge.com\/zeitungsreportagen\/mittelamerika\/in-nicaragua-3\/","title":{"rendered":"In Nicaragua"},"content":{"rendered":"

Zwischen Kennedy und Castro<\/p>

Stern, Heft 21, 21. Mai 1961<\/em><\/p>

Der Diktator von Nicaragua ist Luiz Somoza. Er reagiert mit dem Heer, das von seinem Bruder organisiert und gef\u00fchrt wird. Die beiden Br\u00fcder erbten die Macht von ihrem Vater. Gleichzeitig hinterlie\u00df er ihnen sechzig Millionen Dollar, die er w\u00e4hrend seiner zwanzigj\u00e4hrigen Herrschaft anh\u00e4ufen konnte. Nicaragua wurde sein Privatunternehmen, und nun verwalten die Kinder es in seinem Sinne weiter: Sie stecken sich die Taschen voll und haben die Finger in allen eintr\u00e4glichen Gesch\u00e4ften des Landes. Sie sperren ihre Gegner ins Gef\u00e4ngnis und verteidigen ihr v\u00e4terliches Erbe, indem sie nicht gerade sparsam mit Menschenleben umgehen<\/span><\/strong><\/p>

Z<\/strong>wei nackte F\u00fc\u00dfe hingen neben meinen Ohren. Der Fluggast, der hinter mir schnarchte, hatte es sich bequem gemacht, indem er seine Beine \u00fcber meine R\u00fcckenlehne baumeln lie\u00df. Indianerf\u00fc\u00dfe sind etwas faszinierendes. Sie reagieren gar nicht wie die unseren. Ich versuchte es zun\u00e4chst mit etwas einfachem Kitzeln, dann mit Kneifen, zuletzt mit einer Stecknadel, aber es n\u00fctzte nichts. Um durch die einen Zentimeter dicke Hornhaut hindurchzukommen, h\u00e4tte ich einen Bohrer gebraucht.Andererseits wollte ich nicht bei meinem ersten Kontakt mit Nicaragua unh\u00f6flich werden, dazu noch dreitausend Meter \u00fcber den Urw\u00e4ldern, in denen diese F\u00fc\u00dfe wahrscheinlich die H\u00e4lfte ihres Lebens zugebracht hatten. Man wird heute so schnell der Rassenvorurteile, des Imperialismus oder des Kommunismus beschuldigt, da\u00df Vorsicht geboten ist. Ich bitte also meine Kollegin Claude Deffarge, mir die F\u00fc\u00dfe vorsichtig vom Hals zu nehmen. Nat\u00fcrlich wacht der Mann auf.
\u201eFidel“, murmelt er, und dann, als er endlich die Augen aufschl\u00e4gt: \u201ePardon, Se\u00f1or, es soll nie wieder vorkommen.“
\u201eIch bin nicht Fidel Castro“, sage ich, obwohl man das eigentlich sehen kann.
\u201eIch wei\u00df, Se\u00f1or. Fidel ist in Kuba. Sind die Amerikaner?“
\u201eNein, ich komm aus Europa.“
\u201eGott sei Dank. Man mu\u00df vorsichtig sein, wenn man tr\u00e4umt.“
Als ich wissen will, was er getr\u00e4umt hat, sch\u00fcttelte er nur den Kopf und bleibt still. – Da soll man nicht neugierig werden. Ich setze mich neben ihn und rede so lange auf ihn ein, bis er mir seinen Traum erz\u00e4hlt.
\u201eBei uns haben nur die Missionare B\u00e4rte“, sagt er. \u201eRichtige B\u00e4rte, sowie Fidel. Die Gendarmen haben keine B\u00e4rte. Don Francisco, der Landbesitzer, auch nicht. Bei Indianern w\u00e4chst keiner. Die Missionare sind die einzigen, und doch sind sie die Freunde des Besitzers und des Hauptmanns. Ich habe getr\u00e4umt, da\u00df sie unsere Freunde wurden. Sie sahen pl\u00f6tzlich aus wie Fidel Castro und jagten Don Francisco aus dem Dorf. Zum Schlu\u00df hatten wir alle B\u00e4rte. Selbst die Indianer.“ Er l\u00e4chelt verlegen und streichelt sein bartloses Kinn. \u201eAber es war nur ein Traum.“
\u201eWoher wissen Sie denn, wie Castro aussieht“, frage ich, \u201elesen Sie Zeitungen?“
\u201eIch kann nicht lesen. Aber in der Goldmine, in der ich arbeite, haben viele von uns ein Bild von Fidel. Auch zu Hause, in meinem Dorf, gibt es ein Bild von ihm. Ich komme gerade aus dem Dorf und gehe wieder in die Mine.“
\u201ePer Flugzeug?“
\u201eEs gibt keinen anderen Weg. Wir fliegen alle. Schauen Sie hinter sich.“
Mehr als die H\u00e4lfte der Flugg\u00e4ste sind barf\u00fc\u00dfige Indianer.
Als die Maschine in Siuna (im Nordosten Nicaraguas) ausl\u00e4uft, steigen sie aus. Keiner hat Gep\u00e4ck. Mein Tr\u00e4umer schwingt seine Schuhe \u00fcber die Schulter und fragt:
\u201eSind Sie wirklich kein Amerikaner, Se\u00f1or?“
\u201eNein.“
\u201eDann kann ich ja wieder froh sein. Der Goldmine, in der ich arbeite, geh\u00f6rt n\u00e4mlich Amerikanern.“<\/p>

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Nicaragua: Ein Land von Seen, Vulkanen und Urw\u00e4ldern zwischen dem Pazifik  <\/span>und dem Karibischen Meer. So gro\u00df wie Griechenland und nur 1.5 Millionen Einwohner: Regierungsform: Diktatur<\/span><\/em><\/p>

Der Sprung von einem Indianertransport in eine deutsche Cocktailparty vollzieht sich nicht ohne Schwierigkeiten. Es gelingt mir auch nur mit den F\u00fc\u00dfen. Der Kopf bleibt irgendwo im Urwald, obwohl ich zum Schlu\u00df icht mehr ganz sicher bin, ob ich nicht gerade hier im tiefsten Dschungel wate. Der Vergleich hinkt nat\u00fcrlich, denn die Herren tragen korrekte Zweireiher, die Damen bunte Cocktailkleider.
Ich habe mir fest vorgenommen, nicht von unserer Reise ins Innere des Landes zu sprechen. Armut, Schwindsucht, Ausbeutung, Korruption, Totschlag – denn wenig anderes haben wir gesehen – passen nicht in diese Cocktailparty. Ich halte also tapfer mein Glas und verbissen den Mund. Es sollte jedoch anders kommen, als ich dachte, und zwar in der Gestalt eines blonden H\u00fcnen, der mir pl\u00f6tzlich einen drohenden Zeigefinger zwischen die Augen schiebt:
\u201eDa\u00df sie uns ja keine Schwierigkeiten machen, Sie \u2026“
Mein Gesicht mu\u00df furchtbar dumm aussehen, denn er f\u00fcgt hinzu: \u201eSchauen Sie doch nicht so d\u00e4mlich, Sie sind doch vom \u201aStern\u2019.“
\u201eNa, und?“
\u201eNa und, na und \u2026“, \u00e4fft er. \u201eDer Herr schn\u00fcffelt ein wenig, fa\u00dft hei\u00dfe Eisen an, wie man so sch\u00f6n sagt, und wer mu\u00df es nachher ausbaden? Wir, denn wir leben hier. Nicaragua ist ein wundervolles Land. Verstanden!“
\u201eJawohl!“ Ich schlage die Hacken zusammen und pr\u00e4sentiere mein Glas. Er haut seins dagegen.
\u201eAuf Nicaragua“, ruft er. \u201eDreck gibt es \u00fcberall, aber hier kann man leben. Prost!“
Ich warte auf ein: \u201eKehrt marsch“, stattdessen zieht mich eine zarte Frauenstimme vom Kasernenhof in die Botschaftsresidenz zur\u00fcck.
\u201eHerr W. hat recht\u201c, meint sie. \u201eWenn Sie sich ein wenig M\u00fche geben, finden Sie hier zauberhafte Dinge. Sie sollten mal sehen wie die gute Gesellschaft empf\u00e4ngt. Und ohne aufs Geld zu sehen. Die sind hinrei\u00dfend gro\u00dfz\u00fcgig. Waren Sie schon auf den Islettas? Nein? Na, das ist fantastisch. Tausend kleine tropische Inseln, die irgendein Vulkan mal in den See gespuckt hat. Faszinierend. Und drum herum schwimmen Haifische, die einzigen S\u00fc\u00dfwasserhaie der Welt. Ist das nicht aufregend? Wo finden Sie das in Europa? Und die Dienstm\u00e4dchen sind hier so billig. So was sollten Sie mal schreiben.“
Ich verspreche es hoch und heilig und verkrieche mich in die hinterste Ecke des Zimmers. Dort sitzen drei Herren. Sie sehen wie Diplomaten aus, aber ich kann es nicht beschw\u00f6ren. Ich h\u00f6re Folgendes:
A.: \u201eIst es zul\u00e4ssig, meine Herren, da\u00df ein junger Attach\u00e9 einen gr\u00f6\u00dferen Wagen f\u00e4hrt als der Botschafter?“
B.: \u201eWenn es noch ein deutscher Wagen w\u00e4re, lie\u00dfe sich dar\u00fcber reden. Aber es ist ein Studebaker.“
C.: \u201eNein, ein Chevrolet.“
A.: \u201eWas denn, ein Pontiac.“
B.: \u201e Ein Studebaker, meine Herren, ich habe ihn selber schon gefahren.“
A.: \u201eMeinetwegen. Aber glauben Sie nicht, Bonn sollte energisch eingreifen?“
Be.: \u201eBonn sollte unseren Herren zun\u00e4chst einmal h\u00f6here Spesengelder genehmigen. Da gibt es doch den Wirtschaftsattach\u00e9 in Costa Rica, der auch f\u00fcr Nicaragua und Panama zust\u00e4ndig ist und immer unterwegs sein mu\u00df. Wissen Sie, wie hoch sein Tagegeld ist? L\u00e4ppische 60 Mark.“
A.: \u201eDamit kann man hier kaum ein Zimmer bezahlen.“
C.: \u201eWie stehen wir denn da? Sollen wir etwa unsere eigenen Pfennige opfern, um Bonn zu repr\u00e4sentieren?“
B.: \u201eF\u00fcr den Ruf Deutschlands ist das katastrophal.“
Mehr h\u00f6re ich nicht. Die kleine Frau mit der sanften Stimme zieht mich am \u00c4rmel. \u201eMein Mann findet es faszinierend, da\u00df sie vom \u201aStern\u2019 sind. Er will Ihnen ein paar Tipps geben. Kommen Sie.“
\u201eErster Tipp“, sagte der Ehemann mit gl\u00e4sernen Whisky-Augen, \u201eschie\u00dfen Sie immer zuerst. Sonst sind Sie schnell ein toter Mann. Zweiter Tipp: K\u00fcmmern Sie sich nicht um die Somazas. Sie wissen: der Pr\u00e4sident, sein Br\u00fcderchen und Konsorten. Sonst nimmt man Sie hops. Nicaragua ist das Privateigentum der Familie Somoza, und damit hat sich’s. Dritter Tipp: Armut gibt’s hier nicht. Lumpen tragen die Kerle nur, weil es so hei\u00df ist. Vierter Tipp: Das sind faule Hunde. Keiner will arbeiten. Haben Sie das mitgekriegt?“
Ich danke, so gut ich kann, und schleiche zur n\u00e4chsten Gruppe. Eine Frau mit zwei M\u00e4nnern, die aus Deutschland auf Besuch hier sind.
\u201eSo viel Unmoral habe ich in meinem Leben noch nicht gesehen“, sagt der Mann, dessen Haarschnitt an Nero erinnert. \u201eDie Frauen werfen sich einem buchst\u00e4blich an den Hals.“
\u201eDas ist die Erziehung“, meint die Frau. \u201eDie werden systematisch auf M\u00e4nner abgerichtet, damit sie unter die Haube kommen.“
\u201eUnd diese innere Leere.“
\u201eJa, dieses Fehlen seelischer Werte.“
\u201eDie haben eben keine Kultur“, entscheidet die Frau.
\u201eNicht einmal zum Flirten gen\u00fcgte es“, l\u00e4chelt Nero.
\u201eDazu f\u00fchrt Rassenmischung. Indianer, Spanier, Neger*, wie soll das gut gehen?“
\u201eWir haben es eben mit Untermenschen zu tun, wenn auch einige Frauen recht appetitlich aussehen.“<\/p>

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\u201eAber nicht die Armen.“
\u201eNat\u00fcrlich nicht die Armen.“
\u201eWas halten Sie davon?“ fragt mich die Frau pl\u00f6tzlich.
Bis jetzt habe ich mich gut benommen und jeden Skandal vermieden, besonders mit Betrunkenen. Aber diese sind n\u00fcchtern.
\u201eIch glaube, da\u00df ein einfaches M\u00e4dchen aus Bayern oder Niedersachsen ebenso fanatisch versucht, unter die Haube zu kommen, da\u00df es nicht mehr Kultur hat – aber viel weniger Entschuldigungen als ein M\u00e4dchen aus Nicaragua.“
\u201eSie wollen doch nicht eine deutsche Frau mit einer \u2026 wie soll ich sagen?“ – Sie schnappt nach Luft \u2013 \u201emit einer Hiesigen vergleichen?“
\u201eGenau das erlaube ich mir zu tun, gn\u00e4dige Frau. Wenn wir schon mit dem Wort gurgeln, als sei es ein Antibiotikum gegen Allzumenschliches, dann sollten wir wenigstens im Stande sein, diese Menschen aus ihrem Milieu heraus zu verstehen, anstatt sie von unserer Warte aus zu verurteilen.“
Wenn ich Luft gewesen w\u00e4re, h\u00e4tte man nicht besser durch mich hindurchschauen k\u00f6nnen.
\u201eJetzt wird man Sie f\u00fcr einen gef\u00e4hrlichen Kommunisten halten“, sagt ein alter Herr und f\u00fchrt mich zu einer T\u00fcr. \u201eIch wohne nun schon 36 Jahre hier. Es ist immer dasselbe. Ob es Deutsche sind oder Franzosen, Holl\u00e4nder oder Amerikaner. Sie sind dem Schock nicht gewachsen. Zuhause ist so ein Hans oder Fritz ein anonymes W\u00fcrstchen unter Millionen. Werktags wird gestrampelt, Sonntag spazieren gegangen, und f\u00fcr das Selbstbewu\u00dftsein sorgt der lokale Fu\u00dfballklub. Hier \u00e4ndert sich das mit einem Schlag. Er ist pl\u00f6tzlich einer der oberen Zehntausend; denn die graue Masse der Millionen, zu der er zu Hause geh\u00f6rte, sind hier zerlumpte, verhungerte, abergl\u00e4ubische Analphabeten, mit denen er nichts mehr gemein hat. Da er lesen und schreiben kann, z\u00e4hlt man ihn zur \u201aElite\u2019. Was in der Heimat ein Traum war, wird hier Wirklichkeit: Die Reichen laden ihn ein. Botschafter dr\u00fccken ihm die Hand. Wohlhabende Sch\u00f6nheiten rei\u00dfen sich um ihn. Warum? Nur weil er von \u201adr\u00fcben‘ kommt. Weil er mehr gelernt hat als der hiesige Durchschnitt, stolpert er die soziale Leiter so schnell herauf, da\u00df ihm schwindlig wird. Nat\u00fcrlich ist er \u00fcberzeugt, er verdanke dies ausschlie\u00dflich seinen pers\u00f6nlichen Qualit\u00e4ten und der \u00dcberlegenheit seiner Rasse. Alles Fremde mu\u00df also minderwertig sein. Und das, was man selber tut, wird zum absolut Guten: Z\u00e4hneputzen, Bleistiftf\u00fchren, Skatspielen, Biertrinken, Jodeln, Beten.“
Der alte Herr scheint ganz aufgeregt zu sein. Er zieht mich in eine dunkle Ecke des Gartens.
\u201eEs ist zum Heulen. Ein Leben lang sehe ich mir das schon an. Glauben Sie mir, mein Herr, ich bin am Verzweifeln. Denn es geht nicht mehr um dumme menschliche Schw\u00e4chen. Es geht um die Zukunft des Westens. L\u00e4cheln Sie nur. Ich wei\u00df wovon ich spreche.
Die Kerle, die sich an dieser und anderen Botschaftsschwemmen volllaufen lassen, sind verantwortlich. Einerseits lehnen sie es ab, das Land zu verstehen, in dem sie leben, – \u201aweil man \u00fcber Dreck nur die Nase r\u00fcmpfen kann \u2013 und im \u00fcbrigen w\u00e4scht man Hemden viel besser in Darmstadt\u2018. Andererseits haben sie trotz aller Arroganz eines nicht verlernt: den B\u00fcckling vor der Obrigkeit, die Ehrfurcht vor der Macht. – Somoza und Konsorten m\u00f6gen foltern, morden, Gefangene in L\u00f6wenk\u00e4fige stecken oder zum Scherz Coca-Cola-Flaschen mit Fu\u00dftritten in die Hintern von gefesselten M\u00e4nner treiben. Das st\u00f6rt weit weniger als die Einf\u00e4ltigkeit der Armen. Denn Somoza ist der Pr\u00e4sident. Die Henker tragen Uniform. Und was von oben kommt, ist Recht. Pl\u00f6tzlich ist man nicht mehr der \u00dcbermensch von \u201adr\u00fcben‘, sondern ein kleiner Gesch\u00e4ftsmann, ein einfacher Techniker, ein biederer Importeur. Nur mehr das. Ein braver, unscheinbarer B\u00fcrger, der den Gesetzen gehorcht.
Da\u00df man damit die Macht des Diktators unterst\u00fctzt, spielt keine Rolle. Hauptsache ist, da\u00df man seine Freiheit hat und sein Geld verdient. Und wenn der Diktator trotz ihrer stillen oder offenen Hilfe \u00fcberrannt wird, stehen sie mit der Hand auf dem Herzen vor den neuen Herren und behaupten: \u201aWir haben von nichts gewu\u00dft. Wir sind Ausl\u00e4nder. Fassen Sie uns ja nicht an. Wir schreien um Hilfe.‘<\/p>

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Angetreten gegen den Hunger sind in Mittelsmerika drei Kr\u00e4fte: Pr\u00e4sident Kennedy, Fidel Castro und die einheimischen Voll \u2013 oder Halbdiktatoren. Kennedy bietet Brot und Fortschritt durch Entwicklungshilfe. Castro verspricht den Besitzlosen die Macht. Die lokalen Herrscher lassen ihre Truppen marschieren. Solange diese Soldaten amerikanische Uniform tragen und von Offizieren der Vereinigten Staaten ausgebildet werden, hat Pr\u00e4sident Kennedy wenig Chancen, den Wettlauf um die Sympathien der Millionen Hungrigen gegen Fidel  Castro zu gewinnen <\/em><\/figcaption><\/figure><\/div>

In Kuba haben wir es erlebt. Hier wird es nicht mehr lange dauern. Glauben Sie mir, mein Herr, diese Kerle reiten den Westen ins Verderben. Sie verbreiten in unseren L\u00e4ndern die Legende von den primitiven Staaten, wo die Fuchtel n\u00f6tig ist und ein Diktator unvermeidlich. Damit fabrizieren sie sich ein Alibi – vor sich selbst und uns. Aber hier, an Ort und Stelle, hilft kein Gerede. Hier sehen die Menschen, wie unsere Leute sich benehmen und wessen Freund sie sind. Hier wird die westliche Welt an ihnen gemessen. Was dabei herauskommt, k\u00f6nnen Sie sich vorstellen. – Nat\u00fcrlich gibt es Ausnahmen, aber die haben wenig Gewicht.“
\u201eWer sind Sie?“ will ich wissen.
\u201eEin alter, m\u00fcder Mann“, sagte er mit so viel Traurigkeit in der Stimme, da\u00df ich unwillk\u00fcrlich seinen Arm ergreife, um ihn zu st\u00fctzen.
Auch mein Arm wird gepackt. Der blonde Sch\u00f6ne rei\u00dft mich herum. \u201e,Stern\u2019, schreit er, \u201eich verdurste. Hier sind die Flaschen leer. In der Stadt wird weiter gesoffen. Kommen Sie. Los.“
Das Auto rast den Berg hinunter. Ich sehe noch den gr\u00fcnen Kratersee zur Linken, am Horizont den Momotumba, den h\u00f6chsten Vulkan von Nicaragua. Dann kann ich meine Blicke nicht mehr vom Kilometerz\u00e4hler l\u00f6sen. Bei 130 mu\u00df sich reden:
\u201eWie schnell darf man hier fahren? Blutproben gibt es wohl nicht?“
Hinter mir gr\u00f6len ein paar M\u00e4nner. Eine Frau jauchzt vor Vergn\u00fcgen. Sie geben mir klar zu verstehen, da\u00df sie mich f\u00fcr einen Idioten halten.<\/p>

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M\u00e4nnerfangen ist der Hauptsport der guten Gesellschaft. Die jungen M\u00e4dchen haben dazu ausgezeichnete Lassos, die auf t\u00e4glichen Partys verf\u00fchrerisch geworfen werden: das viele Geld der Eltern, ein wenig Charme, eine gute Erziehung auf amerikanischen Schulen und helle Haut. Da der Reichtum des Landes in wenigen H\u00e4nden liegt, ist die Wahl begrenzt und die Konkurrenz gro\u00df<\/em><\/p>


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Der H\u00fcne tritt noch mehr aufs Gas. Seine Stimme klingt v\u00e4terlich, als er sagt: \u201eSie kennen dieses Land eben nicht, mein Lieber. Besoffen fahren ist nat\u00fcrlich verboten, rasen auch. Aber das gilt nur f\u00fcr die kleinen Fische. Wenn  u n s  so ein Plattfu\u00df Indianer schnappt, kriegt er ein paar Kr\u00f6ten und h\u00e4lt die Schnauze.“
In der Hauptstra\u00dfe steige ich aus. Sie hei\u00dft Roosevelt, zum Andenken an den einzigen Pr\u00e4sidenten der Vereinigten Staaten, der versucht hat, \u201eein guter Nachbar“ zu sein. Im Stil gleicht sie der Gesch\u00e4ftsstra\u00dfe einer norditalienischen Vorstadt; im Bild einer Kneipengasse am Montagmorgen: Sie ist leer – dabei ist es erst zehn Uhr abends.
Man hat mir gesagt, da\u00df es gef\u00e4hrlich sei, nachts zu Fu\u00df durch Managua zu gehen. Die Zeitungen berichten t\u00e4glich von \u00dcberf\u00e4llen. Es scheint also zu stimmen. In einigen Bezirken der Stadt haben die Einwohner sogar zur Selbsthilfe greifen m\u00fcssen und kleine B\u00fcrgerwehren geschaffen, die nachts patrouillieren. Gegen Diebe, Vagabunden und verhungerte Landarbeiter sollte die Polizei eigentlich gen\u00fcgen. Aber wer sch\u00fctzt gegen beutelustige Polizisten und Soldaten, denen Somoza eine gewisse Freiheit zugesteht. Regimetreue mu\u00df bezahlt werden; und warum in die Staatskasse greifen, wenn es auch anders geht?
Soldaten und Unteroffiziere d\u00fcrfen stehlen, Trinkgelder kassieren und ihresgleichen erpressen. Offiziere k\u00f6nnen Freiheit verkaufen, Gesch\u00e4fte machen und ihre Macht in private Dienste stellen. Es gen\u00fcgt, der kommandierende Offizier in einem Ort zu sein, wo eine Fabrik ist oder eine Mine, um in einem Jahr reich zu werden. Man braucht nur die Interessen der Besitzer zu verteidigen. Das hei\u00dft: die Arbeiter in Schach halten, Gewerkschaftsbildung unterbinden, die Verst\u00f6\u00dfe gegen die soziale Gesetzgebung dulden, Mindestlohnforderungen im Keim ersticken, indem man Widerspenstige einsperrt, zusammenschl\u00e4gt oder davonjagt. Es ist so einfach, wenn man die Macht hat und von oben gedeckt ist. Die Goldminen bezahlen am besten. Bis zu dreitausend Dollar im Monat. Weniger beg\u00fcnstigte Offiziere m\u00fcssen mit Gro\u00dfgrundbesitzern vorlieb nehmen, denen sie die gleichen Dienste leisten, aber weniger einstecken.
Die guten Stellungen gehen, wie \u00fcberall in der Welt, an M\u00e4nner mit besonderen Verdiensten. Sie werden deshalb vom Pr\u00e4sidenten und von Tachito Somoza verteilt, der nicht nur sein Bruder ist, sondern auch Oberbefehlshaber des Heeres.
W\u00e4hrend ich dem See entgegenschlendere, mu\u00df ich unwillk\u00fcrlich \u00fcber den Humor dieser Leute lachen. Sie haben ein Verbrechermonopol aufgebaut, das jeden Chicagoer Gangster vor Neid erblassen l\u00e4\u00dft – und Touristen m\u00fcssen polizeiliche Zeugnisse vorzeigen, wenn sie Nicaragua besuchen wollen. Hier erlebte ich die \u00dcberraschung: Gangster lieben Scherze. Es ist ihnen auch ganz egal, ob man wild herumknallt – solange nicht auf sie geschossen wird.
Zwei M\u00e4nner gehen an mir vorbei, einen davon habe ich schon mehrere Male im Hotel gesehen. Ich frage:
\u201ePardon, Se\u00f1or, haben Sie einen Revolver?“
\u201eHombre que si – nat\u00fcrlich“, sagt er stolz. \u201eSind Sie \u00fcberfallen worden?“
\u201eNein, ich m\u00f6chte schie\u00dfen.“
Ohne ein weiteres Wort zu verlieren, zieht er seine Pistole aus der Tasche. \u201ePor favor, Se\u00f1or – bitte sehr.“
Ich ziele auf eine B\u00fcstenhalterreklame, die auf einem Dach steht, und feuere zwei Mal.
\u201eMuy mal – sehr schlecht“, sagt er und nimmt die Pistole. \u201eSo.“ Zwei Sch\u00fcsse fallen
\u201eJa“, sage ich, \u201edas ist Schie\u00dfen. Haben Sie vielen Dank.“
\u201cSu servidor, Se\u00f1or – ihr Diener.“<\/p>

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Ohne Waffe f\u00fchlt hier jeder Mann sich nackt. Ein Revolver ist ein allt\u00e4glicherer Besitz als Schuhe oder Messer und Gabel. Selbst bei den Kleinsten schon <\/em><\/figcaption><\/figure>

D<\/strong>ie beiden Herren gehen weiter. Ich verga\u00df zu sagen, da\u00df sie zur Regierung geh\u00f6ren.
Mir bleibt nichts anderes \u00fcbrig, als einen Rum zu trinken. Die Stra\u00dfen sind so leer, und das macht traurig. Die erste Bar ist geschlossen. In der n\u00e4chsten sitzen drei P\u00e4rchen und zwei Polizisten. Als ich bestelle, fragt der eine:
\u201eAmerikaner?“
\u201eNein.“
\u201eIst mir auch egal – was trinken Sie?“
\u201eRum.“
\u201eDrei Rum, Negrita“, sagt er zu der fetten Mulattin, die hinter der Bar steht. – Jetzt wollen die Polizisten doch wissen, wer ich bin, was ich tue, ob ich schon eine Indianerin verf\u00fchrt habe und tausend Dinge mehr. Als sie gehen, haben wir sieben Runden getrunken, und ich sitze mit jenem nachdenklichen Ausdruck vor der Mulattin, der niemanden t\u00e4uscht, am wenigsten eine Frau hinter der Bar. Ich bitte um die Rechnung.
\u201eSie waren doch eingeladen“, meint sie.
\u201eAber die haben doch gar nicht bezahlt.“
\u201eDas tun die nie“, sie beugt sich vor und fl\u00fcstert: \u201eAber wenn Sie wenigstens I h r e n Rum bezahlen k\u00f6nnten, w\u00fcrden Sie mir sehr helfen.
Nun bin ich doch nicht fr\u00f6hlich. Ich glaubte schon, den Cocktail und sogar die Somozas vergessen zu haben, aber die Negrita mu\u00dfte alles verderben.
Die Stra\u00dfen sind nun scheinbar vollkommen leer. In den Hauseing\u00e4ngen liegen Lumpen, unter denen Menschen schlafen. Manchmal steckt ein Kopf heraus oder ein Fu\u00df. In gr\u00f6\u00dferen T\u00fcren schlafen ganze Familien. Die haben keine Angst vor \u00dcberf\u00e4llen.
Ein Hund leckt das Gesicht eines schlafenden Kindes. Ein kleiner Affe sitzt auf seinem schnarchenden Herren und streckt mir die Zunge raus. Kakerlaken und Ratten spielen Verstecken.
Vor meinem Hotel rangiert pfeifend der Zug. Er wird die ganze Nacht pfeifen, denn so will es das Reglement. Gerade hier f\u00e4hrt er \u00fcber einen kleinen Weg, der im Meer endet und den keiner betritt. Aber Gesetz ist Gesetz. Es wird gepfiffen. Und ich kann wieder einmal nicht schlafen<\/p>

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Der Cha-Cha-Cha ist eine Art Nationaltanz geworden. Die Schritte sind anders als bei uns. Wenn man versucht, Lokomotive zu spielen geht es am besten <\/em><\/figcaption><\/figure>

Gemieteten Autos sollte man unter die Haube schauen, bevor man losf\u00e4hrt. Wir haben noch keine zwanzig Kilometer gemacht, da steht der Thermostat auf Rot und der Motor still. Im K\u00fchler ist kein Tropfen Wasser mehr. Ein Bauer f\u00fchrt mich zu einem Haus, das einen Brunnen haben soll. Vier M\u00e4nner sitzen vor der T\u00fcr.
„Hay un gringo que no tiene agua – der Amerikaner hat kein Wasser“, erkl\u00e4rte er. Keiner r\u00fchrt sich. Sie schauen sogar weg. Ich schildere in allen Einzelheiten, was passiert ist. Nichts.
Mittlerweile ist auch meine Kollegin Claude Deffarge angekommen, und da sie Franz\u00f6sin ist, sprechen wir franz\u00f6sisch.
Das scheint die M\u00e4nner in Bewegung zu bringen. \u201eWarum habt ihr nicht gleich gesagt , da\u00df ihr keine Gringos (Amerikaner) seid. Wo ist der Wagen?“
Hier l\u00f6st das Wort \u201aFranz\u00f6sin‘ nicht das in Deutschland \u00fcbliche Augenzwinkern aus, das \u201aOh l\u00e0 l\u00e0 – Paris – Pigalle‘. Die M\u00e4nner wollen, da\u00df Claude ihnen von der franz\u00f6sischen Revolution erz\u00e4hlt. Das passiert uns hier nicht zum ersten Mal. Jedes Mal m\u00fcssen wir geduldig die Fragen \u00fcber uns ergehen lassen. Und wenn sie \u201aRevolution‘ sagen, klingt es, als spr\u00e4chen sie von einer heimlichen Geliebten.
\u201eBald werden auch wir soweit sein“, rufen sie. \u201eDie Somozas h\u00e4ngen wir auf, die \u201aGringos‘ (Amerikaner) werfen wir ins Meer. Viva Fidel Castro. Viva la Revolucion Francesa.“
Selten, glaube ich, ist ein K\u00fchler mit so viel Begeisterung aufgef\u00fcllt worden. Und dabei handelt es sich um einen Wagen, an dem Somoza einige hundert Dollar verdient hat, denn die Vertretung f\u00fcr Nicaragua geh\u00f6rt der Familie.<\/p>

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K\u00fchefangen ist die harte Arbeit der Gauchos. Sie leben auf L\u00e4ndereien, die bis zu drei\u00dfigtsusend Hektar  gro\u00df sind und auf denen nur halbwildes Vieh herumirrt. Wenige Gauchos gen\u00fcgen f\u00fcr tausend K\u00fche. Es ist ein gro\u00dfartiges Gesch\u00e4ft f\u00fcr die Gro\u00dfgrundbesitzer, aber ein Problem f\u00fcr das Land. Fruchtbarste Erde liegt dadurch brach. Wo zehn Gauchos hungern, k\u00f6nnten Tausende von Bauern leben <\/em><\/figcaption><\/figure>


Wir fahren weiter, um endlich den Hauptteil dieser Familie, den Pr\u00e4sidenten und seine Frau, aus der N\u00e4he zu sehen. Dazu m\u00fcssen wir bis zur honduranischen Grenze gelangen, wo sie mit dem Pr\u00e4sidentenpaar aus Honduras zusammentreffen. Der Internationale Gerichtshof in Den Haag hat Honduras das Recht auf einen kleinen Teil Nicaraguas zugesprochen, und nun soll mit gro\u00dfem Pomp verhandelt werden.
Die Botschafter sind da, der Nuntius, die Gener\u00e4le, Minister. Alles, was beiderseits der Grenze Rang und Namen hat, sieht gelangweilt auf die Kadetten der nicaraguanischen Milit\u00e4rakademie, die eine Miniaturparade vorf\u00fchren.
Ich lege gerade die Kamera auf Frau Somoza an, als sich ein dicker Finger in meinen Nabel bohrt.
\u201eMy name is Whelan“, sagt eine Stimme, die nur aus den Vereinigten Staaten kommen kann. \u201eWie hei\u00dfen Sie?“
Ich reibe mir den Bauch und m\u00f6chte dem Kerl die Kamera \u00fcber den Kopf schlagen: Er aber hebt l\u00e4chelnd den dicken Finger und sagt: \u201eIch bin der amerikanische Botschafter.“ <\/p>

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Paraden werden nach amerikanischem Muster einstudiert. Ohne Schwierigkeiten geht das nat\u00fcrlich nicht. Sobald Musik ert\u00f6nt, geht sie sofort in die Beine <\/em><\/figcaption><\/figure>

D<\/strong>as ist er also, der Kartoffelpflanzer aus Dakota, von dem man mir so viel erz\u00e4hlt hat. Genauso habe ich ihn mir vorgestellt. Plump, einf\u00e4ltig, immer bedacht auf \u201epraktische Scherze“. Nur weil er irgendeine Wahlkampagne finanziert hat, ist er vor 10 Jahren zum Botschafter ernannt worden. Seither sind die Somozas seine besten Freunde – und er entscheidet \u00fcber das Schicksal Nicaraguas.
\u201eSind die Kadetten nicht gro\u00dfartig?“, meint er. \u201eSie exerzieren nach dem Vorbild von West Point.“
\u201eKein Wunder, wenn man in der Panama-Kanal-Zone ausgebildet wird.“
Er h\u00f6rt gar nicht hin. \u201eK\u00f6nnen Sie mir sagen, wie die amerikanische Journalistin hei\u00dft, die im Gefolge des Pr\u00e4sidenten von Honduras gekommen ist?“, will er wissen. \u201eIch mu\u00df ihren Namen kennen.“
\u201eFragen Sie sie doch einfach“, schlage ich vor.
\u201eNot so stupid – so dumm bin ich nicht“, fl\u00fcstert er und t\u00e4nzelt davon.
Ich habe nichts begriffen. Ich wei\u00df auch nicht, wer die Journalistin ist. Eines aber wei\u00df ich, denn ich habe es \u00fcberall in Nicaragua erlebt: Diesen Mann ha\u00dft man hier und mit ihm die Vereinigten Staaten und jeden Amerikaner. Er ist der typischste Vertreter der traditionellen Politik Amerikas in Mittelamerika. Und diese Tradition reicht weit zur\u00fcck. Sie hat tiefe Wunden hinterlassen, die selbst die \u201eneue Linie“ Kennedys wohl kaum heilen kann. Denn f\u00fcr die Betroffenen ist der \u201eamerikanische Imperialismus“ keine kommunistische Legende. Sie haben ihn selbst erlebt:
Von 1912 bis 1932 besetzten amerikanische Marinetruppen das Land. Sie kontrollierten den Zoll, organisierten Polizei und Heer und \u00fcberwachten die Wahlen, aus denen nat\u00fcrlich immer amerikafreundliche Pr\u00e4sidenten hervorgingen. Bevor sie das Land verlie\u00dfen, hatten sie einen gewissen Somoza zum Chef der Nationalgarde gemacht, was es ihm erlaubte, sich 1936 selbst zum Diktator zu ernennen. Er verwaltete das Land wie ein gro\u00dfes Privatunternehmen, kontrollierte 117 Gesch\u00e4fte und Fabriken. Das Wei\u00dfe Haus gab ihm grandiose Empf\u00e4nge sowie die n\u00f6tigen Waffen und Medaillen. 1956 erscho\u00df ihn ein liberaler Student. Seither f\u00fchrt der Sohn Luiz die Familiengesch\u00e4fte weiter. Botschafter Whelan und die amerikanische Milit\u00e4rmission sind dabei unerl\u00e4\u00dfliche St\u00fctzen.<\/p>

P<\/strong>r\u00e4sident Kennedy wird ihn abberufen. Aber kann diese Geste f\u00fcnfzig Jahre Geschichte vergessen machen? Werden die Arbeiter und Studenten, die Bauern und Indianer vergessen, da\u00df es hier in den Bergen mal einen Mann wie Castro gegeben hat – Sandrino hie\u00df er -, der sieben Jahre lang gegen die amerikanischen Truppen k\u00e4mpfte, um sein Land zu befreien, und zum Schlu\u00df, trotz heiliger Versprechen, ermordet wurde? Sandrino ist der Nationalheld Nicaraguas, und heute deckt sich sein Bild mit dem Fidel Castros.
Der amerikanische Botschafter ist wieder neben mir. \u201eDie Verhandlungen laufen gro\u00dfartig“, sagt er. \u201eDer Streit wird friedlich beigelegt.“
Ich hatte schon ganz vergessen, da\u00df man hier um einen Urwaldstreifen am Rio Coco feilscht und frage:
\u201eWann wird das Gebiet am Honduras \u00fcbergeben?“
\u201eNachdem die Bev\u00f6lkerung nach Nicaragua evakuiert ist.“
\u201eSie scherzen. Man will 20.000 Indianer, die nichts von Nationalit\u00e4t oder Flagge wissen, nach Nicaragua schleppen. Das dauert viele Jahre.“
\u201eClever“, sagt er schmunzelnd. \u201eDa mu\u00df Honduras eben warten.“
\u201eUnd wer wei\u00df, was mittlerweile geschieht, nicht wahr?“
Er schon wieder fort und steckt seinen Finger in das Ohr des n\u00e4chsten Generals.<\/p>

Eine Woche sp\u00e4ter sind wir am Rio Coco. Urwaldfl\u00fcsse sind gar nicht so, wie man sie sich nach Ansicht von Kulturfilmen vorstellt. Urw\u00e4ldern noch weniger. Wir fahren sechzig Kilometer auf dem Flu\u00df und sehen kein Krokodil, nicht einen Fisch. Wir gehen kreuz und quer durch den Wald und treffen kein einziges Tier. M\u00fccken f\u00fchlen wir und kleine Zecken, die unter die Haut kriechen, um sich ein Nest zu bauen. Das ist alles.<\/p>

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Die Mosquito Indianer in den Urwaldgebieten des Rio Coco, im Norden von Nicaragua, sind heute nahe am Verhungern. Vor zweihundert Jahren noch standen ihre Herrscher gleichberechtigt neben dem K\u00f6nig von Spanien <\/em><\/figcaption><\/figure>


Was wir hier studieren k\u00f6nnen, und zwar in seiner reinsten, weil urw\u00e4ldlichen Form, ist ein Tier der wirtschaftlichen Fauna, \u201eKolonist“ genannt, das auf zwei Beinen geht und, wie man sagt, von anderen Zweibeinern lebt. Da es sich hier um Schweden handelt, kann man ruhig dar\u00fcber sprechen, obwohl die Nationalit\u00e4t eigentlich keine Rolle spielt. Es ist ausschlie\u00dflich eine Frage der Mentalit\u00e4t.
Die schwedische Familie, um die es geht, kam vor sechzig Jahren nach Waspan, dem gr\u00f6\u00dften Ort am oberen Rio Coco. Da sie die Einzigen waren, die lesen und schreiben konnten und Verbindung mit der Au\u00dfenwelt hatten, konzentrierte sich der Handel automatisch in ihren H\u00e4nden. Sie kauften die Waren der Indianer und verkauften ihnen Kaugummi und Schuhe, Coca-Cola und Hosen. Soweit scheint alles normal. Eigenartig mutet es nur an, wenn man die Indianer anh\u00f6rt, die hier Mosquitos hei\u00dfen und in Pfahlbauten auf beiden Seiten des Flusses leben. Ein Dorf\u00e4ltester erkl\u00e4rt:
\u201eDer Schwede sagt uns: \u201aIhr m\u00fc\u00dft viel Reis anbauen. Ich kaufe jede Menge. Ihr bekommt 50 Cordobas (28 Mark) f\u00fcr den Zentner.‘ Das ist viel Geld. Wir arbeiten also das ganze Jahr. Wenn wir nachher mit unseren gef\u00fcllten Einb\u00e4umen in Waspan ankommen, sagt der Schwede: \u2018Es tut mir leid, ich kann euch nur f\u00fcnf Cordobas (2,80 Mark) f\u00fcr den Zentner geben.‘ Das ist zehn Mal weniger als versprochen, Se\u00f1or. Was sollen wir tun? Den Reis wieder nach Hause schleppen, damit er vermodert? Es gibt auch keinen anderen Mann, der ihn abnimmt. Daf\u00fcr hat man viel zu viel Angst vor dem Schweden. Wir m\u00fcssen also seinen Preis annehmen. Und da wir traurig sind, kaufen wir bei ihm Schnaps und betrinken uns. Ein paar Jahre lang sind wir reingefallen. Jetzt bauen wir wenig Reis an. Und wissen Sie, was der Schwede und die Spanier sagen: Wir seien faul.“
\u201eGibt es denn keinen Beamten, an den ihr euch wenden k\u00f6nnt?“
\u201eDie machen es genauso wie der Schwede, sei es mit unserem Vieh, mit Bohnen oder mit dem Baumsaft, aus dem man Kaugummi herstellt. Wenn ein Spanier (so nennen die Indianer alle Wei\u00dfen in Nicaragua) zwei Jahre hier gelebt hat, ist er reich und geht wieder nach Hause.“
Wir kommen an einer H\u00fctte vorbei, auf der das Wort \u201eSchule“ steht.
\u201eDer Lehrer k\u00f6nnte euch vielleicht helfen“, sage ich.
Der alte Mann l\u00e4chelt traurig. \u201eDer kommt nur einige Wochen im Jahr. Hinterher sind unsere T\u00f6chter schwanger, aber keine kann lesen.“
\u201eDer Pr\u00e4sident war vor 10 Tagen hier“, sage ich, \u201eum das Land zu besichtigen, das an Honduras abgetreten werden soll. Warum habt ihr ihm nichts gesagt?“<\/p>

*Anmerkung: Der Begriff Neger\/Negerin wird aus dem Originaltext beibehalten. Diese Bezeichnung war damals ohne Abwertung als Fremd- und Selbstzuschreibung gel\u00e4ufig.<\/em><\/p>","protected":false},"excerpt":{"rendered":"

Zwischen Kennedy und Castro Stern, Heft 21, 21. Mai 1961 Der Diktator von Nicaragua ist Luiz Somoza. Er reagiert mit dem Heer, das von seinem Bruder organisiert und gef\u00fchrt wird. Die beiden Br\u00fcder erbten die Macht von ihrem Vater. Gleichzeitig hinterlie\u00df er ihnen sechzig Millionen Dollar, die er w\u00e4hrend seiner zwanzigj\u00e4hrigen Herrschaft anh\u00e4ufen konnte. Nicaragua…<\/p>\n","protected":false},"author":1,"featured_media":62065,"parent":54096,"menu_order":4,"comment_status":"closed","ping_status":"closed","template":"","meta":{"_seopress_robots_primary_cat":"","_seopress_titles_title":"","_seopress_titles_desc":"","_seopress_robots_index":"","footnotes":""},"categories":[622],"tags":[],"class_list":["post-54228","page","type-page","status-publish","has-post-thumbnail","hentry","category-mittelamerika","entry","has-media"],"_links":{"self":[{"href":"https:\/\/www.troeller-deffarge.com\/wp-json\/wp\/v2\/pages\/54228"}],"collection":[{"href":"https:\/\/www.troeller-deffarge.com\/wp-json\/wp\/v2\/pages"}],"about":[{"href":"https:\/\/www.troeller-deffarge.com\/wp-json\/wp\/v2\/types\/page"}],"author":[{"embeddable":true,"href":"https:\/\/www.troeller-deffarge.com\/wp-json\/wp\/v2\/users\/1"}],"replies":[{"embeddable":true,"href":"https:\/\/www.troeller-deffarge.com\/wp-json\/wp\/v2\/comments?post=54228"}],"version-history":[{"count":5,"href":"https:\/\/www.troeller-deffarge.com\/wp-json\/wp\/v2\/pages\/54228\/revisions"}],"predecessor-version":[{"id":64078,"href":"https:\/\/www.troeller-deffarge.com\/wp-json\/wp\/v2\/pages\/54228\/revisions\/64078"}],"up":[{"embeddable":true,"href":"https:\/\/www.troeller-deffarge.com\/wp-json\/wp\/v2\/pages\/54096"}],"wp:featuredmedia":[{"embeddable":true,"href":"https:\/\/www.troeller-deffarge.com\/wp-json\/wp\/v2\/media\/62065"}],"wp:attachment":[{"href":"https:\/\/www.troeller-deffarge.com\/wp-json\/wp\/v2\/media?parent=54228"}],"wp:term":[{"taxonomy":"category","embeddable":true,"href":"https:\/\/www.troeller-deffarge.com\/wp-json\/wp\/v2\/categories?post=54228"},{"taxonomy":"post_tag","embeddable":true,"href":"https:\/\/www.troeller-deffarge.com\/wp-json\/wp\/v2\/tags?post=54228"}],"curies":[{"name":"wp","href":"https:\/\/api.w.org\/{rel}","templated":true}]}}