{"id":55226,"date":"2017-05-16T15:00:10","date_gmt":"2017-05-16T13:00:10","guid":{"rendered":"http:\/\/www.troeller-deffarge.com\/?page_id=55226"},"modified":"2017-05-16T15:00:10","modified_gmt":"2017-05-16T13:00:10","slug":"heinz-glaessgen","status":"publish","type":"page","link":"https:\/\/www.troeller-deffarge.com\/biographie\/stimmen-zum-werk\/heinz-glaessgen\/","title":{"rendered":"Heinz Gl\u00e4ssgen"},"content":{"rendered":"

16. M\u00e4rz 2017,\u00a0 Metropolis Kino Hamburg
\nRede im Rahmen einer Werkschau zum 100. Geburtstag von Gordian Troeller<\/em><\/p>\n

Sehr geehrte Frau Becker-Ross,
\nmeine sehr verehrten Damen und Herren,<\/p>\n

\u201eWenn die Irrt\u00fcmer verbraucht sind\u201c. Das ist der Titel des letzten Films von Gordian Troeller f\u00fcr Radio Bremen. Er wurde im August 1999 ausgestrahlt. Da war ich zwar schon zum Intendanten des Senders gew\u00e4hlt. Angetreten bin ich aber erst am 1. Oktober 1999. Gordian Troeller und ich sind uns also im Sender nie begegnet. Er war von der gr\u00f6\u00dften Krise in der Geschichte des Senders auch nicht mehr direkt betroffen und deshalb auch nicht zur Vermeidung einer Insolvenz von den radikalen Einschnitten leider auch mit K\u00fcrzungen im Programm. Nach einem Beschluss der Ministerpr\u00e4sidenten vom November 1999 wurden dem Sender n\u00e4mlich innerhalb kurzer Zeit an die 40 Prozent der Einnahmen gestrichen.
\nIn gewisser Weise, aber eben nur in gewisser Weise, war das vielleicht ganz gut, dass Gordian Troeller aufh\u00f6rte, bevor ich kam, denn es w\u00e4re f\u00fcr mich \u2013 ich war in der Zeit zuvor als Kulturchef beim NDR immer ein intensiver Verfechter des Dokumentarfilms \u2013 es w\u00e4re f\u00fcr mich mehr als schmerzlich gewesen, einem Gordian Troeller vielleicht nicht mehr die n\u00f6tigen Mittel f\u00fcr sein Schaffen garantieren zu k\u00f6nnen.
\nFroh und dankbar bin ich, dass wir heute am 16. M\u00e4rz, an dem Gordian Troeller 100 Jahre alt geworden w\u00e4re, gemeinsam an ihn denken k\u00f6nnen. W\u00e4hrend man sich sonst vielleicht eher an Einzelheiten, die mit ihm verbunden sind, erinnert, bietet ein solcher Anlass die Chance, sich einen \u00dcberblick \u00fcber das Lebenswerk, die gesamte Lebensleistung dieses gro\u00dfen Kollegen zu verschaffen.
\nMit gro\u00dfem Vergn\u00fcgen und noch gr\u00f6\u00dferem Gewinn habe ich mich f\u00fcr heute auf nur zwei B\u00fccher gest\u00fcrzt:
\nKein Respekt vor heiligen K\u00fchen<\/p>\n

und ein zweites<\/p>\n

Antifaschist Punkt, Anarchist Punkt, Journalist Punkt.
\nUntertitel: Gordian Troeller berichtet.<\/p>\n

Da sind im Titel drei Begriffe, die seine Person, seine Grundeinstellung, seine Haltung und sein Selbstverst\u00e4ndnis kennzeichnen.
\nSein Lebensthema beschreibt er in seiner Autobiographie:
\n\u201eDie zerst\u00f6rerische Wirkung der westlichen Fortschrittsideologie \u2013 sowohl wirtschaftlich wie kulturell \u2013 auf die Gesellschaften der sogenannten Entwicklungsl\u00e4nder, das war mein Thema.\u201c (S. 9) Und weiter: \u201e\u00dcberall in der \u201aDritten Welt\u2019 nimmt die Verarmung st\u00e4ndig zu … Trotz Entwicklungshilfe und massivem Einsatz westlicher Experten. Oder besser gesagt: wegen des Entwicklungsmodells, das der Norden dem S\u00fcden aufgezwungen hat. Und zwar keineswegs aus N\u00e4chstenliebe. Es geht dabei um handfeste Interessen.\u201c (S. 11)<\/p>\n

In unseren Tagen erhalten wir die Quittung dieser Weltsicht des Westens.<\/p>\n

Wenn Sie die Texte von Gordian Troeller lesen, dann merken Sie, wie Recht er hatte. Die riesigen Probleme, die Europa und unser Land derzeit besch\u00e4ftigen und pr\u00e4gen, hat Gordian Troeller fast prophetisch aufgezeigt und vorhergesagt. Seine Analysen waren richtig. Den Beweis liefert unsere Gegenwart. Genau so wie beispielsweise auch das Fernsehdrama aus Gro\u00dfbritannien \u201eDer Marsch\u201c, das der NDR 1990 pr\u00e4sentierte. Welche Aktualit\u00e4t, welche Brisanz der damaligen Berichte und Vorhersagen in unseren Tagen!
\nGordian Troeller.<\/p>\n

Am 16. M\u00e4rz 1917 in Luxemburg geboren.<\/p>\n

Schule in Frankreich, Deutschland und Luxemburg<\/p>\n

Politisches Engagement im Spanischen B\u00fcrgerkrieg<\/p>\n

Flucht vor den Nazis nach Portugal<\/p>\n

 <\/p>\n

Geheimdienstchef mit 24 Jahren und zwischendurch \u2013 das muss einfach gesagt werden \u2013 kurz Stierk\u00e4mpfer, schon bald allerdings mit einem j\u00e4hen Ende der doch kurzen Karriere. Zur Probe ging es n\u00e4mlich gegen eine Kuh, die Sieger blieb, weil offenbar K\u00fche kl\u00fcger sind als Stiere und nicht gegen das Tuch rennen, sondern gegen den Halter des Tuches, also gegen den Mann.<\/p>\n

Fast k\u00f6nnte man in Versuchung kommen, einen Vergleich mit Gordian Troeller anzustellen, dem es nie um den Schein, sondern um die Wirklichkeit ging. Der sich nicht durch T\u00e4uschungsversuche ablenken lie\u00df, seine Analysen trafen den Kern.
\nWeil er der Kuh mit Hilfe Dritter entkommen konnte, Reisen in alle Herren L\u00e4nder. Und ab jetzt immer Berichte, Reportagen.
\nSchon in jungen Jahren war er n\u00e4mlich Korrespondent von 40 Zeitungen, man muss sich das vorstellen. Seine Spuren zu verfolgen, bedeutet Geographie-Unterricht par excellence. Wie hat er es nur geschafft, mit so vielen Menschen der Macht, seidenen und halb-seidenen, und vor allem mit Menschen, die, weil kritisch und kompetent, etwas zu sagen hatten, in Kontakt zu kommen? Man muss fast anders fragen: wen kannte er nicht?
\nSeinen Spuren zu folgen, ist aber auch wie ein Krimi. Allein zu z\u00e4hlen, wie oft er verhaftet wurde, im Knast sa\u00df, \u00fcberfordert einen einfachen Leser.
\nUnd weil\u2019s so sch\u00f6n und wegweisend ist, wenigstens dieses Detail: Im Knast in Portugal teilte er seine Zelle mit einem deutschen Grafen, der nebenbei bemerkt sein Essen vom besten Restaurant der Stadt erhielt und es offenbar gro\u00dfz\u00fcgig mit Troeller teilte. Jahre sp\u00e4ter traf Troeller diesen Grafen zuf\u00e4llig wieder in einer Kneipe in Rom und bei dieser Begegnung bat ihn der Graf, einer Freundin aus Berlin Rom zu zeigen. Das geschah wohl so eindr\u00fccklich, dass diese Frau wenig sp\u00e4ter verlangte, dass Troeller unbedingt zu ihrer Hochzeit nach Berlin kommen m\u00fcsse. 1959. Der Auserw\u00e4hlte der Dame war Peter Boenisch, Chefredakteur der \u201eRevue. Das kurz zuvor ver\u00f6ffentlichte Buch von Troeller \u201ePersien ohne Maske\u201c hatte die Jungverm\u00e4hlte in die Ehe mitgebracht und so den Herrn Chefredakteur bewogen, den weltgewandten Autor dieses Buches kurzerhand zum Auslandschef zu bestellen.
\nWenn Sie\u2019s nachlesen wollen: ich empfehle Ihnen die Seiten 39 und 40.
\nSchon bald sollte er bei der \u201eRevue\u201c statt Boenisch Chefredakteur werden. Da siegte, wie er bekennt, aber sein Freiheitsbed\u00fcrfnis. Er k\u00fcndigte kurzerhand am selben Tag. (S. 43). Es ging weiter, Schlag auf Schlag. Denn schon gleich danach rief Henri Nannen an: Wollen Sie nicht zum Stern kommen?<\/p>\n

Gefragt, getan. Ergebnis: 81 Reportagen zwischen 1959 und 1969, in zehn Jahren also, wirklich aus allen Teilen der Erde.
\nDas alles muss ich auslassen wie schon zuvor seine mitrei\u00dfenden Aktivit\u00e4ten beim Geheimdienst.
\nWeil ich n\u00e4mlich ins Jahr 1974 springen muss.
\nSeit 1963 hatte Troeller f\u00fcr verschiedene Anstalten der ARD 19 Filme gedreht, meist hochkar\u00e4tige 45 bis 60 Min\u00fcter. Zuletzt aber eher im Dritten Programm des NDR. Da lockte ihn der Chefredakteur von Radio Bremen, Gert von Paczensky, mit der Frage: Willst Du nicht eine Serie f\u00fcr uns machen? Und zwar zur PrimeTime im Ersten? Auf einem regelm\u00e4\u00dfigen Sendeplatz.<\/p>\n

Paczensky sicherte ihm kurzerhand drei ‚Feature‘-Termine pro Jahr zu, und das unbefristet.\u201c (Paczensky, Kein Respekt…, S. 16)
\nDass Paczensky diese Absicht in der ARD durchsetzen konnte, ist mehr als erstaunlich, denn damals wie heute muss innerhalb der ARD jedes einzelne Filmvorhaben eines Senders f\u00fcr das Gemeinschaftsprogramm in einer Kommission der Chefredakteure und Kulturchefs aller Anstalten und dann in der Konferenz der Programmdirektoren durchgeboxt werden.<\/p>\n

 <\/p>\n

Die Hartn\u00e4ckigkeit der Radio Bremen-Leute siegte gegen die ARD-interne Konkurrenz.<\/p>\n

 <\/p>\n

Troeller bei Radio Bremen ist nicht zu denken ohne einen ganz besonderen Mann, zu dem ich schon zu meinen Anf\u00e4ngen in Stuttgart beim SDR, beim S\u00fcddeutschen Rundfunk seligen Angedenkens, mit Respekt hochblickte:<\/p>\n

Elmar H\u00fcgler.
\nDer Programmdirektor von Radio Bremen, Dieter Ertel, der zuvor auch beim SDR war, hatte Elmar H\u00fcgler nach Bremen gelockt. Viele landeten vom schw\u00e4bischen Sender in Bremen. Ertel, H\u00fcgler, Kienzle und sp\u00e4ter \u00fcber einen f\u00fcnfzehnj\u00e4hrigen h\u00f6chst angenehmen Umweg beim NDR ja auch ich.
\nElmar H\u00fcgler kam nach Bremen und blieb beim Sender, auch nachdem Gert von Paczensky ausschied und Dieter Ertel schon bald als Fernsehspielchef zum WDR wechselte. Innerhalb der Chefredakteurskonferenz ARD, gegen\u00fcber den Gremien des Senders und auch gegen\u00fcber seinem Intendanten und Programmdirektor war Elmar H\u00fcgler jetzt alleine und deshalb noch mehr gefordert.
\nDer Einblick, den er diesbez\u00fcglich gew\u00e4hrt, ist ebenso interessant wie begr\u00fcndet. Ich zitiere:
\n\u201eTroeller schien gef\u00e4hrdet, denn der zu dieser Zeit amtierende Intendant hatte wiederholt verlauten lassen, dass er das Engagement der Redaktion im au\u00dfenpolitischen Bereich nicht l\u00e4nger unterst\u00fctzen wolle. Nun k\u00f6nnte der Wechsel ihm erlauben, was Dieter Ertel schon durch Pr\u00e4senz verhindert hatte: eine Zertr\u00fcmmerung meines nach vier Jahren zaghaft bl\u00fchenden Programms. Die Sorge war: der neue Programmdirektor w\u00fcrde sich dem Druck nicht widersetzen wollen und, gewisserma\u00dfen als Dank f\u00fcr seine Nominierung, Gordian Troeller opfern. Hans Werner Conrad hatte jedoch solche Vermutungen schon bald nach seinem Amtsantritt entkr\u00e4ftet. Nicht, dass er Troellers Weltsicht vorbehaltlos akzeptierte. Sie war ihm in mancher Hinsicht zu dogmatisch. Gleichwohl erkannte er die vision\u00e4re Kraft, die hinter seinen Filmen steckt. Im Grunde ging es ihm wie mir, als ich Troeller kennenlernte. Ich war gebannt von dem, was seine Filme an Einsichten und Wissen vermitteln konnten, obgleich mir unter filmtheoretischen Aspekten manches un\u00fcblich erschien. Schlie\u00dflich hatte ich als Filmemacher zw\u00f6lf Jahre lang an einer eigenen Theorie gefeilt und \u2013 wie ich glaubte \u2013 mich dabei mit allen Spielarten des Films vertraut gemacht.\u201c (Kein Respekt vor heiligen K\u00fchen, S. 21 f.)<\/p>\n

\u00dcber Troellers dokumentarischen Stil wurde n\u00e4mlich \u2013 im Grunde nicht \u00fcberraschend \u2013 gestritten. Wenn n\u00e4mlich die Auffassung vertreten wird, Fernsehen sei in erster Linie ein Bildmedium und streng genommen m\u00fcsse sich in erster Linie \u00fcber Bilder erschlie\u00dfen, dann konnte es nicht \u00fcberraschen, dass die Filme Gordian Troellers als wortlastig charakterisiert wurden. Man hielt ihm vor, er illustriere vielfach mit filmischen Mitteln seine bereits vorgefertigten journalistischen Analysen.
\nTroeller beeindruckte dies nicht sonderlich. Zitat: \u201eStarke Bildsequenzen passen nicht unbedingt zu starken Textpassagen \u2013 und umgekehrt. Manchmal erg\u00e4nzen sich Bild und Text nicht recht. Dann wettern die Puristen: Der Troeller belegt nicht, was er sagt. Die \u201aSchere\u2019 zwischen Bild und Text klappt weit auseinander. Das kommt schon mal vor. Aber stimmt deshalb meine Analyse nicht? Als ich schreibender Journalist war, brauchte ich nichts mit Bildern zu belegen. Man nahm mir ab, dass ich gr\u00fcndlich recherchiert hatte…<\/p>\n

Jetzt verlangen pedantische Puristen, dass jeder Satz von Bildern best\u00e4tigt wird.\u201c (zitiert nach Peter Zimmermann, In Kein Respekt…, S 42)<\/p>\n

 <\/p>\n

Seinen \u00fcberragenden Erfolg konnten solche Einw\u00e4nde gegen den prim\u00e4r schreibenden Fernsehmacher nicht mindern. Denn zwischen 1974 und 1999 entstanden f\u00fcr Radio Bremen und damit die ARD sage und schreibe 70 gro\u00dfe Filme.
\nIn drei Staffeln:<\/p>\n

Von 1974 bis 1984 22 Filme in der Reihe \u201eIm Namen des Fortschritts\u201c mit Berichten aus Algerien, Togo, Tansania, Gabun, Iran, aus verschiedenen L\u00e4ndern S\u00fcdamerikas sowie einige aus Frankreich, Kanada und USA.
\nIn den Jahren 1979 bis 1983 zw\u00f6lf Filme in der darauf folgenden Staffel \u201eFrauen der Welt\u201c, wiederum aus aller Herren L\u00e4nder.
\nUnd schlie\u00dflich die dritte Staffel \u201eKinder der Welt\u201c mit 36 Produktionen.
\nDie erste Staffel resultierte aus seinem Anliegen, \u00fcber die Ausbeutung von V\u00f6lkern der \u201eDritten Welt\u201c durch die Industrienationen zu berichten.
\nSeine Begr\u00fcndung f\u00fcr die thematische Ausrichtung der zweiten Staffel:<\/p>\n

\u201eIn der ersten Staffel war immer deutlicher geworden, wie stark politische und \u00f6konomische Ver\u00e4nderungen die Lebensbedingungen der Frauen betrafen. Und da wir immer versuchten, aus Sicht der Betroffenen zu berichten, war es nur logisch, die gr\u00f6\u00dfte und unfreiste aller \u201aKolonien\u2019 (wie er sie in Anf\u00fchrungszeichen nennt) ins Bild zu r\u00fccken: die Frauen.\u201c
\nEr wollte jene Elemente an den Pranger stellen, die letztlich f\u00fcr alle Unterdr\u00fcckungs- und Ausbeutungsmechanismen verantwortlich sind: den Fortschrittsbegriff und die patriarchalische Ordnung.
\nDie dritte Staffel schlie\u00dflich wollte die sozialen und politischen Verh\u00e4ltnisse untersuchen, die das Leben der Kinder bestimmen. Angesichts der schwierigen Situation von Kindern und Frauen in allen Kontinenten der Erde hatte n\u00e4mlich die UNICEF vorgeschlagen, deren Wohlergehen zum Ma\u00dfstab f\u00fcr den Fortschritt eines Landes zu machen. (Troeller, S. 160)
\nAuf die hochinteressanten Themen der Filme in den drei Staffeln kann ich aus zeitlichen Gr\u00fcnden nicht eingehen.
\nHingegen muss angesprochen werden, dass diese Themen auch auf Widerstand trafen. Kein Wunder bei dem doch sehr kritischen und derart prononcierten Arbeiten von Troeller.
\nElmar H\u00fcgler kann dies besser als ich. Deshalb gebe ich ihm sozusagen noch einmal das Wort.<\/p>\n

\u201eAls die Wellen wieder einmal hochschlugen und die Proteste auf einen Troeller-Film die Mitglieder des Fernsehausschusses von Radio Bremen in Rage brachten, erlaubte ich mir, dieses produktiv zu nutzen. Ich versuchte, aus den \u00c4u\u00dferungen der Sitzungsteilnehmer ein Phantombild Troellers zu entwerfen. Was dabei herauskam, war das Bild eines Dynamikers, jung, alternativ, Typus Jeans mit Lederjacke, ein Weltverbesserer der unbeugsamen Art, ein bisschen Albert Schweitzer, viel mehr jedoch Karl Marx. Dies brachte mich auf die Idee, Gordian Troeller zur n\u00e4chsten Sitzung mitzunehmen. Die Reaktion, als er erschien, werde ich nie vergessen. Das also war er. Silberhaar und leicht gebeugt, Horn- statt Nickelbrille, glatt rasiert statt Rauschebart. Die Diskussion um seine Filme hatte wieder (wenn auch nur f\u00fcr kurze Zeit) die neutrale L\u00e4ssigkeit eines ausschlie\u00dflich produktbezogenen Meinungsaustauschs. Die Antwort auf die Frage, wer Gordian Troeller wirklich ist, blieb freilich wieder einmal auf der Strecke. Er ist nicht links, er ist nicht rechts und ‚alternativ‘ auch nur insofern, als er alles, was er sieht, zun\u00e4chst einmal in Frage stellt, um nach anderen Sichtweisen zu fahnden.\u201c (Kein Respekt…, S. S 26 f.)
\nEs lie\u00dfen sich viele Versuche, Troeller zu b\u00e4ndigen oder gar mundtot zu machen, anf\u00fchren.
\nGordian Troeller wurde durch einen Bericht \u00fcber die Erziehungsmethoden der katholischen Kirche bei Indianern zum personifizierten Antichristen und Radio Bremen zur Agentur der H\u00f6lle.
\nUnd ein Film \u00fcber Pal\u00e4stinenserkinder und die Kritik an der israelischen Besatzungspolitik stempelte Troeller zum Judenfeind.
\nGemeinsam mit der Redaktion seines Senders hat Troeller, haben Troeller und H\u00fcgler dieser Kritik Stand gehalten. Bravo f\u00fcr damals und noch heute.
\nMeine sehr verehrten Damen und Herren,<\/p>\n

die ARD unterh\u00e4lt eine Kommission, die sich mit der Geschichte des \u00f6ffentlichen Rundfunks, den Prinzipien seines Entstehens, seinen in Gesetzen und Staatsvertr\u00e4gen niedergelegtem Auftrag und sich der daraus gegebenen Legitimation befasst und ebenso mit den pr\u00e4genden Hervorbringungen dieses Rundfunks, also mit ganz bestimmten Programmen.
\nGordian Troeller hat Rundfunkgeschichte geschrieben, das sage ich weniger als Intendant seines Senders in der Zeit nach ihm. Das stelle ich in meiner Eigenschaft als Vorsitzender eben dieser Historischen Kommission der ARD fest.
\nWenn man wissen will, wie wichtig dieser Rundfunk f\u00fcr eine Gesellschaft ist, dann muss man sich die fast 100 Filme von Gordian Troeller f\u00fcr die ARD vor Augen f\u00fchren. Sie waren im damaligen Kontext hoch wichtig, sie sind es \u2013 wie dieser Rundfunk, wenn er seinen ureigensten Auftrag erf\u00fcllt, auch heute noch.
\nGordian Troeller hat sich, erm\u00f6glicht durch Elmar H\u00fcgler und gemeinsam \u2013 wenigstens an dieser Stelle muss das gesagt werden \u2013 gemeinsam mit Marie-Claude Deffarge und Ingrid Becker-Ross, ohne die diese Filme nicht entstanden w\u00e4ren, um diesen Rundfunk verdient gemacht. Und umgekehrt: durch Troeller machte sich dieser Rundfunk verdient f\u00fcr unsere Gesellschaft.
\nIch halte mich seit meinem Ausscheiden bezogen auf eine Einmischung bei Radio Bremen strikt zur\u00fcck.
\nAls Vorsitzender der Historischen Kommission rege ich indes immer wieder an, ganz bestimmte Sch\u00e4tze, die in den Archiven ruhen, aber immer noch relevant sind, aber eben in der Gefahr, in den Kellern vergessen zu werden, im Interesse der Rundfunkanstalten selber in geeigneter Weise in Erinnerung zu rufen.
\nIch f\u00e4nde es mehr als gerechtfertigt, wenn eine Rundfunkanstalt auf die Idee k\u00e4me, im Programm einen ganzen Abend Gordian Troeller zu widmen oder ein wenig besser vielleicht eine ganze Nacht lang Troeller-Programme zu zeigen oder deutlich besser sogar eine ganze Woche lang Nacht f\u00fcr Nacht. Oder am allerbesten: wenn zumindest Teile des Troeller-Erbes beispielsweise \u2013 im Zeitalter des Internet ist dies leicht m\u00f6glich \u2013 in einer Internet-Rubrik \u201eFundst\u00fccke\u201c der Nachwelt zug\u00e4nglich gemacht w\u00fcrden und so lebendig blieben.<\/p>\n

Der \u00f6ffentlich-rechtliche Rundfunk k\u00f6nnte sich schm\u00fccken mit dem, was da an wichtigen St\u00fccken in seiner Geschichte hervorgebracht wurde.
\nHeute Abend wird \u2013 Dank vor allem Ihnen, Frau Becker-Ross und Dank an Martin Aust und das Metropolis \u2013 der gro\u00dfe Programm-Mann, der gro\u00dfe Journalist Gordian Troeller erinnert.
\nGratulieren im Wortsinn, also grazie sagen, k\u00f6nnen wir ihm fast auf den Tag genau 14 Jahre nach seinem Tod nicht. Wir k\u00f6nnen aber dankbar sein, dass es ihn gab. Gratulieren im Sinne von begl\u00fcckw\u00fcnschen indes aber k\u00f6nnen wir uns aus Anlass des Hundertsten eines Mannes, den wir heute zu Recht feiern. Wir k\u00f6nnen uns begl\u00fcckw\u00fcnschen, dass wir von ihm lernen, von ihm profitieren konnten und k\u00f6nnen.
\nIch danke Ihnen, dass Sie sich so geduldig \u00fcber Worte und Gedanken von ihm, von Elmar H\u00fcgler und von mir auf Gordian Troeller eingelassen haben.<\/p>\n","protected":false},"excerpt":{"rendered":"

16. M\u00e4rz 2017,\u00a0 Metropolis Kino Hamburg Rede im Rahmen einer Werkschau zum 100. Geburtstag von Gordian Troeller Sehr geehrte Frau Becker-Ross, meine sehr verehrten Damen und Herren, \u201eWenn die Irrt\u00fcmer verbraucht sind\u201c. Das ist der Titel des letzten Films von Gordian Troeller f\u00fcr Radio Bremen. Er wurde im August 1999 ausgestrahlt. Da war ich zwar…<\/p>\n","protected":false},"author":1,"featured_media":55280,"parent":54274,"menu_order":8,"comment_status":"closed","ping_status":"closed","template":"","meta":{"_seopress_robots_primary_cat":"","_seopress_titles_title":"","_seopress_titles_desc":"","_seopress_robots_index":"","footnotes":""},"categories":[],"tags":[],"class_list":["post-55226","page","type-page","status-publish","has-post-thumbnail","hentry","entry","has-media"],"_links":{"self":[{"href":"https:\/\/www.troeller-deffarge.com\/wp-json\/wp\/v2\/pages\/55226"}],"collection":[{"href":"https:\/\/www.troeller-deffarge.com\/wp-json\/wp\/v2\/pages"}],"about":[{"href":"https:\/\/www.troeller-deffarge.com\/wp-json\/wp\/v2\/types\/page"}],"author":[{"embeddable":true,"href":"https:\/\/www.troeller-deffarge.com\/wp-json\/wp\/v2\/users\/1"}],"replies":[{"embeddable":true,"href":"https:\/\/www.troeller-deffarge.com\/wp-json\/wp\/v2\/comments?post=55226"}],"version-history":[{"count":0,"href":"https:\/\/www.troeller-deffarge.com\/wp-json\/wp\/v2\/pages\/55226\/revisions"}],"up":[{"embeddable":true,"href":"https:\/\/www.troeller-deffarge.com\/wp-json\/wp\/v2\/pages\/54274"}],"wp:featuredmedia":[{"embeddable":true,"href":"https:\/\/www.troeller-deffarge.com\/wp-json\/wp\/v2\/media\/55280"}],"wp:attachment":[{"href":"https:\/\/www.troeller-deffarge.com\/wp-json\/wp\/v2\/media?parent=55226"}],"wp:term":[{"taxonomy":"category","embeddable":true,"href":"https:\/\/www.troeller-deffarge.com\/wp-json\/wp\/v2\/categories?post=55226"},{"taxonomy":"post_tag","embeddable":true,"href":"https:\/\/www.troeller-deffarge.com\/wp-json\/wp\/v2\/tags?post=55226"}],"curies":[{"name":"wp","href":"https:\/\/api.w.org\/{rel}","templated":true}]}}