{"id":62802,"date":"2020-07-19T11:21:20","date_gmt":"2020-07-19T09:21:20","guid":{"rendered":"http:\/\/www.troeller-deffarge.com\/?page_id=62802"},"modified":"2022-08-03T15:09:52","modified_gmt":"2022-08-03T13:09:52","slug":"frankreichs-frauen-lieben-anders","status":"publish","type":"page","link":"https:\/\/www.troeller-deffarge.com\/zeitungsreportagen\/1-die-frauen-dieser-welt\/frankreichs-frauen-lieben-anders\/","title":{"rendered":"Frankreichs Frauen lieben anders"},"content":{"rendered":"
Stern, <\/em>Heft 51, 20. Dezember 1964<\/p> <\/p> <\/p> Orly, der Flughafen von Paris, ist der Stolz der Franzosen. Alles glitzert. Und es riecht nach Paris. Nur die Zollbeamten haben heute keinen guten Tag. Sie befehlen mehr als sie bitten. Nach zehn Minuten gehen wir zusammen durch die Haupthalle des Flughafens. Die Augen meines Bekannten irren w\u00fctend durchs Gew\u00fchl. Das haben sich schon viele gefragt. Die Franz\u00f6sin ist weder elegant noch sch\u00f6n. Sie hat nur \u201ece quelque chose\u201c, dieses gewisse Etwas, das vielen anderen Frauen fehlt und sie neidisch macht. Wer ist der Spielverderber?<\/strong><\/p> \u201eAuf neunzig\u201c, sage ich brav wie in der Schule, ohne jedoch vor Bewunderung in die Knie zu gehen. Mit der Prahlsucht der M\u00e4nner ist es \u00e4hnlich wie mit dem \u201eschlechten\u201c Ruf der Franz\u00f6sinnen: Es sind Wunschtr\u00e4ume. F\u00fcr alle, die leicht lieben wollen, ist Paris ein hartes Pflaster. Es sei denn, sie begn\u00fcgen sich mit jenen Touristenvierteln, aus denen der Ruf des Pariser Vergn\u00fcgens stammt.<\/p> Wenn man gestern noch in New York war und heute durch Paris bummelt, wird man den Eindruck nicht los, aus einer anderen Welt zu kommen. Dr\u00fcben sind Eleganz und gutes Benehmen die Abzeichen weiblicher W\u00fcrde, und ein breites L\u00e4cheln \u00f6lt den Umgang mit dem N\u00e4chsten. Hier pfeift man auf die Firma. Man l\u00e4chelt nur, wenn es Spa\u00df macht, und schreit sich w\u00fctend an, auch wenn es nicht sein mu\u00df.<\/p> Eben hatte ich einen jungen Mann br\u00fcllen h\u00f6ren. Er stand vor einem Zeitungskiosk. Ganz dicht hinter einem M\u00e4dchen. Wahrscheinlich war er ihr ein wenig zu nah gekommen. Jedenfalls hatte sie ihren St\u00f6ckelabsatz auf seinen Schuh gesetzt und war dann, mit einer kurzen Drehung, stolz davongegangen.<\/p> Und jetzt geht es schon wieder los. Ein Mann man\u00f6vriert sein Auto so ungeschickt, da\u00df er einem anderen Wagen den Weg versperrt. Eine Frau steigt aus, st\u00fcrzt auf den Fahrer zu, rei\u00dft die T\u00fcr auf, und dann \u2013 aufrecht, hochm\u00fctig, gelassen:
\u201eHaben sie etwas zu verzollen?\u201c
\u201eNein.\u201c
\u201eMachen Sie mal auf.\u201c
Der amerikanische Fluggast blickt mich hilfesuchend an. Er kann kein Franz\u00f6sisch, und ich \u00fcbersetze.
\u201eH\u00f6flich sind die auch nicht\u201c, murmelt er und schlie\u00dft seinen Koffer auf.
\u201eWas ist das?\u201c fragt der Z\u00f6llner und deutet auf eine Reihe blauer Schachteln, die am linken Rand des Koffers s\u00e4uberlich aufgereiht stehen.
\u201eWell\u201c, meint der Herr mit einem verlegenen L\u00e4cheln, \u201edas ist etwas ganz Neues, um keine Babys zu bekommen.\u201c
\u201eBeschlagnahmt.\u201c
\u201eWas?\u201c
\u201eEinfuhr verboten.\u201c
\u201eIn Paris? Im Land der Liebe? Der ist wohl nicht ganz dicht. Glauben Sie, ich sei nach Paris gekommen, um den Eiffelturm zu besteigen? Sagen Sie ihm, da\u00df ich protestiere.\u201c
\u201eDer soll keine Geschichten machen\u201c, sagt der Beamte und bittet mich, dem aufgebrachten Amerikaner beim Ausf\u00fcllen der Papiere behilflich zu sein.<\/p>
\u201eUnd mies sind die Weiber hier auch noch\u201c, flucht er. \u201eUngewaschen wahrscheinlich. Diese Haare, schauen Sie sich doch blo\u00df die Haare. Wo ist die franz\u00f6sische Eleganz? Ich werd` verr\u00fcckt. Wer hat das M\u00e4rchen von den h\u00fcbschen Pariserinnen nur in die Welt gesetzt?\u201c<\/p>
\u201eWissen Sie was?\u201c br\u00fcllt er mich jetzt an. \u201eIch bin fast froh, da\u00df man mir die verfluchten Dinger beschlagnahmt hat.\u201c
\u201eWarum haben Sie auch gleich hundert mitgebracht?\u201c
Ich scheine ihn beleidigt zu haben. \u201eIch will genau einen Monat in Paris bleiben\u201c, sagt er mit Nachdruck. \u201eDas sind drei\u00dfig Tage. Stimmt\u00b4s? Und wenn Sie drei\u00dfig mit drei multiplizieren, auf welche Zahl kommen Sie dann?\u201c<\/p>
\u201eAch so \u2013 ein Mann. Hatt` ich mir doch gedacht. Der Herr Sultan kann mit dem kleinen Spielzeug wohl nicht recht umgehen? Soll ich vielleicht helfen?\u201c
Bevor der Mann auch nur Luft holen kann, schl\u00e4gt sie die T\u00fcr wieder zu und schreitet zu ihrem Wagen zur\u00fcck.<\/p>
\u201eH\u00e9 \u2013 Madame\u201c, rufe ich. \u201eNur eine Sekunde \u2013 bitte\u2026\u201c
In zwei S\u00e4tzen erkl\u00e4re ich, welche Reportage ich mache, und bitte sie, mir den Auftritt zu erkl\u00e4ren.
\u201eAch so, einer von der Presse.\u201c Sie blickt mich herausfordernd an. \u201eWas tun Sie, wenn eine Frau schlecht Auto f\u00e4hrt? Sie fluchen auf die Weiber und w\u00fcnschen sie alle zum Teufel. Jeder Mann tut das. Wenn aber so ein Kerl die G\u00e4nge verwechselt und Gas gibt wie ein Stier, dann f\u00e4llt es keinem ein, auf die M\u00e4nner zu schimpfen. Oder?\u201c
Ich mu\u00df ihr leider recht geben, und triumphierend f\u00e4hrt sie fort: \u201eIch verpasse keine Gelegenheit, es ihnen heimzuzahlen. Diese arroganten Gro\u00dfm\u00e4uler. Und ich bin nicht die einzige. Darauf k\u00f6nnen Sie Gift nehmen.\u201c
\u201eAber warum nannten Sie ihn einen Sultan?\u201c
\u201eSie kommen wohl vom Mond. Sie wissen nicht, was ein Sultan ist? Diese fetten Schweine aus der T\u00fcrkei, die sich Harems hielten.\u201c
Ich gebe zu bedenken, da\u00df der Herr im Auto zwar einen koketten Schnurrbart tr\u00e4gt und sogar ein wenig dicklich ist, sonst aber sehr franz\u00f6sisch aussieht.
\u201eDas ist es ja gerade\u201c, ruft sie ernst wie ein Trauzeuge. \u201eHeute will jeder sich ein paar Frauen halten. Um anzugeben. So wie die Reichen sich Rennpferde halten. Fr\u00fcher gab es das nat\u00fcrlich auch. Aber nur f\u00fcr die dicken Brieftaschen. So ein paar Damen gaben den Herren den n\u00f6tigen Glanz. Heute will auch Piefke dabei sein. Weil er ein paar Franken mehr verdient. Aber ohne uns. Wir gehen auf die Barrikaden. Haben der Herr Sultan sonst noch eine Frage?\u201c
\u201eH\u00e9 \u2013 Moment mal\u2026\u201c
Sie lacht, steigt ein und fragt: \u201eKennen Sie einen Mann, der kein Sultan sein m\u00f6chte?\u201c
\u201eNein \u2013 aber leider wollt ihr keine Haremsdamen werden. Also wer ist der Spielverderber? Ihr oder wir?\u201c
\u201eC`est l`amour\u201c, ruft sie und rast davon.<\/p>