{"id":63405,"date":"2020-09-15T21:02:24","date_gmt":"2020-09-15T19:02:24","guid":{"rendered":"http:\/\/www.troeller-deffarge.com\/?page_id=63405"},"modified":"2024-02-15T13:27:44","modified_gmt":"2024-02-15T12:27:44","slug":"kreuzverhoer-in-bagdad","status":"publish","type":"page","link":"https:\/\/www.troeller-deffarge.com\/zeitungsreportagen\/kreuzverhoer-in-bagdad\/","title":{"rendered":"Kreuzverh\u00f6r in Bagdad"},"content":{"rendered":"

Stern, Heft 22, 1. Juni 1969<\/em><\/p>

Die Motorradfahrer mit den silbernen Helmen geleiten die amerikanische Limousinen bis ans Ufer des Tigris. DDR-Au\u00dfenminister Winzer, sein irakischer Kollege Sheikhly und ihre Begleiter steigen aus. Bevor sie eine Bootsfahrt auf dem Tigris antreten, posieren sie f\u00fcr die Presse. Au\u00dfer mir sind nur zwei irakische und zwei DDR-Fotografen da. Doch als ich meine Kameras bet\u00e4tige, werden die Herren der DDR-Delegation steif. Sie tuscheln und winken ab. Schlie\u00dflich kommt ein blonder H\u00fcne auf mich zu: \u201eVerschwinden Sie sofort, oder wir lassen Ihre Filme konfiszieren. Sie haben hier nichts zu suchen. \u201eEr sagt es auf s\u00e4chsisch.<\/p>

Nach der Anerkennung der DDR durch den Irak am 30. April war ich in die irakische Hauptstadt Bagdad gekommen, um den anwesenden DDR-Au\u00dfenminister Winzer und seinen irakischen Kollegen zu interviewen. Das Visum f\u00fcr den arabischen Staat, der seit 1965 keine diplomatischen Beziehungen zur Bundesrepublik unterh\u00e4lt, bekam ich in Paris. Da ich Luxemburger bin, war das nicht schwierig. Auf Empfehlung franz\u00f6sischer Freunde hatte ich von der Botschaft des Irak in Paris sogar einen Brief mitbekommen, in dem der irakische Au\u00dfenminister um ein Interview gebeten wurde.<\/p>

Am Donnerstag, dem 8. Mai meldete ich mich im DDR-Generalkonsulat in Bagdad, \u00fcber dem stolz die Hammer \u2013 und Zirkelfahne flatterte. Presseattach\u00e9 Walter Prade bewirtete mich freundlich. Er versprach, Herrn Winzer um ein Interview zu bitten und mir die Erlaubnis zu verschaffen, beim gro\u00dfen Empfang in der Residenz des zuk\u00fcnftigen Botschafters fotografieren zu d\u00fcrfen. Doch am n\u00e4chsten Tag klang Prades Stimme gar nicht mehr freundlich: Ich durfte weder Herrn Winzer interviewen noch am Empfang teilnehmen.<\/p>

Dennoch will ich Fotos mit nach Hamburg bringen. Deshalb stelle ich mich am Freitagnachmittag am Ufer des Tigris auf, wo das irakischen Ministerium f\u00fcr Presse und Tourismus eine Bootsfahrt f\u00fcr die DDR-Delegation organisiert hat. Bei diesen Ministerium bin ich offiziell akkreditiert, mit Presseausweis und Fotografier-Erlaubnis.<\/p>

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Irak-Au\u00dfenminister Sheikhly und DDR-Kollege Winzer in Bagdad
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Am Tigris Fotografierverbot auf S\u00e4chsisch<\/strong> <\/p>

Nachdem mir der blonde Sachse das Fotografieren verboten hat, mache ich ihn darauf aufmerksam, da\u00df wir hier im Irak sind und nicht in der DDR. \u201eWir wissen genau, f\u00fcr wen sie arbeiten\u201c, st\u00f6\u00dft der Blonde hervor. \u201eSie kommen niemals aufs Schiff.\u201c<\/p>

\u201eDar\u00fcber m\u00fcssen die Iraker entscheiden\u201c, sage ich. Und das tun sie dann auch. Nachdem sie kurz die K\u00f6pfe zusammengesteckt haben, bem\u00fcht sich Au\u00dfenminister Sheikhly zu mir und bittet mich etwas geniert, das Feld zu r\u00e4umen
Es soll mein einziges Gespr\u00e4ch mit Herrn Sheikhly bleiben. Am n\u00e4chsten Tag klingelt das Telefon in meinem Zimmer im Hotel \u201eBaghdad\u201c: Freunde warten in der Halle auf Sie. Bitte kommen Sie sofort.\u201c<\/p>

In der Halle werde ich von zwei Fremden in die Mitte genommen und in rasendem Tempo in die Zentrale des Sicherheitsdienstes gefahren. Keine Erkl\u00e4rung. Kein Wort, als eine schwere Eisent\u00fcr hinter mir verriegelt wird. Ich mu\u00df mich in einem langen Gang auf einen abgenutzten Gartensessel setzen. Genau gegen\u00fcber auf einer Holzbank sitzen sieben junge M\u00e4nner, die mit einer Maschinenpistole herumspielen. Sie ist stets, wie durch Zufall, auf meinem Bauch gerichtet.<\/p>

Nach 3 Stunden f\u00fchrt mich ein liebensw\u00fcrdig aussehender Herr mit Brille und biederem B\u00e4uchlein in ein B\u00fcro: \u201eSie sind doch Deutscher!\u201c
\u201eNein. Ich bin Luxemburger.\u201c
\u201eUnseren Informationen zufolge sind Sie ein Westdeutscher, der sich mit einem luxemburgischen Pa\u00df die Einreise verschafft hat. Sie haben doch unbedingt die DDR-Delegation fotografieren wollen.\u201c
\u201eJa.\u201c
\u201eNa sehen Sie.\u201c<\/p>

So geht es stundenlang. Andere Beamte kommen hinzu. Der Chef des Sicherheitsdienstes bem\u00fcht sich pers\u00f6nlich. Man will wissen, wen ich gesprochen habe, was ich fotografiert und mir notiert habe. Warum ich nicht eine Sammlung meiner Artikel bei mir habe, um zu beweisen, da\u00df ich ein Freund der Araber sei. Ich solle doch endlich gestehen, da\u00df ich von den Bonner Imperialisten geschickt worden sei, um Zwischenf\u00e4lle zu provozieren.<\/p>

\u201eWer ist Abdullah?\u201c wollen die M\u00e4nner pl\u00f6tzlich wissen.<\/p>

Das ist eine gute Frage f\u00fcr mich und zugleich der Beweis, da\u00df inzwischen mein Hotelzimmer durchsucht worden sein mu\u00df. Wenige Minuten vor meiner Verhaftung n\u00e4mlich hatte ich ein Gespr\u00e4ch mit zwei Vertretern der kommunistischen Partei des Iraks beendet, von denen einer Abdullah hei\u00dft. Sein Name stand auf meinem Notizblock. Zwar ist die Kommunistische Partei im Irak nicht legal und wird nur geduldet. Dennoch handelt es sich um die erkannten Genossen der DDR, und es d\u00fcrfte schwer sein, dieses Informationsgespr\u00e4ch als \u201ereaktion\u00e4ren Kontakt\u201c gegen mich auszuspielen.<\/p>

Ob die Kommunisten gut \u00fcber die Regierung gesprochen h\u00e4tten? Ja, das hatten sie. Sie waren sogar der Meinung, da\u00df die Anerkennung der DDR bald zur Legalisierung ihrer Partei f\u00fchren und einen ideologischen Rutsch des Iraks nach links einleiten w\u00fcrde. Ungehalten waren sich jedoch \u00fcber die Haltung der DDR-Delegation. Sie waren nicht besser behandelt worden als ich: kein Gespr\u00e4ch mit SED-Funktion\u00e4ren, keine Einladungen zum Empfang, nicht einmal Kontakte auf unterer Ebene. Die Genossen aus der DDR hatten sich benommen, als g\u00e4be es keine irakischen Kommunisten. Ihre von Herrn Sorgenicht gef\u00fchrte Parteidelegation verhandelte nur mit der offiziellen Baath-Partei. Mit jener Partei, die bei der ersten Macht\u00fcbernahme 1963 Tausende von Kommunisten abgeschlachtet und alles verfolgt hatte, was sich marxistisch nannte. Noch heute warten zum Tode verurteilte Kommunisten in den Gef\u00e4ngnissen von Mossul und Bagdad auf ihre Hinrichtung. Jetzt sollen sie begnadigt werden. Ein paar hundert Menschenleben als Draufgabe zur Anerkennung der DDR.<\/p>

Diese Anerkennung hat keine wirtschaftlichen Gr\u00fcnde: W\u00e4hrend der prozentuale Anteil der Bundesrepublik am irakischen Importvolumen seit Abbruch der diplomatischen Beziehungen st\u00e4ndig ansteigt, ist der DDR-Anteil r\u00fcckl\u00e4ufig. 1967 zum Beispiel lieferte die Bundesrepublik Waren f\u00fcr 15,5 Millionen Dinar (164 Million DM ) \u2013 die DDR hingegen nur f\u00fcr 0,959 Millionen Dinar (10,74 Mill. DM). Die Bundesrepublik liefert vor allem Maschinen und Chemikalien, die DDR hingegen \u2013 man wird es kaum glauben \u2013 Teppiche.<\/p>

Zwar spricht man in Bagdad \u00fcber eine DDR\u2013Wirtschafts Hilfe von 250 Millionen DM. Aber das ist wenig im Vergleich zu den politischen Kapital, das die regierende Baath-Partei aus der spektakul\u00e4ren Anerkennungsgeste zu ziehen gedenkt. Es geht, wie mir von Verantwortlichen versichert wurde, um einen innerabischen Macht\u2013 und Prestige Kampf, um die F\u00fchrungsrolle im Lager des revolution\u00e4ren Arabismus.<\/p>

Denn seit Nasser die Resolution des Sicherheitsrates der UNO angenommen hat und einen Frieden mit Israel anstrebt, ist der keine treibende Kraft mehr. Auch die syrische Baath-Partei, die Schwesterpartei im Nachbarstadt des Irak, steuert den gem\u00e4\u00dfigten Kurs an.
Unvers\u00f6hnlich und kompromi\u00dflos im Kampf gegen Israel ist nur die pal\u00e4stinensischen Widerstandsbewegung und rei\u00dft die arabischen Massen mit. <\/p>

Auf dieser Welle wollen die Herren des Iraks schwimmen, um die Nachfolge Nassers anzutreten. Dazu geh\u00f6ren in erster Linie ein Zeugnis politischer Unabh\u00e4ngigkeit vom \u201eimperialistischen Lager\u201c und der Beweis, sich vor Sanktionen der Verb\u00fcndeten Israels nicht zu f\u00fcrchten. <\/p>

Die Anerkennung der Israel-feindlichen DDR ist dazu ein ideales Mittel. Denn Sanktionen der Bundesrepublik braucht der Irak kaum zu f\u00fcrchten. \u201eEs ist ein meisterhafter Schachzug\u201c, vertraute mir ein irakischer Funktion\u00e4r an. \u201eDie Herren in Bonn k\u00f6nnen ihr Gesicht wahren. Sie brauchen die diplomatischen Beziehungen nicht abzubrechen \u2013 es gibt keine mehr. Und wirtschaftlich wird man nicht so dumm sein, der DDR das Feld zu \u00fcberlassen.\u201c<\/p>

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Bagdad feiert den 1. Mai und die Anerkennung der DDR
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„Es ist ein meisterhafter Schachzug“<\/strong><\/p>

Das Kreuzverh\u00f6r, dem ich in der Zentrale des irakischen Sicherheitsdienstes ausgesetzt werde, hat sich mittlerweile totgelaufen. Ich verweigere jede weitere Auskunft und verlange, da\u00df mein Empfehlungsschreiben aus Paris, das ich im irakischen Au\u00dfenministerium abgegeben habe, herausgesucht wird. Das wird schlie\u00dflich getan. Um 8.00 Uhr abends bin ich frei.<\/p>

Von jetzt an fragen mich unschuldig aussehende Leute auf der Stra\u00dfe ganz unvermittelt, ob ich Deutscher sei. Junge M\u00e4nner bieten mir Haschisch an. Auf offener Hand. Wenn ich zugreifen w\u00fcrde, k\u00e4me ich f\u00fcr drei Jahre ins Gef\u00e4ngnis. Auch M\u00e4dchen werden offeriert.<\/p>

Die Zuf\u00e4lle, die mich kompromittieren k\u00f6nnen, h\u00e4ufen sich zusehends. Freunde raten mir ernsthaft, nicht mehr allein auf die Stra\u00dfe zu gehen. Als ich am Montag fr\u00fch im Morgengrauen das Hotel verlasse, um zum Flugplatz zu fahren, werde ich vor dem Hoteleingang von einem Taxi frontal angefahren und zu Boden geschleudert. \u201eTut mir leid, keine Bremsen\u201c, sagt der Chauffeur grinsend auf englisch. Er f\u00e4hrt das Taxi, das ich am ersten Tag gemietet hatte, dann aber nicht mehr nahm, weil der Fahrer zu viele indiskrete Fragen stellte.<\/p>

Noch benommen verlange ich, die Polizei solle sofort die Bremsen kontrollieren. Doch dann bringt mich ein anderer Chauffeur zur Besinnung. \u201eSeien Sie froh, da\u00df Sie noch leben\u201c, sagt er. \u201eUnd machen Sie, da\u00df Sie wegkommen.\u201c <\/p>

Drei Tage sp\u00e4ter werden in Bagdad wieder Menschen exekutiert. Dieses Mal sind es zehn M\u00e4nner. Man hatte sie der Spionage f\u00fcr Israel, Persien und die USA angeklagt.<\/p>

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Au\u00dfenminister Winzer mit Frau und Au\u00dfenminister Sheikhly<\/em><\/figcaption><\/figure>

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Stern, Heft 22, 1. Juni 1969 Die Motorradfahrer mit den silbernen Helmen geleiten die amerikanische Limousinen bis ans Ufer des Tigris. DDR-Au\u00dfenminister Winzer, sein irakischer Kollege Sheikhly und ihre Begleiter steigen aus. Bevor sie eine Bootsfahrt auf dem Tigris antreten, posieren sie f\u00fcr die Presse. Au\u00dfer mir sind nur zwei irakische und zwei DDR-Fotografen da. Doch…<\/p>\n","protected":false},"author":2,"featured_media":63409,"parent":54012,"menu_order":22,"comment_status":"closed","ping_status":"closed","template":"","meta":{"_seopress_robots_primary_cat":"","_seopress_titles_title":"","_seopress_titles_desc":"","_seopress_robots_index":"","footnotes":""},"categories":[],"tags":[],"class_list":["post-63405","page","type-page","status-publish","has-post-thumbnail","hentry","entry","has-media"],"_links":{"self":[{"href":"https:\/\/www.troeller-deffarge.com\/wp-json\/wp\/v2\/pages\/63405"}],"collection":[{"href":"https:\/\/www.troeller-deffarge.com\/wp-json\/wp\/v2\/pages"}],"about":[{"href":"https:\/\/www.troeller-deffarge.com\/wp-json\/wp\/v2\/types\/page"}],"author":[{"embeddable":true,"href":"https:\/\/www.troeller-deffarge.com\/wp-json\/wp\/v2\/users\/2"}],"replies":[{"embeddable":true,"href":"https:\/\/www.troeller-deffarge.com\/wp-json\/wp\/v2\/comments?post=63405"}],"version-history":[{"count":5,"href":"https:\/\/www.troeller-deffarge.com\/wp-json\/wp\/v2\/pages\/63405\/revisions"}],"predecessor-version":[{"id":65143,"href":"https:\/\/www.troeller-deffarge.com\/wp-json\/wp\/v2\/pages\/63405\/revisions\/65143"}],"up":[{"embeddable":true,"href":"https:\/\/www.troeller-deffarge.com\/wp-json\/wp\/v2\/pages\/54012"}],"wp:featuredmedia":[{"embeddable":true,"href":"https:\/\/www.troeller-deffarge.com\/wp-json\/wp\/v2\/media\/63409"}],"wp:attachment":[{"href":"https:\/\/www.troeller-deffarge.com\/wp-json\/wp\/v2\/media?parent=63405"}],"wp:term":[{"taxonomy":"category","embeddable":true,"href":"https:\/\/www.troeller-deffarge.com\/wp-json\/wp\/v2\/categories?post=63405"},{"taxonomy":"post_tag","embeddable":true,"href":"https:\/\/www.troeller-deffarge.com\/wp-json\/wp\/v2\/tags?post=63405"}],"curies":[{"name":"wp","href":"https:\/\/api.w.org\/{rel}","templated":true}]}}