{"id":54277,"date":"2017-03-11T22:15:55","date_gmt":"2017-03-11T21:15:55","guid":{"rendered":"http:\/\/www.troeller-deffarge.com\/?page_id=54277"},"modified":"2017-03-11T22:15:55","modified_gmt":"2017-03-11T21:15:55","slug":"elmar-huegeler","status":"publish","type":"page","link":"https:\/\/www.troeller-deffarge.com\/biographie\/stimmen-zum-werk\/elmar-huegeler\/","title":{"rendered":"Elmar H\u00fcgeler"},"content":{"rendered":"

Ein Fall f\u00fcr sich – Meine Arbeit mit einem Unikat<\/strong><\/p>\n

\u201eDen werden Sie nicht halten k\u00f6nnen“, prophezeite Gert von Paczensky und meinte damit einen Mann, den er mir 1974 warmherzig empfohlen hatte. Damals sah ich ihn zum ersten Mal. Was mir spontan gefiel, war seine unpr\u00e4tenti\u00f6se Art, seine Bescheidenheit. Inzwischen wei\u00df ich, sein Erscheinungsbild sagt nichts \u00fcber seine innere Entschlossenheit. Die zeigt er vor allem dann, wenn es darum geht, unsere komplexe Welt auf den Punkt zu bringen.
\n\u201eDen werden Sie nicht halten k\u00f6nnen“. – Vielleicht galt die Prognose diesem Wesenszug, der mir in der Tat noch manches \u00c4rgernis bescheren sollte. Die Logik n\u00e4mlich, da\u00df eine auf den Punkt gebrachte Welt dem besseren Verst\u00e4ndnis diene, wird nicht von jedermann bejaht. Was viele r\u00fcckhaltlos begr\u00fc\u00dfen, weil es Wurzeln (und damit auch Zusammenh\u00e4nge) offenlegt, ist anderen nur noch suspekt. Die Art, das Chaos dieser Welt auf ein paar Ursachen zur\u00fcckzuf\u00fchren, brachte manchen, der sich an den Symptomen orientierte, in Wut. Die Schlagworte, die dabei fielen, schufen jene Schattenexistenz, die in den Hirnen vieler Rezensenten ein gepflegtes Obdach fand: Gordian Troeller – ein finsterer Ideologe, Marxist oder doch Kommunist, zumindest links und damit als seri\u00f6ser Journalist nicht akzeptabel, ein Thesenfabrikant, ein Agitator, ein Religionsver\u00e4chter, Atheist, nein, Nihilist – kurzum, ein mieser Weltbeschmutzer, der die Ideale unserer Zeit mi\u00dfachtet und daher eigentlich verboten werden m\u00fc\u00dfte.\u201eDen werden Sie nicht halten k\u00f6nnen.\u201c Gert von Paczenskys Worte waren das Pr\u00e4ludium zu einer Fuge, die ich bis heute h\u00f6re. Als er mir dieses prophezeite, hatte er bereits beschlossen, als Chefredakteur von Radio Bremen abzudanken. Das Thema blieb – auch wenn es nun, wie ja bei Fugen \u00fcblich, von vielen Stimmen einzeln und nacheinander vorgetragen wurde.<\/p>\n

Zun\u00e4chst aber war es der Sender selbst, der mich an Troellers Zukunft zweifeln lie\u00df.<\/p>\n

Die personelle Konstellation, die mich 1974 vom S\u00fcdfunk Stuttgart zu Radio Bremen zog, begann sich schon f\u00fcnf Jahre sp\u00e4ter aufzul\u00f6sen. Gert von Paczenskys Abgang war nur die erste Reaktion auf einen Wechsel, der alle Programmpl\u00e4ne zunichte machen konnte. Der Programmdirektor, Dieter Ertel, der mich gemeinsam mit Klaus B\u00f6lling (damals Intendant) zur Umsiedlung nach Bremen \u00fcberredet hatte, ging als Fernsehspielchef zum WDR nach K\u00f6ln. Von seinem Nachfolger, Hans Werner Conrad, wu\u00dfte man noch nicht, was er im Schilde f\u00fchrte.
\nVor allem Troeller schien gef\u00e4hrdet, denn der zu dieser Zeit amtierende Intendant (Gerhard Schr\u00f6der) hatte wiederholt verlauten lassen, da\u00df er das Engagement der Redaktion im au\u00dfenpolitischen Bereich nicht l\u00e4nger unterst\u00fctzen wolle. Nun k\u00f6nnte der Wechsel ihm erlauben, was Dieter Ertel (der mir freundschaftlich verbunden war) schon durch Pr\u00e4senz verhindert hatte: eine Zertr\u00fcmmerung meines nach vier Jahren zaghaft bl\u00fchenden Programms. Die Sorge war: der neue Programmdirektor w\u00fcrde sich dem Druck nicht widersetzen wollen und, gewisserma\u00dfen als Dank f\u00fcr seine Nominierung, Gordian Troeller opfern.
\nHans Werner Conrad hatte solche Vermutungen schon bald nach seinem Amtsantritt entkr\u00e4ftet. Nicht, da\u00df er Troellers Weltsicht vorbehaltlos akzeptierte. Sie war ihm in mancher Hinsicht zu dogmatisch. Gleichwohl erkannte er die vision\u00e4re Kraft, die hinter seinen Filmen steckt. Im Grunde ging es ihm wie mir, als ich Troeller kennenlernte.<\/p>\n

Ich war gebannt von dem, was seine Filme an Einsichten und Wissen vermitteln konnten, obgleich mir unter filmtheoretischen Aspekten manches un\u00fcblich erschien. Schlie\u00dflich hatte ich als Filmemacher zw\u00f6lf Jahre lang an einer eigenen Theorie gefeilt und – wie ich glaubte – mich dabei mit allen Spielarten des Films vertraut gemacht.
\nDie Diskussion, die ich zuvor auch schon mit Dieter Ertel f\u00fchrte, begann daher neu aufzuleben. Die Frage war: Wie kann ein Autor (n\u00e4mlich ich), dem das Wort zwar teuer, die Bildsprache dagegen unersetzlich ist, sich urpl\u00f6tzlich f\u00fcr eine Wirklichkeitsdarstellung engagieren, die sich doch eher als textbetont erweist?
\nIch h\u00f6re sie noch heute, dieselbe Frage, doch die Konzilianz der Fragesteller hat mit den Jahren abgenommen. Die Antwort, die ich habe, erfordert noch einmal einen Blick auf meine eigene Entwicklung.<\/p>\n

In der Tat, in Stuttgart hatte ich Gelegenheit, mich als Autor und Filmemacher bis an die Grenzen meines Genres heranzutasten. Als ich nach Bremen kam, hoffte ich (nun als Leiter eines Programmbereichs, der sich exklusiv dem Dokumentarfilm widmen sollte), die aus der Praxis gewonnenen Erfahrungen mit anderen Autoren so umsetzen zu k\u00f6nnen, da\u00df eine neue Dokumentarfilmtheorie erkennbar w\u00fcrde. Was mich reizte, war, die Herkunft der Gattung ‚Fernsehdokumentation‘, ihre Zugeh\u00f6rigkeit zum ‚Film‘, nicht l\u00e4nger zu verleugnen, die blutleeren, didaktischen Produkte der Nachfahren von 1968 mit einer nachweisbar ‚filmischen‘ Dokumentation zu kontrastieren.<\/p>\n

Da\u00df Gordian Troeller nicht an mir selber scheiterte, lag an der Unm\u00f6glichkeit, seine Filme den mir bekannten Mustern zuzuordnen. Sie entsprachen gleichzeitig in nichts der Utopie, die ich – nochjugendlicher Cineast – mir selbst geschaffen hatte. Ich erinnere mich noch gut, wie ich, bei einem seiner ersten St\u00fccke, zur sinnlichen Vertiefung seiner Botschaft, die Verwendung von Musik empfahl. Gemeinsam sa\u00dfen wir am Schneidetisch und vertonten seine Bilder. Vielleicht war das der Augenblick, nach dem ich endg\u00fcltig begriff, da\u00df Qualit\u00e4t kein Vorbild braucht. Was in sich stimmt, hat jenen Grad an Unangreifbarkeit erreicht, der den Vergleich unm\u00f6glich macht. Da\u00df viele Fernsehmacher, in devoter Anpassung an das System, ‚kompatibel‘ sind, ist leider wahr. Da\u00df ihre Willigkeit die Qualit\u00e4t ihrer Produkte steigere, ist ein Ger\u00fccht. Es stammt von Flie\u00dfbandredakteuren, deren Ehrgeiz sich ersch\u00f6pft in der Herstellung genormter Ware. Dies zu unterst\u00fctzen, schien mir pervers. Hier jedenfalls war ich mit einem Autor konfrontiert, der seine eigene Form gefunden hatte. Mein Bestreben mu\u00dfte sein, ihm diese Form zu lassen. Dies umso mehr, als deren Wirkung \u00fcberzeugend war.<\/p>\n

L\u00e4ngst ist die Handschrift Troellers ‚Stil‘ geworden, er selbst ein Unikat. Was er ist, wei\u00df man deshalb allerdings noch lange nicht.<\/p>\n

Ein ‚Dokumentarfilmer‘ (wie er sich selbst gelegentlich bezeichnet) ist er zumindest in jenem orthodoxen Sinne, den ein Teil der deutschen Dokumentaristen mit dem Begriff verbindet, nicht. Diese, puritanisch nur auf das fixiert, was die Kamera an Wirklichkeit direkt erfasst, glauben an die Objektivit\u00e4t von Filmbildern. Den Glauben hat Gordian Troeller nie gehabt. Andererseits: Er pa\u00dft auch nicht in die Schablone jener, die sich der Diktatur des Sichtbaren entziehen, und, mit Bausteinen der Realit\u00e4t, diese (nach Ma\u00dfgabe der eigenen, sinnlichen Erfahrung) nachtr\u00e4glich gestalten. Seine St\u00fccke sind schon eher jenem Typus zuzuordnen, dessen erzieherischer Impetus keine R\u00fccksicht nimmt auf filmspezifische Gesetze. So sind die Menschen in seinen Filmen nur selten aktiv, keine Handlungstr\u00e4ger. Sie sind fast immer Funktionen seiner Botschaft, Kronzeugen f\u00fcr das, was er zu sagen hat. Das hat ihm den Vorwurf eingebracht, sein Hang zur Aufkl\u00e4rung mi\u00dfachte die, die aufzukl\u00e4ren er doch eigentlich mit allen Mitteln trachte. Eine Kritik, die tats\u00e4chlich an einen Grundsatz filmischer Vermittlung r\u00fchrt: Der Zuschauer kann sich nur identifizieren, wenn ihm sein Gegenbild den Vorgang der Entscheidung, die Freiheit seiner Wahl aktiv (das hei\u00dft handelnd) offenbart.<\/p>\n

So sch\u00f6n kann Theorie mit Worten gl\u00e4nzen, falls nicht ein Troeller an ihren Fundamenten gr\u00e4bt. Tats\u00e4chlich ist es ihm gelungen, solche Regeln immer wieder zu mi\u00dfachten und doch von vielen akzeptiert zu werden. Ich selber habe schnell gelernt, da\u00df f\u00fcr seine Art der ‚filmischen‘ Vermittlung das theoretische Vokabular nicht taugt. Sein Werk verdient eine Bewertung, die sich der Konvention entzieht. Wer bei Troeller die fernseh-genuine Me\u00dflatte benutzt, hat nichts begriffen. Um ihm gerecht zu werden, mu\u00df man wertfrei sehen und sich von Vorurteilen trennen k\u00f6nnen. Man mu\u00df sich die Kriterien aus seinen Filmen selber holen. Was Schiller einst in einem Brief an Goethe schrieb – hier wird es zum Gebot: Wenn es kein Gesetzbuch gibt, auf das sich der Kritiker berufen kann, mu\u00df er zugleich Gesetzgeber und Richter sein.
\nZugegeben, der Satz ist nicht gemeinschaftsf\u00e4hig. Er widerspricht nicht nur der \u00dcberzeugungskraft, mit der das Fernsehen nach homogener Wirkung strebt. Er fordert zugleich eine Toleranz, die bei der Entwicklung dieses Mediums nie vorgesehen war. Kein Wunder, da\u00df der Name Troeller bei vielen Fernsehbossen f\u00fcr journalistische Libertinage steht. Wer sich der institutionalisierten Norm entzieht, riskiert, da\u00df er – markiert und abgestempelt – in einer Schublade verschwindet.
\nDieser au\u00dferinstitutionelle Ordnungsakt legitimiert noch einmal das innerbetriebliche Prinzip (Ordnung mu\u00df sein) und h\u00e4lt den Fernsehb\u00fcrokraten wach. Im Joch der immer gleichen Etikette war sein Erfindungsgeist ohnedies erlahmt. Ein Fall wie Troeller bot endlich wieder eine Chance, das rudiment\u00e4re kritische Potential zu neuen H\u00f6henfl\u00fcgen anzustacheln.<\/p>\n

Was war er nur?<\/p>\n

Zun\u00e4chst einmal (schon schlimm genug): ein Spielverderber. Warum zum Teufel war er nicht bereit, es jenen nachzumachen, die (Kopf \u00fcber Mikrofon und Faust, im Hintergrund Kanonendonner) ihr vordergr\u00fcndiges Weltwissen als Schnellgericht servieren? Als Korrespondent k\u00f6nnte er (beamtet und damit auch befugt) sich Einsch\u00e4tzungen leisten, die, gemessen an seinen historisch orientierten Analysen, geradezu absurd erscheinen. Sie, die ‚Auslandsberichterstatter‘, hatten einen Stil geschaffen, der integrierbar war. Ihre inszenierten Hypothesen lie\u00dfen sich verkaufen. Denn was man mit Kopf auf Bild besitzt, kann man getrost nach Hause tragen.
\nDagegen Troeller. Au\u00dfer einer monochromen Stimme, die unbewegt auch anerkannte Wahrheiten zerpfl\u00fcckt, war nichts von ihm bekannt. Wer eigentlich gab ihm das Recht, das Medium so radikal und subjektiv zu nutzen? Ja, h\u00e4tte seine Wirklichkeitsdarstellung wenigstens die Realit\u00e4tsbezogenheit einer Reportage, w\u00e4re die Glaubw\u00fcrdigkeit seiner Behauptungen zumindest teilweise belegt. Er aber begn\u00fcgte sich mit losen Bildern, Szenen, Fakten, die er erst mit Worten zu allerdings best\u00fcrzenden Aussagen verband.<\/p>\n

Gert von Paczensky mu\u00dfte Argumente dieser Art erwartet und ihre Wirkung hochgerechnet haben: \u201eDen werden Sie nicht halten k\u00f6nnen.“<\/p>\n

Dabei konnte er damals noch nicht ahnen, da\u00df die Kritik an Troellers Filmen sich vermehrt auch mit der Form befassen w\u00fcrde. Die Frage, ob das real existierende Programm Formverletzungen verkraften k\u00f6nne, erhielt aber zunehmend Gewicht. Noch bevor die Jagd nach Quoten die Artenvielfalt reduzierte, gab es bereits den Wunsch, das Programmgesicht auf Stromlinie zu b\u00fcrsten. Als Muster galt das herk\u00f6mmliche Feature, sp\u00e4ter die aktuelle Reportage. Abweichungen wurden sorgf\u00e4ltig vermessen und nach den selbstgeschaffenen Geschmackskriterien bewertet. Mit solcher Denkarbeit produzierte das Fernsehen im Lauf der Jahre ein Troeller-Bild, das aus einem zugegeben eigenwilligen Autor einen Fernsehkiller machte. Da sich an dieser Demontage auch die amtlich eingesetzten Fernseh\u00fcberwacher (Gremienmitglieder) woll\u00fcstig beteiligten, da also ein \u00f6ffentliches Votum vorgespiegelt werden konnte, wuchs der interne Widerstand. W\u00e4re er am Ende d och nur ein Didaktiker, ein raffinierter zwar, der mit Eloquenz besticht, mit Thesen, Worten, weil er mit Bildern nicht beweisen kann, was er an Weltkenntnis besitzt? Oder ist er einfach das, was man von einem Autor dann behauptet, wenn er nicht einzuordnen ist, wenn er die Konvention, das Reglement, die Spielregeln verletzt – ein Essayist? Die Philosophen des 17. und 18. Jahrhunderts benutzten diesen Begriff, um damit den Fragmentcharakter ihrer Werke zu betonen. Freilich, so sehr Troellers Stil dazu verf\u00fchrt, diese Art, einzelne Botschaften miteinander zu verketten: seine Filme sind nicht fragmentarisch. Und er, der sich Zeit seines Lebens mit aller Kraft bem\u00fcht, das Einzelne als Teil globaler Verflechtung zu \u00fcbermitteln, ist alles andere – ein Fragmentarier sicher nicht.<\/p>\n

Was aber ist er dann?<\/p>\n

Vor Jahren, als die Wellen wieder einmal hochschlugen und die Proteste auf einen Troeller-Film die Mitglieder des Fernsehausschusses von Radio Bremen in Rage brachten, erlaubte ich mir, dieses produktiv zu nutzen. Ich versuchte, aus den \u00c4u\u00dferungen der Sitzungsteilnehmer ein Phantombild Troellers zu entwerfen. Was dabei herauskam, war das Bild eines Dynamikers, jung, alternativ, Typus Jeans mit Lederjacke, ein Weltverbesserer der unbeugsamen Art, ein bi\u00dfchen Albert Schweitzer, viel mehr jedoch Karl Marx. Dies brachte mich auf die Idee, Gordian Troeller zur n\u00e4chsten Sitzung mitzunehmen. Die Reaktion, als er erschien, werde ich nie vergessen. Das also war er. Silberhaar und leicht gebeugt, Horn- statt Nickelbrille, glatt rasiert statt Rauschebart. Die Diskussion um seine Filme hatte wieder (wenn auch nur f\u00fcr kurze Zeit) die neutrale L\u00e4ssigkeit eines ausschlie\u00dflich produktbezogenen Meinungsaustauschs. Die Antwort auf die Frage, wer Gordian Troeller wirklich ist, blieb freilich wieder einmal auf der Strecke.<\/p>\n

Er ist nicht links, er ist nicht rechts und ‚alternativ‘ auch nur insofern, als er alles, was er sieht, zun\u00e4chst einmal in Frage stellt, um nach anderen Sichtweisen zu fahnden. Mit Albert Schweitzer verbindet ihn die „Ehrfurcht vor dem Leben“, mit Karl Marx der feste Wille, Verh\u00e4ltnisse, in denen „Menschen erniedrigt und geknechtet werden“, nicht zu dulden. Sein Leitsatz, da\u00df „jedem erlaubt sein mu\u00df, er (sie) selbst zu sein“, bringt ihn gleichwohl wieder auf Distanz zu allen Weltanschauungen, deren Humanit\u00e4t sich nur in \u00e4u\u00dferen Bekenntnissen ersch\u00f6pft. Er schaut hinter die Fassaden und was er da entdeckt, steht fast immer in Kontrast zur \u00f6ffentlich legitimierten Meinung. So war vorhersehbar, da\u00df das Thema Kirche Konflikte schaffen w\u00fcrde.
\nAls Troeller in einem Film \u00fcber Indianer die Haltung von katholischen Geistlichen (Missionaren) und deren Erziehungsmethoden kritisierte, hatte er (wie ich) nicht damit gerechnet, da\u00df das Hinterfragen von Denkweisen und Ritualen zu Protesten f\u00fchren k\u00f6nnte, die dem christlichen Gebot der Duldsamkeit auf schlimme Weise widersprachen. Das St\u00fcck besch\u00e4ftigte nicht nur die Deutsche Bischofskonferenz. \u00dcber die Kanzeln vieler Kirchen, \u00fcber Streitschriften und Flugbl\u00e4tter wurde ein Heer von Gl\u00e4ubigen mobilisiert, von denen viele den Film gar nicht gesehen hatten. So wurde aus Gordian Troeller der personifizierte Antichrist, aus Radio Bremen eine Agentur der H\u00f6lle.<\/p>\n

Es sollte allerdings noch schlimmer kommen.<\/p>\n

Als sich Troeller in einem Film \u00fcber Pal\u00e4stinenserkinder auch kritisch mit der Israelischen Besatzungspolitik auseinandersetzte, sah Heinz Galinski, der Direktoriumsvorsitzende des Zentralrats deutscher Juden, bereits schon die „Substanz des Zusammenlebens von Juden und Nichtjuden“ in der Bundesrepublik bedroht. Der Israelische Botschafter in Bonn warf dem Autor vor, seine Kritik sei „antiisraelisch“. So deckte er seine Regierung, indem er Troeller als Feind des ganzen Volkes diffamierte. Was er damit allerdings tats\u00e4chlich wollte, wurde sp\u00e4ter deutlich – bei einer pers\u00f6nlichen Begegnung, zu der der Botschafter sich selbst bei Radio Bremen eingeladen hatte. Ich wurde Zeuge einer weiteren Metamorphose. Gordian Troeller, eben noch ein Katholikenhasser, wurde nun, in einer Marathonbeschimpfung, zum Judenfeind gemacht.
\nMan k\u00f6nnte lachen, wenn so viel Unverstand nicht symptomatisch w\u00e4re. Er, der Philanthrop, der rastlose Verteidiger von Toleranz und Menschenw\u00fcrde, hat genau das zu erleiden, was er so vehement bek\u00e4mpft. Im Spannungsfeld verschiedener Interessen, hat er, dessen einziges Interesse, die Gerechtigkeit, unparteiisch ist, Objektivit\u00e4t nicht zu erwarten. So ist und bleibt er eben ein Anarchist. Ein Au\u00dfenseiter.<\/p>\n

Von dieser Tatsache war meine Arbeit mit Gordian Troeller von Anfang an gepr\u00e4gt: jedoch – die Konflikte, die er mit seiner Haltung provozierte, wuchsen. W\u00e4hrend aber fr\u00fcher die Kritik an seinen Filmen an Grundfragen des menschlichen Zusammenlebens r\u00fchrte, hat nun ein Widerstand begonnen, der seine Legitimation auf eher zweifelhafte Interessen st\u00fctzt. Konkret gesagt: In einer Zeit, in der die Massenwirksamkeit das Denken der Medien beherrscht, ist eigentlich kein Platz f\u00fcr einen, der seinen Arbeitsstil auch dann verficht, wenn er das Medieninteresse sabotiert.<\/p>\n

Troeller und die Einschaltquote:<\/p>\n

Ein Thema, das bei n\u00fcchterner Betrachtung zu einer \u00fcberraschenden Erkenntnis f\u00fchrt. Zwar sind die Zeiten, in denen seine Filme 30% und mehr erreichten, ein f\u00fcr allemal vorbei. Der Stamm seiner Verehrer ist mittlerweile aber so gewachsen, da\u00df ihm eine Mindestquote von 6-8% bei jeder Sendung sicher sind. Und das gen\u00fcgt. Was einst dar\u00fcberlag, rekrutierte sich aus Zufallssehern, die heute, angelockt von der gesch\u00f6nten Welt der Kommerziellen, sich lieber in Entspannung \u00fcben. Das ist ohne Zweifel zu bedauern. Ein Ungl\u00fcck ist es gleichwohl nicht. Wirklich fatal dagegen ist, da\u00df das Fernsehmanagement verlangt, die abtr\u00fcnnig gewordenen Seher um jeden Preis zur\u00fcckzuholen. Um f\u00fcr die ARD salonf\u00e4hig zu bleiben, h\u00e4tte Gordian Troeller daher mehr zu leisten, als er (und mit ihm ich) verkraften k\u00f6nnte: Ein Akt der Selbstverleugnung wird gefordert, der zwar der ARD die Quote rettet, gleichzeitig aber auch ein Fernseh-Biotop vernichtet.<\/p>\n

Sich dem zu widersetzen, wird immer schwerer. Dies umso mehr, als auch die M\u00f6glichkeiten f\u00fcr eine autonome, sendereigene Programmplanung seit Jahren schwinden. Im Namen des Fortschritts, Troellers erste Reihe (Start 1974) wurde als Programmvorschlag Radio Bremens von der ARD noch widerspruchslos akzeptiert. Bei der zweiten Reihe Frauen der Welt (Start 1979), gab es bereits Probleme. Der Anspruch eines kleinen Senders auf ein mehrteiliges Konzept (eine ‚Reihe‘) entsprach nicht mehr dem antif\u00f6deralen Geist der Zeit. Immer mehr suchte die ARD ihr Heil in einem zentral gesteuerten Programm. Die kreative Eigenleistung wurde als Senderegoismus denunziert. Da\u00df es dennoch gelang, 1984 eine weitere Reihe durchzusetzen (Kinder der Welt) erscheint mir heute wie ein Wunder. Vielleicht war den Programmhierarchen in diesem Augenblick nicht klar, was f\u00fcr Konsequenzen ihr Gro\u00dfmut haben k\u00f6nnte: W\u00e4hrend ich hier schreibe, dreht Troeller in Nicaragua. Es ist der sechsundzwanzigste (!) Beitrag dieser Reihe. Es werden hoffentlich noch viele folgen, denn als Autor von Einzelthemen w\u00fcrde Troeller – mit Hinweis auf die offizielle Auslandsberichterstattung und deren ‚aktuelles‘ Reaktionsverm\u00f6gen – kaum mehr zum Zuge kommen.
\nBleibt also nur, den Freischein auszunutzen und die Kinder-Reihe ad infinitum auszudehnen. Ich kann mit dieser L\u00f6sung leben, denn in der Praxis hat sich l\u00e4ngst erwiesen, da\u00df sich die Themen unserer Zeit auf diese Art besonders eindrucksvoll vermitteln lassen. Nicht nur, da\u00df das Sujet Troellers Engagement mit Leben f\u00fcllt. \u00dcber Kinder transportiert, erhalten seine vision\u00e4ren Thesen und Aspekte eine apokalyptische Realit\u00e4t. Der eigentliche Grund f\u00fcr meine Haltung ist banaler: Mir ist jedes Mittel recht, um einen Autor im Programm zu halten, dessen Eigenst\u00e4ndigkeit zwar \u00c4rger macht, dessen Kunst, die herrschenden Tabus sinnf\u00e4llig zu verletzen, ich aber \u00fcber alles sch\u00e4tze. Der Frage, ob ich denn wolle, da\u00df Troeller „auch noch mit achtzig Jahren Kinder filme“ (sie wird mir nun gelegentlich gestellt), begegne ich gelassen. Einmal kann ich mir denken, da\u00df dieser Autor, der eine Trennung zwischen Leben und Filmen nie wirklich zustande brachte, nichts dagegen h\u00e4tte. Zum anderen: wenn es dazu wirklich k\u00e4me – dies w\u00e4re nur ein weitere Beleg, da\u00df sich Troeller jeder Festlegung entzieht.<\/p>\n

Noch einmal also: Kinder der Welt und Gordian Troeller – eine unendliche Geschichte?<\/p>\n

Die Vorstellung erheitert mich, denn was sie offenbart, ist paradox: Indem die ARD anderes verhindert, rechtfertigt (und verewigt) sie, was ihr an Troeller sonst mi\u00dff\u00e4llt: sein Konzept, die Welt nicht aus dem Blickwinkel der M\u00e4chtigen zu sehen.
\nEine Wende, die das \u00f6ffentlich-rechtliche Interesse widerspiegelt. Das Fernsehen verzichtet auf seine kritische Autorit\u00e4t zugunsten \u00e4u\u00dferer Programmhygiene. Wie immer das bewertet werden m\u00fc\u00dfte, in diesem Fall deckt es sich mit Troellers eigenem Interesse.
\nAnsonsten bringt der Trend, das Fernseh-Outfit dem Zeitgeschmack entsprechend schmuck zu halten, Troeller immer st\u00e4rker in Gefahr. In der nach oben offenen Frohmut-Skala belegt er einen schlechten Platz. Analog dazu w\u00e4chst die Bereitschaft, ihn als Programmsch\u00e4dling zu diffamieren. Ihm, dem vielfach Preisgekr\u00f6nten, mu\u00df ich nun immer \u00f6fter sagen, wie d\u00fcnn der Faden ist, an dem wir beide h\u00e4ngen. Er quittiert meine Besorgnis mit weisem L\u00e4cheln, denn schlie\u00dflich haben wir Ziel und Thema seiner n\u00e4chsten Reise l\u00e4ngst geplant.<\/p>\n

Womit die Frage, was dieser Autor wirklich ist, schlu\u00dfendlich doch noch eine Antwort findet – ein wunderbar friedfertiger Mensch.<\/p>\n

Elmar H\u00fcgler<\/strong>, geb. 1933, von 1962 bis 1974 Dokumentarfilmer und Redakteur beim S\u00fcddeutschen Rundfunk, Autor und Regisseur zahlreicher TV-Sendungen und -Reihen. Seit 1974 Leiter der Abteilung Kultur und Gesellschaft bei Radio Bremen\/Fernsehen.<\/em><\/p>\n

Aus:<\/em>
\nKein Respekt vor heiligen K\u00fchen, Gordian Troeller und seine Filme<\/em>
\nHerausgeber: Joachim Paschen<\/em>
\nBremen, 1992<\/em><\/p>\n","protected":false},"excerpt":{"rendered":"

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