{"id":54272,"date":"2017-03-11T22:15:55","date_gmt":"2017-03-11T21:15:55","guid":{"rendered":"http:\/\/www.troeller-deffarge.com\/?page_id=54272"},"modified":"2017-03-11T22:15:55","modified_gmt":"2017-03-11T21:15:55","slug":"marie-claude-deffarge-im-gespraech","status":"publish","type":"page","link":"https:\/\/www.troeller-deffarge.com\/biographie\/zur-person\/marie-claude-deffarge-im-gespraech\/","title":{"rendered":"Marie-Claude Deffarge im Gespr\u00e4ch"},"content":{"rendered":"

Warum „Im Namen des Fortschritts“?<\/h3>\n

Es ist merkw\u00fcrdig, unsere beiden Leben pl\u00f6tzlich von au\u00dfen zu betrachten und Bilanz zu ziehen nach 30 Jahren Arbeit und Reisen. Es ist ein bi\u00dfchen, als wenn man auf dem Gipfel eines Berges steht und im Tal wie eine Fata Morgana all die Menschen vorbeiziehen sieht, denen wir begegnet sind, die k\u00e4mpften, die wir ein St\u00fcck auf ihrem Weg begleitet haben, f\u00fcr kurze Zeit, f\u00fcr die Dauer einer Reportage. Denn wenn es eine Kontinuit\u00e4t in unserem Leben gegeben hat, dann die, Zeugen zu sein. Wir haben nichts anderes getan, als in Fotoreportagen und Filmen von Kriegen, von der Guerilla zu berichten.<\/p>\n

F\u00fcr Karrieristen k\u00f6nnte das ein gutes Markenzeichen abgeben und wir k\u00f6nnten uns heute mit unseren Abenteuern br\u00fcsten: sie sind zahlreicher und am\u00fcsanter als eine Filmographie es zum Ausdruck bringen kann. Bislang sind es 35 Filme, aber mehr als 70 Fotoreportagen. Und die Reise um die Welt, die von Patagonien nach China und nach Japan f\u00fchrte – aber auf den l\u00e4ngsten Wegen und \u00fcber viele Jahre hinweg – um die Situation der Frauen der Welt zu erforschen. In gewisser Weise auch eine Art Kriegsberichterstattung…<\/p>\n

Vielen erscheint das Leben eines Reporters wie ein Traum. Abenteuer, Risiken, Reisen im Jeep oder auf dem R\u00fccken eines Kamels. Im Jet den Atlantik \u00fcberqueren oder in einem Hubschrauber ausbrechende Vulkane oder die Schlachtfelder von Vietnam \u00fcberfliegen.<\/p>\n

Eine Tatsache ist aber auch, da\u00df die gro\u00dfen, hektischen Reporter, die ehrlich bleiben wollen, eines Tages zusammenbrechen. Die Leser und Betrachter einer Fotoreportage wissen nicht, was es hei\u00dft, aus dem bewaffneten Widerstand in Kurdistan zur\u00fcckzukehren und zu wissen, da\u00df die Vernichtung bevorsteht, oder aus dem S\u00fcdsudan, wo man erlebt hat, wie ein ganzes Volk ausgel\u00f6scht wird – und man fast mit ihnen get\u00f6tet wurde -, nachdem man im gleichen Jahr \u00fcber Biafra und Vietnam, den Kampf um Aden vor der Unabh\u00e4ngigkeit und die Belagerung von Sanaa berichtet hatte. Und dann h\u00f6rt man einen eingebildeten Chefredakteur sagen: „Also, gab es nicht mehr Tote, mehr Blut – nur so wenige enthauptete Herrscher?“
\nDann m\u00f6chte man am liebsten alles hinschmei\u00dfen.<\/p>\n

Da\u00df wir es nicht getan haben, daf\u00fcr gibt es sicher zwei Gr\u00fcnde: vor allem, weil wir immer den \u00fcbertrieben hektischen Stil abgelehnt haben, weil wir nicht am ‚guten Gesch\u00e4ft‘ interessiert waren, weil wir uns Zeit genommen haben und jedesmal sehr lange an einem Ort geblieben sind, Monate, wenn es n\u00f6tig war. Das ist das Gegenteil von Rentabilit\u00e4t in diesem Beruf.<\/p>\n

Und au\u00dferdem, weil wir 1959 Fran\u00e7ois Partant begegnet sind, damals Wirtschaftsexperte, der fest an seine Mission glaubte, den armen L\u00e4ndern helfen zu k\u00f6nnen, die Unterentwicklung zu \u00fcberwinden. Er war emp\u00f6rt \u00fcber die Intrigen, die faulen politischen Kompromisse, die Korruption westlicher Gesch\u00e4ftsleute – Bestechungen, um internationale Wirtschaftsvertr\u00e4ge abzuschlie\u00dfen, gibt es ja nicht erst seit heute – und all die L\u00fcgen.<\/p>\n

Er empfand wie wir, da\u00df wir alle Teil der gro\u00dfen L\u00fcge waren, mit der wir den Begriff der Unterentwicklung umgeben. Unterentwicklung ist nicht das, was man uns in den Tageszeitungen vermitteln will. Und Fran\u00e7ois Partant, der Wirtschaftstheoretiker der gesamten Reihe Im Namen des Fortschritts, hatte den Mut, aus dem System auszubrechen und zur \u00f6konomischen Theorie zur\u00fcckzukehren. Zwei Jahre seines Lebens hat er den Filmen der Reihe Im Namen des Fortschritts gewidmet, seit zehn Jahren schreibt er wieder ausschlie\u00dflich.<\/p>\n

Und das wollten wir zusammen zum Ausdruck bringen: da\u00df die Unterentwicklung kein ’nat\u00fcrlicher‘ Zustand ist. Die L\u00e4nder, die sich angeblich auf dem ‚Weg der Entwicklung\u2019 befinden, sind keineswegs L\u00e4nder, die auf dem Weg zum Fortschritt zur\u00fcckgeblieben sind – und sich nun anschicken, diese Versp\u00e4tung aufzuholen -, und es handelt sich auch nicht um arme L\u00e4nder. Sie sind die Opfer des Weltwirtschaftssystems, das seit Jahrhunderten von den herrschenden Nationen errichtet wurde.<\/p>\n

Die Unterentwicklung ist ein Proze\u00df, der darin begr\u00fcndet ist, da\u00df die reichen L\u00e4nder die wirtschaftlich schw\u00e4cheren L\u00e4nder f\u00fcr ihre eigenen Bed\u00fcrfnisse und Interessen nutzen. Die abh\u00e4ngigen L\u00e4nder arbeiten damit nicht mehr f\u00fcr ihren eigenen Profit, sondern f\u00fcr das Wachstum derer, die sie beherrschen.<\/p>\n

Dieser Proze\u00df hat mit den kolonialen Eroberungen der gro\u00dfen europ\u00e4ischen M\u00e4chte begonnen und beschleunigt sich in dem Ma\u00dfe, in dem der ‚Fortschritt‘ in die unterdr\u00fcckten L\u00e4nder Einzug h\u00e4lt.<\/p>\n

Alle Anstrengungen, die Kluft zu verringern, die mit jedem Tag zwischen dem Club der reichen L\u00e4nder und den L\u00e4ndern der Dritten Welt deutlicher wird, sind gescheitert. Darin sind sich alle einig.<\/p>\n

Es wird wohl keine L\u00f6sung geben, solange die L\u00e4nder, auf deren Kosten die Reichen immer reicher werden, nicht das Entwicklungsmodell in Frage stellen k\u00f6nnen, das von den Industrienationen geschaffen wurde, und solange sie nicht Nein sagen zu diesem ‚Fortschritt‘.<\/p>\n

Aus: Cin\u00e9ma 77, April 1977<\/p>\n

Von Fran\u00e7ois Partant sind folgende B\u00fccher erschienen:<\/p>\n

La Guerilla \u00e9conomique. Edition Seuil, Paris, 1976
\nQue la Crise s’aggrave. Edition Solin, Paris, 1978
\nLe P\u00e9dalo Ivre. Edition Solin, Paris, 1978
\nLa Fin du D\u00e9veloppement. Naissance d’une Alternative? Librairie Fran\u00e7ois Maspero, Paris, 1982<\/p>\n","protected":false},"excerpt":{"rendered":"

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