{"id":63121,"date":"2020-08-12T22:20:40","date_gmt":"2020-08-12T20:20:40","guid":{"rendered":"http:\/\/www.troeller-deffarge.com\/?page_id=63121"},"modified":"2023-01-24T00:55:18","modified_gmt":"2023-01-23T23:55:18","slug":"maedchenmord-in-mexiko","status":"publish","type":"page","link":"https:\/\/www.troeller-deffarge.com\/zeitungsreportagen\/maedchenmord-in-mexiko\/","title":{"rendered":"M\u00e4dchenmord in Mexiko (Mexiko)"},"content":{"rendered":"

Stern <\/em> Heft 7, 16. Februar 1964<\/p>

Gordian Troeller sprach mit den geretteten Opfern der Schwestern Gonz\u00e1lez. Er berichtet, weshalb die Mordschwestern Jahre lang unbehelligt blieben.<\/strong><\/p>

Seit es in Havana keine Kinder mehr zu kaufen gibt, kann Kuba mir gestohlen bleiben.\u201c<\/p>

Genau das sind die Worte, die ein deutscher Herr aus New York mir vor ein paar Jahren anvertraute. Wir sa\u00dfen in Havanna im \u201eFloridita\u201c, dem fr\u00fcheren Stammlokal Hemingways, vor einer der letzten Flaschen Whisky, die aus der \u201eguten alten Zeit\u201c \u00fcbriggeblieben waren.<\/p>

Der Herr aus New York f\u00fcgte mit einem Augenzwinkern hinzu: \u201eAber in Mexiko ist, Gott sei Dank, noch alle beim alten.
Der Flug ist zwar ein wenig teurer. Aber sonst \u2013 mein lieber Mann \u2013 soviel Phantasie haben Sie gar nicht. Soll ich Ihnen mal ein paar Kostproben geben?\u201c<\/p>

Und er erz\u00e4hlte , wie gewisse Leute Kriegserlebnisse erz\u00e4hlen: schw\u00e4rmerisch, mit leuchtenden Augen und ein wenig Wehmut in der Stimme.
Diesmal handelte es sich nicht um umgelegte Feinde, nein, um M\u00e4dchen zwischen 12 und 15 Jahren, die auf dem Friedhof der Liebe zu Grabe getragen wurden.
\u201eUnd f\u00fcr all dies brauchen Sie gar nicht viel springen zu lassen\u201c, meinte er. \u201eF\u00fcr ein paar Dollar wird Ihnen das Beste geboten. Wirklich spottbillig. Mensch, nach Mexiko sollten Sie gehen, anstatt in diesem lausigen Havanna herumzusitzen.\u201c
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In den Nachtklubs der Gonz\u00e1les-Schwestern werden Tag f\u00fcr Tag neue Leichen entdeckt. M\u00e4dchen, die erschlagen wurden, weil sie nichts mehr n\u00fctzten. Auch Catalina sollte ermordet werden. Sie wurde in letzter Minute gerettet und liegt im Krankenhaus. Hinter T\u00fcren wie diesen begann ihr Leben als wei\u00dfe Sklavin<\/strong><\/em><\/figcaption><\/figure>

Jetzt bin ich in Mexiko, in San Francisco del Rinc\u00f3n, einer kleinen Stadt, vierhundert Kilometer n\u00f6rdlich der Hauptstadt, in der die Mordschwestern von Mexiko hinter Schloss und Gitter sind.
Neben mir sitzt eines der Opfer, ein M\u00e4dchen von siebzehn Jahren. Ihre H\u00e4nde sehen aus, als h\u00e4tte sie vierzig Jahre lang geschuftet. Ihr K\u00f6rper sieht aus, als w\u00e4re sie drei\u00dfig. Ihre Augen haben \u00fcberhaupt kein Alter mehr. Der stumpfe Blick wird nur dann von einem Leuchten erhellt, wenn sie von ihrer Kindheit spricht.
\u201eJa, ich erinnere mich genau, mit f\u00fcnf Jahren habe ich das erste Geld verdient\u201c, sagt Catalina voller Stolz. \u201eIch machte Besorgungen f\u00fcr die Nachbarn. Ich konnte schon z\u00e4hlen. Das hatte mein Bruder mir beigebracht. Jes\u00fas hei\u00dft er. Der war zehn und arbeitete in einer Glaserwerkstatt. Damals waren es nur Pfennige. Wir brauchten sie sehr. Mein Vater ist Landarbeiter. Der bekam 15 Pesos am Tag \u2013 wenn Arbeit da war. Damit konnte er keine sechs Kinder ern\u00e4hren, und die Mutter und die Gro\u00dfmutter.
Ich war gerade neun, da bekam ich meine erste feste Stellung als Putzfrau. Das war bei feinen Leuten. F\u00fcr 35 Pesos (elf Mark) im Monat. Die haben nie bezahlt. Aber gegessen hab‘ ich dort und geschlafen, und die Abf\u00e4lle aus der K\u00fcche brachte ich heimlich nach Hause\u2026<\/p>

Und dann kam ein Soldat. Ich war 13. Er war gro\u00df und muy guapo (sehr h\u00fcbsch). ,Du wirst gl\u00fccklich sein\u00b4, sagte er und zeigte mir ein Zimmer mit einem richtigen Bett. ,Darin darfst du schlafen.\u00b4 Ich hatte mein ganzes Leben nur auf Strohmatten geschlafen. Manchmal hab‘ ich meine Eltern auf der Erde gesehen. Du wei\u00dft schon. Da hab‘ ich mir geschworen: Das werde ich nie so tun. Sp\u00e4ter hatten auch wir ein Bett zu Hause. Als Gro\u00dfmutter starb, lag sie darin. Viele Monate. Ich schl\u00fcpfte manchmal zu ihr. Heimlich, wenn keiner zu Hause war. Nur um zu tr\u00e4umen. Das ist weich. Ich erz\u00e4hle so gern von meiner Kindheit, wei\u00dft du. Es ist so sch\u00f6n, da\u00df du danach gefragt hast.\u201c<\/p>

Der erste halbe Stunde hat Catalina sich alle M\u00fche gegeben, \u201eSie\u201c zu mir zu sagebn, und \u201eHerr Troeller\u201c.
Aber sie schafft es nicht. Sie hat zu lange zu jedem Mann \u201eDu\u201c sagen m\u00fcssen und \u201eLiebling\u201c. Sie hat Intimit\u00e4t spielen m\u00fcssen und ist jetzt noch in ihrem Spiel gefangen.<\/p>

\u201eHat er dich geheiratet, der Soldat?\u201c will ich wissen.
\u201eQue va \u2013 so siehst du aus. Meine Herrschaft zahlte nicht. Meine Eltern konnten mich nicht ern\u00e4hren. Da bin ich einfach in das sch\u00f6ne Bett gestiegen, das man mir anbot. Daneben stand ja auch ein kleiner Ofen \u2013 zum Kochen. Schlecht war\u00b4s gar nicht, bei Manuel, so hie\u00df er.\u201c<\/p>

Die H\u00e4lfte der armen Mexikaner lebt in \u201efreier Ehe\u201c. Im \u00fcbrigen S\u00fcdamerika sind es noch mehr, besonders in den Gro\u00dfst\u00e4dten. Die kirchliche Trauung ist unerschwinglich, und die zivile interessiert wenig. Warum sollen die Kinder legal sein? Es gibt ja doch nichts zu erben \u2013 au\u00dfer der Armut. Und im \u00fcbrigen ist das Gef\u00fchl der Zusammengeh\u00f6rigkeit so gro\u00df, die v\u00e4terliche Autorit\u00e4t so gewaltig und Verehrung der Mutter so selbstverst\u00e4ndlich, da\u00df es keines Stempels bedarf, um einem Mexikaner zu zeigen, wessen Blutes er ist. Wenn materielle oder sentimentale Gr\u00fcnde zur Trennung f\u00fchren, dann bleiben die Kinder meistens bei der Mutter, und der neue Mann darf nichts dagegen einwenden.<\/p>

\u201eIch hatte keine Kinder\u201c, f\u00e4hrt Catalina fort, und ihre Augen werden noch trauriger. \u201eVielleicht war ich zu jung. Jetzt geht es nicht mehr.\u201c
\u201eHat Manuel dich verlassen?\u201c
\u201eNa, so halb. Er kam wochenlang nicht nach Hause und gab mir nur noch sehr wenig Geld.\u201c
\u201eUnd dann?\u201c
\u201eNa ja, da ging ich mal mit meiner Tante Natalia \u2013 die war achtzehn \u2013 auf den Markt. Eine elegante Frau sprach uns an: ,Ich such h\u00fcbsche M\u00e4dchen, um in einem Restaurant in Leon zu servieren.‘ Leon ist eine gro\u00dfe Stadt. Wir hatten Angst. Aber wir nahmen an. Beide.\u201c
\u201eOhne die Frau zu kennen?\u201c
\u201eHast du schon mal Hunger gehabt. Richtigen Hunger? Jahrelang?\u201c
Ich sehe zum erstenmal ein wenig Ha\u00df in ihren Augen.
\u201eAber ihr mu\u00dftet doch ahnen, da\u00df man euch zur Prostitution einlud?\u201c
\u201eVielleicht. Sicher ein bi\u00dfchen. Aber was sollten wir tun? Wir waren nie in der Schule, und Putzfrauen gibt es Hunderte f\u00fcr einen freien Posten.\u201c<\/p>

Catalina sieht verbraucht aus. Jetzt scheint sie pl\u00f6tzlich erwachsen. Sie schaut mich herausfordernd an. \u201eWas tust du, um nicht zu verhungern? Sag mir! W\u00fcrdest du t\u00f6ten \u2013 oder dich verkaufen? Sei ehrlich!\u201c
\u201eIhr habt euch nicht verkauft, Catalina. Ihr seid ins Gef\u00e4ngnis gegangen.\u201c
\u201eDas haben wir nicht gewu\u00dft\u201c, ruft sie. \u201eVerr\u00fcckte wie die Schwestern Gonz\u00e1les gibt es nur wenige in Mexiko. Man nennt sie nicht umsonst die satanischen Schwestern. Das sind keine Menschen mehr. Wir hatten eben Pech. Wir h\u00e4tten ebenso gut in einen anderen Klub kommen k\u00f6nnen, wo die M\u00e4dchen frei sind. Ja, wo jede einen richtigen Geliebten haben darf. So f\u00fcr sich \u2013 nach der Arbeit. Das h\u00e4lt die Liebe im Herzen wach. Verstehst du? Ohne sie kann doch keiner leben. O Gott, ich w\u00fcrde mein halbes Leben geben, um noch einmal z\u00e4rtlich gestreichelt zu werden, von einem, der mich richtig mag. So wie du sicher irgendwo eine Frau magst. Richtig \u2026 H\u00f6r zu \u2013 aber nein \u2013 doch. Sag mir, da\u00df ich nicht tot bin. Verstehst du \u2013 muerta como mujer\u2026 tot als Frau.\u201c<\/p>

Ich beruhige sie. Es dauert lange, bis ich wieder aufs Thema zur\u00fcckkommen kann. Auf Catalinas Gefangenschaft bei den Mordschwestern von Mexiko.<\/p>

\u201eEs gab auch sch\u00f6ne Momente\u201c, erkl\u00e4rt sie \u201eO ja, einen ganz sicher. Die beiden Alten hatten uns zwei Monate in einem dunklen Raum eingesperrt, wo der Chauffeur und der G\u00e4rtner uns manchmal zum ,Anlernen‘ besuchten. Sie schlossen uns ein, damit niemand unsere Spuren finden konnte. Weder die Familie, noch die Polizei. Als sie sich sicher glaubten, kamen sie zu uns. ,So, jetzt an die Arbeit, ihr beiden.‘
Und wir wurden gebadet, richtig gewaschen, in hei\u00dfem Wasser mit guter Seife. Dann rieben sie uns mit Parfum ein \u2013 wie echte Damen. Und dann kamen die sch\u00f6nen Kleider. Und zuletzt wurden wir richtig geschminkt. So mit Puder und allem. Ich kannte mich im Spiegel nicht wieder. Ich sah reich aus. So sch\u00f6n war ich noch nie\u2026\u201c
\u201eUnd dann?\u201c
\u201eDann mu\u00dften wir uns um die Kunden k\u00fcmmern. Eines Tages wollte meine Tante mit einem Kunden das Haus verlassen. Sie wurden beide zusammengeschlagen. Drei Monate wurde meine Tante in ein dunkles Zimmer gesperrt. Dann verschwand sie. Gott vergebe mir, wenn ich nie nach ihr gefragt habe, ich w\u00e4re umgebracht worden, wie sie.\u201c<\/p>

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Die \u00fcberlebenden M\u00e4dchen aus der \u201eEngels-Farm\u201c, sind in die Kirche gegangen, um Gott f\u00fcr ihre Freiheit zu danken. Sie k\u00f6nnen nur ihm danken, denn Beh\u00f6rden und Gesellschaft waren zu lange die Komplizen der Mordschwestern<\/em><\/strong><\/figcaption><\/figure>

\u201eEs gibt bei euch ein M\u00e4dchen, das von seiner Schwester auf Befehl der beiden Gonz\u00e1les zu Tode gepr\u00fcgelt worden ist. Hatte die auch zuviel mit Kunden geredet?\u201c
\u201eNein, das war viel sp\u00e4ter. Da waren schon alle Bordelle geschlossen, und die Gonz\u00e1les hatten uns auf der ,Engelsfarm\u00b4 versteckt. Dort mu\u00dften wir nachts ,Schwarze Messen` abhalten. Wir mu\u00dften furchtbare Dinge tun. Dabei schauten die Gonz\u00e1les-Schwestern zu. Eva, so hie\u00df die Kleine, hat irgend etwas Perverses getan, das Ungl\u00fcck bringt. Gro\u00dfes Ungl\u00fcck f\u00fcr die, die es sehen. Ich wei\u00df nicht, was sie getan hat. Ich war nicht dabei. Aber daf\u00fcr mu\u00dfte sie sterben. Und das Ungl\u00fcck ist auch gekommen. Die Gonz\u00e1les-Schwestern sind im Gef\u00e4ngnis.\u201c\u201eWarum habt ihr denn nicht einen sympathischen Kunden gebeten, die Polizei zu verst\u00e4ndigen?\u201c
Catalina kann sogar noch lachen. Sie lacht schallend \u00fcber meine Naivit\u00e4t.<\/p>

\u201eDa haben die Armen doch immer Unrecht. Eine Hure, das ist doch kein Mensch. Ein Mensch wirst du, wenn du zahlen kannst. Die Gonz\u00e1les-Schwestern konnten zahlen. \u2013 Da ist die Maria. Sie liegt im Krankenhaus. Du hast die ja schon besucht. Ihre Mutter ging zur Polizei. ,K\u00fcmmere dich nicht um die Gonz\u00e1les-Schwestern, sei froh, da\u00df du lebst.` Sie ging zum Priester. Der sagte, es ginge ihn nichts an. Da ging sie zur Jungfrau von San Juan, eine der besten Heiligen von Mexiko. Sie schwor vor der Jungfrau: ,Wenn ich meine Tochter nicht in einem Monat wiederfinde, sage ich vor aller Welt, da\u00df du keine Wunder wirken kannst, da\u00df alles L\u00fcge ist, was \u00fcber dich gesagt wird.\u00b4
Am letzten Tag geschah das Wunder: Wir wurden alle von der ,Engelsfarm` befreit.\u201c<\/p>

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Die Sklavenh\u00e4nderlin Mar\u00eda des Jesus Gonz\u00e1les verlangte zwanzig Pesos, ehe sie sich im Gef\u00e4ngnis fotografieren lie\u00df. Schamlos schl\u00e4gt sie Geld aus ihrer Schande, wie fr\u00fcher aus dem Elend ihrer Opfer. Wie diese T\u00e4nzerin begann sie ihre Karriere in einem Klub an der amerikanischen Grenze<\/em><\/strong><\/p><\/div><\/div>

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Was w\u00fcrden diese Menschen ohne Wunder tun? Ohne Glauben?<\/p>

\u201eVerrecken\u201c, sagte der junge Mann, mit dem ich in Leon Kaffee trinke und \u00fcber die Opfer der Gonz\u00e1les-Schwestern spreche. \u201eJa, verrecken \u2013 oder uns umbringen. Haben Sie schon die muffigen St\u00e4lle gesehen, in denen die leben? Wenn die da raus k\u00f6nnten, dann g\u00e4be ich nicht viel f\u00fcr meinen Kopf.\u201c
Ich versuche zu antworten, aber er l\u00e4\u00dft mich nicht zu Wort kommen. Er zieht eine kleine Flasche aus der Tasche.
\u201eHier, sehen Sie, was ich aus Mexiko City mitgebracht habe. ,Spanische Fliege`.\u201c Er z\u00e4hlt zw\u00f6lf Tropfen in meinen Kaffee. \u201eDamit f\u00fchlen Sie sich verliebt wie nie zuvor. Trinken Sie nur. Wir k\u00f6nnen dann ja ins Bordell gehen.\u201c
\u201eGie\u00dfen Sie das auch heimlich in den Kaffee von jungen M\u00e4dchen, die Sie verf\u00fchren wollen?\u201c
\u201eSeien Sie froh, da\u00df Sie Ausl\u00e4nder sind\u201c, sagte er leise, und seine dunkle Stirn ist ein wenig rot geworden. \u201eJunge M\u00e4dchen aus gutem Hause verf\u00fchrt man nicht. Die sind heilig. Die m\u00fcssen Jungfrauen bleiben, bis sie heiraten. W\u00fcrden Sie ein M\u00e4dchen heiraten, das nicht mehr unschuldig ist?\u201c
\u201eSelbstverst\u00e4ndlich.\u201c
\u201eUnd ihre Ehre?\u201c
\u201eDie hab` ich woanders.\u201c
\u201eSie sind Marxist?\u201c
\u201eWas hat Marx damit zu tun?\u201c
\u201eIch bin Revolution\u00e4r\u201c, sagt er stolz. \u201eIch stehe links.\u201c \u2013
\u201eAber Jungfrau muss sie sein?\u201c
\u201eHombre que sie \u2013 nat\u00fcrlich.\u201c
\u201eUnd die M\u00e4dchen der Armen?\u201c<<
\u201eDie haben doch keine Ehre. Welchen Ruf haben die zu verlieren? Das sind Diebinnen, faule Weiber, uneheliche Kinder, Huren.\u201c
\u201eWarum sind sie das?\u201c
\u201eNun fangen Sie ja nicht an, \u00fcber Politik mit mir zu streiten\u201c, ruft er. \u201eWir wollen \u00fcber Liebe sprechen.\u201c<\/p>

Er z\u00e4hlt zw\u00f6lf Tropfen \u201eSpanische Fliege\u201c in seinen Kaffee und st\u00fcrzt ihn herunter. \u201eSeien Sie doch vern\u00fcnftig, Mann. Wenn es keine Bordelle g\u00e4be, keine M\u00e4dchen, um sie zu f\u00fcllen, dann w\u00e4re unsere ganze Gesellschaftsordnung in Gefahr. Stellen Sie sich vor: Wir M\u00e4nner m\u00fc\u00dften uns dann mit den jungen M\u00e4dchen unserer Klasse abgeben. Gar nicht auszudenken, die Konsequenzen. Deshalb h\u00e4ngt mir der Gonz\u00e1les-Skandal so zum Hals heraus. Er ist katastrophal. Die Beh\u00f6rden werden gezwungen sein, viele H\u00e4user zu schlie\u00dfen. Die V\u00e4ter entf\u00fchrter M\u00e4dchen werden sich stark f\u00fchlen und Krach schlagen. \u2013 Kommen Sie, bei mir wirkt es schon. \u2013 Nun kommen Sie doch.\u201c
\u201eNein \u2013 danke, ich bleibe noch ein wenig.\u201c
\u201eWie Sie wollen. Ich mu\u00df jetzt gehen. Ihr Kaffee wird kalt. Schade um die zw\u00f6lf Tropfen. Adi\u00f3s, hombre.\u201c<\/p>

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Nicolasa V\u00e1zquez ist die h\u00fcbscheste der befreiten wei\u00dfen Sklavinnen von der \u201eEngels \u2013 Farm\u201c. Ein Mann sah ihr Bild und schrieb: \u201eIch will dich heiraten.\u201cAber Nicolasa z\u00f6gert. \u201eEs kann nur eine Falle sein\u201c, sagt sie. \u201eDieser Mann ist sicher von den Gonzales-Schwestern bezahlt, um mich zu t\u00f6ten. F\u00fcr Geld tut man hier alles\u201c<\/em><\/strong><\/figcaption><\/figure>

Diese H\u00e4user wird es nat\u00fcrlich immer und \u00fcberall geben. Offiziell, geduldet, oder heimlich. Kein Gesetz, wird sie je aus der Welt schaffen. Es fragt sich nur, warum Frauen sich verkaufen.<\/p>

Hier in Mexiko tun sie es nicht, weil geldgehetzte Herren keine Zeit zum Flirt mehr haben und ein Auto schneller so verdient werden kann als vor der Schreibmaschine. Hier ist es Armut, erbarmungslose Not, die ausgenutzt wird, um die Ehre der B\u00fcrger zu sichern: die Unschuld ihrer T\u00f6chter.<\/p>

Wir haben bei den Gonz\u00e1les-Schwestern herumgest\u00f6bert. Wir sahen Gebeine, verscharrte M\u00e4dchen, verbrannte Neugeborene. Wir fanden auch heraus, wie so etwas m\u00f6glich ist: Zahlungsanweisungen an Offiziere, Richter, Anw\u00e4lte. F\u00fcr lumpige zweihundert Pesos im Monat (70 Mark), f\u00fcr den Hungerlohn eines Landarbeiters deckten und f\u00f6rderten sie die Gesch\u00e4fte der Sklavenh\u00e4ndler und ihre Verbrechen.<\/p>

Aber so ist es nicht nur in Mexiko. So ist es in ganz S\u00fcdamerika. \u00dcberall dort, wo Millionen Menschen Diebe werden m\u00fcssen und Verbrecher, Huren und korrupte Beamte, wenn sie nicht sterben wollen.<\/p>

Auch die reichen Nationen bekommen in armen L\u00e4ndern alles billiger. Gummi, Recht, Erd\u00f6l, und zw\u00f6lfj\u00e4hrige M\u00e4dchen f\u00fcr f\u00fcnfzig Pfennig. Wie lange noch? Das Gesch\u00e4ft mit der Armut geht steil bergab. \u00dcberall auf der Welt organisieren sich die Armen \u2013 politisch. Und bald werden wir erfahren \u2013 und dann nicht nur aus Bordellskandalen -, was die Armut aus den Armen gemacht hat.<\/p>","protected":false},"excerpt":{"rendered":"

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