{"id":55286,"date":"2017-06-02T15:50:14","date_gmt":"2017-06-02T13:50:14","guid":{"rendered":"http:\/\/www.troeller-deffarge.com\/?page_id=55286"},"modified":"2019-06-17T11:17:54","modified_gmt":"2019-06-17T09:17:54","slug":"ein-schah-drei-kaiserinnen-und-was-dahinter-steckt","status":"publish","type":"page","link":"https:\/\/www.troeller-deffarge.com\/zeitungsreportagen\/iran\/ein-schah-drei-kaiserinnen-und-was-dahinter-steckt\/","title":{"rendered":"Ein Schah, drei Kaiserinnen \u2013 und was dahinter steckt II"},"content":{"rendered":"

Stern, Heft\u00a0 44, 29. Oktober 1960
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Der Schah schreibt: \u201eMeine Einsamkeit ist dadurch vertieft, da\u00df ich es ablehne, Ratgeber zu fragen und gewillt bin, mir selber die letzten Entscheidungen vorzubehalten. Au\u00dfer einigen unbedeutenden Worten erw\u00e4hne ich Staatsgesch\u00e4fte nicht einmal von meinen Verwandten und intimsten Freunden.\u201c<\/strong>
\n Deutlicher kann er nicht sagen, da\u00df es in Persien keine Demokratie gibt. Er wird uns nicht widersprechen, wenn auch wir das behaupten. Und wenn der Schah erkl\u00e4rt, wie tief in ihm die Ethik seines Vaters weiterlebt, m\u00fcssen wir nach Vergleichen greifen, um auch dies zu best\u00e4tigen: Sein Vater kam arm zur Macht \u2013 aber er besa\u00df zum Schlu\u00df mehr als dreitausend D\u00f6rfer. Er nahm einfach, was in gefiel. Widerspenstige wurden verbannt, geh\u00e4ngt oder vergiftet. Heute verteilt der Schah einen Teil dieser L\u00e4ndereien an besitzlose Bauern. Aber es ist kein Geschenk. Die Bauern m\u00fcssen den Preis des Landes \u00fcber viele Jahre abstottern. Der Schah dagegen pr\u00e4sentiert die Schuldbriefe der Bauern bei einer eigens hierf\u00fcr geschaffenen Bank und kassiert direkt.<\/strong><\/p>\n

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Ein eiserner Vater
\n<\/em>Drei K\u00f6nigskinder
\n<\/em><\/strong>Der Vater des Schahs, den man heute offiziell \u201eResa Schah den Gro\u00dfen\u201c nennt, kann durch einen Staatsstreich zur Macht. Ein Offizier der Kosaken wurde Schah-in-Schah von Persien. Er war ein brutaler Herrscher, ein eiserner Vater. Hier zeigt er stolz seine drei ersten Kinder: Mohammed Resa, (der heutige Kaiser), Prinzessin Schams und \u2013 abseits und eigenwillig wie noch heute \u2013 Prinzessin Ashraf, die gesch\u00e4ftst\u00fcchtige Zwillingsschwester des Schahs<\/em><\/p>\n

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Prinzessin Schams (links) wird vom Volke geliebt Prinzessin Ashraf von fast allen geha\u00df<\/em><\/strong><\/figcaption><\/figure>\n

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\u201eAutsch!\u201c \u2013 Mit schmerzverzerrtem Gesicht dreht sich die junge Frau um, die von mir geht. Sie rennt an mir vorbei und trommelt mit ihrer Handtasche auf einem jungen Perser herum, der ihr gerade begegnet ist.
\n\u201eSie Schwein!\u201c schreit sie auf Englisch. \u201eSie unversch\u00e4mter Kerl. \u2013 Oh.\u201c Sie kann sich gar nicht beruhigen. Tr\u00e4nen stehen in ihren Augen.
\nEs ist sechs Uhr abends. Die Lalesar, die Hauptgesch\u00e4ftsstra\u00dfe von Teheran, ist schwarz von Menschen. Meistens junge M\u00e4nner, die nichts zu tun haben und hier ihre Langeweile spazieren f\u00fchren, bis die Nacht kommt und der Schlaf. Keiner k\u00fcmmert sich um die blonde Amerikanerin, die jetzt stehen geblieben ist und versucht, sich zu beruhigen. Auch der Mann, auf den sie einschlug, hat sich nicht einmal umgedreht.
\n\u201eDas n\u00e4chste Mal benutzen Sie ihre Handtasche besser ein Schild\u201c, sage ich im Vorbeigehen, \u201edann brauchen Sie sie nicht mehr als Waffe.\u201c
\n\u201eHm\u201c, macht sie nur, stampft mit dem Fu\u00df auf dem Boden und stolziert davon.
\nWas war geschehen? Sie war das Opfer einer eigenartigen Manier geworden, die alle mohammedanischen L\u00e4ndern ge\u00fcbt wird: das Spiel des Kneifens.
\nMan mu\u00df geschickt sein und lange \u00fcben, um im richtigen Augenblick blitzschnell zuschlagen zu k\u00f6nnen, ohne da\u00df die Frau vorher aufmerksam geworden ist. Es ist viel schwieriger als das l\u00e4ppische T\u00e4tscheln, das man in Europa in \u00fcberf\u00fcllten Stra\u00dfenbahnen beobachten kann. Hier in Persien sucht der Mann sein Opfer aus der Entfernung aus, wenn es noch zwanzig Meter weg ist und auf ihn zukommt. Er beschleunigt dann seinen Gang und damit das Schlenkern der Arme. Er berechnet die Geschwindigkeit der Frau und stimmt die eigene genau darauf ab, da\u00df sein Arm, der auf der Seite der Frau ist, sich im Moment der Begegnung notwendigerweise nach vorne bewegt. Jetzt braucht er nur noch schnell zuzukneifen und ist genau dort, wo er sein wollte.
\nDas Ganze dauert vielleicht eine Zehntelsekunde. Er geht weiter, als sei nichts geschehen. Die Frau st\u00f6\u00dft einen kleinen Schrei aus, und die einzige Geste, die vielleicht den Mann im Augenblick des Angriffs verr\u00e4t, ist ein leichtes Drehen des Kopfes, um dieses Seufzen aufzufangen.
\nOhne im richtigen Moment die Handtasche als Schild zu benutzen, kann es f\u00fcr eine Ausl\u00e4nderin peinlich sein, allein durch die von M\u00e4nner wimmelnden St\u00e4dte des Vorderen und Mittleren Orients spazierenzugehen. Es sei denn, sie nimmt es auf sich, am Abend mit einigen blauen Flecken nach Hause zu kommen, die ungeschickte Kerle oder schlecht zielende Anf\u00e4nger ihr beigebracht haben. Oder sie mu\u00df sich so verteidigen wie eine Engl\u00e4nderin, die ich im Beirut kennenlernte: Sie schritt mit einem siegreichen L\u00e4cheln durch die dichtesten M\u00e4nnerstra\u00dfen.
\nBlond, herausfordernd, begnadet wie Lollobrigida, war sie eine Zielscheibe von solcher Anziehungskraft, da\u00df alle f\u00fcnfzig Meter ein Mann versuchte, ins Schwarze zu treffen. Sie hatte sich einen G\u00fcrtel geschneidert mit einem kleinen Kissen das genau das Ziel der Kneifer deckte, aber damit nicht genug. Sie hatte ein Dutzend Nadelspitzen auf dem Kissen befestigt. Bei jedem Schlag war sie es, die ihren Kopf leicht zur Seite drehte und sich am erschrockenen Schrei der M\u00e4nner erg\u00f6tzte.
\nBis jetzt habe ich diese spezielle Technik des Kneifens nur in mohammedanischen L\u00e4ndern angetroffen, und zwar in allen mohammedanischen L\u00e4ndern, von Casablanca bis nach Kabul.
\nIch schildere sie hier nicht als Anekdote, sondern als Beispiel. Sie ist bezeichnend f\u00fcr eine Mentalit\u00e4t, die aus dem \u00dcbereinander, Durcheinander, Nebeneinander von modernem Zwanzigsten Jahrhundert und traditionsgebundener islamischer Gef\u00fchlswelt entstehen mu\u00dfte.
\nIn seinem Milieu ist der junge Mann des Volkes streng auf m\u00e4nnliche Gesellschaft beschr\u00e4nkt. Die Frau ist etwas Geheimnisvolles. Sie ist unnahbar und deshalb umso begehrenswerter.
\nMit seinen aufgestauten Komplexen geht der Mann auf die Stra\u00dfe, wo die Frau ihr Gesicht zeigt, ihre Beine und manchmal Arme und Schultern. All diese Frauen der emanzipiertem Kreise, die ohne Schleier gehen, all diese Ausl\u00e4nderinnen und jungen M\u00e4dchen aus reichen Familien, die zur Schau stellen, was sie verstecken m\u00fc\u00dften, werden zu einer fast gemeinen Herausforderung,
\nzur Beleidigung des spezifischen Schamgef\u00fchls, in dem dieser junge Mann erzogen worden ist.
\nWir brauchen uns nur vorzustellen, da\u00df auf einer Stra\u00dfe in Paris oder Berlin nackte Frauen l\u00e4ssig dahinspazieren und die M\u00e4nner mit koketten Blicken bombardieren, als sei nichts dabei. Genau das ist eine Stra\u00dfe Teherans f\u00fcr einen Perser, der auf herk\u00f6mmliche Weise erzogen worden ist.<\/p>\n

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Die reichen Familien Persiens Leben nach europ\u00e4ischem Muster.<\/strong> <\/em>
\nModerner Haarschnitt, modisches make-up, nackte Schultern. Diese wohlhabende Perserin k\u00f6nnte\u00a0 in jeder europ\u00e4ischen Gro\u00dfstadt zu Hause sein. Vielleicht h\u00e4tte sie bei uns keinen solchen Stra\u00dfenkreuzer und sicher keinen Soldaten als Chauffeur. Aber in Persien ist alles erlaubt, wenn man m\u00e4chtig ist und Einflu\u00df hat. Auffallender Reichtum ist hier nicht unbedingt ein Beweis f\u00fcr wirtschaftlichen Erfolg, sondern h\u00e4ufig f\u00fcr Korruption<\/em><\/p>\n

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\"\"Die einfachen Leute der St\u00e4dte pendeln\u00a0<\/strong><\/em>zwischen zwei Welten<\/strong><\/em><\/p>\n

Vor mageren Schaufensterpuppen mit Pariser Modellkleidern und langen blonden Haaren suchen persische Frauen nach einem Weg ins Moderne. In den St\u00e4dten sind viele ihn halbwegs gegangen. Die meisten aber starren aus ihrer Vermummung sprachlos auf diese Wachsfiguren, die zum Bruch mit der Tradition einladen<\/em><\/p>\n

F\u00fcr uns sind Busen, Schenkel und H\u00fcften erotische Pole, deren zur Schaustellung Gesetz und Scham verbieten. F\u00fcr den echten Mohammedaner sind Mund, Haare, Arme, Beine erotische Merkmale, die mit der gleichen sexuellen Spannungen geladen sind, weil sein Gesetz und sein Schamgef\u00fchl ihre Verh\u00fcllung fordern. Bei ihrem Anblick reagieren seine Sinne wie die unseren vor der Nacktheit oder ihrer Andeutung. Bei ihm kommt ein Gef\u00fchl der Geringsch\u00e4tzung f\u00fcr die Frau hinzu, die so offen an seine Sinne appelliert. Sie wird f\u00fcr ihn ver\u00e4chtlich, und er wird umso mehr gereizt und verbittert, je un\u00fcberwindlicher die Schranken sind, die sie von ihm trennen.
\nEr ber\u00fchrt sie (weil sie ihn reizt), tut ihr weh (weil er sie verachtet), er bestraft sie doppelt durch die Vulgarit\u00e4t seiner Geste und das Vergn\u00fcgen einer verstohlenen und erzwungenen Intimit\u00e4t.
\nDieser junge Perser, der nat\u00fcrlich nicht zu der Gruppe jener geh\u00f6rt, die den westlichen Lebensstil angenommen haben, wird im Kino genauso in seinen Grundwerten ersch\u00fcttert wie auf den emanzipierten Stra\u00dfen der gro\u00dfen St\u00e4dte. Und wie \u00fcberall ist auch im Film eine Frau im Mittelpunkt der Handlung. Sie ist da, in Farbe und auf Breitwand, unverschleiert, schamlos, liebend, k\u00fcssend. Sie tr\u00e4gt ein Benehmen zur Schau, f\u00fcr das jeder richtige Mohammedaner seine eigene Schwester umbringen w\u00fcrde, ohne zu \u00fcberlegen. Und doch fasziniert sie ihn, weil er das Verbotene nur hier so erleben kann.<\/p>\n

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Liebeshungrige persische M\u00e4nner,<\/strong> die kein Geld f\u00fcr die teuren Nachtlokale haben, dr\u00e4ngen sich vor den Kinos der gro\u00dfen St\u00e4dte. Hier suchen sie im Bild einen Ersatz f\u00fcr ihr Leben ohne Liebe. Im traditionellen Milieu sind Mann und Frau streng getrennt. Oft sieht ein Mann seine Frau, die von seiner Mutter ausgesucht worden ist, zum erstenmal am Tage seiner Hochzeit<\/em><\/figcaption><\/figure>\n
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Halbnackte europ\u00e4ische Frauen<\/strong> tanzen in Nachtlokalen, deren Spiegelw\u00e4nde an die S\u00e4le der kaiserlichen Pal\u00e4ste erinnern. So will es der persische Geschmack. Er zieht Deutsche, Engl\u00e4nderinnen oder Holl\u00e4nderinnen den einheimischen T\u00e4nzerinnen vor. Obwohl die persischen Baucht\u00e4nzerinnen direkter an die Sinne des Mannes appellieren, liebt er das \u2013 f\u00fcr ihn \u2013 Exotische <\/em><\/figcaption><\/figure>\n

\u201eWenn du das Wort \u201aLiebe\u2018 sagst, was meinst du damit?\u201c
\n\u201eSex.\u201c
\n\u201eUnd wenn du \u201aFrau\u2018 sagst?\u201c
\n\u201eSex.\u201c
\n\u201eUnd wenn du von Emanzipation sprichst?\u201c
\n\u201eSex nat\u00fcrlich.\u201c
\nAhmad blickt mich an, als habe er das Ei des Kolumbus entdeckt. Pr\u00e4ziser konnte er nicht antworten. Er ist ganz begeistert, denn \u00fcber nichts sprechen in Persien die jungen M\u00e4nner der Gesellschaft so gern wie \u00fcber Frauen. Sie kennen nicht mehr die Entbehrungen des Volkes und der kleinen B\u00fcrger. Daf\u00fcr haben sie andere Probleme.
\n\u201e Siehst du die Kleine im dunkelroten Kleid, die mit Firus tanzt?\u201c fragt er. \u201eDie waren gestern bei mir.\u201c
\n\u201eSehr jung, was?\u201c
\n\u201eNeunzehn \u2013 nichts Besonderes. Aber die Frau, mit der Malek gerade herumwirbelt, die ist toll. Sie ist jetzt seine Geliebte. Vorher war sie meine.\u201c
\n\u201eBi\u00dfchen alt.\u201c
\n\u201eVerheiratet, ja. Hat ein paar Sch\u00f6nheitsoperationen hinter sich. Aber ganz gro\u00dfe Klasse. \u2013 Interessiert dich?\u201c
\nBevor ich noch antworten kann, ist der Tanz zu Ende. Firuz, Malek und zwei andere Freunde, mit denen wir hier ins Parkhotel gegangen sind, kommen wieder an unseren Tisch. Die Konversation ist aus.<\/p>\n

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\u00a0 \u00a0 \u00a0 \u00a0 \u00a0 \u00a0 \u00a0 \u00a0 \u00a0 \u00a0 Die Frau in der Gesellschaft gleichen sich wie Schwestern. Sie haben die gleichen Schneider und Friseure<\/strong><\/em><\/figcaption><\/figure>\n
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\u00a0 \u00a0 \u00a0 \u00a0 \u00a0 \u00a0 \u00a0 \u00a0 \u00a0 \u00a0 Auch die einfachen Frauen sehen sich \u00e4hnlich. Sie leben unter dem gleichen Zwang, der gleichen Armut<\/strong><\/em><\/figcaption><\/figure>\n

Mit Persern in ein elegantes Lokal zu gehen, ist eine Qual. Es ist aber auch die beste Art, alles \u00fcber alle zu erfahren. Man mu\u00df nur Geduld haben, viel Geduld. Zun\u00e4chst k\u00fcmmert sich keiner um seinen Tischnachbarn. Man ist nicht hier, um zu plaudern, man ist hier, um gesehen zu werden. Mein gr\u00fc\u00dft nach rechts, nach links. Die Bedeutung eines jeden ermi\u00dft sich an der Zahl der Referenzen. Ihre Summe entscheidet \u00fcber Erfolg oder Mi\u00dferfolg eines Abends.
\nWenn aber die Zeit fortgeschritten ist und keine neuen G\u00e4ste mehr zu erwarten sind, dann l\u00e4\u00dft sich die gute Gesellschaft in ihren Lieblingssport treiben: die Klatscherei.
\nIn jeder Stadt des Mittleren Orients gen\u00fcgt es, einmal mit einer Gruppe wohlhabender Leute auszugehen, um zu wissen, wer was mit wem hat und wer bankrott gemacht hat oder \u00fcber Nacht reich geworden ist, wer drei Junggesellenbuden hat und vier Geliebte. Wenn keine Frauen am Tisch sind, wird die Unterhaltung noch freier. Man kennt in wenigen Stunden die intimsten Dinge \u00fcber die meistens Frauen, die im Saal sind. Man wei\u00df, ob sie leidenschaftlich sind oder kalt, treu oder unbest\u00e4ndig.
\nIn einer Gesellschaft, die so exklusiv ist wie die der reichen Leute Persiens, mu\u00df diese Gro\u00dfsprecherei den meisten Frauen jegliches Geheimnis rauben. Vor kaum zwanzig Jahren sa\u00dfen sie hinter Gittern oder liefen tief verschleiert herum. Heute benehmen sie sich wie die ungezwungensten Frauen europ\u00e4ischen Gro\u00dfst\u00e4dte.<\/p>\n

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In S\u00fcdpersien tragen Frauen noch Masken<\/em><\/strong><\/p>\n

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Im Taumel der Emanzipation haben weder Frau noch Mann versucht, unter sich eine Beziehung herzustellen, die \u00fcber das Sexuelle hinausgeht. Wie h\u00e4tten sie es auch machen soll? Bei ihrem Sprung aus dem Harem waren die Frauen fasziniert vom europ\u00e4ischen Beispiel, dessen \u00e4u\u00dfere Formen sie zwar spielerisch nachahmten, dessen innere Voraussetzungen sie jedoch nicht erf\u00fcllen konnten, weil aus anderer Tradition geboren: und die Emanzipation ist zur Explosion geworden, die Freiheit zur Ausschweifung. Heute bezahlt die Frau ihre Flucht aus dem Harem, indem sie noch ausschlie\u00dflicher Objekt geworden ist als zuvor. Fr\u00fcher geh\u00f6rte sie einen. Heute oft vielen.
\n\u201eWir haben unsere Fesseln mit lautem Knall gesprengt, aber leider nur bis zum Nabel. Gef\u00fchlsm\u00e4\u00dfig sind wir immer noch in unserer alten Welt befangen.\u201c<\/p>\n

Ali, ein junger Arzt, sitzt mir mit seiner Frau gegen\u00fcber. Sie halten sich die H\u00e4nde wie zwei junge Verliebte, die eben erst entdeckt haben, da\u00df sie sich wirklich lieben. Nur selten habe ich in Persien solche Paare getroffen, am wenigsten bei wohlhabenden Leuten wir diesen.
\n\u201eUnsere Oberschicht hat den fragw\u00fcrdige Vorteil gehabt, die westlichen Sprachen zu sprechen und das Geld zu haben, ihre Ferien in Europa zu verbringen\u201c, sagt er. \u201eSie gingen an die Riviera, in die gro\u00dfen Hotels. Sie st\u00fcrzten sich in die Nachtlokale und lernten von Europa zun\u00e4chst nur das kennen, was selbst dort die Erscheinungen einer gewissen Entwurzelung sind. Hier suchten sie ihr Vorbild. Das Ergebnis kennen Sie: Eine hauchd\u00fcnne Schicht modernen Gehabes \u00fcberdeckt ein seelisches Chaos.\u201c
\n\u201eSie m\u00fcssen \u00fcber die Emanzipation schreiben\u201c, wirft seine Frau dazwischen, \u201esonst kann sich niemand vorstellen, was in Persien wirklich vor sich geht. Emanzipation bedeutet f\u00fcr uns: die Beziehung zur Umwelt vollkommen neu herzustellen, besonders die Beziehung zu anderen Menschen.\u201c
\n\u201eIch wei\u00df\u201c, sage ich beschwichtigend, denn mein schweigendes Zuh\u00f6ren scheint sie zu st\u00f6ren. \u201eWenn ihr\u00a0 auch wie Europ\u00e4er ausseht, kommt ihr aus einer anderen Welt.\u201c
\n\u201eAber wei\u00df man, wie diese Welt aussieht? Wer von euch kennt den mittelalterlichen Winterschlaf, aus dem wir erwachen wollen?\u201c ereifert sich Ali. \u201eWenn ihr hierher kommt, trefft ihr nur die gute Gesellschaft und bleibt in Teheran, aber das ist wenig im Vergleich zu den zwanzig Millionen Persern.\u201c
\nAli hat recht. Was kennen wir schon von der Welt eines Mohammedaners. Wir wissen, da\u00df das Gesetz ihm vier offizielle Frauen erlaubt und da\u00df er unter Vertrag auch andere kurzfristige Ehen eingehen kann, die zeitlich genau begrenzt sind und ziemlich viel Geld kosten. Wir wissen, da\u00df eine Tendenz zur Einehe besteht, die sich immer mehr durchsetzt, besonders in den St\u00e4dten.
\nDer herk\u00f6mmlichen Lebensstil ist nirgends mehr nur Routine, die widerspruchslos hingenommen wird. Der westliche Einflu\u00df klopft an alle T\u00fcren. Es gibt keine Ruhe mehr. Die Herausforderung, das Alte im Vergleich zum Neuen zu bewerten, ist allt\u00e4glich. Das Radio br\u00fcllt sie aus allen Caf\u00e9s, aus vielen H\u00e4usern. Kaiser, Regierung, Abgeordnete und Reiche leben weithin sichtbar das Moderne vor, wenigstens in der Form. Kino und Musik zertr\u00fcmmern die Tradition.
\nSelbst die kleinste Stadt ist ein wirres Durcheinander von Mittelalter und Neuzeit, Tradition und Fortschritt. Oft findet man dieses Durcheinander in einem einzelnen Haus. Es steckt in jedem Menschen. Hier f\u00e4hrt einer im Stra\u00dfenkreuzer und denkt, wie ein Mensch vor vierhundert Jahren gedacht hat. Dort f\u00fchrt einer eine Karawane und tr\u00e4umt von Brigitte Bardot. Jeden Tag mu\u00df jeder w\u00e4hlen zwischen Altem und Neuem. Wenn er das Neue durch die Brille des Alten betrachtet oder das Alte mit den neuen Ideen beurteilt, kann man sich vorstellen, wie verwirrt fast jeder Perser sein mu\u00df. Denn es ist schwer, den Einklang zu finden zwischen den neuen Forderungen und dem gewohnten Denken.
\nDie Emanzipation der Frau wird hier zum Pr\u00fcfstein, an dem man die Umw\u00e4lzungen messen kann. Am schwersten haben es dabei der b\u00fcrgerliche Mittelstand und die Intellektuellen. Mit seiner Beziehung zur Frau hat der Mann dieser Gruppe es abgelehnt, die exklusive Art der reichen Leute nachzuahmen, die die Emanzipation zun\u00e4chst als sexuelle Freiheit ausgelegt haben. Er hat sich jedoch dazu verstanden, nur eine Frau zu heiraten und ihr den Schleier abzunehmen.
\nDiese Tat mag uns wie eine banale Notwendigkeit vorkommen. F\u00fcr den Mohammedaner bedeutet sie den endg\u00fcltigen Verzicht auf seine Moral und seinen Ehrenkodex. Sie \u00e4ndert sein ganzes Leben.
\nWir brauchen uns nur daran zu erinnern, wie die europ\u00e4ischen Familien sich stritten, als der Bubikopf modern wurde, der Nagellack, die Schminke und die feuerroten Lippen. Wieviel Zeit haben wir gebraucht, um vom ersten, heute bel\u00e4chelten Badeanzug zum Bikini zu kommen? F\u00fcr viele Europ\u00e4er waren diese Neuerungen nichts anderes als Ausdruck der Sittenlosigkeit \u2013 und als solcher zu verwerfen.
\nF\u00fcr den Mohammedaner bedeutet das Problem weit mehr als diese im Grunde nebens\u00e4chlichen Formfragen, die uns so sehr besch\u00e4ftigt haben und heute noch zu Diskussionen f\u00fchren. Was den Wandel der Konvention angeht, indem wir langsam vom langen Rock beim Bikini ankommen, so handelt es sich bei uns immerhin um freie Frauen. Religion und Gesetz verwehren ihnen nicht die Gleichheit.<\/p>\n

Seltene Z\u00e4rtlichkeit<\/strong>
\n\"\"Ein solcher Anblick ist in Persien sehr selten. Ich glaube, es ist das einzige Mal, da\u00df wir einen Mann gesehen haben, der auf offener Stra\u00dfe seinen Arm sch\u00fctzend und z\u00e4rtlich um die Schultern einer Frau legte. F\u00fcr die meisten ist die Frau noch ein niederes Wesen, das zum Arbeiten da ist und zum Geb\u00e4ren<\/em><\/p>\n

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Ein kleiner Flirt wie bei uns.<\/strong> Die Jugend des Mittelstandes geht ihren eigenen Weg. Sie will nicht mehr in der traditionellen Gef\u00fchlswelt befangen\u00a0sein.\u00a0<\/em>Sie lehnt es aber auch ab, dem Beispiel der Reichen zu folgen, die unter modernen Leben meist Ausschweifung verstehen und unter Liebe nur Sex<\/em><\/p>\n

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Im Orient ist das etwas ganz anderes. Indem er ihr den Schleier abnimmt, \u00e4ndert der Mann vollkommen seine Einstellung zur Frau und damit sein Leben. In Bezug auf seine \u00fcberlieferte Welt ist seine Geste revolution\u00e4r, denn sie erhebt die Frau vom \u201eniederen Wesen\u201c, das sie nach Brauch und Sitte ist, zum Menschen. Und dies geschieht durch die Einf\u00fchrung eines ganz neuen Begriffes in das Mann-Frau-Verh\u00e4ltnis: das Vertrauen. Die Frau, die ihr Gesicht offen zeigt, erh\u00e4lt hiermit eine neue Verantwortung: die einzige, die direkt an ihr Wesen als Frau gebunden ist und die es ihr erlaubt, vom Besitz zum geliebten Menschen aufzusteigen, vom gekauften Gegenstand zum erw\u00e4hlten Partner. Indem sie vor ihrem Mann und den anderen die Verantwortung f\u00fcr sich selber \u00fcbernimmt, wird die mohammedanische Frau endlich ein erwachsener Mensch. Nichts anderes bedeutet die Emanzipation der Frau.
\nIm traditionellen Leben wird der Mohammedaner zum Beispiel einer untreuen Frau ihren Betrug kaum vorwerfen. Da sie ein Wesen ohne Verantwortung ist, mu\u00df man sie f\u00fchren, beherrschen und bewachen wie ein Haustier. Wenn sie untreu ist, mu\u00df man deshalb die W\u00e4chter bestrafen und die Verf\u00fchrer. Der Verf\u00fchrer ist hier nur ein Dieb, der sich am Eigentum eines anderen vergriffen hat. Die komplizierte Einrichtung des Harems ist der ins Praktische \u00fcbertragene Ausdruck dieser Geisteshaltung: falsche T\u00fcren, blinde Treppen, ungleiche Stufen und enge G\u00e4nge sollen Verf\u00fchrer und fl\u00fcchtende Frauen irref\u00fchren und zu Fall bringen.<\/p>\n

Wo die Frau ein Gegenstand ist, wird die Heirat zum Gesch\u00e4ft. Ein Freund aus Meshhed, einer der gro\u00dfen St\u00e4dte Persiens, erz\u00e4hlte mir, wie er zu Beginn des Jahres versucht hatte zu heiraten. Er hatte gerade seine Studien abgeschlossen und fuhr zu seinem Vater, um ihn von seinem Wunsch zu unterrichten. Der Vater sprach mit seiner Frau, die daraufhin ihre T\u00f6chter zu Rate zog. Man ging systematisch alle Familien durch, die in Frage kamen, und stellte nach mehreren Tagen Arbeit eine Liste der m\u00f6glichen Br\u00e4ute auf.
\nJetzt setzten sich Mutter und Schwestern in Marsch, um die Kandidatinnen zu besichtigen. Da es dem Sohn nicht erlaubt ist, seine zuk\u00fcnftige Frau vor der Hochzeit zu sehen, m\u00fcssen die Frauen des Hauses die Wahl treffen. Aber sie haben auch eigenn\u00fctzige Gr\u00fcnde, um diese Aufgabe zu \u00fcbernehmen. Die M\u00e4nner und Br\u00fcder werden bei der Arbeit sein, auf der Stra\u00dfe und in den Caf\u00e9s und ihre Frauen nur des Nachts sehen. Den ganzen Tag \u00fcber sind die Frauen unter sich, und da ist es wichtig, miteinander auszukommen. Dieser Gesichtspunkt ist f\u00fcr die Wahl entscheidend. Man untersucht alles, selbst die Z\u00e4hne werden manchmal betrachtet und der Atem berochen.
\nEndlich wird der Name der Auserlesenem dem Vater des heiratslustigen Mannes mitgeteilt. Und nun wird es Sache der M\u00e4nner, denn jetzt geht es um den Preis. In Persien bringt eine Frau keine Mitgift mit, sie hat auch keine Aussteuer. Die Familie des Mannes mu\u00df zahlen. Der Handel dauert manchmal Monate. Im Falle meines Freundes wurden 2000 Tomans verlangt (rund 10.000 DM).
\nEr war nicht reich genug noch und blieb Junggeselle. Jetzt tr\u00e4umt er davon, eine durchreisende Engl\u00e4nderin oder Deutsche zu finden, die er ohne Umst\u00e4nde heiraten kann, ohne gro\u00dfe Ausgaben: eine Frau, die er selber gew\u00e4hlt hat. Seit er diesen Entschlu\u00df gefa\u00dft hat, lebt er in st\u00e4ndiger Angst. Er wei\u00df, da\u00df er eine Ausl\u00e4nderin nie seinen Eltern vorstellen kann, denn sie geh\u00f6ren einem streng traditionellen Milieu an. Er f\u00fcrchtet auch, so eine Frau schnell wieder zu verlieren, weil er an seinen M\u00f6glichkeiten zweifelt, ihr innerlich nahe zu kommen.
\nBei en Nomaden und Bauern ist die Heirat einfacher und billiger. Hier sind die Frauen nicht verschleiert. Sie m\u00fcssen arbeiten und deshalb Augen und H\u00e4nde freihaben. Der Mann kann sie also sehen und selber w\u00e4hlen. Wenn er seine Wahl getroffen hat, schickt er \u201eSpioninnen\u201c in das Haus oder das Zelt seiner zuk\u00fcnftigen Frau. Diese Spioninnen haben die Aufgabe, den Preis das M\u00e4dchen zu ermitteln, ohne den Namen oder die Stellung des Bewerbers preiszugeben. Sonst w\u00fcrde der Preis automatisch nach dessen Verm\u00f6gen berechnet werden. Solange dies unbekannt bleibt, kann man feilschen.
\nDas Ganze endet gew\u00f6hnlich mit dem Tausch des jungen M\u00e4dchens gegen ein Dutzend Schafe, einige K\u00fche, ein Kamel oder mehrere Ochsen, je nach dem Milieu. Oft wird auch Geld bezahlt.
\nDie gute Gesellschaft tr\u00e4gt keinen Schleier mehr und w\u00e4hlt deshalb \u201enach Sicht\u201c, wie Bauer und Nomade. Zuneigung ist weniger ausschlaggebend als materielle \u00dcberlegungen. Deshalb werden Vertr\u00e4ge abgeschlossen, die darauf abzielen, die Zukunft der Frau zu sichern. Und das ist wichtig. Denn in Persien kann ein Mann sich sehr leicht scheiden lassen. Es gen\u00fcgt, seine Frau zu \u201eversto\u00dfen\u201c: einen Brief zu schreiben, in dem er mitteilt, da\u00df er sie nicht mehr haben will. Und schon ist er frei. Deshalb mu\u00df der Mann vor der Hochzeit bei den Eltern der Frau eine hohe Summe hinterlegen, die nicht, wie bei den einfachen Leuten, der Preis ist, sondern die Garantie f\u00fcr eine gesicherte Zukunft. Aus dem gleichen Grund herrscht strikte G\u00fctertrennung. Die persische Frau sieht sich vor, und obwohl es nicht so aussieht, ist sie unabh\u00e4ngiger als ihre europ\u00e4ische Schwester. Sie nutzt das auch weitgehend aus.
\nWo die Ehe ein Gesch\u00e4ft ist, wird die Mesallisance zum Fehltritt. Wer unter seinem Stand heiratet, kann sein ganzes Leben lang von seinesgleichen geschnitten werden. Meistens nennt man diese Mesallisancen Liebesheiraten \u2013 weil sie dauern. Ich habe lange gebraucht, um zu wissen warum.
\nIn Isfahan, der drittgr\u00f6\u00dften Stadt Persiens, erz\u00e4hlte mir ein einflu\u00dfreicher Mann von seinem Neffen, der ein einfaches M\u00e4dchen geheiratet hatte.
\n\u201eIch habe sie seit ihrer Hochzeit, das hei\u00dft seit drei Jahren, nicht besucht\u201c, sagt er, \u201eaber ich h\u00f6re, da\u00df sie sich wirklich lieben.\u201c
\n\u201eDie m\u00f6chte ich kennenlernen\u201c, rufe ich. \u201eWarum zeigen Sie nicht etwas Nachsicht f\u00fcr richtig Verliebte und machen endlich Frieden.\u201c
\nEs kostet mich eine Stunde \u00dcberredung, bis er einwilligt und bei seinem Neffen anruft, um sich einladen zu lassen.<\/p>\n

Liebesheiraten sind selten
\n<\/strong>
\nDort treffen wir eine kleine rundliche Frau, nicht sch\u00f6n, aber charmant, die perfekteste Hausfrau, die mir bis heute in Persien begegnet ist. Sie huscht durch das Haus, bereitet Aperitifs vor, stellt K\u00e4sestangen auf kleine Spitzendeckchen vor uns hin. Sie ist sogar nett zu dem Dienstm\u00e4dchen, was in Persien selten ist.
\nIhr Mann liegt in einem Sessel und beobachtet sie mit sichtbarer Zufriedenheit. Hin und wieder zwinkert er seinem Onkel zu. \u201eNa, hab‘ ich recht gehabt\u201c, will er sagen. Aber auch das kann den alten Herrn nicht veranlassen, weniger steif dazusitzen.
\nZum Schlu\u00df zeigt man uns das Haus: europ\u00e4ische Gem\u00fctlichkeit von 1927, imitiert und wieder belebt von einheimischen Tischlern. Aber alles ist mit so viel Sorgfalt geordnet und geputzt, da\u00df es r\u00fchrend wirkt. Mit viel Z\u00e4rtlichkeit, mit ihren Mitteln und ihrem Geschmack hatte diese Frau ein Heim geschaffen, das genau zu ihrem Mann pa\u00dfte. Es war unverkennbar, da\u00df sie nur f\u00fcr ihn und seine Gem\u00fctlichkeit lebte.
\nEinige Tage sp\u00e4ter, an einem Freitag, dem Sonntag der Perser, fahren wir zusammen aus der Stadt, um im Gr\u00fcnen zu essen. Am Abend nimmt mich der Mann zur Seite und sagt:
\n\u201eIch mu\u00df Ihnen danken. Sie haben meinen Onkel \u00fcberzeugt, uns endlich zu besuchen. Sie wissen, da\u00df Ich weit unter meinem Stand geheiratet habe. Aber es ist eine Liebesheirat. Das ist doch das Wichtigste im Leben, nicht wahr?\u201c
\nIch stimme zu.
\n\u201eSehen Sie\u201c, sagt er, indem er seinen Revolver aus der Tasche zieht und zerstreut auf die Fische schie\u00dft, die in dem kleinen Bach zu unserem F\u00fc\u00dfen schwimmen. \u201eSehen Sie, wenn mein Vater noch leben w\u00fcrde, h\u00e4tte ich diese Frau nie heiraten k\u00f6nnen. Er h\u00e4tte mich sofort enterbt. Nach seinem Tode habe ich es gewagt, denn ich glaube an die Liebe. So, wie sie es in Europa gibt.\u201c
\nIch mache ihn darauf aufmerksam, da\u00df auch bei uns Messalliancen oft verp\u00f6nt sind und da\u00df ebensooft aus Interesse geheiratet wird wie aus Zuneigung.
\nEr unterbricht mich: \u201eAber nein, mein Lieber, Sie verstehen immer noch nicht. Wenn ich eine Frau gleichen Verm\u00f6gens geheiratet h\u00e4tte, w\u00e4re sie unabh\u00e4ngig gewesen. Sie h\u00e4tte ihr Geld behalten und w\u00e4re nach dem ersten Streit davongelaufen. Sie h\u00e4tte sich Sachen gekauft, ohne mich zu fragen. Und welches Interesse h\u00e4tte sie gehabt, mir ein gem\u00fctliches Heim zu machen oder eine gute Frau zu sein? Keines. Aber diese hier, wo soll sie denn hingehen, wenn ich sie fallen lasse. Sie mu\u00df mir immer dankbar sein, da\u00df ich sie aus ihrem Dreck herausgezogen habe.\u201c
\nEr get\u00f6tet gerade eine Forelle.
\n\u201eSehen Sie, aus Liebe habe ich eine einfache Frau geheiratet.\u201c
\nIch nehme ihm den Revolver aus der Hand und leere das Magazin auf eine Flasche, die den Bach herunterschwimmt.
\n\u201eAus Liebe?\u201c
\n\u201eNat\u00fcrlich. H\u00e4tte ich sonst unter meinem Stand geheiratet und mich mit meiner Familie verfeindet?\u201c
\nIch geb\u2019s auf. Mit Logik ist hier nichts zu machen.
\n
\n\"\"<\/em><\/strong><\/p>\n

Dauerndes Verlangen
\n<\/em><\/strong>Nach \u00fcberlieferten Begriffen ist die Frau auch nicht mehr als ein Objekt, das man kaufen und davonjagen kann. Die Jugend Persiens will damit aufr\u00e4umen. Sie will die Beziehung zwischen Mann und Frau neu ordnen und sucht nach Vorbildern in Europa und Amerika. Von dort aber schickt man nur Filme und Postkarten, die eher verwirren als helfen<\/em><\/p>\n

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Diese fast l\u00e4cherlich in Widerspr\u00fcche sind unvermeidlich. Die Perser bekommen t\u00e4glich den Konflikt zwischen dem Willen zum modernen Denken und ihren alten Vorstellungen zu sp\u00fcren. Dabei geraten sie ganz durcheinander und verstecken ihre Unsicherheit hinter \u00fcbertriebenen Geb\u00e4rden. Genau wie die meisten Autodidakten gro\u00dfsprecherisch tun, weil sie unsicher sind und nur im Krach ihre Zweifel ersticken k\u00f6nnen, genauso leben die Perser mit gro\u00dfem Klamauk alle ihre Ungewi\u00dfheiten, die von Abraham zum Sputnik reichen, von Mohammed zu Nehru und \u00fcber Max, Freud, Edgar Wallace und Courts-Mahler f\u00fchren. Sie beherrschen meisterhaft den Sport aller innerlich zerrissenen Menschen: Sie leben dagegen an. Sie sind gegen alles, was man ihnen vorschl\u00e4gt, und wollen immer alles besser wissen.
\nEs gen\u00fcgt zum Beispiel, da\u00df man die Monogamie vor einem Perser lobt, und schon hebt er die Vielehe in den Himmel.
\n\u201eDas war ein Leben\u201c, ruft er, \u201ejede Frau gab sich die gr\u00f6\u00dfte M\u00fche, dir ein H\u00f6chstma\u00df von Vergn\u00fcgen zu bereiten, denn nur so konnte sie die anderen \u00fcbertreffen und Lieblingsfrau werden. Sie wu\u00dften, was sich geh\u00f6rte. Wenn sie alt wurden, umgaben sie sich mit jungen M\u00e4dchen, denen sie ihre Geheimnisse und unseren Geschmack beibrachten. Sie verstanden es, ihren Einflu\u00df zu wahren. Und wir konnten dabei nur gewinnen. Das waren Zeiten.\u201c
\nWenn man ihm bei einer anderen Gelegenheit sagt, da\u00df die Vielehe doch eigentlich ihr Gutes hat, wird er w\u00fctend. Dann erkl\u00e4rt er voller Pathos: \u201eDie Frau ist f\u00fcr die Seele des Mannes die unerl\u00e4\u00dfliche Erg\u00e4nzung. Nur durch sie kann er seiner Vollendung entgegen gehen.\u201c
\nFast immer zitiert er etwas, was er irgendwo gelesen hat, und bringt dabei die Seiten und die B\u00fccher durcheinander.<\/p>\n

Tausendundeine Nacht nicht mehr gefragt
\n<\/strong>
\nEs ist aber nicht immer so: \u00dcberall in Persien gibt es Menschen, die eine fundierte Erkl\u00e4rung f\u00fcr die Notwendigkeit einer modernen Lebenseinstellung gefunden haben, ohne da\u00df sich \u00fcberlieferte Vorstellungen einschleichen und Verwirrung stiften. Dazu konnte man nur durch die Ablehnung der alten Werte kommen. Und das geht nicht ohne Kritik an der Vergangenheit. Diese Menschen m\u00fcssen nach den Gr\u00fcnden suchen, die f\u00fcr den Verfallen ihrer Zivilisation verantwortlich sind, und sie bewu\u00dft ablehnen. Dabei erkennen sie, da\u00df nicht geschichtliche Zuf\u00e4lle zu der bestehenden Dekadenz gef\u00fchrt haben, sondern ein seit Jahrhunderten kritiklos \u00fcbernommener Lebensstil. Ihm m\u00fcssen sie den Krieg erkl\u00e4ren.
\nWenn sie dar\u00fcber sprechen, geht es meist wild her, denn es ist schmerzhaft, die Vergangenheit zu t\u00f6ten. Aber wenn ihre Worte auch respektlos und wirr klingen, sie m\u00fcssen gesagt werden. In vielen Unterhaltungen habe ich sie geh\u00f6rt:
\n\u201eWie ist es zum Beispiel mit der Frau? Die Vielweiberei befriedigt die Sinne des Mannes, nicht sein Gef\u00fchl. Und mit den Kindern? Bei der Vielzahl der Geburten kann die v\u00e4terliche Zuneigung nie weiterkommen als zu einem l\u00e4cherlichen Zeugungsstolz.
\nDeshalb konnten in unserer Geschichte die entsetzlichsten Grausamkeiten an Verwandten ver\u00fcbt werden. Im europ\u00e4ischen Sinn gab es hier keine \u201aVerwandten\u2018. Wir haben nie das \u201aDu\u2018 gekannt, nur das \u201aIhr\u2018, die anderen, die Menge. Und so hat es bei uns weder echte Zuneigung noch Freundschaft oder Liebe geben k\u00f6nnen.
\nWir haben nur rechnen gelernt und die Mentalit\u00e4t des Buchhalters aufs ganze Leben \u00fcbertragen: Addition von Frauen, Kindern, Klienten, Vergn\u00fcgen, Reicht\u00fcmern, Bedeutung. Abziehen von Feinden, Hindernissen. Viel, viel, viel ist die einzige die Devise, die sich jeder von aufs Wappen schreiben kann. Einzig wichtig ist, da\u00df es sich h\u00e4uft und gl\u00e4nzt.
\nMan fragt sich nie: wie und warum. Man fragt nur: wieviel. Es ist nicht verwunderlich, da\u00df die Araber, denen wir diese materialistische Zivilisation verdanken, die Null erfunden haben.
\nWeil wir nur an Z\u00e4hlen gew\u00f6hnt sind, haben wir all das im Menschen verk\u00fcmmern lassen, was man weder addieren noch abziehen kann.
\nSelbst in unserer Religion ist es nicht wichtig, wie man glaubt, sondern wie oft am Tag man vorgibt zu glauben. Wenn die Religion den Wein verbietet, dann nur deshalb, weil er die Zahlen verwirrt und die Seele zum Weinen bringt. Ergebnis: Unsere wenigen Dichter waren S\u00e4ufer, weil nur der Wein den Kr\u00e4mergeist wegschwemmen konnte. Und warum untersagt die Religion der Kunst, den Menschen nachzumachen? Weil ein Gesichts nichts bedeutet.<\/p>\n

\"\"<\/p>\n

Kaiserliche Freiheit\u00a0<\/strong><\/em>Wenn der Schah empf\u00e4ngt, gibt es Champagner, Whisky und Kognak, obwohl seine Religion den Genu\u00df von Alkohol verbietet. Aber er will modern sein. Er erlaubt sich das, solange persische Zeitungen nicht zuviel davon sprechen. Und daf\u00fcr sorgt die Zensur<\/em><\/p>\n

Religi\u00f6se Zwang<\/em><\/strong><\/p>\n

\"\"Nur im Volke wird das Leben noch von den Vorschriften der Religion bestimmt. In dieser Schule m\u00fcssen die Kinder dreimal am Tage beten. In vielen D\u00f6rfern beschr\u00e4nkt sich der Unterricht auf das blo\u00dfe Nachlallen des Korans, den ein Mullah vorliest<\/em><\/p>\n

 <\/p>\n

Unser sprichw\u00f6rtlicher Fatalismus ist die Erfindung romantischer Europ\u00e4er. Es gibt ihn nicht. Wenn der Nomade mit abwesendem Blick vor seinem Zelt sitzt, dann tr\u00e4umt er nicht, dann z\u00e4hlt er: seine Schafe, seine Kamele, die Beute und die Feinde. Wenn der Krieger sich l\u00e4chelnd dem Tod entgegenwirft, dann z\u00e4hlt auch er die Belohnungen, die ihn in Jenseits erwarten, die Himmel, die er durchqueren mu\u00df, um endlich das von Allah versprochene Ziel zu erreichen: den \u00dcberflu\u00df, diesen Wunschtraum aller Buchhalter.
\nDie Liebe h\u00e4tte uns retten k\u00f6nnen. Das hei\u00dft das Wie, das Warum, das Wer an Stelle des Wieviel. Aber wie h\u00e4tte das geschehen k\u00f6nnen in einer Welt, die nur Mein und Dein kannte und sie einander gegen\u00fcberstellte.
\nDie Europ\u00e4er hatten Christus und die Griechen, die ihnen die Liebe und den Menschen offenbarten, uns hat der Nomadengeist der arabischen Eroberer zu Buchhaltern gemacht. Nur deshalb liegt Europa soweit vorn \u2013 und wir so weit zur\u00fcck.
\nDie M\u00e4nner, die so denken, sind die Tr\u00e4ger der geistigen Umw\u00e4lzung, die sich heute in Persien vollzieht. Sie stehen im Gegensatz zu den traditionellen Machthabern: den Feudalherren, Gesch\u00e4ftsleuten, Geistlichen und Stammesf\u00fcrsten, die ihren Einflu\u00df durch die Aufrechterhaltung des alten Geistes verteidigen.
\nDer Kampf geht nicht um G\u00fcter. Er geht um den persischen Menschen. Bis heute ist es nur im Keim eine politische Auseinandersetzung, aber sie wird es bald in ihrem ganzen Umfang werden. Noch ist es kein Klassenkampf, sondern ein moralischer Streit, in dem jedoch die Klasse in absehbarer Zeit zur t\u00f6dlichen Waffen werden kann.<\/p>\n

 <\/p>\n

Im n\u00e4chsten Heft:<\/p>\n

Wer ist schon reich und gl\u00fccklich<\/strong><\/p>\n","protected":false},"excerpt":{"rendered":"

Stern, Heft\u00a0 44, 29. Oktober 1960 Der Schah schreibt: \u201eMeine Einsamkeit ist dadurch vertieft, da\u00df ich es ablehne, Ratgeber zu fragen und gewillt bin, mir selber die letzten Entscheidungen vorzubehalten. Au\u00dfer einigen unbedeutenden Worten erw\u00e4hne ich Staatsgesch\u00e4fte nicht einmal von meinen Verwandten und intimsten Freunden.\u201c Deutlicher kann er nicht sagen, da\u00df es in Persien keine…<\/p>\n","protected":false},"author":2,"featured_media":56263,"parent":55292,"menu_order":1,"comment_status":"closed","ping_status":"closed","template":"","meta":{"_seopress_robots_primary_cat":"","_seopress_titles_title":"","_seopress_titles_desc":"","_seopress_robots_index":"","footnotes":""},"categories":[507],"tags":[],"class_list":["post-55286","page","type-page","status-publish","has-post-thumbnail","hentry","category-iran","entry","has-media"],"_links":{"self":[{"href":"https:\/\/www.troeller-deffarge.com\/wp-json\/wp\/v2\/pages\/55286"}],"collection":[{"href":"https:\/\/www.troeller-deffarge.com\/wp-json\/wp\/v2\/pages"}],"about":[{"href":"https:\/\/www.troeller-deffarge.com\/wp-json\/wp\/v2\/types\/page"}],"author":[{"embeddable":true,"href":"https:\/\/www.troeller-deffarge.com\/wp-json\/wp\/v2\/users\/2"}],"replies":[{"embeddable":true,"href":"https:\/\/www.troeller-deffarge.com\/wp-json\/wp\/v2\/comments?post=55286"}],"version-history":[{"count":1,"href":"https:\/\/www.troeller-deffarge.com\/wp-json\/wp\/v2\/pages\/55286\/revisions"}],"predecessor-version":[{"id":60746,"href":"https:\/\/www.troeller-deffarge.com\/wp-json\/wp\/v2\/pages\/55286\/revisions\/60746"}],"up":[{"embeddable":true,"href":"https:\/\/www.troeller-deffarge.com\/wp-json\/wp\/v2\/pages\/55292"}],"wp:featuredmedia":[{"embeddable":true,"href":"https:\/\/www.troeller-deffarge.com\/wp-json\/wp\/v2\/media\/56263"}],"wp:attachment":[{"href":"https:\/\/www.troeller-deffarge.com\/wp-json\/wp\/v2\/media?parent=55286"}],"wp:term":[{"taxonomy":"category","embeddable":true,"href":"https:\/\/www.troeller-deffarge.com\/wp-json\/wp\/v2\/categories?post=55286"},{"taxonomy":"post_tag","embeddable":true,"href":"https:\/\/www.troeller-deffarge.com\/wp-json\/wp\/v2\/tags?post=55286"}],"curies":[{"name":"wp","href":"https:\/\/api.w.org\/{rel}","templated":true}]}}