{"id":56935,"date":"2018-01-03T17:51:33","date_gmt":"2018-01-03T16:51:33","guid":{"rendered":"http:\/\/www.troeller-deffarge.com\/?p=56851"},"modified":"2018-01-03T17:51:33","modified_gmt":"2018-01-03T16:51:33","slug":"ein-schah-drei-kaiserinnen-und-was-dahintersteckt-iii-2","status":"publish","type":"post","link":"https:\/\/www.troeller-deffarge.com\/ein-schah-drei-kaiserinnen-und-was-dahintersteckt-iii-2\/","title":{"rendered":"Ein Schah drei Kaiserinnen \u2013 und was dahintersteckt III"},"content":{"rendered":"
Stern, Heft 45, 5. November 1960<\/i><\/span><\/p>\n Persien ist nicht der Schah. Persien ist nicht das \u00d6l. Persien ist auch nicht Teheran und noch weniger \u201eTausendundeine Nacht\u201c. Persien, das sind f\u00fcnfzehn Millionen Bauern in Not, eine Million Nomaden in Lumpen, drei Millionen St\u00e4dter im Elend \u2013 und vielleicht eine Million Menschen, die satt werden. Persien ist auch eine der hei\u00dfesten Fronten des Kalten Krieges. Ein Land, in dem sich die Zukunft Asiens entscheiden wird und in dem Russland die Armut zum Verb\u00fcndeten hat und der Westen die Korruption.<\/span><\/strong><\/p>\n Was der Schah nicht gerne h\u00f6rt<\/span><\/strong><\/p>\n Er stand am Stra\u00dfenrand und weinte. Der dicke Staub, den unser Wagen aufwirbelte, flog ihm ins Gesicht und vermischt sich mit seinen Tr\u00e4nen. Aber er sch\u00fctzte sich nicht. Die H\u00e4nde blieben wie leblos auf den Stock gest\u00fctzt, den er vor sich die Erde gebohrt hatte. Er stand da, das weit offener Gesicht zum Himmel erhoben, als wollte er Gott seine Tr\u00e4nen zeigen. Das ist die Geschichte von Ali, Hossein und Fatima, von drei Menschen, die die heiligsten Namen der mohammedanischen Religion tragen. Und wenn sie mir hier in dieser wundervollen Nacht, unter dem Sternenhimmel des S\u00fcdens unglaublich erscheint, so wei\u00df ich doch, da\u00df es sich nicht um ein ausgefallenes Einzelschicksal handelt, sondern um das Schicksal der meisten Bauern Persiens. Karim schaut mich traurig an. Ein geheimer Stolz gl\u00fcht aus seinen Augen, als er sagt: \u201eWir konnten es nicht mehr aushalten. Keiner hatte mehr Angst ums eigene Leben. Wir t\u00f6teten sie alle. Die Gendarmen, den Verwalter, den Sohn des Besitzers und seine Frau. Als wir fertig waren, konnte man sie nicht wiedererkennen. Jeder von uns steckte seine Hand in ihrBlut, um es unseren Frauen zu zeigen.\u201c Wir wollen Kommunisten sein<\/b><\/span><\/p>\n Tr\u00f6dler kommen zu ihnen, und Lastwagen haben die Karawanen abgel\u00f6st. Die Chauffeure sind aus Teheran und erz\u00e4hlen, was anderswo los ist. Es ist kein Geheimnis, da\u00df die meisten von ihnen Kommunisten sind. Agenten der verbotenen Tudeh-Partei, die hier, wie man es fr\u00fcher auch in China machte, ihre Propaganda nicht auf die noch unentwickelte Industrie, sondern auf die Bauern konzentrieren. Sowjetische Mekkapilger als rote Mannequins<\/b><\/span><\/p>\n \u201eUnsere Religion ist ein Bollwerk gegen den Kommunismus\u201c, sagte man uns in Teheran. \u201eUnd im \u00fcbrigen sind die Bauern an der Macht beteiligt wie jeder andere: Wir sind eine Demokratie mit allgemeinen Wahlrecht.\u201c Wer Bauer befreien will, gilt als Verr\u00e4ter<\/b><\/span><\/p>\n Sein Experiment begann 1952. Zu jener Zeit produzierte sein Dorf nicht mehr als irgendein Nachbardorf gleicher Gr\u00f6\u00dfe. Drei Jahre sp\u00e4ter besuchten wir ihn wieder. Jetzt war der Ertrag seines Dorfes mit 110 Familien fast doppelt so gro\u00df wie der Gesamtertrag von zehn Nachbard\u00f6rfern, in denen 650 Familien nach herk\u00f6mmlicher Art lebten und jeder\u00a0 <\/span>Bauer nicht mehr als f\u00fcnfundzwanzig oder drei\u00dfig Prozent der Ernte erh\u00e4lt. Die Erkl\u00e4rung? Die Reichen nicht, da\u00df sie sich selber vernichten<\/b><\/span><\/p>\n Nat\u00fcrlich werden sich die Armen durch dieses Beispiel brutal ihrer Lage bewu\u00dft. Sie tr\u00e4umen von besserem Leben und weniger harten Herren. Aber ist nicht gerade dieses Beispiel die einzig m\u00f6gliche Antwort auf die schleichende Revolte, die den verschuldeten Bauern unweigerlich in die Arme des Kommunismus treibt? Ist es nicht auch dieses Beispiel, das man nachahmen und unterst\u00fctzen sollte, in allen Teilen der Erde, die wir Entwicklungsl\u00e4nder nennen? Wir wollen nicht gekauft werden<\/b><\/span><\/p>\n \u201eWarum k\u00f6nnen wir da nicht mitmachen?\u201c In n\u00e4chsten Heft:<\/span><\/p>\n Zwei Pfeifen Opium<\/b><\/span><\/p>\n","protected":false},"excerpt":{"rendered":" Stern, Heft 45, 5. November 1960 Persien ist nicht der Schah. Persien ist nicht das \u00d6l. Persien ist auch nicht Teheran und noch weniger \u201eTausendundeine Nacht\u201c. Persien, das sind f\u00fcnfzehn Millionen Bauern in Not, eine Million Nomaden in Lumpen, drei Millionen St\u00e4dter im Elend \u2013 und vielleicht eine Million Menschen, die satt werden. 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\nWir steigen aus.
\n<\/span>\u201eAllah schickt euch\u201c, sagt der Mann. \u201eSeit drei Tagen ist niemand hier vorbeigekommen.\u201c
\n<\/span>\u201e Wasser?\u201c frage ich.
\n<\/span>\u201eNein, wir haben Wasser. Nicht weit von hier ist eine Quelle. Aber essen \u2013 bitte essen.\u201c
\n<\/span>Marie-Claude hat schon den Proviantkoffer herausgenommen, den wir auf diesen gro\u00dfen Fahrten immer mithaben und \u00f6ffnet einige Konserven.
\n<\/span>\u201eLangsam\u201c, ermahne ich sie, \u201egib ihnen nicht zu viel. Die sind am Verhungern.\u201c
\n<\/span>Nur widerstrebend l\u00e4\u00dft die Frau den Stein los. Der Mann zieht sie zu uns her\u00fcber und nun sitzen sie beide auf der Erde und essen. Er hei\u00dft Hossein, sie hei\u00dft Fatima.
\n<\/span>Sie sind die ersten Menschen, die wir seit heute morgen getroffen haben. Jetzt ist es f\u00fcnf Uhr nachmittags. Wir sind in einer der wildesten Gegenden Persiens, in Laristan zwischen B\u00e4nder Abbas und Lar, nicht weit vom Persischen Golf. Hier kommt nur einmal in der Woche ein Postauto vorbei, manchmal eine Karawane. Auch gestern hatten wir nur einen Mann getroffen, der uns um Zucker und Streichh\u00f6lzer gebeten hatte.
\n<\/span>Nachdem unsere neuen Bekannten ihren ersten Hunger gestillt haben, fragen wir sie, wo sie hin wollen.
\n<\/span>\u201eNach Tschadrun\u201c antwortet Hossein.
\n<\/span>\u201eDa sind wir nicht vor morgen abend.
\n<\/span>\u201eWir sind schon drei Wochen unterwegs\u201c, sagt er, und sein von Hunger und Sonne ausgetrocknetes Gesicht verzieht sich zu einem schmerzhaften L\u00e4cheln. \u201eK\u00f6nnen Sie schreiben?\u201c fragt er mich nach kurzer \u00dcberlegung.
\n<\/span>\u201eAber nur mit lateinischen Buchstaben.\u201c
\n<\/span>\u201eDas macht nichts. Bitte schreiben Sie auf diesen SteinAli Ahmadi.\u201c
\n<\/span>Ich nehme Hammer und Schraubenzieher aus unserer Werkzeugkiste und mei\u00dfle den Namen so gut ich kann an den gro\u00dfen runden Stein. Unsere beiden Begleiter schauen stumm zu. Als ich fertig bin, f\u00e4hrt Fatima z\u00e4rtlich mit dem Finger \u00fcber den Namen von rechts nach links, wie die Perser schreiben.
\n<\/span>Wir brechen auf. Zwei Tage lang sind Hossein und Fatima unsere Begleiter. Dieses ist ihre Geschichte:
\n<\/span>Sie waren Bauern gewesen, in Ahmadabad, einem Dorf s\u00fcdwestlich von Kerman. Dort hatten sie ihr ganzes Leben lang gearbeitet, wie ihre Eltern vor ihnen. Ihr genaues Alter kann sie nicht. Er war ungef\u00e4hr f\u00fcnfundvierzig. Sie vielleicht drei\u00dfig.
\n<\/span>Wie in den meisten D\u00f6rfern Persiens erhielten sie drei\u00dfig Prozent der Ernte, die sie selbst einbrachten. Die \u00fcbrigen siebzig Prozent gingen an den Gro\u00dfgrundbesitzern, der in der Stadt wohnte und seinen Anteil von einem Verwalter eintreiben lie\u00df. Wenn das Jahr gut war, kamen Hossein und Fatima mit ihren drei\u00dfig Prozent aus. Meistens reicht das jedoch nur f\u00fcr neun oder zehn Monate aus. Dann mu\u00dften sie den Besitzer ihres Dorfes um zus\u00e4tzliches Korn bitten, denn sonst h\u00e4tten sie nicht bis zur n\u00e4chsten Ernte durchhalten k\u00f6nnen.
\n<\/span>Der gesetzliche Zins auf landwirtschaftliche Darlehen betr\u00e4gt in Persien zw\u00f6lf Prozent. Ihr Grundbesitzer verlangt drei\u00dfig Prozent vierzig Prozent und zog sie jedesmal von der n\u00e4chsten Ernte ab, zusammen mit dem Korn, das er Ihnen geliehen hatte. So wurde ihr Anteil jedes Jahr geringer. Bis eines Tages die Darlehen und Zinsen gr\u00f6\u00dfer waren und ihnen nichts mehr zustand. Von jetzt an bebauten sie die Erde nur noch zum Abarbeiten ihrer Schuld, die jedes Jahr gr\u00f6\u00dfer wurde.
\n<\/span>Der Besitzer schleppte sie vor einem Notar, vor den sie unterschreiben mussten, das Land nicht zu verlassen, bevor sie ihre Schuld get\u00e4tigt hat. Wie h\u00e4tten sie das hier machen k\u00f6nnen? Sie wurden Sklaven. Eigentum des Gro\u00dfgrundbesitzers \u2014 wie alle Bauern des Dorfes.
\n<\/span>\u201eH\u00f6ren Sie\u201c, sagte Hossein, als wir am Abend Halt gemacht hatten.
\n<\/span>\u201eWenn wir von dem Besitzer Korn leihen mu\u00dften, dann war es immer viele Monate nach der Ernte, wenn die Preise hoch waren. Er berechnete es in Geld, nicht in Kilos. Als dann im folgenden Jahr zur Zeit der Ernte das Korn nur die H\u00e4lfte kostete, mu\u00dften wir ihm also doppelt so viel Gewicht geben wie er uns geliehen hatte. Dazu kamen nat\u00fcrlich die Zinsen.\u201c
\n<\/span>Seine ausgebrannten Augen bohren sich in meine: \u201eGlauben Sie, das ist gerecht?\u201c
\n<\/span>Fatima und Hossein mu\u00dften nicht nur sich ern\u00e4hren. Sie hatten, wie fast alle Bauern, einige Tiere, die nicht dem Gro\u00dfgrundbesitzer geh\u00f6rten, sondern ihnen. Zwei Schafe, eine Ziege und einen Esel. Sp\u00e4ter wurde ihnen auch ein Kind geboren. Ali, ein Sohn. Er war zehn Jahre alt, als sie Ahmadabad verlie\u00dfen.
\n<\/span>\u201eDas war so\u201c, erz\u00e4hlt Hossein. \u201eIch hatte Malaria und konnte dieses Jahr nur wenig tun. Fatima und Ali arbeiteten so viel sie konnten. Aber das gen\u00fcgte nicht. Der Verwalter war nicht zufrieden.\u201c
\n<\/span>\u201aDu kannst\u00a0 <\/span>Ahmadabad verlassen\u2018, sagte er mir, \u201awenn du deine Habe verkaufst und mir das Geld gibst. Das deckt zwar nicht deine Schuld, aber es soll gen\u00fcgen.\u2018 Er wollte einen gesunden Mann in mein Haus setzen. Ich mu\u00dfte annehmen, sonst h\u00e4tte er mich vor von den Gendarmen wegjagen lassen.\u201c
\n<\/span>So entschlossen sie sich, ihre Habe in Bargeld umzusetzen. Au\u00dfer den Tieren war ja nicht viel zu verkaufen: zwei Teppiche, auf denen sie schliefen und die Fatima selber gekn\u00fcpft hatte, ein kleiner Gebetsteppich, einige Sch\u00fcsseln und Teller und ein paar Schuhe, die Hossein geh\u00f6rten. Durchreisende Tr\u00f6dler Namen es Ihnen ab. Sie behielten einen Teppich und einige T\u00fccher, um unterwegs schlafen zu k\u00f6nnen.
\n<\/span>Alles was sie besa\u00dfen, brachten 800 Tomans ein (330 Mark). Davon gaben sie die H\u00e4lfte dem Verwalter und machten sich mit 165 Mark auf den Weg.
\n<\/span>Sie verlie\u00dfen Ahmadabad bei Nacht. Sie hatten Angst, der Verwalter w\u00fcrde sie durchsuchen lassen, um das restliche Geld einzustecken. Hossein trug den zusammengerollten Teppich mit den T\u00fcchern. Fatima hatte ein kleines B\u00fcndel mit Brot und Schafsk\u00e4se. Ali ging voran. Er trug eine Ziegenhaut mit Wasser.
\n<\/span>Sie hatten sich entschlossen, nach B\u00e4nder Abbas am Persischen Golf zu gehen und wollten von dort versuchen, mit einem Schiff nach Kuwait oder Bahrain zu kommen. Da gab es Arbeit in den \u00d6lfeldern und freie Krankenpflege. Sie hatten geh\u00f6rt, da\u00df viele Perser dorthin gewandert w\u00e4ren und gut verdienten. Nach zwei Wochen kamen sie in B\u00e4nder Abbas an. Als sie am Hafen standen und die kleinen Schiffe betrachteten, die nach Saudi-Arabien und Bahrain fahren, kam ein Polizist und fragte:
\n<\/span>\u201eWo seid ihr zu Hause?\u201c
\n<\/span>\u201eAhmadabad.\u201c
\n<\/span>\u201eWas wollt ihr hier?\u201c
\n<\/span>\u201eNach Bahrain fahren.\u201c
\n<\/span>Sie wu\u00dften nicht, da\u00df\u00a0<\/span>sie P\u00e4sse brauchten und eine Sondergenehmigung, um Persien verlassen zu k\u00f6nnen.
\n<\/span>\u201eIhr kommt ins Gef\u00e4ngnis\u201c, sagte der Polizist. \u201eSp\u00e4ter werdet ihr nach Ahmadabad zur\u00fcckgeschickt.\u201c
\n<\/span>Fatima weinte. Hossein protestierte. Er sagte, da\u00df sie nicht heimlich auf ein Schiff wollten, sondern bezahlen.
\n<\/span>\u201eWie viel Geld hast du?\u201c
\n<\/span>Der Polizist blickte sich um und sagte: \u201eKomm mit.\u201c
\n<\/span>Er f\u00fchrte sie in ein kleines Haus am Strand und stie\u00df sie in ein Zimmer<\/span>\u201eGib die 250 Tomans her!\u201c
\n<\/span>Hossein protestierte. Fatima mischte sich ein und wollte ihre Lage erkl\u00e4ren. Der Polizist h\u00f6rte nicht hin. Er nahm Hossein bei der Gurgel und sch\u00fcttelte ihn:
\n<\/span>\u201eHalt\u2019s Maul!\u201c schrie er. \u201eF\u00fcr das, was ihr gemacht habt, kommen andere Leute ins Gef\u00e4ngnis. Wollt ihr eingelocht werden, oder willst du mir das Geld geben?\u201c
\n<\/span>\u201eIhr habt bezahlt?\u201c will ich wissen.
\n<\/span>\u201e Ja, ich gab ihm das Geld\u201c, sagt Hossein. \u201eWas h\u00e4tte ich machen sollen. Ich kenne Polizisten. Als er das Geld hatte jagte er Ali und mich aus dem Zimmer.\u201c
\n<\/span>Hossein h\u00e4lt pl\u00f6tzlich in seiner Erz\u00e4hlung inne und f\u00e4hrt sich m\u00fcde mit der Hand \u00fcber die Augen. Im Scheine unserer Petroleumlampe sieht sein Gesicht wie eine Totenmaske aus.
\n<\/span>\u201eWas geschah?\u201c fragte ich.
\n<\/span>Er antwortet nicht. Fatima springt schnell hoch und verliert sich im Dunkeln. Hossein neigt seinen Kopf zur Seite, bis ihre Schritte verklungen sind. Dann steht auch er auf und geht ihr langsam nach. Wir sitzen schweigend da. Marie-Claude holt unsere Schlafs\u00e4cke aus dem Wagen, und jeder sucht sich einen Platz f\u00fcr die Nacht.
\n<\/span>Ich finde keinen Schlaf. Ich mu\u00df an Fatima und Hossein denken, die hier irgendwo in der Nacht hinter einem Stein hocken und wohl auch nicht schlafen k\u00f6nnen. Das Ende ihrer Geschichte kenne ich. Sie hatten es schon w\u00e4hrend der Fahrt erz\u00e4hlt, denn man schreit zun\u00e4chst immer das aus sich heraus, was am unertr\u00e4glichen ist:
\n<\/span>Als sie ohne Geld drei Tagesm\u00e4rsche von Bander Abbas entfernt waren, fing ihr Sohn an zu fiebern. Sie wu\u00dften nicht, was er hatte. Bald konnte er nicht mehr gehen. Hossein trug ihn zun\u00e4chst. Aber sie hatten nur noch wenig zu essen. Sie waren alle zu schwach, um weiterzugehen. Und sie wollten doch bis Tscharun kommen, wo Arbeitskr\u00e4fte f\u00fcr die Apfelsinenernte gebraucht wurden. <\/span>Auch sie waren dem Mann begegnet, der uns um Zucker gebeten hatte. Er gab ihnen einige Kr\u00e4uter, aber es half nichts. In der Nacht vor unserer Ankunft war Ali gestorben Hossein hatte Wasser herbeigeschafft, um ihn zu waschen, wie es seine Religion verlangt. Dann hatten sie ihn begraben.<\/span><\/p>\n
\n<\/span>Sie leben wie Hossein und Fatima. Auch ihr Anteil an der Ernte betr\u00e4gt drei\u00dfig, oft sogar nur f\u00fcnfundzwanzig Prozent. Viele sind hoffnungslos verschuldet, weil der Ertrag selten ausreicht, sie ein ganzes Jahr lang zu ern\u00e4hren.
\n<\/span>Persien lebt nicht vom \u00d6l, wie immer wieder angenommen wird. Dieses \u00d6l hat s\u00e4mtliche politischen und sozialen Probleme in ein falsches Licht ger\u00fcckt, weil es die Aufmerksamkeit der Welt auf sich gezogen hat. Persien lebt von seiner Landwirtschaft. F\u00fcnfzehn von den zwanzig Millionen Persern sind Bauern. Ihr Jahreseinkommen betr\u00e4gt rund 7000 Tomans (400 Mark). Einige tausend Herren besitzen das Land, das diese f\u00fcnfzehn Millionen bebauen. Sie leben meistens in den St\u00e4dten und machen Gesch\u00e4fte.
\n<\/span>Auf den D\u00f6rfern gibt es selten Schulen, noch seltener Krankenh\u00e4user oder \u00c4rzte. Jedes zweite Kind stirbt an W\u00fcrmern, Darmkrankheiten oder Unterern\u00e4hrung. Der Gendarm ist kein Besch\u00fctzer. Er verlangt Bezahlung und lebt von den Bauern.
\n<\/span>Persiens in ihrer rauhen H\u00e4nde nehmen. \u2013 Was dann passiert, kann sich jeder vorstellen.
\n<\/span>Kleine Kostproben davon hat es schon gegeben. Karim, ein Bauer aus dem S\u00fcdosten Persiens, erz\u00e4hlte uns, wie Revolutionen entstehen k\u00f6nnen:
\n<\/span>Eines Abends \u2013 es war Herbst, und sie hatten nicht viel zu tun \u2013 sa\u00df er mit einigen Freunden vor seinem Haus. Irgendwo br\u00fcllte das Radio. Sie h\u00f6rten nicht richtig hin. Viel interessanter schien ihnen die Handlung des Filmes zu sein, denn einer von ihnen vor einigen Tagen in der Stadt gesehen hatte.
\n<\/span>Aber pl\u00f6tzlich horchten sie auf. Im Radio sprach man von ihnen, von den Bauern. Der Schah sagte: \u201eIm Grunde geh\u00f6rt das Land denen, die es bebauen\u201c, oder etwas \u00c4hnliches. Sie schauten sich erschrocken an. Was sollte das hei\u00dfen? Sie konnte nicht wissen, da\u00df es sich um eine der vielen leeren Propagandareden handelte, mit denen Teheran versucht, die wachsende Unruhe der Landbev\u00f6lkerung zu beschwichtigen. Und pl\u00f6tzlich glaubten sie, was sie h\u00f6rten. Sie glaubten ihrem innigsten Wunsch. Von allen Seiten rannten sie zusammen.
\n<\/span>\u201eHabt ihr\u2019s geh\u00f6rt\u201c, rief einer, \u201edas Land geh\u00f6rt uns.\u201c
\n<\/span>\u201eJa, er hat es wirklich gesagt\u201c, riefen andere. \u201eDer Schah selber hat es gesagt. Wir haben\u2019s geh\u00f6rt.\u201c
\n<\/span>\u201eKomm, la\u00df uns mit ihnen gehen\u201c, sagte der Mann, der aus der Stadt kam und den Film gesehen hatte, und er f\u00fchrte Karin in die Mitte der Menge. Sie w\u00e4lzte sich jetzt zum Hause des Verwalters. Sie rief ihn heraus und verk\u00fcndigten ihm die kaiserliche Botschaft. Er lachte nur und sagte, sie sollten sich nach Haus scheren.
\n<\/span>Aber wir haben es geh\u00f6rt. Alle. Auch Manischer der Dorf\u00e4lteste\u201c, riefen sie. \u201eLa\u00df uns dar\u00fcber sprechen.\u201c
\n<\/span>Immer mehr Bauern dr\u00e4ngten sich vor dem gro\u00dfen Haus. Auch die beiden im Dorf stationierten Gendarmen waren von dem L\u00e4rm angezogen worden. Sie stellten sich neben den Verwalter und entsicherten ihre Gewehre. Der ging einen Schritt vor, schlug denam n\u00e4chsten stehenden Bauern mit einem Stock nieder und schrie:
\n<\/span>\u201eGeht sofort alle nach Hause, oder ihr krepiert alle!\u201c
\n<\/span>Die Sauen Daumen stie\u00dfen mit ihren Gewehrkolben zu. Ein anderer Mann lag am Boden und blutete.
\n<\/span>\u201eWir wurden zornig\u201c, erz\u00e4hlte Karin. \u201eWir die Gendarmen, gegen die Verwalter. Wir verfluchten den Schah und den Besitzer unseres Dorfes. Und pl\u00f6tzlich schrie einer: \u201eMossadeq. Wir wollen Mossadeq!\u201c
\n<\/span>Es war das einzige Symbol des Widerstandes, da\u00df ihnen einfiel.Alle stimmten ein.
\n<\/span>Da fielen die ersten Bauern unter den Sch\u00fcssen Gendamem. Auch aus dem Haus scho\u00df der Sohn des Besitzers mit einem Jagdgewehr. Sechs Bauern lagen jetzt am Boden.<\/span><\/p>\n
\n<\/span>\u201eWarum?\u201c
\n<\/span>Er schaut mich verst\u00e4ndnislos an.
\n<\/span>\u201eWarum, willst du wissen. Wei\u00dft du denn nicht, was sie t\u00e4glich mit uns tun?\u201c
\n<\/span>Am n\u00e4chsten Tag kamen die Gendarmen aus der Stadt und nahmen die M\u00e4nner mit. Auch Karin wurde abgef\u00fchrt. Er blieb zwei Jahre im Gef\u00e4ngnis. Acht Bauern kamen wieder nach Hause.
\n<\/span>\u201eWas haben sie mit dir gemacht?
\n<\/span>\u201eSie haben mich geschlagen. Dann wollten sie wissen, ob ich russisch spreche oder arabisch. Sie fragten, wer im Dorfe die kommunistischen und \u00e4gyptischem Sender h\u00f6rte. Als ich ihnen sagte, wir h\u00e4tten eine Rede unseres Schah geh\u00f6rt, schlugen sie mich nieder.\u201c
\n<\/span>Wenn man in Teheran von den Bauern spricht, schauen die Herren einen mi\u00dftrauisch an. Es geh\u00f6rt zum schlechten Ton, genau wie es in Rus\u00dfland vor der Revolution unschicklich war, \u00fcber die Muschiks zu sprechen.
\n<\/span>\u201eDas m\u00fc\u00dft ihr uns \u00fcberlassen\u201c, sagten sie, \u201ewir wissen, wie man mit ihnen umgehen mu\u00df. Analphabeten erzieht man mit dem Kn\u00fcppel.\u201c
\n<\/span>Wenn man ihnen dann sagt, da\u00df die Bauern unruhig w\u00fcrden, weil sie sich ihrer Lage bewu\u00dft sein, dann werden sie b\u00f6se:
\n<\/span>\u201eIhr m\u00fc\u00dft hoffnungslos pervers sein oder Kommunisten, sonst w\u00fcrde dir mit diesem stinkenden Pack gar nicht reden.\u201c
\n<\/span>Wenn sie von sich aus schlie\u00dfen, haben sie recht, denn sie tun es nie. Ich habe kaum einen Perser der guten Gesellschaft getroffen, der sein Land kennt. Reisen bedeutet f\u00fcr sie Europa oder Amerika, eventuell noch Beirut im Libanon, wo es mehr Nachtlokale pro Quadratkilometer gibt\u00a0 <\/span>als irgendwo sonst in der Welt. Das k\u00f6nnen Sie nat\u00fcrlich nicht finden, auch in keiner der persischen steht au\u00dfer in Tehran.
\n<\/span>Wenn man ausl\u00e4ndische Diplomaten in Tehran nach ihrer Meinung \u00fcber das Problem der Bauern ragt, erh\u00e4lt man die Antwort, die man sich weiterreicht, seit Gobineau dort franz\u00f6sische Botschafter war.
\n<\/span>\u201ePersien ist ein armes Land. Die Bauern leben seit Jahrhunderten so. Warum sollte sich das \u00e4ndern?\u201c
\n<\/span>Zun\u00e4chst ist Persien laut UNO-Berichten eines der reichsten L\u00e4nder \u00fcberhaupt. Und dann hat sich etwas Entscheidendes ge\u00e4ndert: Die Welt ist kleiner geworden. Ein persisches Dorf ist heute nicht mehr eine v\u00f6llig isoliert der Gemeinschaft von Menschen, deren einziger Kontakt mit der Umwelt der Grundbesitzer oder der Verwalter ist. Mit dem Radio ist die ganze Welt in Ihr Leben geplatzt und hat den herk\u00f6mmlichen Rahmen gesprengt. Es gibt keine Ruhe mehr, denn jetzt k\u00f6nnen sie vergleichen: ihr Schicksal mit dem der anderen.<\/span><\/p>\n
\n<\/span>Auch der russische Sender in persischer Sprache wird von allen geh\u00f6rt. In den meisten D\u00f6rfern gibt es ein oder zwei Radios, die Teeh\u00e4usern stehen, wo Chauffeure und Reisende Halt machen. Als wir vor einigen Jahren durch Persien reisten, Mann war los Musik. Heute warten die Bauern, bis Radio Melli (der russische Sender) spricht. Und wer steht. Dann drehen sie auf und werden still.
\n<\/span>Fr\u00fcher gab es nur eins, was die meisten Perser zur gleichen Zeit Taten: beten. Heute wird viel weniger gebetet. Daf\u00fcr h\u00f6ren Millionen zur gleichen Zeit die gleichen Nachrichten.
\n<\/span>Das hat sich in Persien ge\u00e4ndert. Die Bauern sitzen nicht mehr um einen Derwisch herum, der Gedichte \u00fcber die Gr\u00f6\u00dfe Persiens vortr\u00e4gt oder den Koran erkl\u00e4rt. Sie lauschen mit leerem Magen einer anonymen Stimme, die von Hunger spricht, von ihrem Hunger und Menschen daf\u00fcr verantwortlich macht, nicht die Vorsehung oder den Teufel, sondern M\u00e4nner, die man mit Namen nennt und die in Teheran wohnen: Prinzen, Generale, Minister, den Kaiser.
\n<\/span>Wir haben systematisch siebzehn D\u00f6rfer besucht, um die Bauern nach ihrer politischen Meinung zu befragen. \u2013 Sie zeigten uns ihre \u00e4rmliche Lehmh\u00fctten, fensterlose St\u00e4lle, in denen Schafe, H\u00fchner, Kinder und Erwachsene zusammenleben und auf der Erde schlafen. Sie zeigten uns die Kuhfladen, die in der Sonne trocknen, um als Brennmaterial zum Kochen und Heizen benutzt zu werden.
\n<\/span>\u201eUnd das in einem Land, wo mehr \u00d6l als Wasser flie\u00dft\u201c, sagten sie.
\n<\/span>Sie zeigten ihre Kinder, die krank und elend aussahen. Und die meisten sprachen wie Ghodrath, der Dorf\u00e4lteste aus Nourabad.
\n<\/span>\u201e, Allah will, da\u00df die Menschen gleich sind\u201c, sagt er, \u201edeshalb wollen wir Kommunisten werden.\u201c
\n<\/span>\u201eKommunisten?\u201c
\n<\/span>\u201eJa, Herr, richtige Kommunisten, wie die da dr\u00fcben.\u201c Seine Hand zeigt stolz nach Norden, wo zw\u00f6lfhundert Kilometer russischen Grenze auf Persien dr\u00fccken. \u201eDort sind sie alle gleich.\u201c
\n<\/span>\u201eGenauso gleich wie die Stein eines Weges, \u00fcber den eine Dampfwalze gefahren ist\u201c, sage ich. \u201eAber warum wollt ihr es werden? Kommunist ist man, oder man ist es nicht.\u201c
\n<\/span>Er sch\u00fcttelt den Kopf. \u201eNein Herr, wir sind ja nicht gleich. Wir wollen es erst werden.\u201c
\n<\/span>Ich erkl\u00e4re ihm, da\u00df der Kommunismus eine politische Wahl ist und krame alle Argumente heraus, die im Westen gel\u00e4ufig sind. Ich spreche von Recht, von Freiheit und W\u00fcrde.
\n<\/span>Er h\u00f6rt geduldig zu. \u201eAgadschun, mein lieber Herr\u201c, sagt er dann, als spreche er zu einem Kind, das noch nichts vom Ernst des Lebens versteht. \u201eAgadschun, wir haben kein Recht, keine Freiheit, keine W\u00fcrde. Wir haben sie nie gekannt. Darum k\u00f6nnen wir sie nicht verteidigen. Unser Kampf beschr\u00e4nkt sich auf das t\u00e4gliche Brot. Es geht nur um dieses. Deshalb kann unser Gedanke nur einer sein: keinen Hunger mehr zu haben.\u201c
\n<\/span>Und wieder zeigt seine Hand nach Norden: \u201eIn Russland lebten die Menschen vor vierzig Jahren genau wie wir hier, und heute hat jeder genug zu essen.\u201c
\n<\/span>\u201eAber die sind Sklaven\u201c, rufe ich, um wenigstens ein Argument zu finden, das seinen Vorstellungen entspricht.
\n<\/span>\u201eVielleicht\u201c, l\u00e4chelt er, \u201eaber Sklaven, die essen. Wir sind Sklaven, die hungern.\u201c
\n<\/span>Viel hundertmal haben wir diese Worte geh\u00f6rt. Viele M\u00e4nner f\u00fcgten noch hinzu: \u201eUnd selbst das reichste Volk der Erde, die Amerikaner, haben heute Angst vor Ru\u00dfland. Nur wer richtig i\u00dft, kann stark sein.\u201c
\nEs bedarf einer gewissen Anstrengung, sich in die Lage der persischen Bauern zu versetzen. Wenn es einem gelingt, begreift man, wie t\u00f6richt es ist, von diesen Menschen zu verlangen, die
\nideologischen Auseinandersetzungen zwischen West und Ost aus unserer Perspektive zu sehen. Au\u00dfer dem nackten Leben haben sie nichts zu verlieren, gar nichts.
\n<\/span>Solange man ihnen die menschliche W\u00fcrde und die politischen Sicherheiten vorenth\u00e4lt, in deren Namen der Westen den Kommunismus ablehnt, solange wird man nicht von ihnen verlangen k\u00f6nnen, da\u00df sie \u201ewestlich\u201c denken. Und genau so lange wird soziales und wirtschaftliches Elend das einzige politische Kapital sein, das in Persien Zinsen tr\u00e4gt. Mit diesem Kapital arbeiten die Russen erfolgreich. <\/span><\/p>\n
\n<\/span>Wenn solche Meldungen nicht das Arsenal kritiklos nachgeplapperter Gemeinpl\u00e4tze ausmachten, verdienten sie nicht erw\u00e4hnt zu werden. Der islamische Glaube kann kein Hindernis gegen den Kommunismus sein, denn er spricht von Gleichheit, von sozialer Gerechtigkeit und Verbr\u00fcderung. Selbst das Schreckgespenst religi\u00f6ser Verfolgungen bleibt hier ohne Wirkung, denn die \u2013 f\u00fcr den einfachen Mann \u00fcberpr\u00fcfbaren Tatsachen sprechen dagegen: In Russland gibt es eine der gr\u00f6\u00dften islamischen Universit\u00e4ten, zu der Studenten aus allen mohammedanischen L\u00e4ndern eingeladen werden. Und in Mekka nimmt die Zahl der russischen Pilger von Jahr zu Jahr. Hier stolzieren sie mit ihren guten Anz\u00fcgen, ihren soliden Koffern und modischen Sonnenbrillen durch die Menge armer Pilger aus Persien und werden zum verf\u00fchrerischen Symbol des Wohlstandes und der Toleranz. Da\u00df sie sich Mohammedow nennen, statt kurz Mohammed, ist ohne Bedeutung.
\n<\/span>Mit der \u201aDemokratie\u2018 ist es \u00e4hnlich. In den persischen D\u00f6rfern sehen freien Wahlen ungef\u00e4hr so aus: Der Besitzer treibt die Bauern zusammen und befiehlt ihnen, f\u00fcr seinen Kandidaten zu stimmen. Oder Soldaten erscheinen mit einer kleinen Holzkiste und Stimmzetteln, auf denen bereits der Name des offiziellen Kandidaten steht. Dann stellen sie die Bauern in Reih und Glied auf, und einer nach dem andern mu\u00df seinen Zettel in die scharf bewachte Urne werfen. Wer widerspricht, wird geschlagen, kommt ins Gef\u00e4ngnis oder verliert seine Arbeit.
\n<\/span>Da\u00df diese Menschen mit dem Kommunismus lieb\u00e4ugeln, ist nicht verwunderlich. \u2013 Diese Tatsache scheint jenen recht zu geben, die Persien ausschlie\u00dflich unter dem Gesichtspunkt strategischer Sicherheit betrachten und deshalb die augenblicklichen Machthaber unterst\u00fctzen und bewaffnen, damit Sie weiterhin mit Gewalt die Bauern davon abhalten, ihre W\u00fcnsche zu verwirklichen. Was nat\u00fcrlich automatisch noch zu noch mehr Revolte treibt und st\u00e4rkere Unterdr\u00fcckung notwendig macht. Es scheint ein Teufelskreis zu sein, aus dem es kein Entrinnen gibt.
\n<\/span>Und doch gibt es eine L\u00f6sung. Wir haben in Persien M\u00e4nner getroffen, die in ihrem Bereich Reformen durchf\u00fchren, die die Alternative \u201eKommunismus oder Feudalherrschaft\u201c aus der Welt schaffen. Es sind Gro\u00dfgrundbesitzer, ganz wenige noch, die versuchen, ihre Bauern aus der Versklavung herauszuf\u00fchren.
\n<\/span>Von allen hat uns eine, die wir Jamschid nennen wollen und dessen Bestrebungen wir seit 1952 verfolgen, am st\u00e4rksten beeindruckt. In acht Jahren hat er nicht nur die wirtschaftlichen Verh\u00e4ltnisse seines Dorfes grundlegend ver\u00e4ndert. Er hat ganz einfach eine neue Welt geschaffen.
\n<\/span>Zun\u00e4chst erh\u00f6hte er den Ertragsanteil der Bauern von drei\u00dfig auf f\u00fcnfzig Prozent. Den Erl\u00f6s aus den restlichen f\u00fcnfzig Prozent benutzte er zum Bau eines Krankenhauses, einer Schule und neuer H\u00e4user, in denen endlich Menschen und Tiere getrennt wohnen. Er kaufte einen Traktor, richtete eine elektrische Zentrale ein, bestritt die Kosten des Krankenhauses, in dem jeder kostenlos behandelt wird, und veranla\u00dfte, da\u00df die Kinder in die Schule gehen.<\/span><\/p>\n
\n<\/span>\u201eSie ist einfach\u201c, sagten uns die Bauern. \u201eDort arbeiten 650 Familien f\u00fcr zehn Gro\u00dfgrundbesitzer. Sie haben keine Zukunft. Wir dagegen wissen, dass wir f\u00fcr uns arbeiten.\u201c
\n<\/span>Das Bewu\u00dftsein ihrer Beteiligungen, die M\u00f6glichkeit, zur Schule zu gehen und sich im Krankenhaus pflegen lassen zu k\u00f6nnen, die Tatsache, da\u00df sie st\u00e4ndig an der Verbesserung ihrer eigenen Lebensbedingungen mitwirken, hatte diesen M\u00e4nnern ein Verantwortungsgef\u00fchl gegeben und eine Freude am Leben, die sich in ihrer Arbeit widerspiegelt.
\n<\/span>Seit man sie f\u00fcr ihre eigene Zukunft verantwortlich gemacht hat, f\u00fchlen sie sich endlich\u00a0 <\/span>als Menschen. Der Besitzer hat seit langem verboten, da\u00df man ihm die Hand k\u00fcsst oder sich vor ihm zu Boden wirft, wie es noch von vielen Herren verlangt wird. Selbst Haltung und Gang diese M\u00e4nner sind anders geworden und unterscheiden sich von den Bauern aus den Nachbard\u00f6rfern.
\n<\/span>Dieses Jahr haben wir das Dorf wieder besucht. Wir haben es kaum wieder erkannt. F\u00fcnfhunderttausend B\u00e4ume sind gepflanzt worden. Die M\u00e4nner haben Fahrr\u00e4der, die Frauen sch\u00f6nere Kleider. Alle begr\u00fc\u00dften uns freudig und schleppten uns in ihre H\u00e4user, um uns die Neuerungen zu zeigen, denn sie wu\u00dften, da\u00df wir wieder einmal zur \u201eKontrolle\u201c gekommen waren.
\n<\/span>Jetzt hat jede Familie zwei Zimmer und eine kleine Veranda zum Kochen. Zum erstenmal sehen wir M\u00f6bel in einem Bauernhaus \u2013 und Wecker. Jetzt will man wissen, wie sp\u00e4t es ist, denn endlich hat die Zeit einen anderen Sinn als das langsame Gleiten in den Tod.
\n<\/span>Anstelle des kleinen Traktors von 1952 finden wir sieben Traktoren, zwei Dreschmaschinen und eine modern eingerichtete Werkstatt.
\n<\/span>Aber das Wichtigste: Dieses Jahr werden die Ernteanteile neu verteilt. Jeder Bauer bekommt seine f\u00fcnfzig Prozent. Der Besitzer beh\u00e4lt nur zehn Prozent. Die restlichen vierzig Prozent werden von ihm und den Bauern gemeinsam verwaltet. Von jetzt ab sind sie direkt f\u00fcr das Wohl ihrer Gemeinde verantwortlich. Sie entscheiden \u00fcber ihre Zukunft. Sie werden B\u00fcrger.
\n<\/span>Dieses Dorf ist mittlerweile zum reichsten Dorf der Provinz geworden. Die Qualit\u00e4t der Erzeugnisse ist so au\u00dferordentlich, da\u00df ganz Persien versucht, hier die Saat zu kaufen. Das Jahreseinkommen einer Bauernfamilie betr\u00e4gt, abz\u00fcglich Essen, 3600 Romans (2000 Mark), w\u00e4hrend sonst das Durchschnittseinkommen der Bauern um 400 Mark im Jahr liegt und selten f\u00fcr Nahrung und Kleidung ausreicht. Und all das wurde in acht Jahren erreicht.
\n<\/span>Um sich ganz seiner Aufgabe widmen zu k\u00f6nnen, hat unser Freund sein Haus in der Stadt aufgegeben und ist zu den Bauern gezogen. T\u00e4glich sitzen sie zusammen und planen die Zukunft. Sie wissen, da\u00df das Land ihrer Gemeinde nicht ausreicht, um Kind und Kindeskindern Arbeit zu geben. Deshalb machen sie neues Land urbar und pflanzen Obstb\u00e4ume, um sp\u00e4ter eine Konservenfabrik zu errichten, die die \u00fcbersch\u00fcssigen Arbeitskr\u00e4fte aufnimmt. Sie studieren den Anbau von Hopfen und Gerste und wollen auch eine Brauerei einrichten.
\n<\/span>Die Bauern sprechen leidenschaftlich von der Zukunft, aber keiner w\u00fcnschte mir den Kommunismus herbei. Wenn als Tr\u00f6dler oder Chauffeure verkleidete Propagandisten kommen, wir hatten sie einfach aus dem Dorf gejagt.
\n<\/span>Das Experiment dieses Mannes st\u00f6\u00dft alle Behauptungen um, die die Ausbeutung der persischen Bauern auf die Armut des Bodens und den Mangel an Mitteln zur\u00fcckf\u00fchren wollen. Es klagt jene an, die ihre Unterdr\u00fcckungsmethoden damit entschuldigen wollen, da\u00df sie Sicherheit und Ruhe um jeden Preis brauchten, um der Herausforderung des Kommunismus begegnen zu k\u00f6nnen.
\n<\/span>Wirkliche Sicherheit garantieren nur zufriedene Menschen, die im gegebenen Fall selber k\u00e4mpfen, weil sie etwas zu verteidigen haben. Das Experiment entkr\u00e4ftet auch jene wirtschaftlichen Theorien, die alle Probleme auf nationaler oder kontinentaler Ebene erfassen wollen und eine in einem Durcheinander von Stahl, Rohren, Statistiken und Hoch\u00f6fen den einzelnen Menschen vergessen, um den es ja letzten Endes geht.
\n<\/span>In wenigen Jahren und ohne besondere Ausgaben und Mittel hat dieser Organisator ein Arbeitslager in eine Gemeinde freier Menschen verwandelt. Wieso? Weil er die Bauern von der Furcht befreit hat. Furcht vor Krankheit und Hunger. Furcht vor dem Herrn und den Gendarmen. Furcht vor der Zukunft.
\n<\/span>Der Preis dieses Unternehmens? Hass und erbitterte Feindschaft der anderen Besitzer, jener Mehrheit, die am alten System festhalten m\u00f6chte und Persien reagiert. Sie haben \u00dcberf\u00e4lle organisiert und M\u00f6rder gedungen. Aber wie durch ein Wunder ist Jamschid, unser Freund, jedesmal gerettet worden. Das letzte Attentat wurde vor zwei Jahren ver\u00fcbt. Heute ist die Gefahr geringer, denn alle Bauern der Provinz stehen hinter ihm, weil sie in seinem Werk eine Hoffnung f\u00fcr ihre Zukunft sehen.<\/span><\/p>\n
\n<\/span>Ein amerikanischer Diplomat, den ich hierher gebracht habe, sagt am Ende seines Besuches:
\n<\/span>\u201eWir m\u00fcssten die Unwissenheit bek\u00e4mpfen, die solche Experimente erschwert oder unm\u00f6glich macht. Und so paradox es auch klingen mag, der Kampf gegen die Unwissenheit mu\u00df nicht bei den armen Analphabeten beginnen, sondern bei den Machthabern. Sie haben ihren Egoismus als politische Notwendigkeit getarnt und uns damit auf einen Weg, gelockt der zur Katastrophe f\u00fchren kann.\u201c
\n<\/span>Er spricht diese S\u00e4tze leise vor sich hin, als wolle er sich selber \u00fcberzeugen. Pl\u00f6tzlich wendet er sich Jamschid zu: \u201eBrauchen Sie Hilfe?\u201c
\n<\/span>\u201eNat\u00fcrlich brauche ich Hilfe\u201c, antwortet Jamschid, aber von Ihnen kann ich nichts annehmen.\u201c
\n\u201eWarum nicht?\u201c will der Amerikaner erstaunt wissen.
\n<\/span>\u201eWeil dann meine ganze Aktion ihren Sinn verlieren w\u00fcrde. Die Bauern wissen, da\u00df ich all dies nicht gegen etwas tue, sondern f\u00fcr sie. Das ist das Entscheidende. Sie wissen, da\u00df ich sie nicht davon abhalten will, Kommunisten zu werden, sondern ganz einfach versuche, ihnen zu einem menschenw\u00fcrdigen Dasein zu verhelfen.\u201c <\/span><\/p>\n
\n<\/span>\u201eWeil eure Hilfe sofort politisch ausgelegt w\u00fcrde, das hei\u00dft vom Egoismus bestimmt. Was sie ja auch w\u00e4re \u2026 die Bauern wissen, da\u00df ihr ihnen nicht ihretwillen helfen wollt, sondern um eurer Sicherheit willen. Und vergessen Sie nicht, man ha\u00dft schlie\u00dflich immer jene, die Almosen geben. Man mu\u00df den Eindruck haben, aus eigener Kraft einen Platz an der Sonne zu haben.\u201c
\n<\/span>\u201eWas sollen wir denn machen?\u201c fragt der Amerikaner entt\u00e4uscht.
\n<\/span>\u201eDas kann ich Ihnen schwer sagen\u201c, erwidert Jamschid. \u201eich wei\u00df nur, da\u00df die Hilfe des Westens soweit wie m\u00f6glich entpolitisiert werden mu\u00df, wenn sie Fr\u00fcchte tragen soll. Ich k\u00f6nnte hier zum Beispiel junge Menschen aus Europa oder Amerika brauchen, \u00c4rzte, Techniker, Sozialhelferinnen, die den Menschen zeigen und vorleben, da\u00df man kranke Augen nicht mit verfaultem Wasser waschen darf\u00a0 <\/span>oder Motoren besser mit Schrauben repariert als mit rostigem Draht. Aber diese Menschen d\u00fcrften nicht von irgendeiner Organisation geschickt werden, zu den getarnten Waffen des Kalten Krieges geh\u00f6rt, sondern m\u00fc\u00dften aus freien St\u00fccken selber kommen.\u00b0 Er blickt uns herausfordernd an. \u201eGlaubt ihr nicht, da\u00df es bei euch noch junge Menschen gibt, die ein oder zwei Jahre nach Persien oder nach Afrika kommen m\u00f6chten? Nicht nur, um zu helfen und zu lehren. Nein, um selber zu lernen. Sie w\u00fcrden dem Westen einen besseren Dienst erweisen als alle Diplomaten, Gesch\u00e4ftsleute und alle milit\u00e4rischen Berater zusammen, denn sie w\u00e4ren aus menschlichen Gr\u00fcnden hier und nicht aus politischen.\u201c<\/span><\/p>\n