{"id":62022,"date":"2020-07-30T14:15:21","date_gmt":"2020-07-30T12:15:21","guid":{"rendered":"http:\/\/www.troeller-deffarge.com\/?page_id=62022"},"modified":"2022-08-03T15:09:36","modified_gmt":"2022-08-03T13:09:36","slug":"zurueck-zu-kueche-und-kind-usa-1964","status":"publish","type":"page","link":"https:\/\/www.troeller-deffarge.com\/zeitungsreportagen\/1-die-frauen-dieser-welt\/zurueck-zu-kueche-und-kind-usa-1964\/","title":{"rendered":"Zur\u00fcck zu K\u00fcche und Kind (USA)"},"content":{"rendered":"

Stern<\/em>, Heft 49, 6. Dezember 1964 <\/p>


Es ist drei Uhr in Chicago. Ich bin p\u00fcnktlich. Helen hat die T\u00fcr ihrer Wohnung aufgelassen, und ich bin einfach eingetreten. Fr\u00fchmorgens hatte sie mich angerufen, um unsere Verabredung auf den Nachmittag zu verschieben: \u201eIch mu\u00df zum Psychiater. Es geht um meine Zukunft. Sei nicht b\u00f6se.“
Ich hatte jedoch nicht geglaubt, sie in diesem Zustand vorzufinden. Sie h\u00e4ngt zwischen zwei St\u00fchlen. Feine schwarze Streifen um Wangen und Augen zeigen, da\u00df sie geweint hat. Selbst die Lider sind geschwollen. Sie tr\u00e4gt eine enganliegende Hose aus Lastex und ein offenes gelbes Hemd, das durch einen Knoten auf dem Bauch zusammengehalten wird. Das l\u00e4\u00dft sehr viel Platz zum Tr\u00e4umen.
\u201eNoch sieben Sekunden“, sagt sie und z\u00e4hlt langsam von sechs bis null. Dann l\u00e4\u00dft sie sich einfach zu Boden fallen.
\u201cSo, jetzt geht es mir besser. Mit dieser \u00dcbung finde ich meistens die Beherrschung wieder. Und die brauche ich. Denn alle behaupten, ich sei nicht normal. Auch der Psychiater.“
Sie f\u00e4ngt wieder an zu weinen. Ich will sie beruhigen, aber Helen wehrt ab: \u201eLa\u00df nur, das sind jetzt gute Tr\u00e4nen. H\u00f6r lieber zu. Vielleicht kannst du mir helfen.“
Und Helen erz\u00e4hlt. Auf dem Boden hockend wie ein kleines Kind, spricht sie von ihrem gro\u00dfen Traum, Biologin zu werden. Zun\u00e4chst hatten ihre Eltern nichts dagegen. Im Gegenteil: Sie waren gl\u00fccklich, da\u00df ihre Tochter studierte, denn so konnte sie leicht ,,M\u00e4nner mit Zukunft\u201c kennenlernen.
Es ging auch alles gut, bis ihre Leidenschaft f\u00fcr die Biologie alles andere zu \u00fcberschatten drohte. Die \u00fcblichen Backfischsorgen der Freundinnen schienen ihr pl\u00f6tzlich kindisch zu sein. Sie k\u00fcmmerte sich kaum noch um die letzte Mode und f\u00fchlte sich nicht gedem\u00fctigt, wenn sie am Wochenende keinen \u201eBoy friend“ hatte. Sie war vielmehr gl\u00fccklich, ungest\u00f6rt \u00fcber ihrem Mikroskop zu sitzen oder gelehrte B\u00fccher zu w\u00e4lzen.
Dann kam aber doch einer, und sie gingen \u201esteady“ (fest). Es sah nach Liebe aus bis zu jenem Tag, an dem er sagte:
\u201eHelen, du solltest versuchen, fraulicher zu sein. Tr\u00e4umst du denn nie von unserer zuk\u00fcnftigen Wohnung, von Kindern? Glaubst du, es sei normal f\u00fcr ein junges M\u00e4dchen, nur zu studieren und an den Beruf zu denken? Das ist Sache der M\u00e4nner.“
\u201eIch denke auch an dich\u201c, sagte sie. \u201eIch liebe dich, und ich liebe meinen Beruf. Ist das nicht wundervoll? Mu\u00df man denn gleich an Kinder denken?“
Sie hatte gelacht, aber er war sehr ernst geblieben. Und Helen f\u00fchlte sich pl\u00f6tzlich wie vor einem Gericht. Da sa\u00dfen sie alle, die sie anklagten, eine verbohrte Phantastin zu sein: ihre Eltern, die Freundinnen und er, Harry, den sie liebte. Alle, die t\u00e4glich versuchten, sie aus ihrer Neurose, wie sie es nannten, auf den Boden der Wirklichkeit zur\u00fcckzuf\u00fchren. Harrys Augen verlangten deutlich eine Antwort auf die Frage: \u201eBist du denn nicht normal?\u201c
Und Helen glaubte, nur auf eine Art beweisen zu k\u00f6nnen, da\u00df sie ebenso weiblich war wie all diese P\u00fcppchen, die nur M\u00e4nner im Kopf hatten, und Hochzeitskleider, Kinder und silberne L\u00f6ffel. Sie tat, was sie sich eigentlich schon immer schon gew\u00fcnscht hatte: Sie ging \u201eall the way\u201c, wie man hier sagt, \u201eden ganzen Weg\u201c, anstatt bei den \u00fcblichen Z\u00e4rtlichkeiten wie \u201enecking\u201c und \u201epetting\u201c haltzumachen.<\/p>

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Die Ehe ist wieder das einzig erstrebenswerte Klassenziel der Frau.
Berufliche Ehrgeiz gilt heute als unweiblich<\/em><\/figcaption><\/figure>


Das wirkte. Harry mu\u00dfte zugeben, da\u00df sie gar nicht unweiblich war. Er gestand sogar, da\u00df sie \u00fcberdurchschnittliche Talente habe, an denen er im stillen gezweifelt hatte. Aber auch daran gew\u00f6hnte er sich schnell. Manchmal war er sogar grausam genug, ihre Hingabe als \u00dcberrumpelung zu bezeichnen und ihr Temperament als Theater.
\u201eAber ich bin jedesmal restlos gl\u00fccklich\u201c, rief sie verzweifelt. \u201elst denn das kein Beweis?\u201c
Helen glaubt also, mit ihrem ungew\u00f6hnlichen Gest\u00e4ndnis Harrys letzte Zweifel zerst\u00f6rt zu haben. Aber: \u201eWie kann ich wissen, ob es stimmt?\u201c meinte er. \u201eVielleicht ist auch das nur Theater.\u201c Und er verlangte, was seiner Meinung nach der einzige Beweis ihrer Liebe und Fraulichkeit sein konnte: den Beruf
aufzugeben und sofort zu heiraten.<\/p>

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Sie haben eben ihre akademische Ausbildung abgeschlossen. Aber nur drei von zwanzig streben einen Beruf an<\/em><\/figcaption><\/figure>


Es kam zum Bruch. Helen lernte einen anderen Mann kennen, mit dem es ihr \u00e4hnlich erging, und einen dritten, der auch nur eines forderte: Ehe und ein gl\u00fcckliches Familienleben.
Selbst die Mutter verpa\u00dfte keine Gelegenheit, Helen zur Verzweiflung zu treiben. Hinter der abgedroschenen Phrase: \u201eAber Liebling, wir wollen doch nur dein Bestes\u201c, verbarg sich weniger liebevolle Sorge als vielmehr die Furcht, sich \u00fcber den \u201egesellschaftlichen Mi\u00dferfolg\u201c ihrer Tochter sch\u00e4men zu m\u00fcssen.
Die Mutter machte sich sogar zur Kupplerin. Sie lud Helens Freund zum Wochenende ein und verschwand dann mit ihrem Mann unter einem Vorwand. Um sich jedoch selbst ein moralisches Alibi zu verschaffen, rief sie am Montagmorgen an: \u201eIch hoffe, Liebling, da\u00df du nichts getan hast, wor\u00fcber du und ich uns sch\u00e4men m\u00fcssen.\u201c
Gemeint war nat\u00fcrlich die Liebe, die sie mit allen Mitteln f\u00f6rderte. Und Helen, die schon vor Gewissensbissen nicht ein noch aus wu\u00dfte, entdeckte ein neues bohrendes Schuldgef\u00fchl. Freund und Mutter schienen sich verschworen zu haben und machten die einzige weibliche Best\u00e4tigung, die ihr noch blieb zur H\u00f6lle.

Mit Komfort in die H\u00f6lle<\/strong>

Das Unvermeidliche traf ein: Unsicherheit, Spannung und Schuld sorgten daf\u00fcr, da\u00df sie keinem Mann mehr zu trauen wagte. Jetzt gewann Helen langsam selbst die \u00dcberzeugung, da\u00df die anderen recht hatten: da\u00df mit ihr etwas nicht stimmte. Der Psychologe hatte ihr den Rest gegeben.
\u201eIch h\u00e4tte eine Anpassungskrise, behauptet der. Ich sei mit der Umwelt im Konflikt. Aber um Himmels willen, das wei\u00df ich doch selbst. Es fragt sich nur wer recht hat. Sag, Gordian, wer hat recht, die anderen oder ich.\u201c
\u201eDu nat\u00fcrlich\u201c, sage ich ohne zu z\u00f6gern.
Helen springt auf und umarmt mich. Ich kann sie mit gutem Gewissen tr\u00f6sten, denn ich habe gesehen, wohin der Weg f\u00fchrt, den die Umwelt ihr aufzwingen will.
Die wundervollen Vorortwohnungen der amerikanischen Gro\u00dfst\u00e4dte sehen genauso aus, wie wir Europ\u00e4er sie aus Filmen kennen. Makellos gekleidete M\u00fctter w\u00e4hlen mit unfehlbarer Sachkenntnis Gesundheit spendende Di\u00e4t f\u00fcr pausb\u00e4ckige Kinder. Mit modernsten Ger\u00e4ten herrschen sie unumschr\u00e4nkt \u00fcber eine klimatisierte Gem\u00fctlichkeit f\u00fcr ihren Mann und ihre zahlreiche Nachkommenschaft. Es sieht genau aus wie jene Welt, von der auch die europ\u00e4ischen Frauen tr\u00e4umen. Wohlstand, Sicherheit und Liebe, gebettet in technische Vollkommenheit. <\/p>

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Fr\u00fch heiraten und eine gro\u00dfe Familie gr\u00fcnden \u2013 das sind die Ideale der Amerikanerin<\/em><\/p><\/div><\/div>


Bei genauerem Hinsehen entdeckt man jedoch, wie die Frau im hei\u00dferk\u00e4mpften Komfort buchst\u00e4blich unter der Last der Arbeit zusammenbricht. Und wir erfahren aus den gutgef\u00fchrten Statistiken des Landes, da\u00df Millionen Frauen Pillen schlucken, um durchzuhalten. Weitere Millionen k\u00f6nnen ohne gr\u00f6\u00dfere Mengen Alkohol nicht mehr auskommen. Und noch mehr rennen mit ihren Problemen zum Psychiater.
Mit welchen Problemen? Warum? Wie kommt es, da\u00df die einstmals weltoffene Amerikanerin mit fliegenden Fahnen zur Beschr\u00e4nkung auf die Familie zur\u00fcckkehrt? Warum sind Hausfrau und Mutter wieder die verherrlichten Leitbilder der Frau geworden? Und wie erkl\u00e4rt sich, da\u00df diese Wahl so verheerende Folgen f\u00fcr das innere Gleichgewicht der Frau mit sich bringt?

Die Antworten auf diese Fragen sind um so wichtiger, als Amerika uns bislang immer um Jahre voraus gewesen ist und seine Entwicklung auch f\u00fcr Europa in absehbarer Zeit bevorstehen mag. Im voraufgehenden Bericht haben wir die Konfliktstoffe aufgezeigt, die der amerikanischen Frau zu schaffen machen: die Widerspr\u00fcche zwischen den geistig verehrten Werten einer christlichen Kultur und den erbarmungslosen Forderungen einer materialistischen Zivilisation. Die Frau wird angehalten, Idealen nachzustreben, die jedoch letztlich im r\u00fccksichtslosen Kampf um Erfolg und Sicherheit nicht gefragt sind.

Das ist bei uns kaum anders. Nur hat die Amerikanerin eine recht positive, in Europa weniger ausgepr\u00e4gte Eigenschaft, die diesen t\u00e4glich gelebten Zwiespalt zur H\u00f6lle macht: den Willen zur Vollkommenheit. Sie will perfekt sein \u2013 auf allen Gebieten. Da dies nicht m\u00f6glich ist, entwickelt sie eine innere Spannung, die man hier \u201eguilt complex\u201c nennt: Schuldgef\u00fchl. Schuld, zu verraten, was sie vorgibt zu verehren. Schuld, zu erstreben, was ihren Grunds\u00e4tzen widerspricht. Schuld, da\u00df sie all das wei\u00df und doch nicht anders handeln kann, wenn sie sich nicht erniedrigt und wiederum schuldig f\u00fchlen will, im t\u00e4glichen Leben zu versagen.

Wir k\u00f6nnen diesen Konflikt gar nicht genug unterstreichen. Das Schuldgef\u00fchl ist ein Begriff, den man in gro\u00dfen Buchstaben \u00fcber ganz Amerika schreiben kann. Wir haben keine Frau getroffen, die nicht davon gesprochen hat, und keinen Psychiater besucht, der nicht davon lebt.<\/p>

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Die Formen gefallen ihm. Wenn jedoch auch Intelligenz dahintersteckt, werden die meisten Amerikaner scheu<\/em><\/figcaption><\/figure>



Schlechte M\u00fctter haben feige S\u00f6hne<\/strong>

Aber zur\u00fcck zu den Traumh\u00e4usern. Warum haben die Amerikanerinnen wieder jenen Bereich zum Tempel des Lebens erhoben, der seit Jahrtausenden als der Kerker der Frau galt: K\u00fcche und Kinder?
Die Verantwortung tr\u00e4gt in erster Linie der Krieg \u2013 oder, besser gesagt, die Art und Weise, wie der amerikanische Mann auf den Krieg reagiert. Der ganzen Nation verschlug es den Atem, als sie entdeckte, da\u00df mehr als zwei Millionen M\u00e4nner aus psychischen Gr\u00fcnden f\u00fcr den Wehrdienst untauglich waren. Viele andere entpuppten sich als schlechte Soldaten. Sie forderten F\u00fcrsorge, wie zu Hause, und waren unf\u00e4hig, Verantwortung zu tragen oder seelische Strapazen ungesch\u00e4digt hinzunehmen.
Und ganz Amerika wu\u00dfte sofort, wo man die Schuldigen f\u00fcr diesen besch\u00e4menden Zustand zu suchen hatte: bei den Frauen. Schlie\u00dflich hatte die Psychoanalyse jeden gelehrt, da\u00df die psychische Untauglichkeiten des Mannes ihren Ursprung in der Kindheit haben und von der Mutter bedingt werden. Wenn ein Kind stiehlt oder l\u00fcgt, wenn es V\u00f6geln die Schw\u00e4nze ausrei\u00dft oder im Badezimmer \u00fcber unanst\u00e4ndigen Bildern tr\u00e4umt, dann ist die Mutter daf\u00fcr verantwortlich. Wenn ein Mann feige ist oder brutal, wenn er beim ersten Knall in die Hose macht oder blindlings auf alles Lebende schie\u00dft, dann trifft die Mutter die Schuld. Dann hat sie in ihrer Liebe versagt. Dann haben m\u00fctterliches Unverm\u00f6gen in der Seele des Kindes jene Verdr\u00e4ngungen und Konflikte erzeugt, die nun auf dem Umweg \u00fcber qualvolle M\u00e4ngel zutage treten. So wenigstens sah es eine \u00fcberspitzte Auslegung der Freudschen Psychoanalyse, die in den USA zu einer Art nationalen Wahns geworden war

Sehnsucht nach deutschen Frauen<\/strong>

Man erinnerte sich, da\u00df die Frauen in den zwanziger Jahren die erste \u201esexuelle Revolution\u201c erzwungen hatten \u2013 wie man sie damals schon nannte. Die Epoche des \u201eCharleston\u201c war auch die Zeit des massiven Einbruchs der Frau ins berufliche Leben, und w\u00e4hrend des Krieges hatte sie gezeigt, da\u00df sie f\u00e4hig war, die fehlenden M\u00e4nner mit viel Kompetenz zu vertreten.
Nur das sahen die GI`s, als sie entt\u00e4uscht heimkehrten: Frauen, die seit Jahrzenten au\u00dferhalb der Familie nach einem neuen weiblichen Schicksal suchten. Wie konnten M\u00e4nner mit solchen M\u00fcttern normal sein?

Aber mehr noch: Die Soldaten hatten die Frauen des Feindes kennengelernt, Japanerinnen, die ihnen den R\u00fccken kraulten und aufs Wort gehorchten. Deutsche, die ihnen die Schuhe putzen und gern von Liebe sprachen. Italienerinnen, die singend Spaghetti kochten, nachdem sie mit ihrem Temperament \u201eFunken aus den Matratzen geschlagen\u201c hatten.
Alle diese Frauen waren z\u00e4rtlicher, ergebener, sentimentaler und tausendmal selbstloser als die Amerikanerin. Sie forderten wenig und gaben alles. Und sie hatten zweifellos ihren Nationen bessere Soldaten geschenkt. M\u00e4nnlichere M\u00e4nner, die leichter t\u00f6teten und einfacher starben und vor allem jene Klippen der Seele nicht kannten, auf denen viele Amerikaner gestrandet waren: die krankhaften Bindungen an die Mutter. Und jetzt waren diese M\u00e4nner sogar f\u00e4hig, die Niederlage in einen wirtschaftlichen Sieg zu verwandeln, w\u00e4hrend die Sieger den Kopf h\u00e4ngenlie\u00dfen.

\u00dcberzeugenderer Beweis bedurfte es nicht. Die Amerikanerin, die selbst von Kind auf mit psychologischen Halbwahrheiten \u00fcberf\u00fcttert wird und buchst\u00e4blich \u201eschulds\u00fcchtig\u201c geworden ist, erkannte diese neue Schuld widerspruchslos an.
Es lag doch auf der Hand: In blindem Gleichheitsdrang hatte sie ihre wahre frauliche Bestimmung verraten. Sie hatte sich sogar gegen die Nation vergangen, indem sie auf der Suche nach au\u00dferh\u00e4uslicher Best\u00e4tigung den Nachwuchs vernachl\u00e4ssigte. Also: Kehrt um! Marsch! Mit fliegenden Fahnen ging es zur\u00fcck ins Heim. Ebenso, wie der Brasilianer seine m\u00e4nnliche Ehre in die H\u00e4nde von Frau und Tochter legt, so b\u00fcrdete man das Wohl der amerikanischen Nation auf die Seele der Frau.

Im Eifer der Diskussion hatte man \u00fcbersehen, da\u00df die freie Frau der zwanziger Jahre gar nicht f\u00fcr das Versagen der Soldaten verantwortlich gemacht werden konnte. Die M\u00fctter dieser M\u00e4nner geh\u00f6rten alle zur voraufgegangenen Generation, die zum gro\u00dfen Teil jenen Idealen gehuldigt hatte, die man jetzt wieder ausgrub.

So feierte der \u201eMom\u201c-ismus seine gro\u00dfen Triumphe. \u201eMom\u201c ist die Mutter. Der \u201eMutti-Kult\u201c ging so weit, da\u00df selbst Teenager ihre feste Freundin \u201eMom\u201c nannten, um klarzumachen, was sie von ihr erwarteten.

Mit Schrift und Wort wurde da neue Leitbild geformt. Der Frau wurde eingeh\u00e4mmert, was sie sich und dem Vaterland schuldig war. Und um zu beweisen, da\u00df sie nicht mehr an sich selbst denkt, schuftet die zum Gedeihen ihrer zahlreichen Kinder vom Morgengrauen bis zum Abend. In Erf\u00fcllung der Norm. Und genau nach Vorschrift.

Aber diese Vorschriften kommen schon seit langem nicht mehr vom entt\u00e4uschten GI oder von ehrlichen, wenn auch verbohrten Aposteln einer traditionellen Weiblichkeit. Sie werden von hochqualifizierten Fachleuten der Industrie entworfen und mit den modernsten werbetechnischen Methoden zur psychologischen Beeinflussung mi\u00dfbraucht.

Das allm\u00e4chtige \u201ebusiness\u201c verlangt Absatz und immer mehr Absatz. Aber wer ist der Hauptabnehmer? Die Frau. In den USA liegen nahezu achtzig Prozent der Kaufkraft in ihren H\u00e4nden. Und welche Kategorie von Frauen kauft am willigsten? Sicherlich nicht die gebildete Frau mit ausgepr\u00e4gtem Verstand und pers\u00f6nlichem Geschmack. Auch nicht die Berufst\u00e4tige, deren Ehrgeiz zum Teil schon in der Karriere befriedigt wird. Die eigentliche Verbraucherin ist die Hausfrau, die mittelm\u00e4\u00dfige, leicht zu beeinflussende Frau und Mutter, die kaum andere Interessen hat als die Behaglichkeit ihres Heims. Ihr ist leicht zu suggerieren, was sie noch braucht, um Mann und Kind gl\u00fccklich zu machen und somit fester ans Haus zu ketten. Wenn die Anschaffung eines Artikels mit dem Gl\u00fcck der Familie verkn\u00fcpft wird, k\u00f6nnen nur wenige widerstehen.<\/p>

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Gesch\u00e4ftsstra\u00dfen wimmeln von Frauen. Kauflust wird zum Ersatz f\u00fcr h\u00e4usliches Gl\u00fcck<\/em><\/figcaption><\/figure>


Um jedoch diese ideale K\u00e4uferin zu schaffen, mu\u00df sie \u00fcberzeugt werden, da\u00df Studium, Beruf und Karriere nur von \u201eunweiblichen\u201c, ja, neurotischen Frauen erstrebt werden. Es sei denn, sie m\u00fcssen vor\u00fcbergehend Geld verdienen, weil sie noch nicht den richtigen Mann gefunden haben oder noch wichtige Anschaffungen machen m\u00fcssen.

So ist zwar in den USA, wie in allen Industriel\u00e4ndern, die Zahl der arbeitenden Frauen gestiegen. Es handelt sich jedoch um untergeordnete, als \u00dcbergang betrachtete Besch\u00e4ftigungen. Immer weniger Frauen verfolgen eine wirkliche Karriere. Selbst in den sogenannten \u201eweiblichen\u201c Berufen (Lehrerin, Sozialhelferin, Kinder\u00e4rztin, Professorin und dergleichen) ist Ebbe eingetreten. Und sogar die Frauenzeitschriften werden wieder von M\u00e4nnern gemacht. Hier wird eine \u201eWelt der Frau\u201c geschaffen, in der von Beruf, sozialen Fragen, Wirtschaft und anderen au\u00dferh\u00e4uslichen Problemen kaum noch die Rede ist. Die Memoiren eines Filmstars oder das Tagebuch einer k\u00f6niglichen Putzfrau sind von brennenderer Aktualit\u00e4t als Schulreform oder Rassenkonflikte.

Die Schuld f\u00fcr diese Weltentfremdung der Frau darf nicht nur dem Mann in die Schuhe geschoben werden. Halb stie\u00df er sie \u2013 halb sank sie hin. Status und materielle Sicherheit lockten sie st\u00e4rker als Freiheit. Und heute erstickt sie in Pseudo-Wirklichkeit, in der Bilder, Schein und fauler Zauber das eigentliche Geschehen abgel\u00f6st haben.

Angesichts des technischen und wissenschaftlichen Wettstreits zwischen den USA und der Sowjetunion haben verantwortungsbewu\u00dfte Frauen und M\u00e4nner auf die Gefahren dieser weiblichen Abdankung hingewiesen. Wenn f\u00fcnfzig Prozent unserer Gehirnreserven ungen\u00fctzt bleiben, sagen sie, dann liegen wir in aussichtslosen Position. Nicht zuletzt war es Pr\u00e4sident Kennedy, der die Frauen aufforderte, sich wieder auf die wirklichen Interessen der Nation zu besinnen.

Das amerikanische \u201ebig business\u201c sieht es jedoch ganz anders. Es kennt keine Interessen, die so haarscharf mit den nationalen Interessen identisch sind wie seine eigenen. Die Frau mu\u00dfte mithin vor allem \u201eK\u00e4uferin\u201c bleiben. Umfragen hatten zum Beispiel ergeben, da\u00df 93 Prozent aller verkauften Autos von ihr ausgew\u00e4hlt werden. War das nicht ein Grund? Es wurde auch ermittelt, da\u00df Hausfrauen t\u00e4glich vier Stunden lang hinter dem Steuerrad verbringen, um einzukaufen, Kinder zu transportieren und Sch\u00f6nheitssalons zu besuchen. Sollte man diese Entwicklung etwa aufhalten?
Nein! Und nichts wurde dem Zufall \u00fcberlassen. Die Amerikanerin wird weiterhin systematisch ins Heim zur\u00fcckgetrieben. Dort, so wird ihr eingeh\u00e4mmert, liege der einzige Sinn ihres Lebens.

Ich \u00fcbertreibe nicht. In ihrem aufsehenerregenden Buch \u201eDer weibliche Mythos\u201c zeigt Betty Friedan auf, wie diese Kampagne bewu\u00dft gef\u00fchrt wird. Sie nennt sogar die Institute, die hierf\u00fcr verantwortlich sind und deren Akten sie einsah. Der Philosoph Toynbee und viele andere haben auf die Gefahr hingewiesen, die unserer Gesellschaft drohen, weil Industrie und Wirtschaft immer weniger dem Menschen dienen, sondern vielmehr der Mensch immer mehr zum Futter wird, mit dem sie sich m\u00e4sten.
Heute ist die Technik der Beeinflussung tats\u00e4chlich so perfekt, da\u00df wir in kurzer Zeit ohne sp\u00fcrbaren Zwang und im Bewu\u00dftsein v\u00f6lliger Freiheit genauso denken, f\u00fchlen, handeln, wie andere es wollen.
Nun k\u00f6nnte man einwenden, da\u00df diese Flut materieller G\u00fcter auch positive Folgen habe. Perfektere Mittel, fortschreitende Automation, elektronische K\u00fcchen erf\u00fcllten letztlich den Traum jeder Hausfrau: leichtere Arbeit und mehr Freizeit.
Weit gefehlt. Im statistikfreudigen Amerika fehlen die Beweise nicht, da\u00df genau das Gegenteil zutrifft. Die Hausfrau arbeitet mehr denn je: sechzig Stunden pro Woche in l\u00e4ndlichen Gemeinden. In mittleren St\u00e4dten sind es achtundsiebzig Stunden. In den Gro\u00dfst\u00e4dten nicht weniger als achtzig! Man hat auch ausgerechnet, da\u00df gerade jene Frauen am meisten besch\u00e4ftigt sind, welche die vollkommensten Einrichtungen besitzen. Zw\u00f6lf Stunden t\u00e4glich. Das ist mehr, als die billigste, unqualifizierte Analphabetin in irgendeinem der \u00e4rmsten L\u00e4nder der Welt schuften mu\u00df, um ihr Leben zu fristen. Selbstverst\u00e4ndlich ist hierf\u00fcr nicht die Technik verantwortlich. Die Frau selbst ist es. Sie glaubt nicht auf der H\u00f6he zu sein, falls sie die vielen M\u00f6glichkeiten der teuer erkauften Ger\u00e4te nicht voll ausn\u00fctzt. Die wird angehalten, alles selbst zu tun \u2013 und so perfekt wie m\u00f6glich.
Es k\u00f6nnte andererseits angenommen werden, da\u00df diese fanatische Konzentration auf Heim und Familie wenigstens jene Sch\u00e4den behoben habe, die das Signal zur Idealisierung von Hausfrau und Mutter gaben: die psychischen M\u00e4ngel der Kinder und M\u00e4nner.
Auch das trifft nicht zu. Im Gegenteil. Heute sind mehr als doppelt so viele junge Leute wehruntauglich als im letzten Krieg. Es gibt immer mehr M\u00e4nner, die im Lebenskampf zerbrechen- Jugendkriminalit\u00e4t ist nicht mehr das traurige \u201eVorrecht\u201c vernachl\u00e4ssigter Kellerkinder. Ihre \u201eHelden\u201c stammen heute vielfach aus beh\u00fcteten Heimen. Durch ma\u00dflose Bemutterung verweichlicht, fliehen auch viele S\u00f6hne in eine fr\u00fche Ehe. Sie f\u00fcrchten sich vor der Verantwortung des Lebens, vor dem Abenteuer des Experimentierens und Lernens. Die \u201eMom\u201c ist ja nicht dabei, um zu leiten und zu vergessen. Und so nehmen sie sich bei der ersten Gelegenheit eine kleine \u201eMom\u201c, ein Kind noch, ebenso unreif und hilflos wie sie selbst, das schon alsbald Mutter wird und mit dem sie dann \u201eFamilie spielen\u201c.

Es ist das Ergebnis eines tragischen Mi\u00dfverst\u00e4ndnisses: Die Psychoanalyse hatte den entscheidenden Einflu\u00df der Mutter auf die seelische Gesundheit der Kinder aufgezeigt. Hieraus schlo\u00df man \u00fcbereilt, da\u00df Frauen ins Haus geh\u00f6rten, um durch unentwegte F\u00fcrsorge ihre Kinder gesund zu erhalten. Man hatte nicht ber\u00fccksichtigt, da\u00df nur ausgeglichene Frauen dieser Aufgabe wirklich gewachsen sind. Nun werden sie aber gerade dann krank, wenn die \u2013 auf den engen Rahmen von K\u00fcche und Kinder beschr\u00e4nkt \u2013 darauf verzichten m\u00fcssen, sich neben der N\u00fctzlichkeit f\u00fcr Mann und Kind zu entfalten. Dann treten verdr\u00e4ngte Anlagen und Aspirationen zutage und f\u00fchren zur Katastrophe f\u00fcr Frau, Mann und Kind.
Aber es ist schwierig, aus einem fahrenden Zug zu springen, ohne sich das Genick zu brechen. Um so mehr, als die Zahl der Frauen erschreckend steigt (2,5 Millionen \u00dcberschu\u00df) und immer gr\u00f6\u00dfere Anpassung an das \u201eIdealbild\u201c der Frau n\u00f6tig wird, um \u201eunter die Haube\u201c zu kommen.
Es sieht so aus, als sei auch die Amerikanerin den Gesetzen der Marktwirtschaft, von Angebot und Nachfrage, unterworfen, deren Verfechter die USA sind. Ihr Kurswert f\u00e4llt rapide bergab. Der Mann blickt immer mehr mit kritischem Blick auf sie herunter. Sie ist schon lange nicht mehr die verg\u00f6tterte und hei\u00df umworbene K\u00f6nigin der drei\u00dfiger Jahre. Heute sieht er sie als ein m\u00e4nnerjagendes, neurotisches Weib, das aus Gier nach materieller Sicherheit jedes Risiko scheut, auch das der Liebe.
Vom demokratischen, vom fortschrittsbesessenen Amerika h\u00e4tte man erwarten k\u00f6nnen, da\u00df die Vorstellungen von \u201eMann\u201c und \u201eFrau\u201c, wie moralische Vorurteile und politische Interessen sie seit Jahrhunderten geformt haben, \u00fcberwunden werden k\u00f6nnten. Ans\u00e4tze waren vorhanden. Es bestand die Hoffnung, da\u00df es bald nur noch Menschen g\u00e4be, m\u00e4nnliche und weibliche, mehr oder weniger begabte, sch\u00f6ne, h\u00e4\u00dfliche, braune, wei\u00dfe, schwarze und gelbe Menschen, und nicht mehr durch Geschlecht und Farbe getrennte Gruppen, die man unterschiedlich bewertet und willk\u00fcrlich einstuft.
Dieser Traum hat sich nicht verwirklicht. In den USA stehen sich die Geschlechter, heute wie einst und je, feindlicher gegen\u00fcber. Trotz der theoretischen Gleichberechtigung der Frau haben sich die Fronten verh\u00e4rtet. Es gibt nach wie vor zwei Welten: die Welt der M\u00e4nner \u2013 und die Welt der Frauen.

Bei oberfl\u00e4chlicher Betrachtung sieht es manchmal so aus, als habe das Lager der Frauen das Heft in der Hand. Mit unz\u00e4hligen Klubs und Vereinen \u00fcberziehen sie das ganze Land und machen sich lautstark bemerkbar. Aber dort rivalisieren sie in erster Linie unter sich selbst, und zwar weit weniger mit ihren eigenen Qualit\u00e4ten als vielmehr mit den Pelzen, Perlen und Positionen, die ihre M\u00e4nner erk\u00e4mpft haben. In moralischen Fragen m\u00f6gen sie ein W\u00f6rtchen mitzureden haben. Aber nicht, ohne sich l\u00e4cherlich zu machen. Es ist in der Tat kein sch\u00f6nes Schauspiel, wenn Millionen entt\u00e4uschter Frauen Sittenpolizei spielen, um anderen den Spa\u00df zu verderben, dem sie selbst nachtrauern.
Aber selbst diese Rolle scheint nicht mehr lange vertretbar zu sein. Wie soll man f\u00fcr die Moral k\u00e4mpfen, wenn ein neues Wundermittel entdeckt worden ist, das mit dem seelischen Gleichgewicht der Frau auch die nationale Gesundheit wieder herstellen soll: Sex. Dar\u00fcber berichten wir im n\u00e4chsten STERN.
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Stern, Heft 49, 6. Dezember 1964 Es ist drei Uhr in Chicago. Ich bin p\u00fcnktlich. Helen hat die T\u00fcr ihrer Wohnung aufgelassen, und ich bin einfach eingetreten. Fr\u00fchmorgens hatte sie mich angerufen, um unsere Verabredung auf den Nachmittag zu verschieben: \u201eIch mu\u00df zum Psychiater. Es geht um meine Zukunft. Sei nicht b\u00f6se.“ Ich hatte jedoch…<\/p>\n","protected":false},"author":2,"featured_media":63039,"parent":62861,"menu_order":26,"comment_status":"closed","ping_status":"closed","template":"","meta":{"_seopress_robots_primary_cat":"","_seopress_titles_title":"","_seopress_titles_desc":"","_seopress_robots_index":"","footnotes":""},"categories":[],"tags":[],"class_list":["post-62022","page","type-page","status-publish","has-post-thumbnail","hentry","entry","has-media"],"_links":{"self":[{"href":"https:\/\/www.troeller-deffarge.com\/wp-json\/wp\/v2\/pages\/62022"}],"collection":[{"href":"https:\/\/www.troeller-deffarge.com\/wp-json\/wp\/v2\/pages"}],"about":[{"href":"https:\/\/www.troeller-deffarge.com\/wp-json\/wp\/v2\/types\/page"}],"author":[{"embeddable":true,"href":"https:\/\/www.troeller-deffarge.com\/wp-json\/wp\/v2\/users\/2"}],"replies":[{"embeddable":true,"href":"https:\/\/www.troeller-deffarge.com\/wp-json\/wp\/v2\/comments?post=62022"}],"version-history":[{"count":5,"href":"https:\/\/www.troeller-deffarge.com\/wp-json\/wp\/v2\/pages\/62022\/revisions"}],"predecessor-version":[{"id":64915,"href":"https:\/\/www.troeller-deffarge.com\/wp-json\/wp\/v2\/pages\/62022\/revisions\/64915"}],"up":[{"embeddable":true,"href":"https:\/\/www.troeller-deffarge.com\/wp-json\/wp\/v2\/pages\/62861"}],"wp:featuredmedia":[{"embeddable":true,"href":"https:\/\/www.troeller-deffarge.com\/wp-json\/wp\/v2\/media\/63039"}],"wp:attachment":[{"href":"https:\/\/www.troeller-deffarge.com\/wp-json\/wp\/v2\/media?parent=62022"}],"wp:term":[{"taxonomy":"category","embeddable":true,"href":"https:\/\/www.troeller-deffarge.com\/wp-json\/wp\/v2\/categories?post=62022"},{"taxonomy":"post_tag","embeddable":true,"href":"https:\/\/www.troeller-deffarge.com\/wp-json\/wp\/v2\/tags?post=62022"}],"curies":[{"name":"wp","href":"https:\/\/api.w.org\/{rel}","templated":true}]}}