{"id":54278,"date":"2017-03-11T22:15:55","date_gmt":"2017-03-11T21:15:55","guid":{"rendered":"http:\/\/www.troeller-deffarge.com\/?page_id=54278"},"modified":"2017-03-11T22:15:55","modified_gmt":"2017-03-11T21:15:55","slug":"peter-zimmermann","status":"publish","type":"page","link":"https:\/\/www.troeller-deffarge.com\/biographie\/stimmen-zum-werk\/peter-zimmermann\/","title":{"rendered":"Peter Zimmermann"},"content":{"rendered":"
Denn sie wissen, was sie tun.\u00a0Zur Dekonstruktion eurozentrischer TV-Stereotypen \u00fcber die \u00bbDritte Welt\u00ab<\/strong><\/p>\n Kinder als Schuhputzer und Parkw\u00e4chter, als Arbeiter in Ziegeleien und auf Zuckerrohrplantagen – die Bilder, mit denen Gordian Troellers Reportage Denn sie wissen, was sie tun (1985) \u00fcber Kinderarbeit in Bolivien beginnt, spekulieren auf das Mitleid der westlichen Zuschauer. Da sieht man es wieder: Kinderarbeit, das ist Ausbeutung und Fronarbeit, ein Produkt der Verarmung und Verwahrlosung der Menschen im t\u00e4glichen \u00dcberlebenskampf im Dschungel aus Slums, Dreck, Armut und Kriminalit\u00e4t.<\/p>\n Doch die vermeintliche Botschaft der Bilder tr\u00fcgt. Sie provozieren unsere g\u00e4ngigen Fernseh-Gewohnheiten und Bildassoziationen nur, um sie zu dekonstruieren und uns auf unsere eigenen Klischees auflaufen zu lassen. Denn die Kinder erscheinen im weiteren Verlauf der Reportage nicht als Opfer der Gesellschaft, sondern als weitaus selbst\u00e4ndiger, lebenst\u00fcchtiger und sozialer, als unser Ideal einer gleicherma\u00dfen beh\u00fcteten wie disziplinierten Kindheit es sich vorzustellen vermag. Ihre Lage wird nicht besch\u00f6nigt, sie werden aber auch nicht vorschnell bemitleidet. Desavouiert wird die Ignoranz und heimliche Arroganz eines Mitleids-Blicks, der alles bedauert, was von den eigenen Standards und Normen abweicht und die Lebensgewohnheiten \u00e4rmerer V\u00f6lker nur im Rahmen einer Verelendungstheorie zu begreifen vermag.<\/p>\n Damit wird die filmische Strategie deutlich, der Troeller sein Renommee zum guten Teil verdankt: In seinen besten Filmen unterl\u00e4uft er die von Film und Fernsehen eingeschliffenen euro- und ethnozentrischen Seh- und Denkgewohnheiten und konterkariert die fast schon zu Symbolen geronnene Ikonographie der Fernsehbilder und die damit gekoppelten Konnotationsketten durch eine Betrachtungsweise, die dem Selbstverst\u00e4ndnis fremder V\u00f6lker Ausdruck zu verleihen und gerecht zu werden versucht. Es ist eine Verfahrensweise, die zum mainstream der Fernsehberichterstattung nahezu programmatisch quer liegt und deren Funktion und Bedeutung erst in diesem (Programm-)Kontext angemessen beurteilt werden kann.<\/p>\n In den sechziger Jahren geh\u00f6rte er zu den ersten Reportern, die mit Verst\u00e4ndnis und Sympathie \u00fcber die Aktionen und Ziele revolution\u00e4rer Befreiungsbewegungen in der Dritten Welt berichteten. Dies in einer Zeit, in der die Mehrzahl der Auslandskorrespondenten des Deutschen Fernsehens – allen voran Peter Scholl-Latour – die ‚in die Unabh\u00e4ngigkeit entlassenen‘ ehemaligen Kolonien noch vornehmlich unter dem Gesichtspunkt durchcheckten, ob deren Regierungen eher dem Westen oder dem Ostblock zuneigten. Revolution\u00e4re Bestrebungen wurden dabei tendenziell dem feindlichen Lager zugeschlagen. Troeller hingegen zeigte sich eher an jenen interessiert, die keinem der beiden Lager zuneigten und nach einem eigenen Weg der gesellschaftlichen Umgestaltung der nachkolonialen Gesellschaft suchten.<\/p>\n Die Reihe Im Namen des Fortschritts (1974-1984) attackierte den Export westlicher Entwicklungsmodelle in die L\u00e4nder der Dritten Welt bereits in jenen Jahren, in denen das Gros der Journalisten bis hin zu exzellenten Dokumentaristen wie Ralph Giordano (Hunger u.a.) die L\u00f6sung der wirtschaftlichen Probleme der sogenannten Entwicklungsl\u00e4nder noch in deren rascher Technisierung und Industrialisierung sah, die durch eine entsprechende Entwicklungshilfe der Industrienationen gew\u00e4hrleistet werden sollte. Aus dem Rahmen westdeutscher Fernsehberichterstattung fiel diese gemeinsam mit Marie-Claude Deffarge gedrehte Reihe nicht zuletzt auch deshalb, weil sie die damals gel\u00e4ufigen entwicklungspolitischen Rezepturen durch strukturanalytische Reportagen konterte, die gerade in einer solchen Entwicklungspolitik die Fortsetzung neokolonialer Abh\u00e4ngigkeitsverh\u00e4ltnisse sah. Von konservativer Seite handelten sich die Autoren den Vorwurf ein, sie verbreiteten mit ihrer These von der Entwicklungshilfe als ‚Verarmungshilfe‘ Zerrbilder der entwicklungspolitischen Problematik und \u00bbritten immer wieder auf ihrem Lieblingsthema herum: der fortbestehenden Ausbeutung der ehemaligen Kolonien durch die ehemaligen Kolonialm\u00e4chte und Industrienationen\u00ab. (1)<\/p>\n Doch auch wohlwollende Kritiker bemerkten bald, da\u00df die unverwechselbare ‚Handschrift‘, die die Qualit\u00e4t dieser Reportagen ausmachte, auch zum Handicap werden konnte: zu einer Art Schnittmuster n\u00e4mlich, das die Vielfalt der Entwicklungen auch wieder nach Ma\u00dfgabe der eigenen weltanschaulichen Vorstellungen verarbeitet, nur da\u00df diese nicht rechts-, sondern linksgerichtet waren. Ein Beispiel mag die besondere Machart und die Problematik dieses Reportagestils veranschaulichen.<\/p>\n Abschied vom Lachen (1981) ist eine, wie ich finde, besonders gelungene und eindrucksvolle Reportage aus der Reihe Frauen der Welt. Mit dieser Reihe setzten Gordian Troeller und Marie-Claude Deffarge ihre Berichte aus der Dritten Welt fort und wandten sich mit der Thematisierung der Lage der Frauen dem ‚doppelt kolonisierten‘ Geschlecht zu: von den ehemaligen Kolonialm\u00e4chten und der auch und besonders in den L\u00e4ndern der Dritten Welt wirksamen Herrschaft des Patriarchats.<\/p>\n Auch die Reportage Abschied vom Lachen beginnt mit einer dialektischen Volte, die den Zuschauer dadurch hellh\u00f6rig macht, da\u00df sie seine Erwartungen d\u00fcpiert: Bilder schwer arbeitender Indianerinnen vom Stamm der Campas tief in den Regenw\u00e4ldern des Amazonasbeckens scheinen die These von der doppelten Unterdr\u00fcckung der Frauen zu beweisen. Doch der Off-Kommentar, der den Bildern unterlegt ist, belehrt die Zuschauer eines besseren. Die Feldarbeit der Frauen ist die Grundlage der Subsistenzwirtschaft dieses Stammes und Garantie ihrer Gleichstellung mit den M\u00e4nnern. Und wie in ihrer ersten Reportage \u00fcber die Minangkabau in Sumatra (M\u00e4nnerherrschaft unbekannt 1979) entdecken Troeller und Deffarge auch hier Reste einer matriarchalisch gepr\u00e4gten Gemeinschaftskultur, die sich noch nicht in \u00bbBesitzende und Besitzlose, in Herrscher und Beherrschte\u00ab gespalten hat und kein Profitdenken kennt: \u00bbEin solches Anti-Wirtschafts-System pa\u00dft weder Kapitalisten noch Marxisten ins Konzept. (…) Und dort, wo es keine Wirtschaft gibt, keine Obrigkeit und keine Hierarchie, da ist auch die Frau nicht dem Manne Untertan, auch wenn es f\u00fcr uns so aussehen mag. \u00ab So das Fazit des Kommentators, w\u00e4hrend aus dem Munde der Indianer vor allem das helle und girrende Lachen der Frauen zu h\u00f6ren ist.<\/p>\n Ob diese Interpretation stimmt, k\u00f6nnen die Zuschauer nicht \u00fcberpr\u00fcfen. Man mag ihr glauben oder nicht. Mi\u00dftrauisch macht allerdings das Ungleichgewicht von Bild und Text. So eindrucksvoll die Bildsequenzen sind: Sie dienen in diesem Fall vor allem als Illustration f\u00fcr den aufkl\u00e4rerisch-didaktischen Off-Kommentar. Der vermittelt eine fast lehrbuchhafte Version vom Ursprung der Menschheit, die an die edlen Wilden des Rousseauismus ebenso erinnert wie an Marxens klassenlose Urgemeinschaft und die Mythen eines urspr\u00fcnglichen Matriarchats. Die Skepsis wird durch ein Gestaltungselement verst\u00e4rkt, das dazu dient, sie auszur\u00e4umen: Durch den betont sachlichen und durch politologische Termini untermauerten Tonfall, der die eigene Interpretation als Faktum behauptet. Der Zuschauer sp\u00fcrt: Im Gestus journalistisch und wissenschaftlich fundierter Sachlichkeit verk\u00fcnden die Autoren eine Botschaft, die im weiteren Verlauf der Reportage klare Konturen gewinnt.<\/p>\n Der Film ist durch eine Bootsfahrt der Reporter flu\u00dfabw\u00e4rts in vier Stationen geteilt. Es sind die Stationen des Zerfalls und der Zerst\u00f6rung der urspr\u00fcnglichen indianischen Kultur: Auf der n\u00e4chstgelegenen Missionsstation werden die Campas zu Christen, Arbeitern und ‚zivilisierten‘ Menschen erzogen: \u00bbAlles ist darauf angelegt, die traditionelle Gruppensolidarit\u00e4t zu zerst\u00f6ren. ‚Jeder hat nur ein Recht auf das, was er sich im Schwei\u00dfe seines Angesichts selbst verdient hat.‘ Ein Satz wie dieser leitet hier das ein, was wir den gesellschaftlichen S\u00fcndenfall nannten. Er spaltet die Gruppe in T\u00fcchtige und Versager, in Reiche und Arme. Ungleichheit und Geschichte haben begonnen – der Kampf ums Dasein geht los. Unter dem Motto: du bist, was du hast. (…) Die Zivilisation hat gesiegt. (…) Die Kleinfamilie ist zum Kern der Gesellschaft geworden unter patriarchalischer Ordnung, wie Staat und Kirche es verlangen. \u00ab<\/p>\n Zwei weitere Stationen belegen diesen unaufhaltsamen Verfallsproze\u00df. In einem Dorf weiter flu\u00dfabw\u00e4rts leben die von Gro\u00dfgrundbesitzern und Spekulanten aus ihren Jagdgebieten vertriebenen Indianer vom Tourismus, der die Reste ihrer Kultur zur exotischen Ware macht. In der Hafenstadt schlie\u00dflich f\u00fchren die Reporter Gespr\u00e4che mit Campa-Frauen, die sich als Arbeiterinnen, Putzfrauen und Prostituierte durchschlagen. \u00bbDer Weg aus dem Urwald in die Zivilisation endet f\u00fcr viele im Bordell oder auf der Stra\u00dfe. Sie haben endg\u00fcltig Abschied genommen vom Lachen. \u00ab<\/p>\n So minuti\u00f6s der Zerfallsproze\u00df gefilmt, beschrieben und durch eine Reihe von Interviews und Gespr\u00e4chen belegt ist – es ist eine Thesen-Reportage gro\u00dfen Stils, die, orientiert an strukturanalytischen Kategorien, den Proze\u00df der Zivilisation als Deformationsproze\u00df beschreibt. Eine imperialismuskritische Parabel auf den verheerenden Siegeszug von christlicher Mission, Handel, Industrie, westlichen Werten und Verhaltensnormen in der Dritten Welt.<\/p>\n Das mag in vielen Z\u00fcgen richtig sein, wirft aber einen Einwand auf, der in der S\u00fcddeutschen Zeitung auch schon gegen\u00fcber den ersten Reportagen der Reihe Im Namen des Fortschritts erhoben worden ist: \u00bbF\u00fcr eine Dokumentation, die marxistische Ma\u00dfst\u00e4be nicht verleugnet, sollte es sich verbieten, die L\u00f6sung des Problems in der R\u00fcckbesinnung auf die ‚urspr\u00fcngliche Kultur‘ oder auf das ‚kulturelle Erbe‘ zu suchen. Zumindest sind solche Kriterien mit dem Selbstverst\u00e4ndnis der Entwicklungsl\u00e4nder unvereinbar. Die Staaten der Dritten Welt sind der \u00dcberfremdung durch die fr\u00fcheren Kolonialm\u00e4chte st\u00e4rker denn je ausgesetzt, aber nicht wegen des unbew\u00e4ltigten Kolonialerbes, sondern infolge der realen Bedrohung durch \u00f6konomische \u00dcbermacht. Ihnen in dieser Situation zur Bukolik oder zur Beschaulichkeit zu raten, ist von Zynismus nicht weit entfernt. \u00ab (2)<\/p>\n Ein solcher Einwand \u00fcbersieht allerdings, da\u00df Troeller und Deffarge eine m\u00f6gliche L\u00f6sung auch gar nicht in einer illusion\u00e4ren R\u00fcckkehr zu urspr\u00fcnglichen Lebensformen sehen, sondern eher in der sozialrevolution\u00e4ren Umgestaltung von Staaten der Dritten Welt, die nach einem eigenst\u00e4ndigen Weg der Entwicklung suchen. Die Ursprungsmythen dienen bei einer solchen Suche nur als Orientierungsmarken, die die Tendenz der anvisierten Sozialutopie bezeichnen. Mit dieser Suche nach politischen, sozialen und kulturellen Alternativen zu den kapitalistischen, kommunistischen und patriarchalisch gepr\u00e4gten Industriegesellschaften ist ein weiteres Leitmotiv benannt, das die Reportagereihen durchzieht.<\/p>\n Bereits in den fr\u00fchen Reportagen aus dem Jemen suchte das Team Troeller\/Deffarge nicht nur nach Relikten ‚urkommunistischer‘ Sozialstrukturen (Kommunisten seit 1000 Jahren, 1973), sondern auch nach neuen revolution\u00e4ren Perspektiven (S\u00fcdjemen, das Kuba der arabischen Welt 1972). Den Versuch einzelner L\u00e4nder und Befreiungsbewegungen, eigenst\u00e4ndige Vorstellungen von einer gerechteren Gesellschaft in die Praxis umzusetzen, dokumentierten sie unter anderem auch in Reportagen aus Algerien (Algier, Hauptstadt der Revolution\u00e4re 1972), Madagaskar (Die Revolution der kleinen Leute 1973), Tansania (Zum Teufel mit der Schule 1974) und Eritrea (Allein gegen die Gro\u00dfen 1977, Die Vergessenen 1986).<\/p>\n Mit solchen und \u00e4hnlichen Filmen standen sie im Kontext einer breiten Solidarit\u00e4tsbewegung, die sich seit den sp\u00e4ten sechziger Jahren um die Unterst\u00fctzung sozialrevolution\u00e4rer Tendenzen in L\u00e4ndern der Dritten Welt bem\u00fchte. Doch anders als viele Dritte-Welt-Gruppen, die nicht selten zu einer Idealisierung des jeweils favorisierten Entwicklungsmodells neigten, beobachteten Troeller und Deffarge deren Entwicklung bei aller Sympathie mit distanzierter Skepsis. Wiederholt \u00fcberpr\u00fcften sie ihre einstigen Einsch\u00e4tzungen im Lauf der Zeit und kamen dabei etwa am Beispiel Tansanias, Algeriens, Chinas oder auch des Iran zu ern\u00fcchternden Bilanzen. Seine Zielsetzungen und seine Vorgehensweise hat Gordian Troeller 1981 in einem Interview skizziert:<\/p>\n \u00bbWenn ich meine Denkweise definieren sollte, w\u00fcrde ich sagen, da\u00df die vorherrschenden Wertvorstellungen, die politischen Dogmen und eine ganze Menge wissenschaftlicher Methoden mir suspekt vorkommen, weil sie ideologisch besetzt sind. Sie erscheinen mir wie ein Schleier zwischen der Welt und mir, wie ein Zerrspiegel, der mir den Zugang zur Wirklichkeit verstellt. Das macht unsere Arbeit eher schwerer als leichter. (…) Vielleicht haben wir deshalb diese unsichtbare Schranke \u00fcberwinden k\u00f6nnen, die die meisten daran hindert, andere Kulturen von innen heraus zu verstehen. Den kulturellen Hochmut des Ethnozentrismus und den Fortschritts-Fetischismus, dem Linke wie Rechte gleicherma\u00dfen huldigen, lehnen wir mit der gleichen Entschiedenheit ab, mit der diese unsere Ideen bek\u00e4mpfen. Wir haben selber recht lange gebraucht, um zu akzeptieren, da\u00df der wei\u00dfe westliche Mensch nicht das Summum der menschlichen Entwicklung ist, der \u00fcber andere Kulturen richten darf. Und wir sind zu dem Schlu\u00df gekommen, da\u00df es f\u00fcr andere V\u00f6lker eine Katastrophe ist, wenn unsere Zivilisation sich ihrer annimmt. \u00ab (3)<\/p>\n Diese Skepsis d\u00fcrfte ihn auch davor bewahrt haben, allzu entt\u00e4uscht auf das Scheitern entwicklungspolitischer Experimente zu reagieren, von dem die Solidarit\u00e4tsbewegung paralysiert worden ist. Das Interesse der ‚Neuen Linken‘ an Problemen der Dritten Welt lie\u00df in den achtziger Jahren in dem Ma\u00dfe nach, wie sich die sozial-utopischen Hoffnungen zerschlugen. War der Kommentar-Journalismus schon unter dem Einflu\u00df des Direct Cinema in den sechziger Jahren in Mi\u00dfkredit geraten, so wurden nunmehr auch die strukturanalytischen Filme und die Dritte-Welt-Filme auf linke Klischees, politische Projektionen und Schwarzwei\u00dfmalerei hin \u00fcberpr\u00fcft. Am rigorosesten rechneten Filmemacher wie Peter Heller, Peter von Gunten und Peter Krieg mit dem zuvor von ihnen selbst bevorzugten Filmstil ab. Peter Heller sprach vom \u00bblinken Paukersyndrom\u00ab, das die eigenen Weltverbesserungsideen zu didaktischen Dokumentarfilmen verarbeitete. Peter Krieg stellte den von Dokumentarfilmen postulierten Wahrheitsanspruch in Frage und bezweifelte grunds\u00e4tzlich die M\u00f6glichkeit einer realit\u00e4tsad\u00e4quaten Abbildung von Wirklichkeit durch dokumentarische Filme. Beide Autoren wandten sich st\u00e4rker subjektiv gepr\u00e4gten Essayfilmen zu. Die in den achtziger Jahren immer wieder gef\u00fchrte Debatte \u00fcber die Krise des Dokumentarfilms traf insbesondere auch die Dritte-Welt-Filme.<\/p>\n Gordian Troeller blieb von den filmtheoretischen Diskussionen der sechziger und achtziger Jahre \u00fcber Direct Cinema und die Krise des Dokumentarfilms sowie von den wechselnden dokumentarischen Moden merkw\u00fcrdig unber\u00fchrt. Er hielt wohl auch bewu\u00dft Distanz zu ihnen. Seinen eigenen Filmstil hat er fr\u00fch entwickelt und seit den sechziger Jahren nicht wesentlich modifiziert.<\/p>\n Wie viele Fernseh-Journalisten der \u00e4lteren Generation kam auch er von der Presse. Der Wort-Journalismus und die Fotoreportage haben seinen Filmstil beeinflu\u00dft. Dessen markantestes Merkmal ist ein scharfsinnig-analytischer und vielfach provokant zugespitzter Autorenkommentar, der durch Interviews und Gespr\u00e4che erg\u00e4nzt wird. Das hat ihm wiederholt den Vorwurf eingetragen, seine Filme seien wortlastig und er illustriere vielfach mit filmischen Mitteln vorgefertigte journalistische Analysen. Gegen Vorw\u00fcrfe dieser Art hat er sich vehement zur Wehr gesetzt:<\/p>\n \u00bbStarke Bildsequenzen passen nicht unbedingt zu starken Textpassagen – und umgekehrt. Manchmal erg\u00e4nzen sich Bild und Text nicht recht. Dann wettern die Puristen: Der Troeller belegt nicht, was er sagt, die ‚Schere‘ zwischen Bild und Text klappt weit auseinander. Das kommt schon mal vor. Aber stimmt deshalb meine Analyse nicht? Als ich schreibender Journalist war, brauchte ich nichts mit Bildern zu belegen. Man nahm mir ab, da\u00df ich gr\u00fcndlich recherchiert hatte. (…) Jetzt verlangen pedantische Puristen, da\u00df jeder Satz von Bildern best\u00e4tigt wird. Bei Reiseberichten und Propagandafilmen ist das einfach, bei Analysen hingegen ganz unm\u00f6glich. Es sei denn, man stellt die Szenen, spielt den Regisseur, um die verlangten Beweise zu erbringen. Das lehne ich ab. (…) Interviews schaffen Probleme, wenn man nur 45 Minuten f\u00fcr einen Film zur Verf\u00fcgung hat und viel erkl\u00e4rt werden mu\u00df. Wie soll ein Bauer oder ein Arbeiter aus seiner individuellen Lage heraus die Gesamtheit einer Situation, die Ursachen seines Elends ebenso beurteilen und konkret zusammenfassen, ja, einem deutschen Publikum verst\u00e4ndlich machen k\u00f6nnen, wie wir, die wir so viele Vergleiche anstellen k\u00f6nnen? Deshalb finden wir es realistischer, Bilder zu zeigen, die die Situationen charakterisieren, und dar\u00fcber unsere Erfahrungen zu erl\u00e4utern. \u00ab (4)<\/p>\n Ganz von der Hand weisen l\u00e4\u00dft sich der Einwand, es handle sich bei vielen Filmen um eine von politischen Analysen vorstrukturierte selektive filmische Wahrnehmung mit solchen Argumenten allerdings nicht. Doch darin besteht die Crux jeglicher Filmberichterstattung.<\/p>\n Schon die ersten bedeutenden Fernsehreporter wie Peter von Zahn (Bilder aus der Neuen Welt), Hans Walter Berg (Gesichter Asiens), Thilo Koch (Weltb\u00fchne Amerika) und Peter Scholl-Latour orientierten sich in ihrer Auslandsberichterstattung \u00fcber die Dritte Welt an leitenden Perspektiven wie dem Ost-West-Gegensatz, dem Stand der Industrialisierung oder der Adaption westlicher Kultur und Zivilisation. Sp\u00e4ter kamen der Nord-S\u00fcd-Konflikt, entwicklungspolitische und \u00f6kologische Gesichtspunkte hinzu.<\/p>\n Troeller steht dagegen in einer kolonial- und imperialismuskritischen Tradition, wie sie im Dokumentarfilm fr\u00fch von Joris Ivens und im Fernsehen zuerst von Gert von Paczensky und der fr\u00fchen Panorama-Redaktion gepr\u00e4gt worden ist. Seine Besonderheit besteht darin, da\u00df er an dieser analytischen Betrachtungsweise selbst dann noch festhielt, als das Fernsehen und die Filmemacher der ‚Neuen Linken‘ sich von ihr abwandten. Lag er in den siebziger Jahren im Trend, so wurde er in den Achtzigern und Neunzigern eher zum Au\u00dfenseiter.<\/p>\n Diese hartn\u00e4ckige Konsequenz, die ihm gelegentlich als Starrsinn vorgehalten worden ist, erweist sich unter den gewandelten Verh\u00e4ltnissen allerdings als neue Qualit\u00e4t. Mehr denn je liegen Troellers Filme mit ihrem aufkl\u00e4rerischen Anspruch und ihrer Parteinahme f\u00fcr die in Abh\u00e4ngigkeit und Armut gehaltenen V\u00f6lker der Dritten Welt quer zur Depolitisierung nicht nur der Fernsehberichterstattung. St\u00e4rker noch als zuvor sind sie zum Stein des Ansto\u00dfes geworden, an dem sich der herrschende Konsens bricht. W\u00e4hrend die am Vorbild der Live-Berichterstattung von CNN orientierten aktualit\u00e4tsversessenen Reportagen immer reflektionsloser werden, konterkariert Troeller die Selbstverst\u00e4ndlichkeiten, Mythen und Tabus der Fernsehberichterstattung durch provokante Gegendarstellungen, die oft heftige \u00f6ffentliche Diskussionen ausl\u00f6sen. Gerade in dieser Funktion im Kontext \u00f6ffentlicher Meinungsbildung erweist sich die Produktivit\u00e4t seiner Vorgehensweise. Zwei Beispiele liefern reichliches Anschauungsmaterial.<\/p>\n Mit der Reportage …denn ihrer ist das Himmelreich er\u00f6ffnete Troeller 1984 bei Radio Bremen seine neue Reihe Kinder der Welt. Am Beispiel der Missionst\u00e4tigkeit der katholischen Kirche bei Indianern im tropischen Tiefland Boliviens beschreibt er Kindheit als Metapher f\u00fcr einen Erziehungs-, Unter-dr\u00fcckungs- und Anpassungsproze\u00df, der in der Entm\u00fcndigung und ‚Zivilisierung‘ von Naturv\u00f6lkern durch die Agenten christlicher Religiosit\u00e4t und westlicher Kultur seine Entsprechung findet. Die katholische Kirche erscheint dabei nicht nur in historischer Sicht, sondern auch in ihrem gegenw\u00e4rtigen Wirken als eine der st\u00e4rksten Kr\u00e4fte der Zersetzung einst autonomer indianischer Kulturen. Sie beantwortete diese journalistische Herausforderung nicht nur mit einem Aufschrei der Emp\u00f6rung, sondern vor allem auch mit einer gezielten Intervention in den Gremien und Rundfunkr\u00e4ten der ARD und Radio Bremens. Von \u00bbbeispielloser Diffamierung der kirchlichen Missionsarbeit\u00ab war die Rede; man erwog strafrechtliche Schritte wegen Ver\u00e4chtlichmachung der christlichen Religion, und Forderungen nach Einstellung der Reihe und K\u00fcndigung der Zusammenarbeit mit Troeller wurden laut. Der Sender blieb den massiven Interventionen der katholischen Kirche gegen\u00fcber allerdings standhaft und stellte sich trotz heftiger Kritik auch aus den Reihen der ARD und des Rundfunkrats im Namen journalistischer Meinungsfreiheit hinter den Autor und seinen Film. (5)<\/p>\n War hier der Nerv einer Institution getroffen, die mit ihrer Lobby in den Rundfunkr\u00e4ten in der Regel f\u00fcr eine kirchenfreundliche Berichterstattung des \u00f6ffentlich-rechtlichen Fernsehens sorgt, so wurde eine weitere Reportage der Reihe Kinder der Welt zum Skandalen, weil sie nicht nur eine andere Religionsgemeinschaft in Harnisch versetzte, sondern zugleich ein deutsches Trauma ber\u00fchrte. Die Reportage Die Nachkommen Abrahams (1989) setzte sich unter dem Eindruck der lntifada, des Aufstands der Pal\u00e4stinenser gegen die Israelische Besatzungsmacht, mit dem Israelisch-arabischen Konflikt auseinander.<\/p>\n Dixieland – das ist im Jargon der Nahost-Korrespondenten der etwas absch\u00e4tzige Name f\u00fcr Israel -, und das soll wohl hei\u00dfen, da\u00df man es wie selbstverst\u00e4ndlich f\u00fcr eine Art Yankee-Kolonie h\u00e4lt. Dennoch, oder gerade deshalb, ist die deutsche Fernsehberichterstattung bei aller Kritik an einzelnen Mi\u00dfst\u00e4nden in der Grundtendenz pro-israelisch geblieben. Das hat die gesamte Nahost-Berichterstattung eingef\u00e4rbt. In der Auslandsberichterstattung des Fernsehens nimmt sie zwar einen gro\u00dfen Raum ein, aber das deutsche Fernsehen ist in diesem Konflikt keineswegs der neutrale Beobachter, der allen Seiten gleicherma\u00dfen gerecht zu werden versucht, sondern es ergreift sp\u00e4testens dann Partei, wenn Israel involviert ist. Schon Peter von Zahn verschaffte in seinem Fernseh-Portrait Der Sohn des L\u00f6wen. Israels Ben Gurion (1963) dem Israelischen Staatsf\u00fchrer ein Forum der Selbstdarstellung und rechtfertigte unter Berufung auf uralte religi\u00f6se Prophezeiungen von der R\u00fcckkehr des auserw\u00e4hlten Volkes in das Land der V\u00e4ter die expansive zionistische Eroberungs- und Siedlungspolitik. Den deutschen Fernsehzuschauern wurden auf diese Weise die j\u00fcdischen Geschichtslegenden von der Entstehung des Staates als Fakten unterbreitet. Getreu der zionistischen Parole \u00bbEin Land ohne Volk f\u00fcr ein Volk ohne Land\u00ab erschien die j\u00fcdische Landnahme in Pal\u00e4stina in dieser Sicht als Besiedlung eines nahezu menschenleeren W\u00fcstenlandes.<\/p>\n Der liberale und linke Journalismus hatte dem skizzierten Israel-Bild lange Zeit wenig entgegenzusetzen. Anders als in England und Frankreich wurde Kritik am militanten Zionismus wegen der Schuld, die seit der Massenvernichtung der Juden auf Deutschland lastet, vielfach mit Antisemitismus gleichgesetzt und aus einem kollektiven schlechten Gewissen heraus gerade auch von der Linken tabuisiert.<\/p>\n Noch st\u00e4rker als f\u00fcr Presse und Rundfunk galt dies f\u00fcr die Fernsehberichterstattung. Der Fernseh-Journalist Helmut Greulich hat in seinem Dokumentarfilm Wie fern ist der Nahe Osten (1975) am Beispiel eines Israel-Korrespondenten \u00fcber Arbeitsweise und Zw\u00e4nge der journalistischen T\u00e4tigkeit in der Region berichtet. F\u00fcr den einzelnen Korrespondenten ist es \u00e4u\u00dferst schwer, gegen den skizzierten Trend, der von der Heimatredaktion erwartet und teilweise auch gesteuert wird, anzuberichten. Zwar ist auch die deutsche Fernsehberichterstattung sp\u00e4testens seit dem Engagement der Studentenbewegung f\u00fcr die arabisch-pal\u00e4stinensische Befreiungsbewegung auf die problematische Lage der Pal\u00e4stinenser verst\u00e4rkt aufmerksam geworden. Doch selbst die Berichterstattung \u00fcber Diskriminierung und Benachteiligung der Pal\u00e4stinenser und die im Verlauf der Israelisch-arabischen Kriege von 1956, 1967 und 1973 vollzogene v\u00f6lkerrechtswidrige Eroberung und Annexion arabischen Landes durch Israel zeigt in der Regel viel Verst\u00e4ndnis f\u00fcr die Politik der Staatsf\u00fchrung. Trotz des allm\u00e4hlichen Wandels der Israel-Berichterstattung sind die zentralen Tabus und Ideosynkrasien in Deutschland nach wie vor wirksam. Dabei wirken die Tabus in der Regel als internalisierte Denkmuster und Kommunikationsverbote, als Schere im Kopf. Erst wenn sie trotzdem verletzt werden, tritt mit dem \u00f6ffentlichen Protest auch die interne Rundfunkzensur in Aktion.<\/p>\n Gordian Troeller begann seine Reportage Die Nachkommen Abrahams (1989) \u00e4hnlich wie Peter von Zahn sein Portr\u00e4t Ben Gurions mit einem Rekurs auf biblische Mythen und Verhei\u00dfungen. Doch anders als jener reproduzierte er nicht das Selbstverst\u00e4ndnis der Israelischen Staatsf\u00fchrung, sondern begann mit einer Kontrastmontage, die die im Lande herrschenden Interessengegens\u00e4tze und Widerspr\u00fcche scharfkonturierte. Vermummte pal\u00e4stinensische Kinder spielen auf den Stra\u00dfen Intifada. Brave j\u00fcdische Kinder singen in einem Kindergarten hebr\u00e4ische Lieder. Dann erst setzt der Kommentar ein:<\/p>\n \u00bbDie Juden sind aus den verschiedensten L\u00e4ndern der Welt in dieses Land gekommen. Einige Kinder hier sehen aus wie Marokkaner, andere wie \u00c4thiopier und wieder andere wie Polen und Deutsche. Der Grund f\u00fcr die Diskriminierung und Verfolgung der Juden kann also nicht die Rasse sein, auch wenn das Wort Antisemitismus das nahelegt. Was weltweit zur Ausgrenzung des j\u00fcdischen Volkes f\u00fchrte, hat eher mit seinem Anspruch zu tun, Gottes auserw\u00e4hltes Volk zu sein. In diesem Glauben werden die Kinder noch heute erzogen. Sie lernen auch, da\u00df Gott ihnen das Land geschenkt hat. (…) Das war vor 4000 Jahren. Die meisten Juden, die in den letzten hundert Jahren hier einwanderten, haben sich darauf berufen. Doch in diesem Land lebten schon andere Menschen. Araber. Auch sie sind Nachkommen Abrahams. Die ‚Bruderfehde‘ zwischen Juden und Pal\u00e4stinensern hat zu mehreren Kriegen gef\u00fchrt. Israel konnte sich behaupten und seine Existenz wird von der Mehrheit der Pal\u00e4stinenser nicht mehr in Frage gestellt. Es k\u00f6nnte Friede herrschen, wenn die Israelis sich mit den ihnen international zugestandenen Gebieten begn\u00fcgen w\u00fcrden. \u00ab<\/p>\n Mit dieser Einleitung verletzte Gordian Troeller gleich eine ganze Reihe von Tabus. Mit der Infragestellung der Mythen vom ‚auserw\u00e4hlten Volk‘ und vom ‚Land der Verhei\u00dfung‘ wird auch die Legitimation der Israelischen Landnahme und Herrschaft in Frage gestellt und die Juden werden mitverantwortlich gemacht f\u00fcr den Antisemitismus. Und es werden die zionistischen Koloniallegenden vom ‚Land ohne Volk‘ widerlegt, die Forderungen der Pal\u00e4stinenser unterst\u00fctzt und Israels Annexionspolitik f\u00fcr die gespannte Lage und die Intifada verantwortlich gemacht. Im weiteren Verlauf zeigt der Film am Beispiel zweier pal\u00e4stinensischer Familien die elenden Lebensbedingungen in den besetzten Gebieten, die schon bei den Kindern zu Angst- und Ha\u00dfphantasien f\u00fchren und stellt dann arabische und Israelische Schulklassen vor, um zu demonstrieren, wie die Feindbilder der Elterngeneration von den Kindern und Jugendlichen \u00fcbernommen werden. Der Schlu\u00df zeigt mit Aktionen der Friedensorganisation Peace now und mit Frauendemonstrationen Aktivit\u00e4ten der liberalen und linken j\u00fcdischen Opposition, die sich f\u00fcr die R\u00e4umung der besetzten Gebiete und die Verst\u00e4ndigung mit den Arabern ebenso einsetzt wie f\u00fcr \u00bbdie Werte, denen sich die meisten Juden in aller Welt verpflichtet f\u00fchlen: Menschlichkeit, Toleranz, Friedfertigkeit…\u00ab<\/p>\n Der Film ist antithetisch durchstrukturiert und ergreift deutlich Partei, wie Dutzende von Features zuvor auch – nur eben f\u00fcr die andere Seite. Die Reaktionen lie\u00dfen nicht auf sich warten.<\/p>\n Der Fernsehausschu\u00df des Bayerischen Rundfunks erkl\u00e4rte die Reportage f\u00fcr gesetzeswidrig, weil sie eine \u00bbeindeutige antisemitische Tendenz\u00ab aufweise, und erforderte eine Gegendarstellung. Der Rundfunkrat des NDR sprach von \u00bbantij\u00fcdischen Tendenzen\u00ab und \u00bbhistorischen Fehldarstellungen\u00ab. Der Vorsitzende des Programmbeirates der ARD meinte, der Film sei \u00bbma\u00dflos aggressiv gegen Israel gewesen und geeignet, antisemitische Gef\u00fchle zu wecken\u00ab und zeigte sich entsetzt dar\u00fcber, da\u00df ein solcher Beitrag im deutschen Fernsehen gezeigt worden war. Der Zentralrat der Juden sah das Zusammenleben von Juden und Nichtjuden in der Bundesrepublik bedroht, und der Vertreter der j\u00fcdischen Kulturgemeinde im bayerischen Rundfunkrat sprach von Nazi-Propaganda, die dazu diene, \u00bbdie Stimmung gegen die Juden aufzuheizen\u00ab. Radio Bremen konzedierte mi\u00dfverst\u00e4ndliche Formulierungen, wies die Vorw\u00fcrfe jedoch zur\u00fcck. (6)<\/p>\n Gordian Troeller reagierte auf die auch in der Presse vorgetragenen Angriffe mit dem Hinweis, \u00bbda\u00df die Israelische Propaganda jede Kritik am Staat Israel als Verleumdung des j\u00fcdischen Volkes anprangert\u00ab, um sie dann als neonazistisch und antisemitisch abwerten zu k\u00f6nnen. Der Film habe f\u00fcr die Menschenrechtsverletzungen aber nicht \u00bbdie Juden\u00ab verantwortlich gemacht, sondern die Israelische Regierung. \u00bbMit der Gleichsetzung von Israel und j\u00fcdischem Volk tut man den Juden in aller Welt keinen Gefallen. Im Gegenteil, man provoziert einen neuen Antisemitismus. Aber gerade dem wollen wir mit Filmen wie dem unsrigen entgegenwirken. \u00ab (7)<\/p>\n Die Angriffe auf Troellers Film zeigen, da\u00df es in Deutschland, anders als etwa in England, Frankreich und den USA, offenbar nach wie vor kaum m\u00f6glich ist, Kritik an der Israelischen Politik und dem Mi\u00dfbrauch der j\u00fcdischen Religion f\u00fcr Zwecke der zionistischen Rechtfertigungsideologie zu \u00fcben, ohne sogleich als Antisemit verschrien zu werden. Nicht, da\u00df man hierzulande zwischen Antizionismus und Antisemitismus nicht unterscheiden k\u00f6nnte. Man kann es schon, aber man darf es nicht und hat es auch nicht zu wollen. Insbesondere l\u00e4uft jede Parteinahme f\u00fcr Pal\u00e4stinenser und Araber Gefahr, ebenfalls als Antisemitismus abqualifiziert zu werden. \u00bbDie Solidarit\u00e4t mit dem vorgeschobenen Posten abendl\u00e4ndischer Zivilisation in der arabischen Welt war psychologisch dadurch nicht hinterfragbar abgesichert\u00ab, so hei\u00dft es in einer neueren Studie zum TV-Orientalismus, \u00bbda\u00df die Adenauer-Gesellschaft sich vom Grauen der Vergangenheit durch unverbr\u00fcchliche Freundschaft mit dem Staat Israel loszukaufen suchte. Diese ‚Entsorgung‘ von Schuldgef\u00fchlen schaffte in der Bundesrepublik, was in anderen L\u00e4ndern das Gesch\u00e4ft einer massiven Lobby war, n\u00e4mlich die Demarkationslinie des Diskurses \u00fcber die Region durch die Gleichung pro-arabisch = antisemitisch festzulegen und mit Argusaugen zu bewachen. \u00ab (8) Wegen der Schuld, die das deutsche Volk mit den Judenverfolgungen auf sich geladen hat, hat es nun zur S\u00fchne und Wiedergutmachung seiner Untaten geschlossen hinter Israel zu stehen. Und wehe den Feinden, die es wagen, diesen Staat zu bedrohen. Die Mehrheit der Deutschen und ihrer Presse von Bild bis Konkret – das ist anl\u00e4\u00dflich des letzten Golf-Krieges klar geworden wie selten zuvor – ist innerlich bereit und demn\u00e4chst dank der k\u00fcnftigen NATO-Eingreiftruppen auch milit\u00e4risch ger\u00fcstet, sie niederzumachen. Am besten mit einem Pr\u00e4ventivschlag.<\/p>\n Der zwanghafte Philosemitismus, mit dem die Deutschen ihre Vergangenheit zu bew\u00e4ltigen glaubten, hat ein Monstrum wieder zum Leben erweckt, das fast so alt ist wie der verdr\u00e4ngte Antisemitismus und diesem in vielen Z\u00fcgen zum Verwechseln \u00e4hnlich sieht – den Antiarabismus und Antiislamismus. Der nach den Judenvernichtungen tabuisierte Antisemitismus hat damit jedoch nur seine Gestalt ver\u00e4ndert und richtet sich nunmehr nicht mehr so sehr gegen die Juden als vielmehr gegen die \u00fcbrigen semitischen V\u00f6lker und dar\u00fcber hinaus gegen den gesamten Islam. Dieser Gestaltwandel des schuld- und interessegeleiteten deutschen und europ\u00e4ischen Ressentiments, das mit wachsender Distanz zum Holocaust und wechselnder Interessenlage auch wieder umschlagen kann in die unterschwellig immer noch sp\u00fcrbare und partiell auch noch offen auftretende Judenfeindschaft, ist das Charakteristikum des hier skizzierten janusk\u00f6pfigen Antisemitismus-Syndroms.<\/p>\n Es liegt in der Logik dieses Syndroms, da\u00df die Bombardierung des Irak propagandistisch dadurch vorbereitet wurde, da\u00df sein Staatschef Saddam Hussein als arabisch-islamischer Hitler verteufelt wurde. Nicht weil er Kuweit annektiert hatte, sondern weil er mit seinen Gro\u00dfmachtpl\u00e4nen auch Israel und die westlichen Interessen in Nahost bedrohte. Faschistische Diktaturen darf man nicht nur, man mu\u00df sie – wie der Zweite Weltkrieg angeblich gelehrt hat – ohne falsche R\u00fccksichtnahme und ‚Appeasement-Politik‘ rechtzeitig milit\u00e4risch vernichten. Die Angreifer nannten sich wie einst die Anti-Hitler-Koalition die ‚Alliierten‘, und die Deutschen standen diesmal zwar auf der richtigen Seite, mu\u00dften sich aber von ihren ‚Alliierten‘ wie von den Israelis den Vorwurf gefallen lassen, sie seien nicht militant genug bei der Sache.<\/p>\n Dabei steigerte auch die Fernsehberichterstattung das Schreckensbild vom irakischen Diktator und seinem verblendeten Volk durch Rekurs auf alte abendl\u00e4ndische \u00c4ngste und Feindbilder ins D\u00e4monische. Wie einst der von den Arabern verherrlichte Feldherr Saladin den Kreuzrittern als Ausgeburt der H\u00f6lle und Gesandter des Teufels erschienen war, so wurden jetzt Saddam Hussein und seine Anh\u00e4nger verteufelt. Doch er ist nur der vorerst letzte in der nach dem Zweiten Weltkrieg von den westlichen Medien entworfenen Galerie schreckenerregender arabisch-islamischer Despoten und fanatisierter V\u00f6lker. \u00c4hnliches war zuvor schon Nasser und den \u00c4gyptern, Arafat und den Pal\u00e4stinensern, Ghadaffi und den Libyern sowie Khomeiny und den Iranern widerfahren, als sie es wagten, sich mit dem Kampf gegen Israel, der Verstaatlichung des Suezkanals oder der eigenen \u00d6lindustrie dem Zugriff der euro-amerikanischen Konzerne und der westlichen Gro\u00dfm\u00e4chte zu entziehen, die ihrer Ansicht nach im Nahen Osten imperialistische Interessenpolitik betrieben. Nach gleichem Muster wird auch der islamische Fundamentalismus als ebenso fanatische wie bedrohliche Heilslehre perhorresziert.<\/p>\n Besonders hervorgetan haben sich bei dieser Verketzerung wechselnder arabischer Staaten, Staatsm\u00e4nner und des Fundamentalismus die Nahost-Experten des deutschen Fernsehens, Gerhard Konzelmann und Peter Scholl-Latour. In einer F\u00fclle von Reportagen und fragw\u00fcrdigen Sachb\u00fcchern verficht Konzelmann seine These vom jahrhundertealten Kampf zwischen Orient und Okzident, Islam und Christentum, der nun mit dem Herrschaftsanspruch des Fundamentalismus neuerlich in eine entscheidende Phase getreten sei. Und zur Einstimmung des deutschen Fernsehpublikums auf den Golf-Krieg der sogenannten Alliierten gegen den Irak trat kurz vor dem Ablauf des US-Ultimatums der Sonderkorrespondent Peter Scholl-Latour mit seiner vierteiligen Dokumentation Das Schwert des Islam (6.1. -14.1.1991) im Fernsehen auf. Mit seiner Metapher vom ‚Schwert Allahs‘, das Israel und das Abendland mit religi\u00f6sem Fanatismus, ‚Heiligem Krieg1, Giftgas, \u00d6l-Boykott und der islamischen Atombombe bedroht, baute er ein Feindbild auf, das der bevorstehenden Bombardierung des Irak den Boden bereiten sollte. (9)<\/p>\n Es geh\u00f6rt zu den bedeutendsten Leistungen Gordian Troellers, da\u00df er den antiarabischen und antiislamischen Stereotypen der Fernsehberichterstattung und der Stilisierung des Nahen Ostens zur permanenten Krisenregion in einer Vielzahl von Reportagen entgegengewirkt hat.<\/p>\n Schon seine fr\u00fchen Reportagen aus dem Jemen, dem Irak und dem Iran bem\u00fchten sich darum, dem westlichen Zuschauer Verst\u00e4ndnis f\u00fcr die Eigenarten der islamischen Religiosit\u00e4t und Kultur und die politischen Probleme der arabischen V\u00f6lker zu vermitteln. Dabei hat insbesondere seine Sympathie f\u00fcr die islamische Revolution im Iran viel Widerspruch provoziert. Mit seiner Iran-Reportage Freiheit unter dem Schleier (1981) unterlief er die g\u00e4ngige Gleichsetzung von Verschleierung und Frauenunterdr\u00fcckung und zog sich den Zorn westlicher Feministinnen zu. Zugleich konterte er die westlichen Islam-Klischees durch den Nachweis, da\u00df der moderne Fundamentalismus mit der Abwehr westlicher \u00dcberfremdung nicht der Aggression oder einer obskuren ‚R\u00fcckkehr ins Mittelalter‘, sondern in erster Linie der Bewahrung der eigenen Kultur dient.<\/p>\n Troellers Nahost-Reportagen erweisen sich damit im Programmkontext als Instrumente der Dekonstruktion mythisch fundierter Medienbilder, die insbesondere die Ressentiments und Freund-Feind-Schemata deutscher Zuschauer aufbrechen. Gerade weil sie tief verwurzelte Tabus in Frage stellen, provozieren sie eine Diskussion, die in Deutschland \u00fcberf\u00e4llig ist. Dies ist um so wichtiger in einer Situation, in der der letzte Golf-Krieg die alten Medienklischees wieder aktiviert hat. Troellers filmische Strategie, die die ethno- und eurozentrischen Leitlinien des Fernsehjournalismus und deren Tendenz zur Krisen- und Elendsberichterstattung \u00fcber die Dritte Welt unterl\u00e4uft und gezielt mit Gegenbildern konfrontiert, erweist sich damit als produktiv. Mit der Demontage nationaler Stereotypen und Vorurteile zielt sie auch auf die Relativierung medial vermittelter Weltbilder, die aufgrund ihrer Omnipr\u00e4senz von der Masse der Zuschauer leicht als ad\u00e4quater Ausdruck der Realit\u00e4t genommen werden.<\/p>\n Ein Pr\u00fcfstein f\u00fcr die Qualit\u00e4t des Fernseh-Dokumentarismus wird auch k\u00fcnftig sein, ob er umstrittenen Au\u00dfenseitern wie Gordian Troeller die M\u00f6glichkeit bietet, ihre Sicht der gesellschaftlichen Verh\u00e4ltnisse \u00f6ffentlich zur Diskussion zu stellen.Auch und besonders dann, wenn dadurch die uns allen allzu vertraute Fernseh-Realit\u00e4t aus zweiter Hand ins Flimmern ger\u00e4t.<\/p>\n Dr. Peter Zimmermann<\/strong>, geb. 1944, Privatdozent der Literatur- und Medienwissenschaften. Von 1973 bis 1991 Lehr- und Forschungst\u00e4tigkeit an den Universit\u00e4ten Wuppertal, Kairo und Marburg. Seit 1992 wissenschaftlicher Leiter des von SDR, SWF, ZDF u.a., neugegr\u00fcndeten Hauses des Dokumentarfilms in Stuttgart.<\/em><\/p>\n (1) Fernseh-Kritik in: Niederelbe-Zeitung vom 28.7.1976<\/em> Aus:<\/em> Denn sie wissen, was sie tun.\u00a0Zur Dekonstruktion eurozentrischer TV-Stereotypen \u00fcber die \u00bbDritte Welt\u00ab Kinder als Schuhputzer und Parkw\u00e4chter, als Arbeiter in Ziegeleien und auf Zuckerrohrplantagen – die Bilder, mit denen Gordian Troellers Reportage Denn sie wissen, was sie tun (1985) \u00fcber Kinderarbeit in Bolivien beginnt, spekulieren auf das Mitleid der westlichen Zuschauer. Da sieht man…<\/p>\n","protected":false},"author":1,"featured_media":54978,"parent":54274,"menu_order":5,"comment_status":"closed","ping_status":"closed","template":"","meta":{"_seopress_robots_primary_cat":"","_seopress_titles_title":"","_seopress_titles_desc":"","_seopress_robots_index":"","footnotes":""},"categories":[],"tags":[],"class_list":["post-54278","page","type-page","status-publish","has-post-thumbnail","hentry","entry","has-media"],"_links":{"self":[{"href":"https:\/\/www.troeller-deffarge.com\/wp-json\/wp\/v2\/pages\/54278"}],"collection":[{"href":"https:\/\/www.troeller-deffarge.com\/wp-json\/wp\/v2\/pages"}],"about":[{"href":"https:\/\/www.troeller-deffarge.com\/wp-json\/wp\/v2\/types\/page"}],"author":[{"embeddable":true,"href":"https:\/\/www.troeller-deffarge.com\/wp-json\/wp\/v2\/users\/1"}],"replies":[{"embeddable":true,"href":"https:\/\/www.troeller-deffarge.com\/wp-json\/wp\/v2\/comments?post=54278"}],"version-history":[{"count":0,"href":"https:\/\/www.troeller-deffarge.com\/wp-json\/wp\/v2\/pages\/54278\/revisions"}],"up":[{"embeddable":true,"href":"https:\/\/www.troeller-deffarge.com\/wp-json\/wp\/v2\/pages\/54274"}],"wp:featuredmedia":[{"embeddable":true,"href":"https:\/\/www.troeller-deffarge.com\/wp-json\/wp\/v2\/media\/54978"}],"wp:attachment":[{"href":"https:\/\/www.troeller-deffarge.com\/wp-json\/wp\/v2\/media?parent=54278"}],"wp:term":[{"taxonomy":"category","embeddable":true,"href":"https:\/\/www.troeller-deffarge.com\/wp-json\/wp\/v2\/categories?post=54278"},{"taxonomy":"post_tag","embeddable":true,"href":"https:\/\/www.troeller-deffarge.com\/wp-json\/wp\/v2\/tags?post=54278"}],"curies":[{"name":"wp","href":"https:\/\/api.w.org\/{rel}","templated":true}]}}
\n (2) Manfred Hutterer: Partnerschaft – ein leeres Wort. In: S\u00fcddeutsche Zeitung vom 1.12.1974<\/em>
\n (3) Gordian Troeller und Marie-ClaudeDeffarge im Gespr\u00e4ch. <st1:place><st1:city>CON-Film<\/st1:city>, <st1:state>Bremen<\/st1:state><\/st1:place> 1988, S. 36 f.<\/em>
\n (4) Gordian Troeller, a.a.O., S. 11 f.<\/em>
\n (5) Vgl. Dokumentation des CON-Fim-Verleihs zur Kampagne der katholischen Kirche gegen Troellers Film.<\/em>
\n (6) Vgl. ‚BR-Fernseh-Ausschu\u00df r\u00fcgt Troeller-Reportage als gesetzwidrig‘. In: epd 90\/89 vom 15.11.1989; ‚Heftige Kritik an Fernsehsendung \u00fcber Pal\u00e4stinenserkinder‘. In: epd\/Kirche und Rundfunk Nr. 77 vom 30.9.1989; Ellen Hofmann: ‚Wahrheitssuche in vermintem Gel\u00e4nde‘ .In: S\u00fcddeutsche Zeitung vom 14.11.1989; Gordian Troeller: ‚Israel ist ein Staat wie jeder andere‘. In: S\u00fcddeutsche Zeitung vom 17.11.1989; David Singer: ‚Den Genozid zum G\u00e4rtner machen. F\u00fcr die ARD sind \u00bbdie Juden\u00ab selber schuld‘. In: Die Tageszeitung vom 26.9.1989; Uwe Grieger: ‚Vom hohen Ro\u00df herunter. Antwort auf David Singers Kritik‘. In: Die Tageszeitung vom 29.9.1989; Elkan Spiller: ‚Antisemitismus in der Informationsvermittlung. Analyse eines vieldiskutierten Dokumentarfilms‘. Diplomarbeit an der Hochschule der K\u00fcnste Berlin, 1991.<\/em>
\n (7) Gordian Troeller: Die Israelischen Mythen. In: Die Tageszeitung vom 4.10.1989<\/em>
\n (8) Dorothee Kreuzer: Der elektronische Orientalismus. Spiegelreflexe im Weltspiegel. In: Helmut Kreuzer, Heidemarie Schumacher (Hrsg.): Magazine audiovisuell. Politische und Kulturmagazine im Fernsehen der Bundesrepublik Deutschland, Berlin 1988, S. 228.<\/em>
\n (9) Vgl. dazu: J\u00fcrgen Felix, Peter Zimmermann (Hrsg.): Medien-Krieg. Zur Berichterstattung \u00fcber die Golf-Krise. Augenblick. Marburger Hefte zur Medienwissenschaft Nr. 11. Marburg 1991, S. 16 ff; Gernot Rotter: Allahs Plagiator. Die publizistischen Raubz\u00fcge des \u00bbNahostexperten\u00ab Gerhard Konzelmann. Heidelberg 1992.<\/em><\/p>\n
\nKein Respekt vor heiligen K\u00fchen, Gordian Troeller und seine Filme<\/em>
\nHerausgeber: Joachim Paschen<\/em>
\nBremen, 1992<\/em><\/p>\n","protected":false},"excerpt":{"rendered":"