{"id":61118,"date":"2019-09-12T16:38:37","date_gmt":"2019-09-12T14:38:37","guid":{"rendered":"http:\/\/www.troeller-deffarge.com\/?page_id=61118"},"modified":"2021-08-02T17:24:24","modified_gmt":"2021-08-02T15:24:24","slug":"wie-sie-leben-wie-sie-lieben-wie-sie-leiden-brasilien","status":"publish","type":"page","link":"https:\/\/www.troeller-deffarge.com\/zeitungsreportagen\/die-frauen-dieser-welt\/wie-sie-leben-wie-sie-lieben-wie-sie-leiden-brasilien\/","title":{"rendered":"Wie sie leben, wie sie lieben, wie sie leiden (Brasilien)"},"content":{"rendered":"
Stern, <\/span><\/span><\/em>Heft 44, 01. November 1964<\/span><\/span><\/p> Brasilien ist die erste Etappe auf unserer Reise um die Welt. Ein hei\u00dfes Land mit sch\u00f6nen Frauen. Rio, Karneval, Copacabana und aufregende Mulattinnen sind die g\u00e4ngigen Vorstellungen. Brasilien ist aber auch ein Schulbeispiel der m\u00e4nnlichen Vorherrschaft alten Stils. \u201eEr hat den Spa\u00df und sie das Kind\u201c \u2013 dieser Satz bestimmt bis auf den heutigen Tag das Los der Frau und die Allmacht des Mannes. Der Hahnenstolz der Herren wird hier zur H\u00f6lle der Frauen.<\/strong><\/span><\/span><\/p> Auf seiner Brust stehen genau zweiundneunzig Haare. Pechschwarze gekr\u00e4uselte Haare. F\u00fcnfzig verlaufen schnurgerade vom Brustbein bis zum Nabel. Einundzwanzig ziehen sich in einer horizontalen Linie nach Links. Ebenso viele nach rechts. Das Ganze bildet ein Kreuz. Fernando modelliert es t\u00e4glich mit einer Pinzette. Er ist ein gl\u00e4ubiger Mann. Genau im Schnittpunkt der Linien h\u00e4ngt ein goldenes Medaillon mit dem Bild der Madonna.<\/span><\/span><\/p> Wir sitzen am Strand von Bahia. Neben uns tauscht ein Liebespaar kleine Z\u00e4rtlichkeiten aus. Fernando schein fasziniert.<\/span><\/span>
\u201eEs kotzt mich an\u201c, meint er pl\u00f6tzlich. \u201eJa, es kotzt mich an.\u201c <\/span><\/span>
Er starrt w\u00fctend aufs Meer. Die Sonne dr\u00fcckt auf meinen Kopf. Nach ein paar Minuten werde ich trotzdem neugierig und frage:<\/span><\/span>
\u201eWas, die Liebe?\u201c<\/span><\/span>
\u201eNein, die Schwestern.“
\u201eWelche Schwestern?“
\u201eAlle Schwestern.\u201c<\/span><\/span>
\u201eUnd warum?“
\u201eWeil sie Br\u00fcder haben.\u201c<\/span><\/span>
\u201eEs gibt auch Frauen ohne Br\u00fcder.\u201c
\u201eDie haben V\u00e4ter.\u201c
\u201eUnvermeidlich.\u201c
\u201eAuch das macht mich krank.\u201c<\/span><\/span>
\u201eUnd warum?\u201c<\/span><\/span>
\u201eWegen der Ehre.\u201c<\/span><\/span>
\u201eWelche Ehre?\u201c
\u201eUnsere Ehre nat\u00fcrlich.\u201c
\u201eAha\u201c, sage ich und blicke flehend aufs behaarte Kreuz. Aber auch von dort kommt keine Erleuchtung. Nur ein Schmetterling sitzt dort und spiegelt sich in Medaillon.
\u201eHaben Sie eine Schwester?\u201c fragt Fernando jetzt.<\/span><\/span>
\u201eNein.\u201c<\/span><\/span>
\u201eDann k\u00f6nnen Sie nicht wissen, was es bedeutet, mit einer Frau ins Bett zu gehen\u201c, meint er. \u201eIch mu\u00df immer an die Ehre des Bruders denken, die sie besudelt. Das ist unertr\u00e4glich. Meine Schwester hat es getan. Vater jagte sie davon. Aber ich werde sie umbringen, wenn ich sie finde. Deshalb bin ich hier. Sie soll in Salvador auf den Strich gehen.\u201c<\/span><\/span>
\u201eW\u00e4re es nicht besser, ihr zu helfen?\u201c frage ich z\u00f6gernd.<\/span><\/span>
\u201eSind Sie verr\u00fcckt? Soll ich denn ewig leiden?\u201c schreit er und der Schmetterling fliegt erschrocken davon.<\/p>