{"id":63586,"date":"2020-10-10T23:27:34","date_gmt":"2020-10-10T21:27:34","guid":{"rendered":"http:\/\/www.troeller-deffarge.com\/?page_id=63586"},"modified":"2022-08-03T15:12:40","modified_gmt":"2022-08-03T13:12:40","slug":"suendenbabel-fuer-touristen","status":"publish","type":"page","link":"https:\/\/www.troeller-deffarge.com\/zeitungsreportagen\/1-die-frauen-dieser-welt\/suendenbabel-fuer-touristen\/","title":{"rendered":"S\u00fcndenbabel f\u00fcr Touristen (Thailand)"},"content":{"rendered":"
Stern, Heft 28, 10. Juli 1966<\/em><\/p> Von ihrer Reise um die Welt berichten Gordian Troeller und Claude Deffarge \u00fcber das Los der Frauen in aller Herren L\u00e4nder. Wie sie leben \u2013 wie sie lieben \u2013 wie sie leiden. Der STERN ver\u00f6ffentlichte bereits mehr als 20 dieser Reportagen \u2013 aus Amerika, Afrika, dem Orient und Indien. Jetzt setzen Gordian Troeller und Claude Deffarge ihre Erfolgsserie mit Berichten aus dem fernen Osten fort. In Thailand erfuhren sie: Der Kampf der Geschlechter findet nicht statt. Die Frau bettelt nicht um Rechte. Sie k\u00e4mpft um materiellen Erfolg. Die Gleichberechtigung steckt im Geldbeutel.<\/strong><\/p> Das Wasser reicht mir bis zum Knie. Die Badewanne ist halb voll, und ein M\u00e4dchen mit mandelf\u00f6rmigen Augen w\u00e4scht mir gewissenhaft Schwei\u00df und Schmutz vom Leib. Mit Vitamin-C-Seife \u2013 so wenigstens stand es auf der kleinen Reklamekarte geschrieben, die mir am Flugplatz von Bangkok in die Hand gedr\u00fcckt worden war. Bevor ich mein Hotelzimmer erreichen konnte, hatte ich gewi\u00df ein halbes Dutzend dieser K\u00e4rtchen in der Tasche. \u201eDie h\u00fcbschesten M\u00e4dchen der Stadt stehen zu ihren Diensten\u201c, hie\u00df es da. \u201eBesuchen Sie unser t\u00fcrkisches Bad mit japanischer Massage. Vitamin-C-Seife macht Sie gesund.\u201c<\/p> Da es sich um eine respektable, von Polizei und Sittenh\u00fctern geduldete Einrichtung handelt, z\u00f6gerte ich nicht, mich den s\u00e4ubernden H\u00e4nden sch\u00f6ner Frauen anzuvertrauen. Neben den Taxigirls, den Opiumh\u00f6hlen, dem schwimmenden Markt und dem Flohmarkt der Diebe locken diese B\u00e4der die Touristen aller L\u00e4nder in die thail\u00e4ndische Hauptstadt.<\/p> Da stehe ich nun also, sozusagen im Vorzimmer des thail\u00e4ndischen Paradieses. Der alte Freud hatte recht: Wer von uns tr\u00e4umt nicht davon, wieder einmal Kinder zu sein? Besch\u00fctztes und umhegtes Objekt z\u00e4rtlicher Pflege. \u2013 Ich jedenfalls f\u00fchle mich wie ein Baby, das von seiner Mutter in der Badewanne herumgeschaukelt wird. Es ist eine Wonne, wieder klein und hilflos zu werden. Vorausgesetzt, ich halte die Augen geschlossen. Sobald ich die Wimpern nur ein wenig hebe, kommt die europ\u00e4ische Scham wieder durch. Dieses M\u00e4dchen ist so h\u00fcbsch. Von Mutter kann beim besten Willen nicht die Rede sein. Ich sehe eher wie ihr Vater aus.<\/p>