{"id":63267,"date":"2020-09-02T00:14:59","date_gmt":"2020-09-01T22:14:59","guid":{"rendered":"http:\/\/www.troeller-deffarge.com\/?page_id=63267"},"modified":"2022-08-03T15:13:03","modified_gmt":"2022-08-03T13:13:03","slug":"geishas-kuessen-auch","status":"publish","type":"page","link":"https:\/\/www.troeller-deffarge.com\/zeitungsreportagen\/1-die-frauen-dieser-welt\/geishas-kuessen-auch\/","title":{"rendered":"Geishas k\u00fcssen auch (Japan)"},"content":{"rendered":"
Stern, Heft 32, 7. August 1966<\/em><\/p> Geishas sind beseelte Puppen, aufgemacht und bemalt, um die M\u00e4rchenatmosph\u00e4re eines verlorenen Paradieses zu schaffen. Wer nicht zu den Eingeweihten eines Teehauses geh\u00f6rt, kann ihnen nur auf der Stra\u00dfe begegnen. <\/strong> Heute h\u00e4tte ich in den Boden versinken k\u00f6nnen. In Kyoto, einer der \u00e4ltesten und sch\u00f6nsten St\u00e4dte Japans, war ich in eine Drogerie gegangen. Neben mir standen zwei Frauen. Die eine, im grauen Kimono, war vielleicht vierzig; die andere, europ\u00e4isch gekleidet nicht mehr als drei\u00dfig. Sie w\u00fchlten in einer \u201eHappy Box\u201c herum, einer \u201eGl\u00fccksschachtel\u201c, wie man sie hier nennt. Darin befinden sich ein Dutzend Dinge, die zur Erh\u00f6hung physischer Freuden dienen sollen.<\/p> Wir in Europa lernen, da\u00df man \u00fcber solch intime, f\u00fcr unsere Begriffe ans Laster grenzenden Dinge nicht spricht. Die Unbefangenheit der beiden Frauen in der Drogerie hingegen entsprach der japanischen Auffassung, da\u00df die Steigerung gewisser Gen\u00fcsse keineswegs in den schl\u00fcpfrigen Bereich des Lasters geh\u00f6rt, sondern als ein normaler Drang des Menschen nach Perfektion betrachtet werden sollte. Er will doch auch auf anderen Gebieten immer mehr entdecken und alles wissen \u2013 schneller fahren zum Beispiel und h\u00f6her fliegen. Warum nicht auf dem Gebiet der Sinne?<\/p> Es ist \u00fcbrigens nicht verwunderlich, da\u00df in diesem Lande gerade Frauen die ausgefallensten erotischen Requisiten kaufen. Einerseits sind sie fast immer allein, andererseits versuchen sie, den Mann auf jede nur m\u00f6gliche Art ans Haus zu fesseln. Und das ist gar nicht einfach. In Japan gilt es als ein \u00fcberliefertes Recht des Mannes, seine sexuellen Vergn\u00fcgen dort zu suchen, wo es ihm Spa\u00df macht. Damit verletzt er weder die Gef\u00fchle seiner Frau noch den ehelichen Vertrag. Die Pflicht zur Treue betrifft nur sie. Ein n\u00e4chtlicher Bummel durch eine japanische Stadt zeigt, was das bedeutet: \u00fcberall M\u00e4nner. Millionen. Ganze Viertel, die nur dem Vergn\u00fcgen dienen, wo eine Bar sich an die andere reibt. Kilometerweit nur Lichter, Leuchter, Lampions. Das poetischste, heiterste Nachtleben, das ich je gesehen habe; auch das intensivste pro Quadratkilometer und pro Einwohner. Dagegen sind Pigalle, Soho oder die Reeperbahn vulg\u00e4re Wartes\u00e4le sexueller Langeweile.<\/p>
Ehefrauen werden abends allein gelassen. Selbst junge M\u00fctter leben auf der Schattenseite des Nachtlebens.<\/strong><\/p>