Die kleine Afrikanerin kennt schon als Baby alle Geheimnisse des Lebens. Sie hockt den ganzen Tag auf Muttis R\u00fccken und ist bei allem dabei. Auf dem Markt, auf dem Feld, und wenn die Frauen \u00fcber die M\u00e4nner klagen. Und sobald sie laufen kann macht sie es der Mutti nach<\/em><\/p><\/div><\/div>\n\n<\/p><\/div>
Claude scheint mit dem Erfolg meiner Missionarsarie nicht zufrieden zu sein. Beim Interview geben wir uns h\u00e4ufig kleine Zeichen, die dem anderen andeuten, wann er \u201eden Ball abgeben\u201c soll. Ein solches Zeichen versp\u00fcre ich am Schienbein, und Claude stellt endlich die kapitale Frage: \u201eWas ist denn f\u00fcr euch die Liebe?\u201c Die J\u00fcngere: \u201eAchtung vor dem Vater, Liebe zur Mutter und zu allen Verwandten.\u201c Die \u00c4ltere: \u201eZuneigung. Gehorsam vor den Gesetzen des Stammes. Angst, wenn die Mutter krank ist.\u201c \u201eWas ist es aber, das euch zu jungen M\u00e4nnern zieht?\u201c bohre ich weiter. \u201eWas f\u00fchlt ihr, wenn ihr mit ihnen zusammen sein? Ist das keine Liebe?\u201c Beide im Chor: \u201eThat\u00b4s fun \u2013 das ist Spa\u00df.\u201c \u201eF\u00fchlt ihr euch denn nicht zu einem eurer Fun-Partner mehr hingezogen als zu einem anderen?\u201c will Claude wissen. \u201eNat\u00fcrlich!\u201c \u201eAha \u2013 jetzt kommen wir der Sache schon n\u00e4her\u201c, sage ich auf franz\u00f6sisch. \u201eHalt den Mund\u201c, fl\u00fcstert Claude, \u201esonst verwirren wir die armen Dinger vollends.\u201c Sie hat Nerven. Mit dreht sich der Kopf, und sie will diese \u201earmen M\u00e4dchen\u201c sch\u00fctzen. Claude fragt auf englisch: \u201eK\u00f6nnte diese gr\u00f6\u00dfere Anziehung nicht Liebe sein?\u201c \u201eNein\u201c, antwortet die \u00c4ltere mit Bestimmtheit. \u201eEr ist nur sch\u00f6ner \u2013 st\u00e4rker \u2013 und ein besserer T\u00e4nzer.\u201c \u201eOder er hat ein Fahrrad\u201c, erg\u00e4nzt die Kleine. \u201eGen\u00fcgt das?\u201c \u201eManchmal.\u201c \u201eWozu?\u201c<\/p>
Das afrikanische L\u00e4cheln in drei Phasen klingt uns wieder entgegen: geniert \u2013 befreit \u2013 verh\u00f6hnend \u2013 und ich komme mir pl\u00f6tzlich so dumm vor.<\/p>
Wie leicht es doch ist, \u00fcber Politik zu schreiben und Minister zu interviewen. Die haben sich bereits alle Antworten zurechtgelegt, die laut demoskopischer Umfragen am popul\u00e4rsten sind, und verk\u00fcnden sie mit treuherzigem Blick als ihre innersten \u00dcberzeugungen.<\/p>
Aber Afrika entziffern\u2026 Diese beiden kleinen M\u00e4dchen, die wir nach langem Palaver mit Hilfe von Freunden, Vettern und Br\u00fcdern und dank Claude Deffarges Anwesenheit mitnehmen und ausfragen durften \u2013 sie, die wir wie Kinder behandeln, wissen wahrscheinlich mehr \u00fcber Liebe und Sex, als ihre wei\u00dfen Schwestern in ihrem ganzen Leben je erfahren werden. Und nie werden sie uns etwas davon anvertrauen. In den D\u00f6rfern bleibt das Leben afrikanischer Teenager fremden Augen verborgen. Wir m\u00fcssen Tausende von Kilometern fahren und mit alten M\u00e4nnern und Frauen sprechen, um zu erfahren, wie die Jugend der afrikanischen D\u00f6rfer lebt. <\/p>
In vielen St\u00e4mmen f\u00e4ngt das Verh\u00e4ltnis zum Mann bereits mit der Geburt an. Kaum geboren, wird das M\u00e4dchen schon mit einem \u00e4lteren Herrn verlobt. Sobald die Kleine laufen und sprechen kann, kommt er sie regelm\u00e4\u00dfig besuchen. Dazu geh\u00f6ren Geschenke. Das M\u00e4dchen wird verw\u00f6hnt. Und obwohl der Mann wenig mehr ist als ein aufmerksamer Patenonkel, f\u00fchlt sich das kleine M\u00e4dchen schon sehr wichtig. Es wird verehrt. Als Frau.<\/p>
Mittlerweile hat die Kleine auch schon erfahren, was das bedeutet. Schon bevor die sprechen konnte. Hockt sie doch den ganzen Tag auf Muttis R\u00fccken und ist bei allem dabei. Auf dem Markt. Beim Wasserholen. Im Feld. Wenn die Frauen \u00fcber das Wetter klagen oder \u00fcber die M\u00e4nner.<\/p>
Es mag auch vorkommen, da\u00df Mutti im Busch einem Mann begegnet. Abseits, wenn niemand zuschaut. Das M\u00e4dchen h\u00f6rt die gefl\u00fcsterten Worte. Und es f\u00fchlt, da\u00df Mutti gl\u00fccklich ist.<\/p>
Die sogenannten Geheimnisse des Lebens sind f\u00fcr das Kind bereits keine mehr, wenn es die ersten Schritte macht. Sp\u00e4ter erh\u00e4lt dann alles seinen genauen Platz. Es gibt Tabus, die nicht gebrochen werden d\u00fcrfen. So m\u00fcssen zum Beispiel alle \u00d6ffnungen des K\u00f6rpers gesch\u00fctzt werden \u2013 mit Kleidung oder mit Fetischen. Nicht wegen der Scham. Nein! Den b\u00f6sen Geistern werden Fallen gestellt, in denen sie sich fangen, wenn sie heimlich in den K\u00f6rper eindringen wollen, um Krankheit und Unheil zu bringen.<\/p>
Es gibt Menschen, die man verehren mu\u00df, andere, mit denen man nicht sprechen darf. Im komplizierten Sippenkreis hat jeder seine besondere Stellung, der man durch Wort und Benehmen Achtung zollen mu\u00df. Viele Pflichten und Verbote, durch die der Stamm seine Einheit bekundet, m\u00fcssen genau befolgt werden. Wer aus der Reihe tanzt, kommt als \u201eHexe\u201c in Verruf. So sch\u00fctzt sich der Stamm gegen Zersetzung \u2013 oder \u201eSubversion\u201c, wie es heute genannt wird. Eine Hexe, das ist soviel wie ein \u201eKommunist\u201c in Amerika: ein Mensch, der die g\u00e4ngigen Regeln nicht mehr respektiert und die herrschende Ordnung gef\u00e4hrdet.<\/p>
In Afrika gibt es also genau wie in Europa und Amerika viele Tabus, die es den Menschen schwer machen, sich harmonisch zu entfalten. Nur haben diese Tabus in Afrika wenig oder nichts mit Liebe und Sexualit\u00e4t zu tun.<\/p>
Eine Ausnahme bilden lediglich die Kriegerst\u00e4mme mit aristokratischer Gliederung. F\u00fcr sie ist Sex \u201eschmutzig\u201c. Diese Auffassung scheint \u00fcberall dort aufzutreten, wo Klassenunterschiede und Rassend\u00fcnkel im Vordergrund stehen, wo gut und schlecht mit reich und arm identifiziert werden \u2013 oder mit stark und schwach.<\/p>
Bei all diesen selbsternannten Herrenv\u00f6lkern gilt die Frau als das Sinnbild des Schwachen, Unreinen, S\u00fcndhaften. Moral ist dann nicht mehr die Summe der Sitten und Br\u00e4uche, die eine Gemeinschaft lebensf\u00e4hig erh\u00e4lt. Sie wird zum Fetischismus der Reinheit und die Tugend des Weibes zum Ritterkreuz der M\u00e4nnlichkeit.<\/p>
Gott sein Dank gibt es nur wenige solcher V\u00f6lker in Afrika. Bei allen anderen herrscht volle Sittendemokratie. Dort wird die Sexualit\u00e4t weder verp\u00f6nt noch versch\u00f6nert. F\u00fcr das kleine M\u00e4dchen ist sie nicht das verbotene Gebiet heimlicher Entdeckungsreisen, aus denen es schuldbeladen zur\u00fcckkehrt. Sie ist ein Spiel wie viele andere, durch das man lernt, erwachsen zu werden.<\/p>
Doch Fr\u00e4ulein Afrika erfreut sich nun keineswegs einer z\u00fcgellosen Freiheit. Magische, technische und ans Alter gebundene Einschr\u00e4nkungen mu\u00df auch sie streng befolgen. Was sie von Fr\u00e4ulein Europa unterscheidet, ist lediglich die Grundeinstellung zur Liebe. Fr\u00e4ulein Afrika bedarf keiner romantischen Begleitmusik \u2013 noch zwickt sie die S\u00fcnde.<\/p>
Teenager-Party im Busch<\/strong><\/p>Im \u00fcbrigen am\u00fcsieren sich die Teenager Afrikas seit Jahrhunderten wie die Jugend des heutigen Europa. M\u00e4dchen und Jungen der gleichen Altersgruppen treffen sich zu Partys. Jeder bringt zu essen und zu trinken mit. Es wird gesungen, getanzt, gealbert \u2013 und dann verlieren sich die Paare im Busch.<\/p>
Meistens jedoch folgt die sexuelle \u201eEscalation\u201c (um ein modisches Wort zu gebrauchen) \u00e4hnlich \u201estrategischen \u00dcberlegungen\u201c wie in Europa. Vielleicht ist sie weniger nuanciert, etwas sprunghafter. In Afrika entsprechen die erogenen Zonen nicht unbedingt den Zielen der angriffslustigen Jugend Europas. Auf keinen Fall f\u00e4ngt in Afrika die \u201eEscalation\u201c mit einem Ku\u00df an. Der Mund hat sich erst in den St\u00e4dten, unter europ\u00e4ischen Einflu\u00df, zum \u201estrategischen Ausgangspunkt\u201c entwickelt.<\/p>
Einige St\u00e4mme finden kleine Liebkosungen t\u00f6richt. Sie interessieren sich nur f\u00fcr die Hauptsache \u2013 gleichsam religi\u00f6s. F\u00fcr sie ist die Sexualit\u00e4t das Symbol der Sch\u00f6pfung, Altar des Kultes der Fruchtbarkeit. Wenn junge Leute dieser St\u00e4mme zusammenkommen, wenn sie zun\u00e4chst tanzen und sp\u00e4ter lieben, dann w\u00fcrden selbst den blasiertesten Playboys die Haare zu Berge stehen, und es ist nicht verwunderlich, da\u00df Missionare hier Hexensabbate witterten.<\/p> <\/figure>Selbst unsere Playboy es w\u00fcrden die Haare zu Berge stehen, wenn sie s\u00e4hen, wie Afrikas Teenager in den D\u00f6rfern tanzen und lieben. Im Vergleich hierzu benehmen sich die jungen Leute in den st\u00e4dtischen Tanzlokalen wie z\u00fcchtige Pfadfinder<\/em> <\/p> <\/figure><\/div>
Kaum geboren \u2013 schon verlobt<\/strong><\/p>Wor\u00fcber die Teenager in den Kraals seit Generationen streiten, das ist die Frage der festen Freundschaft. Weil sie es t\u00e4glich am eigenen Leibe erfahren, wissen sie nat\u00fcrlich, da\u00df man bestimmte Menschen anderen vorzieht, und sogar einen ganz bestimmten als ausschlie\u00dflichen Partner haben m\u00f6chte. Die logische Folge: das Liebespaar europ\u00e4ischen Stils.<\/p>
Ja \u2013 aber was geschieht dann mit den H\u00e4\u00dflichen, Schielenden, Feigen oder gar Verkr\u00fcppelten? Sollen sie von jenen Spielen ausgeschlossen werden, die \u2013 laut Philosophie des Kraals \u2013 die sch\u00f6nsten der Kindheit und des ganzen Lebens sind? Nur weil die Natur oder ein Geist ihnen einen Streich gespielt hat? Das \u2013 so r\u00e4sonnieren die zur Stammessolidarit\u00e4t erzogenen Kinder \u2013 w\u00e4re die gr\u00f6\u00dfte Ungerechtigkeit und eine tiefe Beleidigung f\u00fcr die gesamte Altersgruppe.<\/p>
Also keine P\u00e4rchen, die engumschlungen die Welt vergessen. Zuneigung, ja. Eine gewisse Wahl schon. Aber Ausschlie\u00dflichkeit auf keinen Fall!<\/p>
Diesem Sexualsozialismus der Kraaljugend ist es wahrscheinlich zuzuschreiben, da\u00df es die Synthese zwischen seelisch-k\u00f6rperlicher Anziehung und modisch-\u00e4sthetischer Beeinflussung, die wir \u201eromantische Liebe\u201c nennen, im afrikanischen Busch nicht gibt. Es mach auch erkl\u00e4ren, warum physische Eifersucht selten ist, Untreue die Eitelkeit nicht verletzt und die Vielweiberei nur selten durch Probleme der Treue belastet wird.<\/p>Zur Frauenweihe schmieren sich die M\u00e4dchen vieler St\u00e4mme mit Porzellanerde ein. Sie wollen unkenntlich werden: als Kind sterben, um als Frau neu geboren zu werden<\/em><\/figcaption><\/figure>Aus dem gleichen Grund ist das als Baby verlobte M\u00e4dchen keineswegs zur Treue verpflichtet. In manchen St\u00e4mmen, in denen solche Verlobungen Sitte sind, erfreut sich die Braut sogar einer besonders gro\u00dfen Freiheit. Sie sammelt die Geschenke ihres um viele Jahre \u00e4lteren Verlobten, um damit in den umliegenden D\u00f6rfern hausieren zu gehen \u2013 nach Liebe. Junge M\u00e4nner widerstehen Geschenken ebensowenig wie kleine M\u00e4dchen. Und wenn \u201eFolgen\u201c eintreten, da\u00df wird der freigebige Onkel zum Vater ernannt und eventuell sogar geheiratet. Andernfalls bleibt dem M\u00e4dchen hinsichtlich des Ehepartners die Entscheidung vorbehalten, bis sie eine Frau geworden ist; das hei\u00dft: nachdem sie die \u201eRites de Passage\u201c (die Weihen des \u00dcbergangs) hinter sich hat.<\/p>
In europ\u00e4ischen Begriffen ausgedr\u00fcckt, entspricht das ungef\u00e4hr einer Mischung von Kommunion, Konfirmation, Nonnenweihe, Geheimb\u00fcndelei und Eheberatung. Die M\u00e4dchen der gleichen Altersgruppe gehen in Klausur \u2013 in abseits des Dorfes gelegene H\u00fctten. Dort lehren alte Frauen die Geheimnisse des Lebens und des Stammes, vom schmerzlosen Geb\u00e4ren bis zur Erhaltung der Liebe des Mannes.<\/p>
Dort werden auch die unl\u00f6sbaren Bande der Altersgruppen und die Geheimb\u00fcnde der Frauen geschmiedet, die in ganz Afrika die weibliche Solidarit\u00e4t festigen. Die \u201eRites de Passage\u201c sind die Endstation der Kindheit \u2013 des Spiels ohne Verantwortung. Die Eltern haben ausgedient. Das Kind stirb, um als neuer Mensch wiedergeboren zu werden: als Tochter des Stammes.<\/p>
Um die Bedeutung dieser \u00dcbergangsweihe zu unterstreichen, mu\u00df sie ewige Spuren im Geiste und am Leibe des M\u00e4dchens hinterlassen. Dazu geh\u00f6ren magische Beschw\u00f6rungen ebenso wie k\u00f6rperliche Qualen. Und Narben m\u00fcssen bleiben, unausl\u00f6schliche Merkmale des Wandels vom Kind zur Frau.<\/p>
\u201eZauberspuk\u201c gegen ungl\u00fcckliche Liebe<\/strong><\/p>Die Beschneidung ist das h\u00f6chste und gleichsam schmerzhafteste Symbol der Frauwerdung. Sie besteht in der Entfernung jenes winzigen K\u00f6rperteiles, der als ein verk\u00fcmmertes Kennzeichen der M\u00e4nnlichkeit betrachtet werden mag. \u00c4stheten behaupten, das sei entsetzlich. Missionare verbannen es als teuflisch. \u00c4rzte finden es gef\u00e4hrlich. Menschenfreunde behaupten, da\u00df den Frauen so jede M\u00f6glichkeit physischer Freuden genommen werden k\u00f6nne.<\/p>
Obwohl afrikanische Ethnologen all dem widersprechen, haben Priester, Kolonialherren, Menschenrechtler und Sozialisten seit Jahrzenten dieser Beschneidung den Krieg erkl\u00e4rt. Gesetze wurden erlassen, harte Strafen verf\u00fcgt. Ohne Erfolg: Unbeschnitten f\u00fchlt sich selbst die schwarze Christin nicht als echte Frau. Solange sie das verk\u00fcmmerte Merkmal der M\u00e4nnlichkeit besitzt, bleibt sie ein Mensch zwischen den Geschlechtern \u2013 ein ewiges Kind.<\/p>
Nach der Weihe erlauben die meisten St\u00e4mme den \u201eNeugeborenen\u201c w\u00e4hrend einiger Wochen noch einmal gro\u00dfe Freiheit. Den Geistern der Kindheit soll dabei \u201edie Luft ausgehen\u201c, bis sie vor Ersch\u00f6pfung sterben. Dann beginnt der zweite Abschnitt des Lebens: die Ehe.<\/p>
Romantische Naturen m\u00f6gen sich beruhigen. Die Ehe wird nicht ausschlie\u00dflich von den Eltern arrangiert. Im Kraal gibt es manchmal ebenso herzzerrei\u00dfende Liebesgeschichten wie in Europa. Wir fanden zum Beispiel eines Tages ein junges M\u00e4dchen schluchzend unter einem Baum sitzen. Es stellte sich heraus, da\u00df es sie richtig erwischt hatte: Sie war ungl\u00fccklich verliebt. Nicht etwa, da\u00df der Mann ihrer Tr\u00e4ume sie verschm\u00e4hte. Im Gegenteil. Er war sogar bereit, in die Stadt zu ziehen, um dort ihr gemeinsames Gl\u00fcck im Schwei\u00dfe seines Angesichts zu verdienen. Den Brautpreis bekomme er schon zusammen, behauptet er \u2013 mit seinen Muskeln und dem K\u00f6pfchen. <\/p>
Das war also nicht das Problem. Auch die Eltern waren einverstanden. Das Hindernis zur Verwirklichung der Ehe war ein kleiner G\u00fcrtel, den das M\u00e4dchen einmal einem verflossenen Liebhaber geschenkt hatte.<\/p>
Solche Gaben, wie dieser G\u00fcrtel oder ein Fetzen Unterw\u00e4sche, gelten als Beweise gr\u00f6\u00dfter Liebe. Mit ihnen legt das M\u00e4dchen ihr Schicksal v\u00f6llig in die Hand des Mannes. Gen\u00fcgt es doch, da\u00df der entt\u00e4uschte J\u00fcngling dieses Liebespfand unter einem Pfad vergr\u00e4bt, \u00fcber den ungeweihte Knaben gehen, um das M\u00e4dchen unfruchtbar zu machen. Oder S\u00e4fte bestimmter Kr\u00e4uter dar\u00fcbersch\u00fcttet, um Krankheit und Verderben zu bringen.<\/p>
F\u00fcr diese Menschen sind magische Kr\u00e4fte ebenso reale Gefahren wie f\u00fcr uns Sturmfluten und Epidemien. Es gibt deshalb kaum einen sch\u00f6neren Beweis der Liebe, als sein Leben vollends der Willk\u00fcr eines Mannes auszuliefern.<\/p>
Wer jedoch sein Leben einmal verpf\u00e4ndet hat, kann es nicht ein zweites Mal verschenken. Vorher mu\u00df das Pfand zur\u00fcck. In unserem Fall hatte der fr\u00fchere Liebhaber die R\u00fcckgabe verweigert und wilde Drohungen ausgesto\u00dfen.<\/p>
Jetzt blieb dem M\u00e4dchen nur noch ein Weg: die Hilfe eines Zauberers, der durch noch m\u00e4chtigere Magie die magischen Tr\u00fcmpfe des Mannes \u00fcberspielen konnte.<\/p>
Da ich wahre Liebe und Tr\u00e4nen nicht sehen kann, ohne zu schmelzen, bot ich mich an, die Rolle des Zauberers zu \u00fcbernehmen. Begeisterte Zustimmung der Beteiligten. Afrikaner sind \u00fcberzeugt, da\u00df die Magie des wei\u00dfen Mannes m\u00e4chtiger ist als ihre eigene.<\/p>
Zun\u00e4chst dominierte in mir der \u201ezivilisierte Mensch\u201c. Ich redete dem st\u00f6rrischen Ex-Liebhaber heftig ins Gewissen. Es half nichts. Er wu\u00dfte genau, da\u00df mit dem Pfand des M\u00e4dchens auch Donner und Blitz in seinen H\u00e4nden lagen.<\/p>
Blitz? \u2013 An diesem Gedanken entz\u00fcndete sich mein magisches Talent. Ich griff zum Blitzlichtger\u00e4t, hielt es dem Mann ganz nah vor die Augen und dr\u00fcckte ab. Er war geblendet und sah in der dunklen H\u00fctte zun\u00e4chst \u00fcberhaupt nichts mehr.<\/p>
Als die Gegenst\u00e4nde f\u00fcr seine geblendeten Augen langsam wieder Form annahmen, lie\u00df ich \u00fcbersetzen: \u201eSo \u2013 das war nur eine Warnung. Wenn du das Ding jetzt nicht rausr\u00fcckst, wird meine Magie dich blind machen \u2013 und zwar f\u00fcr immer!\u201c<\/p>
Ohne ein weiteres Wort zu verlieren, \u00fcberreichte er mir das Streitobjekt: einen schmalen Lederg\u00fcrtel, den das M\u00e4dchen wochenlang auf der Haut getragen hatte, um ihn ganz mit ihrem Fluidum zu durchtr\u00e4nken.<\/p>
Als ich ihr den G\u00fcrtel triumphierend \u00fcberreichte, k\u00fc\u00dfte sie mich nicht. H\u00e4tte sie jedoch gewu\u00dft, da\u00df Europ\u00e4er einen Hang zu solchen spontanen Beweisen der Dankbarkeit haben, w\u00e4re sie mir sicher um den Hals gefallen. Denn ich hatte ihr das Leben gerettet.<\/p>
Akim und seine drei Frauen<\/strong><\/p>Wie \u2013 so wird der Leser jetzt fragen \u2013 kann sich diese Liebe mit Vielweiberei vertragen? Eines Tages wird sich das M\u00e4dchen doch damit abfinden m\u00fcssen, ihren Mann mit anderen Frauen zu teilen. Wenn das der Preis f\u00fcr die sexuelle Freiheit der Jugend ist, die Endstation qualvoller Operationen und magischer Kabalen, dann soll doch ganz Afrika zum Teufel gehen! \u2013 Stopp! So einfach ist das nicht.<\/p>
Europa war bis zu Beginn dieses Jahrhunderts so \u00fcberheblich, sich f\u00fcr den Nabel der Welt zu halten. Selbst V\u00f6lkerkunde und andere Wissenschaften sind diesem D\u00fcnkel zum Opfer gefallen. Selbstherrlich erkl\u00e4rte man alles Fremde f\u00fcr minderwertig \u2013 alles Unverst\u00e4ndliche f\u00fcr wild. Unsere Moral war doch die Moral schlechthin, unser Lebensstil der H\u00f6hepunkt menschlicher Entwicklung.<\/p>
Erst seit einigen Jahrzehnten haben unbefangene Wissenschaftler diese Haltung als Rassend\u00fcnkel und materiellen Fortschrittswahn entlarvt. Ja, wenn \u201eZivilisation\u201c in erster Linie die Erreichung gesellschaftlicher Harmonie bedeute, dann \u2013 so sagen sie \u2013 gebe es viele \u201eWilde\u201c, die zivilisierter sind als wir.<\/p>
Das traditionelle Afrika konnte die Vielweiberei verkraften und harmonisch in seine Gesellschaft einbauen, weil es dort den Kampf der Geschlechter im europ\u00e4ischen Sinn nicht gab. Die Frau ist nie als ein zweitrangiges, Kinder und Freuden spendendes Gesch\u00f6pf betrachtet worden. F\u00fcr sie gab es keinen Grund, sich gegen den Patriarchen aufzulehnen oder um Menschenw\u00fcrde zu betteln. War es ihr doch sogar erlaubt, Mittlerin zwischen G\u00f6ttern und den Menschen zu sein (w\u00e4hrend man in Europa heute noch diskutiert, ob eine Frau Sakramente spenden darf). Sie f\u00fchrte Krieger an und vertrat die G\u00f6tter. Um jemand zu werden oder etwas zu sein, bedurfte sie nicht der Vermittlerrolle des Mannes.<\/p>
Wenn Gleichberechtigung die Befreiung aus unw\u00fcrdiger Zweitrangigkeit bedeutet, wenn damit das Recht gemeint ist, die weibliche Pers\u00f6nlichkeit unabh\u00e4ngig von der \u00fcblichen Mann-Frau-Beziehung zu entfalten \u2013 dann ist der Gro\u00dfteil der Afrikanerinnen seit jeher erwachsener als ihre wei\u00dfen Schwestern in Europa oder Amerika.<\/p>
Nur aus europ\u00e4ischer Sicht hat der afrikanische Mann die sch\u00f6ne Rolle, Herr \u00fcber zwei, vier oder gar sechs Frauen zu sein. In unserer Phantasie entsteht sofort das Bild des arabischen Harems, wo auf Lust gedrillte Damen in parf\u00fcmierten Nylonhemdchen auf b\u00e4rtige Scheichs warten. Solche Bilder hat jeder gesehen. Auf Breitwand in Technicolor. \u2013 Das bedeutet aber noch keineswegs, da\u00df sie der Wirklichkeit entsprechen. Sie sind Hirnblasen aus \u201eTausendundeiner Nacht\u201c, die nur deshalb nicht platzen, weil die Filmproduzenten damit genau den Geschmack des Publikums treffen.<\/p>
Auf jeden Fall hat die afrikanische Vielweiberei nichts mit diesen duftenden Kolchosen der Lust zu tun. Und in Europa gibt es verst\u00e4ndlicherweise ebenfalls keine Vergleichsm\u00f6glichkeiten. In Afrika liegt der Akzent weder auf der Lust noch auf seelisch-sakraler Einheit. Auschlaggebend ist die Nachkommenschaft. Und dann ist es kaum noch wichtig, ob eine oder mehrere Frauen den gleichen Partner haben. Losgel\u00f6st von Leidenschaft und Eifersucht sind Liebe und Zuneigung die Bande der Gemeinschaft im Kampf um das Leben \u2013 gegen Gefahr, Angst und Elend.<\/p>
Oft sind es \u00fcbrigens Frauen, die nach einer \u201eSchwesterfrau\u201c verlangen. Wenn sie schwanger sind oder sich einsam f\u00fchlen, bitten sie den Mann, eine zus\u00e4tzliche Frau ins Haus zu nehmen.<\/p>
Vielleicht zeigt die Geschichte meines Freundes Akim, wie afrikanische Vielweiberei aussieht. Er wohnt in Ibadan \u2013 mit 600 000 Einwohnern die zweitgr\u00f6\u00dfte Stadt Nigerias \u2013 und verdient seinen Lebensunterhalt im Holzgesch\u00e4ft. Ein kleines unscheinbares M\u00e4nnlein.<\/p>
Jede seiner drei Frauen verdient mindestens zehnmal soviel wie er. Die erste besitzt drei L\u00e4den. Die zweite lehrt an einer Hochschule. Die dritte ist Regierungsbeamtin.<\/p>
Warum bleiben diese Frauen bei jenem unscheinbaren Mann? Wenn man verliebte Menschen auffordert, ihre Gef\u00fchle zu erkl\u00e4ren, dann werden sie dummes Zeug stammeln uns als letztes Argument sich tief in die Augen schauen. Genauso verhielten sich Akims Frauen. Keine konnte mir eine Antwort geben, die ein europ\u00e4isches, an rationelles Denken gew\u00f6hntes Gehirn zufriedenstellen k\u00f6nnte. Sie fanden es einfach normal. Akim hatte den Brautpreis entrichtet und war der Vater ihrer Kinder \u2013 die \u00fcbrigens mit dem Geld der M\u00fctter in Europa zur Schule gehen.<\/p>
Pr\u00fcgel f\u00fcr die heimliche Geliebte<\/strong><\/p>\u201eEifersucht?\u201c \u2013 Sie lachten nur. \u201eKonflikte?\u201c \u2013 Selbstverst\u00e4ndlich! Wie immer, wenn mehrere Menschen zusammen leben. \u201eTreu?\u201c – Bedingt. \u201eKokett?\u201c \u2013 Nicht sonderlich. Wenn Akim sie zu Festlichkeiten gemeinsam ausf\u00fchrt, tragen alle drei das gleiche Kleid und \u00e4hnlichen Schmuck. Man stelle sich vor, die Frau und die Geliebte eines Europ\u00e4ers tr\u00e4fen sich im gleichen Kleid auf derselben Party. In der Haut des Mannes m\u00f6chte ich nicht stecken!<\/p>
\u201eZwischen eurer und unserer Form der Ehe gibt es eigentlich nur einen Unterschied\u201c, erkl\u00e4rte Akims zweite Frau. \u201eWir kennen die ,anderen\u00b4. Mit ihnen teilen wir Freud und Leid. Sie sind Freundinnen, ,Schwestern im gleichen Mann\u00b4, wie wir hier sagen. Bei euch ist die ,andere\u00b4 die geheime Rivalin, eine st\u00e4ndige Gefahr des Gl\u00fccks. Ich war in Europa. Dort habe ich Frauen gesehen, die bangend warteten, wenn der Mann sp\u00e4t nach Hause kam. Dann h\u00f6rte ich sie laut denken: Sie ist sicher h\u00fcbsch. Ob er sie wohl liebt? Ich habe Falten, und sie ist wahrscheinlich jung\u2026\u201c<\/p> <\/figure>Von hinten oder von vorn, die Afrikanerin ist ebenso auf Sch\u00f6nheit bedacht wie ihre wei\u00dfe Schwester. Die Mi\u00dfwahl wurde zwar in den St\u00e4dten von uns eingef\u00fchrt. Aber im Busch gibt es die M\u00e4dchen mit der Nummer nicht, die mit ihren Formen nach Ruhm streben. Dort will man ganz einfach sch\u00f6n sein nach dem Normen des Stammes. Und jeder Schmuck hat auch eine magische Bedeutung. Er zieht nicht nur die M\u00e4nner an. Er st\u00f6\u00dft auch Geister ab<\/em><\/p> <\/figure>\u201eWas geschieht denn bei euch\u201c, wollte ich wissen, \u201ewenn Akim sich eine heimliche Geliebte nimmt?\u201c \u201eDas soll er mal wagen! Er bekommt nichts mehr zu essen. Und wenn wir die Dame zu packen bekommen, ergeht es ihr schlecht.\u201c \u201eZum Beispiel?\u201c \u201eSie wird verhauen \u2013 ausgezogen \u2013 und mit Pfeffer eingerieben \u2013 \u00fcberall!\u201c<\/p>
So streng sind hier die Sitten. Und so stark sind hier die Frauen. Je mehr Frauen ein Mann heiratet, um so abh\u00e4ngiger wird er.<\/p>
Ich spreche wohlverstanden nur vom heidnischen Afrika. Sobald der Islam oder das Christentum sich einmischen, \u00e4ndert sich alles. Was dabei herauskommt, lesen sie im n\u00e4chsten STERN.<\/p>","protected":false},"excerpt":{"rendered":"
Stern, Heft 46, 14. November 1965 Die Szene spielt sich in Mwanza ab, einer kleinen Stadt am Victoria-See. Wir sitzen im Kino und sehen einen amerikanischen Film: Eine Frau und ein Mann stehen sich gegen\u00fcber. In seinen Augen lodert das Feuer der Leidenschaft, in den ihren schimmert unverkennbar der Wunsch nach einem Brautring. Jetzt hebt…<\/p>\n","protected":false},"author":2,"featured_media":62774,"parent":62861,"menu_order":3,"comment_status":"closed","ping_status":"closed","template":"","meta":{"_seopress_robots_primary_cat":"","_seopress_titles_title":"","_seopress_titles_desc":"","_seopress_robots_index":"","footnotes":""},"categories":[],"tags":[],"class_list":["post-62741","page","type-page","status-publish","has-post-thumbnail","hentry","entry","has-media"],"_links":{"self":[{"href":"https:\/\/www.troeller-deffarge.com\/wp-json\/wp\/v2\/pages\/62741","targetHints":{"allow":["GET"]}}],"collection":[{"href":"https:\/\/www.troeller-deffarge.com\/wp-json\/wp\/v2\/pages"}],"about":[{"href":"https:\/\/www.troeller-deffarge.com\/wp-json\/wp\/v2\/types\/page"}],"author":[{"embeddable":true,"href":"https:\/\/www.troeller-deffarge.com\/wp-json\/wp\/v2\/users\/2"}],"replies":[{"embeddable":true,"href":"https:\/\/www.troeller-deffarge.com\/wp-json\/wp\/v2\/comments?post=62741"}],"version-history":[{"count":5,"href":"https:\/\/www.troeller-deffarge.com\/wp-json\/wp\/v2\/pages\/62741\/revisions"}],"predecessor-version":[{"id":64922,"href":"https:\/\/www.troeller-deffarge.com\/wp-json\/wp\/v2\/pages\/62741\/revisions\/64922"}],"up":[{"embeddable":true,"href":"https:\/\/www.troeller-deffarge.com\/wp-json\/wp\/v2\/pages\/62861"}],"wp:featuredmedia":[{"embeddable":true,"href":"https:\/\/www.troeller-deffarge.com\/wp-json\/wp\/v2\/media\/62774"}],"wp:attachment":[{"href":"https:\/\/www.troeller-deffarge.com\/wp-json\/wp\/v2\/media?parent=62741"}],"wp:term":[{"taxonomy":"category","embeddable":true,"href":"https:\/\/www.troeller-deffarge.com\/wp-json\/wp\/v2\/categories?post=62741"},{"taxonomy":"post_tag","embeddable":true,"href":"https:\/\/www.troeller-deffarge.com\/wp-json\/wp\/v2\/tags?post=62741"}],"curies":[{"name":"wp","href":"https:\/\/api.w.org\/{rel}","templated":true}]}}