Im afrikanischen Dorf ist es verp\u00f6nt, Zuneigung zur Schau zu stellen. In den St\u00e4dten hingegen benehmen sich Liebespaare v\u00f6llig ungeniert. Man tanzt, flirtet und liebt, so wie man es aus den Filmen der Wei\u00dfen kennt. Ihnen will man um jeden Preis gleichen<\/em><\/p><\/div><\/div><\/p>
Der Garten scheint f\u00fcr alle offen zu sein. Neben parf\u00fcmierten M\u00e4dchen in europ\u00e4ischen Cocktailkleidern hocken einfache Nachbarsfrauen und singen im Chor.<\/p>
Betty bringt mir ein St\u00fcck Torte. Ihr Blick schweift umher, und sie fragt: \u201eWelche gef\u00e4llt dir? Sie sind alle T\u00f6chter der Sch\u00f6nheit. Findest du nicht?\u201c<\/p>
Neben mir sinkt ein Herr zu Boden. Oder betet er? Vielleicht ist er auch nur in Trance gefallen, von einem Urgro\u00dfvater besessen, der auch mal auf einer christlichen Hochzeit dabeisein will.<\/p>
Ist das, was sich hier abspielt, grotesk, unmoralisch, heidnisch, verr\u00fcckt? \u2013 Es mag so aussehen. Ich finde es ergreifend. Denn es ist der pathetische Stil afrikanischer Selbsterhaltung. So versucht der Afrikaner zu \u00fcberleben. So dr\u00fcckt sich die Entwurzelung des schwarzen Menschen aus. Losgel\u00f6st von der Geborgenheit der gro\u00dfen Familie des Stammes, wo alles genau seinen Platz hatte, ausgeliefert der Welt des wei\u00dfen Mannes, die er nicht in sein Leben einzuordnen versteht, vereinsamt und fasziniert zugleich, wei\u00df er nicht mehr, an welchen Gott er sich wenden soll, und wirft sie alle in einen Topf.<\/p>
Als ob er meine Gedanken erraten h\u00e4tte, steht pl\u00f6tzlich der schwarze Pfarrer neben mir. \u201eHaben Sie gen\u00fcgend Geduld, ein Gleichnis anzuh\u00f6ren?\u201c \u201eAus der Bibel?\u201c frage ich. \u201eNein \u2013 aus der Seele des schwarzen Menschen.\u201c Und er fordert mich auf, mir einmal folgendes vorzustellen: Marsmenschen erobern Europa und bringen ihre Sitten mit. Kinder werden in Flaschen produziert. Liebe ist Vereinigung mit dem gleichen Geschlecht. Und ein elektronisches Auge \u2013 der Sch\u00f6pfer der Marswelt \u2013 ersetzt Christus auf den Alt\u00e4ren in den Kirchen. Sp\u00f6ttisch l\u00e4chelnd stehen die neuen Herren vor allem, was den Erdbewohnern lieb und wert war. F\u00fcr die Eroberer vom Mars ist ein Europ\u00e4er ein minderwertiges Wesen. Beweis: Er konnte den Marswaffen nicht widerstehen. Nun m\u00fcssen diese armen menschlichen Wesen \u2013 so f\u00e4hrt mein frommer Gespr\u00e4chspartner in seinem Gleichnis fort \u2013 zu den neuen Werten bekehrt werden, um vor dem elektronischen Auge im rechten Licht zu stehen. Emsig eifern sie den neuen Herren nach. Je besser man sie kopiert, um so h\u00f6her steigt das soziale Ansehen. Zwar tr\u00e4umt man immer noch von Jesus, der Leib will sich auch nicht so recht daran gew\u00f6hnen, keine Kinder mehr zu geb\u00e4ren, und die gleichgeschlechtliche Liebe verlangt einige \u00dcberwindung. Aber was soll man tun? Es gibt kein Zur\u00fcck. Und so setzt man die Marsmaske auf und schlie\u00dft t\u00e4glich erb\u00e4rmliche Kompromisse zwischen der barbarisch-menschlichen Seele und dem erl\u00f6senden Funken des elektronischen Auges und seiner m\u00e4chtigen Diener. Die Marsgesch\u00f6pfe lachen sich nat\u00fcrlich tot beim Anblick jener wilden Europ\u00e4er, die den Anschlu\u00df nicht finden und die neuen Sitten mehr mimen als leben. \u201eGenauso ist es Afrika ergangen, seit es von den Wei\u00dfen erobert worden ist\u201c, beendet der Pfarrer sein Gleichnis.<\/p>
\u201eHe\u201c, ruft Betty und spielt stolz mir ihrem kleinen goldenen Kreuz, das an einem zierlichen Halskettchen h\u00e4ngt. \u201eErnste Gespr\u00e4che geh\u00f6ren nicht auf eine Hochzeit, Gordian, such dir ein M\u00e4dchen, bevor es zu sp\u00e4t ist.\u201c<\/p>
\u201eSehen Sie\u201c, erkl\u00e4rt der Pfarrer. \u201eSie hat sich sogar bei den Falschen taufen lassen \u2013 bei uns Baptisten. Sie wu\u00dfte nicht, da\u00df wir keine Kreuze tragen. Trotzdem wird sie an ihrem Kreuz festhalten. Jeder soll sehen, da\u00df sie keine \u201eKralwilde\u201c mehr ist. Hier mu\u00df man wirklich Christ sein und nicht an eine bestimmte Kirche, sondern an die Worte Jesu glauben, um verstehen zu k\u00f6nnen.\u201c<\/p>
Betty hat ihr Dorf vor f\u00fcnf Jahren verlassen, um in Lagos ihr Gl\u00fcck zu versuchen. Sie wu\u00dfte, da\u00df nur der \u201ewei\u00dfe Weg\u201c zum Erfolg f\u00fchren konnte. Verzweifelt hat sie sich jenem \u201e Gott\u201c in die Arme geworfen, der allem Anschein nach der m\u00e4chtigste war, dem Geld. Denn daf\u00fcr hatten wei\u00dfe M\u00e4nner gemordet, gefoltert, versklavt und verraten.<\/p>
Ihr Leben in der Gro\u00dfstadt begann wie das der meisten M\u00e4dchen aus dem Busch, die hier versammelt waren: in den Slums. Dort fehlten pl\u00f6tzlich die Regeln der Solidarit\u00e4t und Gegenseitigkeit, die das Leben im Dorf beherrschten. Man lernte das eiserne Gesetz von Angebot und Nachfrage kennen. Chronischer Arbeitsmangel sprengte die Gemeinschaft. Aus Stammesbr\u00fcdern wurden Konkurrenten.<\/p>
Nach dem ersten Schock treibt die Not sie wieder zusammen. Innerlich unsicher, graben sie ihre alten G\u00f6tter aus. Die Zauberei erh\u00e4lt neuen Auftrieb. Noch nie brauchte man den Beistand magischer Kr\u00e4fte so n\u00f6tig wie jetzt in der Stadt.<\/p>
Selbst das Tamtam ert\u00f6nt wieder. Am Abend beherrschen Buschtrommeln die Stadt. Und man tanzt. In Afrika ist der Tanz eine Technik des Kampfes gegen die Geister der Furcht. Jetzt, in den Slums, braucht man ihn dringender als vorher im Busch.<\/p>
Sexualsozialismus im Kral<\/strong><\/p>Und die Liebe? \u2013 Auch sie ist ein heilsames Mittel gegen die innere Vereinsamung. Der Sexualsozialismus der Kraljugend erleichtert die Kontakte. Die M\u00e4dchen sind erzogen, Sex als ein Vergn\u00fcgen zu betrachten, das sie mit ihren \u201eBr\u00fcdern\u201c \u2013 den Jungen der gleichen Altersgruppe \u2013 ungestraft teilen d\u00fcrfen.<\/p>
In ihren D\u00f6rfern waren das Spiele unter Kindern. Aber jetzt, in der Gro\u00dfstadt, erfahren sie vom Marktwert der Erotik. Er wird ihnen t\u00e4glich eingeh\u00e4mmert. Filme, Werbung, Plakate betonen seine Bedeutung. Zwar hatten Missionare sie gezwungen, in Kleider zu schl\u00fcpfen, um ihre Scham zu verh\u00fcllen. Die Gesch\u00e4ftswelt des wei\u00dfen Mannes jedoch scheint ganz anderer Meinung zu sein: \u201eZeig, was du hast\u201c, fordert sie. \u201eM\u00e4nner mit Geld wollen Frauen mit Formen.\u201c \u2013 \u201eSex ist Trumpf!\u201c<\/p>
<\/figure>Frauen kontrollieren M\u00e4nner: Afrikas Frauen fordern Zugang zu allen Berufen. Uniformen sind besonders beliebt, weil sie Autorit\u00e4t verleihen<\/em><\/p><\/div><\/div><\/p>
Fr\u00fcher erhielt Afrika, was in Europa unverk\u00e4uflich war: Ausschu\u00df. Das verbildete den Geschmack des Schwarzen, \u00fcber den wir jetzt sp\u00f6ttisch l\u00e4cheln. Heute schickt man den neuesten Schund: die erotische Besessenheit der westlichen Marktwerbung. Und anschlie\u00dfend jammert man \u00fcber die moralische Verwahrlosung der afrikanischen St\u00e4dte. So wundert es mich gar nicht, da\u00df einer meiner Bekannten, der in Accra (Ghana) von einer weiblichen Polizistin angehalten wurde, das M\u00e4dchen \u00fcberreden konnte, ihn nicht zur Revierwache zu schleppen, sondern das Strafmandat im n\u00e4chsten Hotelzimmer zu kassieren. <\/p>
Darf man sich aufregen, da\u00df Betty und ihre Freundinnen zu Klubs geh\u00f6ren, die M\u00e4nner zum Tanzen einladen? Diese Vereine werden meistens in der guten Absicht gegr\u00fcndet, sich im Notfall gegenseitig zu helfen. Sp\u00e4ter \u00fcberlegt man sich, da\u00df Feste mit Musik und Eintrittskarten eigentlich etwas Geld abwerfen m\u00fc\u00dften. Und wenn die M\u00e4nner wirklich kommen und spendabel sind, warum dann nicht einen oder mehrere zu Freunden w\u00e4hlen?<\/p>
In Europa w\u00e4re das nat\u00fcrlich Prostitution. In Afrika kann man es kaum so nennen. Es wird nicht kalt und hart mit Sex gehandelt. Die Frau w\u00e4hlt. Sie sagt oft \u201enein\u201c. Und wenn sie schon \u201eja\u201c sagt, dann mu\u00df sie auch beschenkt werden. Das geh\u00f6rt zu Afrikas Sitten. Der Mann mu\u00df zeigen, da\u00df sie ein Opfer wert ist \u2013 und sei es nur eine Tasse Tee. Der Brautpreis war ja auch \u2013 bevor es Geld gab \u2013 nur ein Symbol des weiblichen Wertes.<\/p>
Pornographie und Brillen<\/strong><\/p>So mischen und verwischen sich die Begriffe. Und wenn auch noch westliche Vorstellungen von Liebe, Verliebtheit und Treue sich zu sterbenden Buschtradition gesellen, dann wird die Verwirrung total.<\/p>
<\/figure>Im Busch hat die Erotik noch keinen Marktwert. Dort z\u00e4hlt nur der nat\u00fcrliche Charme<\/em><\/p><\/div><\/div><\/p>
Im Dorf ist es zum Beispiel verp\u00f6nt, Zuneigung zur Schau zu stellen. Ja, selbst ein z\u00e4rtliches Wort darf nur in der Intimit\u00e4t der H\u00fctte gefl\u00fcstert werden. In den St\u00e4dten hingegen wird jetzt wild mit Worten der Liebe umhergeworfen. Die Beweise der Zuneigung grenzen nicht selten an Pornographie. Man will um jeden Preis dem wei\u00dfen Manne gleichen \u2013 und hat dabei keine besseren Vorbilder als die Helden seiner Filme.<\/p>
<\/figure>Die schwarze St\u00e4dterin erliegt mehr und mehr der westlichen Marktwerbung. Europ\u00e4ische Mode und aufgehellte Haut gelten als modern und sehr schick<\/em><\/p><\/div><\/div><\/p>
Zum Zeichen moderner Lebenshaltung geh\u00f6rt auch die Brille. Sie ist das magische Fenster zur westlichen Welt. Kein Wunder, da\u00df die Stadtjugend der afrikanischen Westk\u00fcste langsam erblindet. Sie kauft Brillen wie die unsere Blue Jeans. Und das Statussymbol mu\u00df recht dicke Gl\u00e4ser haben, genau wie das Kreuz am Hals nur aus Gold sein darf. Beide Symbole zeigen, wer man ist \u2013 oder vielmehr, f\u00fcr was man nicht mehr gehalten werden will: f\u00fcr einen Kralwilden.<\/p>
Und selbst auf dem Lande breitet sich der \u201eFortschritt\u201c schon auf \u00e4hnlichen Wegen aus. In der N\u00e4he von Brazzaville traf ich einen schwarzen Exfeldwebel der franz\u00f6sischen Armee. Er hatte sich stolz den Namen Charles gegeben \u2013 zu Ehren de Gaulles, weil der General nach dem Krieg die Zwangsarbeit im damals noch franz\u00f6sischen Kongo abgeschafft hatte.<\/p>
Nach der Unabh\u00e4ngigkeit hatte Charles sich eine Plantage kaufen k\u00f6nnen. Leider lag sie etwas abseits, und Arbeiter waren schwer zu bekommen. Eigentlich wollte Charles seinen alten Namen Youbou wieder annehmen, um gegen die gaullistischen Arbeitsgesetze zu protestieren. Aber dann kam ihm der rettende Gedanke: Hier mu\u00dften Frauen her!<\/p>
Mit dem Rest seiner Ersparnisse heiratete er sieben Frauen. Jetzt langweilten sich die Damen. Sie mu\u00dften sich einen Mann teilen, und kein Dorf war in Sicht. So fiel es Charles auch nicht schwer, sie zu \u00fcberzeugen, die Landarbeiter freundlich zu behandeln, falls er welche bekommen k\u00f6nnte.<\/p>
Sie kamen in Scharen. Zwar zog Charles f\u00fcr die gew\u00e4hrte Freizeitbesch\u00e4ftigung einen Teil des Lohnes ab, aber jeder schien zufrieden. Die Gesch\u00e4fte gingen gut.<\/p>
Bei einer Frau jedoch kannte der Bo\u00df keinen Spa\u00df. Eifersucht \u2013 so hatte er in der franz\u00f6sischen Armee gelernt \u2013 war die Zierde des Mannes. Als Christ beruhigte es auch sein Gewissen: Er hatte den Eindruck, monogam zu sein, wenn seine Favoritin neben vielen anderen Geboten der Kirche auch das sechste einhielt \u2013 Du sollte nicht ehebrechen! \u201eCharles, du bist ein Zuh\u00e4lter\u201c, sage ich. \u201eDa\u00df ihr immer gleich Schimpfw\u00f6rter gebrauchen m\u00fc\u00dft\u201c, jammert er. \u201eHeiden, Hexen, Kannibalen \u2013 und jetzt auch noch Zuh\u00e4lter. Hoffentlich f\u00e4llt euch sonst nichts mehr ein.\u201c \u201eAlso gut \u2013 du bist nur ein gro\u00dfz\u00fcgiger Ehemann, der es versteht, Gesch\u00e4ft und Liebe zu verquicken.\u201c<\/p>
Charles Youbou belehrt den Autor<\/strong><\/p>Jetzt protestiert er ganz energisch: \u201eKeineswegs. Ich befolge nur die Sitten der Gegend, aus der ich meine Frauen geholt habe. Dort geh\u00f6rt das, was ihr Untreue nennt, in regelm\u00e4\u00dfigen Abst\u00e4nden direkt zur Ehe. Das soll sogar psychisch\u201c \u2013 er rollt das Wort \u00fcber seine in Frankreich geschulte Zunge \u2013 \u201esehr gesund sein. Eure Wissenschaft ist \u00fcbrigens ebenfalls dieser Meinung, falls du es nicht wissen solltest. Und auch die Kirche, denn was Gott zu Moses sagt, stimmt genau.\u201c \u201eZum Beispiel?\u201c \u201eDu sollst deinen N\u00e4chsten lieben wie dich selbst. Ja, mein Lieber. Wer das tut, der liegt fest wie die Eisenbahn auf den Schienen des Guten.\u201c Flehend bitte ich um etwas Palmwein. \u201eDu scheinst in der christlichen Lehre wenig bewandert zu sein\u201c, meint er besorgt. \u201eIm Krieg sagte mein Leutnant immer: \u201aYoubou\u2018 \u2013 sagte er -, ,lies deinen Leuten aus der Bibel vor, damit sie wissen, warum sie t\u00f6ten.\u2018 Und auch das sagte er: \u201aYoubou, jeder von euch schwarzen Hunden, der drei Deutsche umlegt, darf einmal ins wei\u00dfe Bordell.\u2018 So ein Kerl war mein Leutnant! \u201aYoubou\u2018 \u2013 befahl er -, ,wenn ihr euren Quatsch singt, dann mu\u00df jedes zehnte Lied ein christliches sein. Verstanden?\u2018 Ja, der wu\u00dfte, was Zivilisation bedeutet!\u201c \u201eKannst du mir erkl\u00e4ren, was das ist?\u201c frage ich z\u00f6gernd. \u201eNichts ist leichter: Vier meiner Frauen wollen mir den Brautpreis zur\u00fcckzahlen und wieder ledig werden. Die haben vor, in der N\u00e4he zu bleiben und selbst ein wenig zu verdienen. Und ich nehme an. Stell dir vor, ich la\u00df sie alle vier gehen. Das ist Zivilisation, mein Lieber. Verstehst du endlich! Der Brautpreis ist n\u00e4mlich das genaue Gegenteil von Zivilisation. Deshalb nehme ich ihn ohne Widerspruch zur\u00fcck.\u201c<\/p>
Mir scheint, Charles\u2018 moralische Eisenbahn f\u00e4hrt mit Vollgas im R\u00fcckw\u00e4rtsgang. \u2013 \u201eSo\u201c \u2013 h\u00e4tte er eigentlich sagen m\u00fcssen \u2013 \u201ewie heute der Brautpreis in vielen Teilen Afrikas gehandhabt wird, versetzt er der afrikanischen Zivilisation den Todessto\u00df.\u201c<\/p>
Da jedoch sein Plantagenbetrieb das Raffinierteste an moderner Brautpreisentwicklung darstellt, ist er wahrscheinlich selbst \u00fcberzeugt, als bibellesender Exfeldwebel einer gro\u00dfen Kulturnation hier zivilisatorische Pionierarbeit zu leisten.<\/p>
Ohne Geld keine Frau, ohne Frau kein Geld<\/strong><\/p>\u201eCherchez la femme\u201c, sagt er. \u201eDas habe ich in Frankreich gelernt. Hinter allem steckt die Frau!\u201c \u201eOder das Geld\u201c, wage ich einzuwerfen. \u201eBeides, mein Lieber, beides. Ohne Geld keine Frau, und ohne Frau kein Geld. Das ist der moderne Weg. Das ist Fortschritt. Das Ei des Washington\u2026\u201c \u201eKolumbus.\u201c \u201eNa, sch\u00f6n \u2013 Washington Kolumbus. Der entdeckte Amerika. Aber wir Afrikaner haben auch etwas entdeckt: die Synthese zwischen Frau und Geld\u2026\u201c<\/p>
Ich will ihm seine Illusion nicht nehmen und widerspreche nicht. Die besagte Synthese n\u00e4mlich wurde von Europ\u00e4ern erfunden. Sie waren es, die das Geld nach Afrika brachten.<\/p>
Bis dahin war der Brautpreis keine finanzielle Transaktion, kein Tauschgesch\u00e4ft mit materiellen Werten. K\u00fche und Gaben konnten nicht ver\u00e4u\u00dfert oder \u201efl\u00fcssig\u201c gemacht werden. Sie galten nur als das symbolische Band zwischen zwei Familien, zwei Sippen.<\/p>
Dann kam das Geld und mit ihm der Begriff des Gewinns. Selbst im dicksten schwarzen Sch\u00e4del d\u00e4mmerte die Erkenntnis, da\u00df mit den kleinen M\u00fcnzen mehr anzufangen war als mit K\u00fchen und Ziegen. Und langsam verwandelte sich der symbolische Brautpreis in klingendes Brautgeld.<\/p>
Jetzt wurden auch fr\u00fchere Gegner pl\u00f6tzlich zu eifrigen Verfechtern der alten afrikanischen Sitte. Wei\u00dfe und schwarze Herren, die vorher wild gegen den \u201eunmenschlichen Kuhhandel mit Weibern\u201c gewettert hatten, entdeckten im Brautgeld einen die Wirtschaft f\u00f6rdernden, ja sogar zum Arbeitsethos erziehenden Wert. Seit die Schwiegereltern nicht mehr K\u00fche, sondern klingende M\u00fcnze verlangten, habe sich der moralische Aspekt des Brautpreises g\u00e4nzlich verlagert, meinten sie, und jetzt sei er ein Element des Fortschritts.<\/p>
Und sie erreichten, was sie wollten: Hunger nach Frau und Familie trieb die jungen M\u00e4nner zu Tausenden in die Minen und Plantagen, wo sie jahrelang f\u00fcr j\u00e4mmerliche L\u00f6hne schufteten, um eines Tages den Brautpreis zahlen zu k\u00f6nnen. Selbst eine Hungersnot k\u00f6nnte kaum so viele billige Arbeitskr\u00e4fte herantreiben wie die Kommerzialisierung eines sozialen Ritus.<\/p>
Seit der Unabh\u00e4ngigkeit der meisten afrikanischen Staaten hat sich in dieser Hinsicht kaum etwas ge\u00e4ndert. Zwar wurden Gesetze erlassen und \u201eH\u00f6chstpreise\u201c fixiert. Aber das sind zun\u00e4chst Zukunftstr\u00e4ume oder politische Alibis.<\/p>
Die Aufgabe der neuen Regierungen ist schwer. Sie k\u00f6nnen nicht, wie die Kolonialherren es taten, die traditionelle Stammesgesellschaft einfach als \u201ewild\u201c erkl\u00e4ren und entsprechend behandeln. Diese Menschen sind ihre Br\u00fcder. Ihre Sitten verdienen Achtung. Andererseits erleben die Verantwortlichen am eigenen Leibe, da\u00df selbst der modernste Gro\u00dfst\u00e4dter zutiefst \u201eAfrikaner\u201c geblieben ist, gebunden durch Sippe, Stamm und Kindheit an die Welt der V\u00e4ter \u2013 und nicht zuletzt durchs eigene schlechte Gewissen, sie t\u00e4glich zu verraten.<\/p>
R\u00fchrend j\u00e4mmerliche Karikaturen<\/strong><\/p>Ebenso kennen sie die eiserne Notwendigkeit, eine neue Gesellschaft aufzubauen, wenn sie endlich das chronische Elend bannen wollen. Sie wissen aber auch, da\u00df die blinde Nachahmung des westlichen Lebensstils letztlich nur r\u00fchrend j\u00e4mmerliche Karikaturen hervorbringt \u2013 Karikaturen Europas und Afrikas zugleich.<\/p>
Kein anderer Kontinent hat es so schwer. In Amerika wurden die Eingeborenen zum gro\u00dfen Teil ausgerottet und ein Ableger Europas gez\u00fcchtet. Asien hat seit Jahrhunderten Kulturen hervorgebracht, von denen Milliarden Menschen gepr\u00e4gt wurden.<\/p>
Aber Afrika? Hier leben ungez\u00e4hlte kleine Gruppen, die verschiedene Sprachen sprechen, eigene G\u00f6tter verehren und selbstst\u00e4ndig \u00fcber Gut und B\u00f6se entscheiden. Kein Wunder, da\u00df die Eroberung durch Europa so leicht war. Kein Wunder auch, da\u00df die Integration jetzt so schwer ist \u2013 obgleich es auch hier eine afrikanische Gemeinsamkeit gibt: In der gleichen Lebensform, im \u00e4hnlichen Verh\u00e4ltnis zu Mensch, Gott, Erde und Angst liegt die \u201eafrikanische Pers\u00f6nlichkeit\u201c.<\/p>
Kenner Afrikas (ich spreche nicht von B\u00fcffelj\u00e4gern, Reisef\u00fchrern oder Gesch\u00e4ftsleuten), Ethnologen und Soziologen, die jahrelang D\u00f6rfer und Krale studiert haben, sind \u00fcberzeugt, da\u00df die Frau diese afrikanische Pers\u00f6nlichkeit am besten verk\u00f6rpert. Sie behaupten sogar, da\u00df nur sie imstande sein wird, Afrika eines Tages aus seinem kulturellen und wirtschaftlichen Schlamassel zu retten.<\/p>
Mama Afrikas gesch\u00e4ftliches Talent<\/strong><\/p>Sie hat schon immer die Vermittlerin gespielt. In alten Zeiten tauschten feindliche St\u00e4mme ihre T\u00f6chter aus, um den Frieden zu festigen. Als man dann weniger Kriege f\u00fchrte und mehr Handel trieb, entdeckte \u201eMama Afrika\u201c ihr gesch\u00e4ftliches Talent. Sie bestellte bereits den Acker \u2013 jetzt wurde sie auch noch die K\u00f6nigin der M\u00e4rkte. W\u00e4hrend die M\u00e4nner im kleinen Kreise gro\u00dfe Reden schwangen, trafen sich die Frauen verschiedener St\u00e4mme, Sprachen, Sitten und brachten neben dem Erl\u00f6s f\u00fcr ihr Erzeugnisse auch neue Bilder der Welt mit nach Hause.<\/p>
Die endlosen Reihen von Frauen, die t\u00e4glich auf allen Wegen Afrikas ihre Waren zum Markt tragen, sind die eigentliche Sprache dieses Kontinents. Selbst heute, wo es Asphaltstra\u00dfen gibt, nennt man die Lastwagen nicht zuf\u00e4llig \u201eMammy-Lorries\u201c (Mutti-Laster). Hoch oben auf den Kisten und K\u00f6rben fahren die Frauen zu immer ferneren Orten, zu immer gr\u00f6\u00dferen M\u00e4rkten.<\/p>
Aber mehr noch: W\u00e4hrend die M\u00e4nner halbtrunken und g\u00e4hnend auf den n\u00e4chsten Tag warten, bauen die Frauen Schulen, Entbindungsheime, Kinderg\u00e4rten. Im kleinsten Dorf. Mit ihren H\u00e4nden und ihrem Geld.<\/p>
Die USA und europ\u00e4ische Nationen haben in Afrika landwirtschaftliche Schulen gebaut, auf denen sie Spezialisten ausbilden. Entsprechend der westlichen \u00dcberzeugung, da\u00df der Mann auch der Herr ist, haben sie nat\u00fcrlich nur M\u00e4nner genommen \u2013 obwohl die Frauen seit jeher die Landwirte Afrikas sind und die Geheimnisse der Erde kennen. W\u00e4hrend viele afrikanische M\u00e4nner nur Titel suchen, um \u201eHerren\u201c zu werden, interessiert sich die afrikanische Frau wirklich f\u00fcr die Probleme ihres Ackers.<\/p>
Ich werde es nie vergessen, wie halbnackte Frauen uns einen ganzen Tag festhielten, bis sie die letzten unserer d\u00fcrftigen Kenntnisse aus uns herausgepre\u00dft hatten. Und das ging keineswegs primitiv vor sich. Als Claude Deffarge zum Beispiel erkl\u00e4rte, da\u00df es nur weniger Verbesserungen bed\u00fcrfe, um zweimal im Jahr Reis zu ernten, waren die Frauen zun\u00e4chst begeistert.<\/p>
Schwarze Frauen w\u00e4hlen nicht \u201eschwarz\u201c<\/strong><\/p>Doch dann \u00fcberlegten sie: \u201eJa \u2013 aber die Verteilung ist schlecht organisiert. Wenn pl\u00f6tzlich mehr Reis da ist und kein gr\u00f6\u00dferer Absatz, dann werden die Preise fallen. Nat\u00fcrlich! Und wir m\u00fcssen doppelt soviel arbeiten, ohne auch nur einen Penny mehr zu verdienen.\u201c<\/p>
So sprachen \u201ewilde Negerinnen*\u201c in einem kleinen Dorf am Njassa-See in Ostafrika.<\/p>
Diese Frauen d\u00fcrfen auch w\u00e4hlen. Sie tanzen dabei keineswegs nach der Pfeife des Mannes. Sie w\u00e4hlen auch nicht \u201ekonservativ\u201c wie viele ihrer europ\u00e4ischen Schwestern. Denn die Afrikanerin will ihr Elend nicht konservieren. Sie will auch nicht monogam sein oder unbedingt christlich-moralischen Begriffen zum Siege verhelfen. Ihr geht es vor allem darum, ihren Kindern eine bessere Zukunft zu schaffen.<\/p>
Vielleicht wird sie es sein, die Afrika eines Tages das n\u00f6tige Selbstvertrauen schenkt, seinen eigenen Weg zu gehen, statt mit schlechtem Gewissen und groteskem Ergebnis die Maske des Wei\u00dfen zu tragen.<\/p>
In Tansania sind die Frauen auf dem besten Weg: Dort sind Frauen Minister, Abgeordnete, Pr\u00e4fekten. Selbst im Kral sind sie das fortschrittliche Gewissen, und dort, wo sie den Brautpreis abschaffen wollten, mu\u00dften sogar die reichen Weibersammler in die Knie gehen.<\/p>
In Westafrika hingegen sieht es nicht so gut aus: Dort liefern sich die Konsumpropaganda des Westens und der Islam einen erbitterten Kampf um die Frau. Wer schon Christ ist, der will auch noch einen K\u00fchlschrank. Wer noch heidnisch lebt, glaubt sein Prestige erh\u00f6hen zu k\u00f6nnen, indem er sich offiziell zum einzig wahren Gott bekennt. Zur Wahl stehen Christentum und Islam.<\/p>
Wie alles, was vom wei\u00dfen Mann eingef\u00fchrt worden ist, hat das Christentum eine gro\u00dfe magische Anziehungskraft. Aber irgend etwas stimmt da nicht, denkt der Schwarze. Zu viele Konkurrenten behaupten, den einzig richtigen Weg zum gleichen Gott zu weisen: Da gibt es Baptisten, Katholiken, Adventisten des Siebenten Tages und viele andere mehr. Jeder hat sein Netz ausgelegt, um die schwarze Seele zu fangen und sie dann, wei\u00df wie Schnee, durchs irdische Tal der Tr\u00e4nen in den allein selig machenden Himmel der Christenheit zu f\u00fchren.<\/p>
Von K\u00fchlschrank und Schleier bedroht<\/strong><\/p>Der Islam findet in Afrika immer mehr Anh\u00e4nger. Aber hinter dem Schleier der Mohammedanerin verliert \u201eMama Afrika\u201c ihre wundervolle Pers\u00f6nlichkeit. Sie wird zur Untertanin m\u00e4nnlicher Willk\u00fcr<\/em><\/figcaption><\/figure>Beim Islam ist das einfacher. Auch dort sitzt der einzig wahre Gott, der Himmel und Erde erschaffen hat \u2013 und sogar die Neger*. Aber er erlaubt die Vielweiberei, genau wie die afrikanischen G\u00f6tter. Wer sich also zu ihm bekennt, der braucht eigentlich nichts am traditionellen Leben zu \u00e4ndern, au\u00dfer ein paar leicht zu verrichtende Knie- und Rumpfbeugen gen Mekka.<\/p>
Kein Wunder, da\u00df der mohammedanische Glaube sich rapide ausbreitet. Auf Kosten der Frau. Sie zahlt einen hohen Preis. Denn die islamische Vielweiberei ist keineswegs mit der afrikanischen zu vergleichen. Sie zerst\u00f6rt die im traditionellen Afrika herrschende Harmonie der Geschlechter zugunsten des Mannes.<\/p>
In Westafrika ist deshalb die Situation der Frau weit kritischer als in Ostafrika. Es ist nur zu hoffen, da\u00df die Afrikanerinnen nicht k\u00fchlschrankh\u00f6rig werden wie ihre wei\u00dfen Schwestern, oder da\u00df sie hinter dem Schleier des Islams ihre wundervolle Pers\u00f6nlichkeit verlieren.<\/p>
*Anmerkung: Der Begriff Neger\/Negerin wird aus dem Originaltext beibehalten. Diese Bezeichnung war damals ohne Abwertung als Fremd- und Selbstzuschreibung gel\u00e4ufig.<\/em><\/p><\/p>
<\/p>
<\/p>
Im n\u00e4chsten Stern<\/strong><\/em><\/p>Algerien: Die verratenen Frauen<\/strong><\/p>","protected":false},"excerpt":{"rendered":"Stern, Heft 47, 21. November 1965 So feiert man in Afrika eine christliche Hochzeit. Nach dem kirchlichen Segen werden die G\u00f6tter des Busches beschworen. Die alten Sitten leben neben dem neuen Glauben weiter Zwischen ihrer Haut und ihrem Kleid h\u00e4tte keine Briefmarke mehr Platz gefunden. Die \u00c4rmel waren zu kurz, um zwei t\u00e4towierte Zauberzeichen zu…<\/p>\n","protected":false},"author":2,"featured_media":62669,"parent":62861,"menu_order":1,"comment_status":"closed","ping_status":"closed","template":"","meta":{"_seopress_robots_primary_cat":"","_seopress_titles_title":"","_seopress_titles_desc":"","_seopress_robots_index":"","footnotes":""},"categories":[],"tags":[],"class_list":["post-62668","page","type-page","status-publish","has-post-thumbnail","hentry","entry","has-media"],"_links":{"self":[{"href":"https:\/\/www.troeller-deffarge.com\/wp-json\/wp\/v2\/pages\/62668","targetHints":{"allow":["GET"]}}],"collection":[{"href":"https:\/\/www.troeller-deffarge.com\/wp-json\/wp\/v2\/pages"}],"about":[{"href":"https:\/\/www.troeller-deffarge.com\/wp-json\/wp\/v2\/types\/page"}],"author":[{"embeddable":true,"href":"https:\/\/www.troeller-deffarge.com\/wp-json\/wp\/v2\/users\/2"}],"replies":[{"embeddable":true,"href":"https:\/\/www.troeller-deffarge.com\/wp-json\/wp\/v2\/comments?post=62668"}],"version-history":[{"count":5,"href":"https:\/\/www.troeller-deffarge.com\/wp-json\/wp\/v2\/pages\/62668\/revisions"}],"predecessor-version":[{"id":64101,"href":"https:\/\/www.troeller-deffarge.com\/wp-json\/wp\/v2\/pages\/62668\/revisions\/64101"}],"up":[{"embeddable":true,"href":"https:\/\/www.troeller-deffarge.com\/wp-json\/wp\/v2\/pages\/62861"}],"wp:featuredmedia":[{"embeddable":true,"href":"https:\/\/www.troeller-deffarge.com\/wp-json\/wp\/v2\/media\/62669"}],"wp:attachment":[{"href":"https:\/\/www.troeller-deffarge.com\/wp-json\/wp\/v2\/media?parent=62668"}],"wp:term":[{"taxonomy":"category","embeddable":true,"href":"https:\/\/www.troeller-deffarge.com\/wp-json\/wp\/v2\/categories?post=62668"},{"taxonomy":"post_tag","embeddable":true,"href":"https:\/\/www.troeller-deffarge.com\/wp-json\/wp\/v2\/tags?post=62668"}],"curies":[{"name":"wp","href":"https:\/\/api.w.org\/{rel}","templated":true}]}}