Stern, Heft 31, 31. Juli 1966
In Japan werden Lust und Vergnügen nicht als Übel oder Schwäche verdammt. Physische Freuden werden ausgekostet wie alles Schöne im Leben – sie müssen sogar kunstvoll gespendet und empfangen werden. Auch den offenen Kampf der Geschlechter gibt es nicht. Jede Frau lernt bereits als Kind, daß sie für den Mann geschaffen wurde. Ihm zu dienen ist ihre höchste Aufgabe. Ihn zu erfreuen ihre Pflicht. Die Liebe wird zum Ritus, zu einem Fest des Lebens. Selbst westlich gekleidete Barmädchen vergessen diese Erziehung nicht.
Wer möchte nicht einmal Sternschnuppen fangen und mit ihnen in eine völlig verzauberte Welt fliegen? Wer nicht eine Rose zum Leben erwecken, damit sie zeitlebens das seine verschönt? Leuchtend wie beseeltes Porzellan.
Japan ist der Himmel, durch den solche Sternschnuppen huschen. Der Garten, in dem diese Rosen blühen: die Frauen. Weiblich, zerbrechlich, dienend, verspielt und doch ernst mit einem Hauch von Melancholie. Wesen, die nur zur Verschönerung des Lebens geschaffen zu sein scheinen. Ihre Haut ist wie Seide. Ihre Seele faszinierend unergründlich. Der Körper entspricht in seinen Proportionen – kurze Beine, dicke Waden, flache Brüste – zwar nicht den europäischen Idealen weiblicher Schönheit, dafür aber antwortet er wie ein ganzes Sinfonieorchester auf den Stab des Dirigenten.
Wer solch eine Sternschnuppe schnappen kann, wird ein neuer Mann. Schwache fühlen sich stark. Impotente erwachen zu neuem Leben. Großmäuler werden still und sanft, Neurotiker und Verklemmte zu verrückten Verführern.
Ich habe viele Männer gesehen, die sich so verändert haben. Es ist kaum zu beschreiben. Man muß es selbst erlebt haben, um zu wissen, was es heißt, einem Wesen zu begegnen, das alles von einer Katze hat, ja selbst die stolze Unabhängigkeit des Raubtiers ausstrahlt und sich doch mit treu blickenden Augen wie ein Hund vor seinem geliebten Herrn benimmt.
Deshalb verstehe ich auch nicht, warum mein Freund John wie ein Toter am Boden liegt und das Zimmer verpestet, als habe er in Whisky gebadet. Denn gerade er hatte ein solches Geschöpf getroffen. Und der Vergleich mit den Sternschnuppen stammte von ihm. Als wir gestern durch Tokio bummelten, hatte er mir noch von seiner Verzauberung erzählt.
Vorher wird gebadet
Sie hieß Masako. Drei Wochen hatte er geduldig um sie geworben. Und dann war es endlich passiert. Ohne Voranmeldung. Wie ein plötzlicher Sturm über spiegelglatter See. Sie hatte ihn einfach mit zu sich nach Hause genommen: ein kleines Zimmer. Ein Bad. Eine Ecke zum Kochen. Da gab es keinen Stuhl. Nur ein paar Kisten. Zuerst servierte sie ihm Sake (Reiswein). Später holte sie eine Matratze aus dem Schrank und legte sie aus. Das Bett. Dann zog sie langsam an Johns Socken, bis die Füße nackt waren. Er fand das komisch. Weniger wohl fühlte er sich, als sie auch Jacke und Hemd abnahm. Er wollte sich wehren. Sie lächelte nur und machte höfliche Knickse, bis sie ihn ganz ausgezogen hatte.
Dann führte sie ihn ins Bad und setzte ihn auf einen Schemel. John suchte verzweifelt nach einem Handtuch, um wenigstens das um seine Lenden zu wickeln. Aber sie tat alles mit einer solchen Selbstverständlichkeit, daß seine englische Zurückhaltung mit dem ersten Eimer Wasser davongeschwemmt wurde. Sie seifte ihn ein, wusch ihn sorgfältig und spülte ihn siebenmal ab. Anschließend wurde er in ein kleines Holzbecken mit heißem Wasser gesteckt, aus dem er rot wie ein gekochter Hummer erst nach einigen Minuten wieder herausdurfte.
Jetzt glaubte John, daß es an ihm sei, die Rolle des Putzers zu übernehmen. Aber nein: „Mädchen waschen sich immer selber.“ – Das klang so bestimmt, daß er nicht zu widersprechen wagte und sich wie ein artiges Baby ins Bett legen ließ.
Kein Kampf der Geschlechter
„Du kannst es dir kaum vorstellen“, hatte er erzählt. „Sie tut alles mit dem ernsten Eifer eines Kindes. Manchmal sieht es so aus, als würde sie nur sehr sorgfältig ihre Schulaufgaben machen. Und dann fühle ich, wie sie lebt und bebt Gewissenhaft, mit einem leuchtenden Lächeln. Später hat sie mich sogar massiert. Den Hals, die Schultern. Ich habe nie so gut geschlafen.“
Wer Japan nicht kennt, hätte wahrscheinlich geantwortet, daß John einer begabten Prostituierten in die Hände gefallen war, die ihre Aufgabe ernst nahm. Das war keineswegs der Fall. Masako stammte aus einer angesehenen Familie aus Osaka und studierte in Tokio. Was sie von den Frauen unterschied, die John bis jetzt in seiner Heimat gekannt hatte, war vor allem ihre Einstellung zur Liebe, die frei von jedem Schuldgefühl ist. Lieben ist keine Sünde, Scham in unserem Sinne unbekannt. Aber zimperlich zu lieben oder seine Rolle als Frau stümperhaft zu spielen – das ist in Japan ein grober Verstoß gegen die Sitte.
„Ich werde sie heiraten“, jubelte John. „Solch eine Frau kriege ich nie und nirgends wieder. Niemals!“
„Vorsicht, alter Junge, das sagen die meisten Ausländer nach der ersten Begegnung mit einer japanischen Frau.“
Die Gründe sind derart augenscheinlich, daß ich glaubte, auch John überzeugen zu können: Da kommt ein Mann aus Europa oder Amerika, wo die Frauen recht anspruchsvoll sind. Sie wollen verehrt, bedauert, begehrt, bemitleidet oder in den Himmel gehoben werden – sei es als Geliebte, als Mutter oder als Frau. Immer verlangen sie etwas, und sei es nur Mitleid.
Dabei wissen sie nie genau, ob sie Partner sein möchten oder Weibchen, Frau oder Kamerad. Sie sind zu seelischen Zwittern geworden, in die der Mann seine Idealvorstellungen hineinpumpt wie in einen durchlöcherten Ballon, bis ihm die Puste ausgeht.
Die Gleichberechtigung hat die Geschlechter unsicher gemacht. Der Mann ist nicht mehr der Herr und möchte es so gern noch sein. Die Frau ist nicht mehr das Weibchen, aber sie versucht immer noch, als solches zu betören und zu erpressen. Niemand kennt mehr seinen Platz. Und die meisten Männer sehnen sich nach einem Partner, der Mutter, Kind und Weib vereint, wenig oder gar nichts verlangt und alles gibt. Solch eine Frau existiert heute weder diesseits noch jenseits des Atlantiks.
In Japan wird dieser Traum Fleisch und Blut. Eine traditionell erzogene Japanerin weiß nichts von den Zweifeln ihrer weißen Schwestern. Sie kennt genau ihre Rolle im komplizierten Gefüge von Rechten und Pflichten. Da gibt es eine Welt der Männer und eine Welt der Frauen, keinen offenen Kampf der Geschlechter, sondern präzise abgesteckte Grenzen für jeden. Diese zu respektieren ist für sie ebenso selbstverständlich wie das Atmen. Sie hat gelernt, die Rangordnung der gesellschaftlichen und geschlechtlichen Unterschiede zu achten – ja, darauf ihre Lebensberechtigung abzuleiten. Zuerst kommt der Mann. Ihm zu dienen ist ihre höchste Aufgabe. Ihr zu erfreuen ihre Pflicht. Wenn sie dabei, heimlich hungrig, sich selbst nicht vergißt, dann ist das ihre Sache – oder vielmehr abermals in ihrer Erziehung verankert. Denn sie hat gelernt, daß die Liebe ein Ritus ist, ein Fest des Lebens.
Mann, Geliebter, Held und Herr
Die meisten Japaner sind Buddhisten. Obwohl diese Religion Entsagung empfiehlt, hat man in Japan die Lust und das Vergnügen nicht als Übel oder Schwäche verdammt. Im Gegenteil. Physische Freuden werden ausgekostet wie alles Schöne und Angenehme im Leben. Sie müssen sogar kunstvoll gespendet und empfangen werden. Sie gehören zum Bereich der Sinne und Gefühle, die noch flüchtiger sind als die ebenfalls vergängliche Welt der Dinge, und sie werden gehegt wie das Blumenbeet des Lebens.
Was später kommt ist unwichtig. Die Japaner glauben nicht an einen Himmel oder ähnliches, wo wir für irdische Taten bestraft oder belohnt werden. Deshalb kultivieren sie das Reich der Sinne und alles Vergängliche mit dem Respekt, der ihrer flüchtigen Einmaligkeit entspricht.
Kein Wunder, daß der Ausländer den Verstand verliert, wenn er plötzlich diesen zerbrechlichen Geschöpfen gegenübersteht, die das komplizierte Spiel der Liebe mit der unschuldigen Art von Kindern meistern. Jetzt fühlt er sich Vater, Mann, Geliebter, Held und Herr zugleich. Die in der Heimat verdrängten Träume werden hier Wirklichkeit. Seine „Seele“ und seine „Männlichkeit“ scheinen sich plötzlich zu decken. „O Gott“, schreit er, „das kann doch nur Liebe sein. Echte Liebe.“
Als das hatten wir in Tokio schon oft diskutiert. Auch John hörte aufmerksam zu – und glaubte natürlich kein Wort.
„Wir lieben uns nun schon vierzehn Tage“, sagte er. „Und jeden Abend ist es d a s Erlebnis meines Lebens. Warum soll ich zögern?“
Da wiehern die Teutonen
Ich gab zu bedenken, daß die meisten Mischehen schiefgehen – laut Statistik.„Warum?“ wollte er wissen.
„Weil wir Weißen grotesk große Nasen haben, Hundeaugen und Kindersärge an Stelle von Füßen. Wir riechen auch entsetzlich und haben eine Haut wie Schmirgelpapier. Das können die kleinen Damen auf die Dauer nicht ertragen, obwohl unsere höfliche Art – im Vergleich zur Rüpelhaftigkeit des japanischen Mannes – sie vorübergehend in die Wolken hebt.“
„Äußerlichkeiten sollen die Ehe zerstören?“‘
„Nur zum Teil. Gemessen am Schönheitsideal der Japaner sind wir wirklich unförmige Gestalten. Aber wahrscheinlich gehen die meisten Mischehen auseinander, weil der Ausländer letztlich doch mehr verlangt als perfekten Service. Sicherlich, weil er langsam von Zweifeln aufgefressen wird; denn nie kommt er dahinter, ob die Frau ihn wirklich liebt, oder nur ihre Rolle vollendet spielt. Die Deutschen sind Ausnahmen. Mit denen scheint es meistens zu klappen.“
„Hast du auch dafür eine Erklärung?“ fragt er spöttisch. „Gerade sie haben große Füße und sind so furchtbar sentimental.“
„Ich weiß nur, wie man es hier erklärt: Angeblich giert der Deutsche am meisten nach Verehrung und verwechselt deshalb Opferbereitschaft mit Liebe. Seine Gefühlsduselei soll auch nur Theater sein. Genau wie Kinder weinen, um Zugeständnisse zu erzwingen, so zeigt er sein großes deutsches Herz, um Treue und Gehorsam zu erpressen. Er kann hier tun, was er will. Seitensprünge werden mit einem Lächeln quittiert, selbst Ohrfeigen duldend eingesteckt. ,Da wiehern die Teutonen und fühlen sich glücklich`, sagte mir einmal eine weitgereiste Japanerin, ,dabei scheinen die gar nicht zu merken, wie dick wir es hinter den Ohren haben.´“
„Das kannst du mir nicht einreden“, protestierte John. „Masako hat es nicht dick hinter den Ohren. Sie ist zärtlich. Sie wäscht mich. Sie massiert mich. Sie tut alles mit soviel Liebe.“
„Aber, alter Junge, das bedeutet nicht mehr, als wenn du einer Frau in den Mantel hilfst. Es ist nur Etikette. Versteh` doch.“
„Hör auf damit. Ich kriege Bauchschmerzen. Du verstehst eben nichts von Frauen. Sie liebt mich. Hörst du? Und heute werden wir uns verloben.“
Das waren Johns letzte Worte, als wir uns vor Masakos Wohnung verabschiedeten. Und jetzt stinkt er nach Whisky und kann sich kaum rühren. Neben ihm liegt ein teurer Brillantring. Sein Verlobungsgeschenk für Masako.
Nach dem dritten Glas Reiswein hatte John den Ring stolz an Masakos Finger gesteckt und feierlich um ihre Hand angehalten. Die erwarteten feuchten Augen blieben aus. Sie wurde rot. Zum erstenmal schien sie erregt, fast ungehalten.
„Der Brillant ist echt“, stammelte John aus purer Verlegenheit. Zu seinem Unglück, denn jetzt riß sie den Ring vom Finger.
„Ich kann diese Pflicht nicht tragen.“ Ihre Augen wurden hart, wie John es noch nie gesehen hatte. „Mit diesem Ring machst du mich unglücklich. Ich bin nicht stark genug, ihn anzunehmen.“
Waren es Phrasen? Ausflüchte? Er hatte doch schon einige Male vom Heiraten gesprochen. Wollte sie ihn kränken? John konnte es nicht sagen. Es war entsetzlich lange still im Raum. Dann hatte Masako plötzlich ihr unschuldiges Lächeln wiedergefunden, das Bett ausgerollt und das Bad vorbereitet. Er rannte wütend davon uns betrank sich in der nächsten Bar.
Die Last der moralischen Schuld
Das typische Mißverständnis zwischen zwei Menschen aus völlig verschiedenen Welten. Ich möchte wetten, daß selbst Masako schon ans Heiraten gedacht hatte. Aber nicht so. Nicht ohne die Erlaubnis ihrer Eltern wahrscheinlich. Sicherlich nicht unter Zwang. Für japanische Maßstäbe hatte John versucht, sie zu zwingen, und die somit tief beleidigt. Er hätte wissen müssen, daß es für Japaner kaum etwas Schlimmeres gibt, als der „moralische Schuldner“ eines anderen Menschen zu werden. Ein Geschenk, ja selbst Aufmerksamkeit oder nur Höflichkeit, die nicht durch Rang oder gesellschaftliches Gefälle gerechtfertigt sind, machen den Empfänger zum Gefangenen einer inneren Verpflichtung. Man hat ihm eine Last aufgebürdet, der er sich eigentlich nie wieder entledigen kann. Deshalb war das Geschenk, das John als ein Zeichen der Liebe betrachtete, für Masako der Inbegriff der Erniedrigung – wenigstens in jenem Stadium ihrer Beziehung.
Es geht hier um Begriffe, für die bei uns fast die Vokabeln fehlen, vor allem die entsprechenden Gefühle. Nur wer gesehen hat, wie Japaner sich streiten, wenn es ums Zahlen einer Restaurantrechnung geht, kann sich ein Bild davon machen, wie empfindlich sie auf Geschenke und die hieraus entstehenden Verpflichtungen reagieren. Wenn da einer heimlich bezahlt, ohne daß es sein „Recht“ ist, dann kann es sogar zum Totschlag kommen.
Meisterin im Labyrinth der Gefühle
Warum zum Beispiel gehen viele Japaner scheinbar unberührt an einem Verunglückten vorbei? Um ihn nicht zu kränken. Buchstäblich. Der Beistand könnte als ein Versuch ausgelegt werden, ungerechtfertigte Vorteile und Rechte zu erschleichen. Nur die Polizei darf helfen. Es ist ihre Aufgabe, und der Verletzte braucht sich weder beleidigt noch verpflichtet zu fühlen.
Zurückgewiesene Zuneigung kann ebenfalls katastrophale Folgen haben. Wenn ein Japaner sich wie John hinreißen ließe, im falschen Augenblick Liebe und Ehe gemeinsam mit einem kostbaren Ring anzubieten, ohne erhört zu werden, dann könnte er sich nie wieder sehen lassen. Vor zwanzig Jahren hätte er wahrscheinlich Selbstmord begangen. Nicht aus Liebeskummer. Sein verletztes Ich hätte nicht überleben können.
Deshalb binden sich junge Männer Tücher um den Kopf, wenn sie Mädchen den Hof machen. In einigen Gegenden Japans ist es gestattet, sich nachts in Zimmer eines Mädchens zu schleichen und um ihre Gunst zu bitten. Natürlich weiß es genau, wer den Antrag stellt. Um jedoch sein „Gesicht“ zu wahren, versteckt der Bewerber es sorgfältig, So kann er sich im Falle eines Korbes einreden, persönlich nicht betroffen zu sein.
In diesem komplizierten Spiel von Geben und Nehmen, von Verpflichtung, Abhängigkeit, Schuld und „Gesicht“ können Europäer sich nie zurechtfinden. Wie sollten sie auch? Besonders wenn es um Frauen geht. Nur ihre Virtuosität in diesem Gefühlslabyrinth verdanken es die japanischen Frauen, daß sie trotz Unterwürfigkeit und gegenteiligen Anscheins nie wirklich Sklaven des Mannes geworden sind.
Wir sprechen von ihrem Mann, Es geschieht mit solcher Offenheit, weil wir Setuko aus Paris kennen, wo sie ein Jahr studiert hat. Sie wurde im alten Stil erzogen. In Frankreich kam ihre Welt ein wenig durcheinander. Trotzdem heiratete sie später gehorsam den Mann, den ihre Eltern ihr ausgesucht hatten.
Nur einen radikalen Bruch mit der Tradition hatte sie gewagt und erreicht: die Entfernung der Schwiegermutter als Zensor ihres Lebens. Im normalen japanischen Haushalt kontrolliert sie alles, fordert Arbeit, überwacht das Verhalten. Falls die Schwiegertochter ihr nicht paßt, kennt sie Mittel und Wege, um ihren Sohn zur Scheidung zu zwingen. Die Männer sind fast nie zu Hause. Bei den Schwiegereltern zu wohnen bedeutet deshalb ein ewiges Zwiegespräch zweier einsamer Frauen verschiedener Generationen, von denen die eine befehlen darf, die andere gehorchen muß.
Es ist viel über das unwürdige Los der Japanerin geschrieben worden. Meistens wurde der rücksichtslose Egoismus des japanischen Manens dafür verantwortlich gemacht. Letztlich ist es jedoch die Allmacht der Schwiegermutter, die das Leben vieler Frauen unerträglich macht und manche zum Selbstmord treibt. Mit dem Mann werden diese kleinen Damen auf ihre Art recht gut fertig, wie Setukos Beispiel beweist.
Ansehen ist wichtiger als Aussehen: Vom westlichen Wahn, um jeden Preis jung zu erscheinen, ist Japan bisher verschont geblieben. Alte Herren haben große Chancen.
Wenn ein junges Mädchen sich schönmachen läßt, mag das sehr wohl einem älteren Herrn gelten. In Japan heißt es: Je älter man wird, desto aufregender ist das Leben
Jede Zärtlichkeit eine Falle
„Ich nehme Anti-Baby-Pillen und lasse die Schachtel sichtbar herumliegen“, erzählt sie weiter. „Auf diese Weise bitte ich ihn, früh nach Hause zu kommen.“
„Die muß man doch jeden Tag nehmen.“
„Oh, ihr schwerfälligen Europäer. Das tue ich auch. Die Schachtel lasse ich nur an solchen Tagen herumliegen, wenn ich will, daß mein Mann nicht alle Bars abklappert, bevor er müde nach Hause kommt. Und es geht selten schief.“
Eine echte, herkömmlich erzogene Japanerin sagt niemals, was sie wirklich will. Alles ist nur Zeichen, Andeutung, Seufzer, ein Spiel mit hundert Spiegeln.
„In Deutschland würde ein Mann solche Zeichen und Andeutungen gar nicht bemerken“, sage ich zu Setuko.
„Das braucht er auch nicht. Eure Frauen fordern, bitten, weinen oder drohen. Ich habe gesehen, wie deutlich die werden können. Bei euch gelten Liebe und Zärtlichkeit als unkontrollierbare Gefühle und werden nicht verheimlicht. Der Geliebte ist deshalb auch nicht verpflichtet, gleiche Regungen zu haben. Bei uns ist die Andeutung eines Gefühls nie spontan oder gar gratis. Jeder Gefühlsausdruck kann eine Falle sein, ein Netz, in dem der andere sich fängt und nur durch Gegenleistung wieder frei kommt. Stell die vor, ich bin plötzlich weit höflicher, als die Konvention es verlangt. Dann muß mein Mann etwas tun, um die so erfahrene Demütigung wiedergutzumachen. Aber was rede ich. Das könnt ihr nie verstehen.“
Ein schelmisches Lächeln huscht über ihr Gesicht. „Oder vielleicht doch. Warte!“
Nach einer Weile kommt sie mit einem sorgfältig gebundenen Heft zurück. „Ich muß es immer gut verstecken“, sagt sie. „Das ist mein Tagebuch. Darin findest du natürlich nichts von dem, was wirklich in mir vorgeht. Ich schreibe nur Dinge, von denen ich weiß, daß sie bei meinem Mann die von mir gewünschte Reaktionen auslösen.“
„Setuko, du bist ein kleines Luder.
„Natürlich“, antwortet sie ernst, „Aus eurer Sicht schon. Ich erreiche genau, was ich will. Aber was will ich? Eigentlich doch nur etwas weniger Einsamkeit. Ist das ein Verbrechen?“
„Und deinen Mann am Gängelband.“
„Selbstverständlich! Was denkst du denn? Wenn einem von Kindheit an eingebleut worden ist, daß man zum Dienen geboren wurde, dann verlangt man als Frau nach Macht.“
Geheime Wünsche im Tagebuch
Das Tagebuch ist ein Meisterwerk angewandter Psychologie. Setuko schreibt zum Beispiel hin und wieder ganz beiläufig, daß sie überzeugt ist, ihr Mann würde es nie lesen. Sie erwähnt sein Ehrgefühl, seine Würde und kommentiert: „Sonst würde ich all dies ja nicht zu Papier bringen.“
Manchmal aber läßt sie sich absichtlich beim Schreiben überraschen. Seine Neugier soll geweckt werden. Gleichzeitig versteckt sie das Buch mit großer Sorgfalt. Er soll nicht auf die Idee kommen, sie schreibe es nur für ihn. Und jedesmal bringt sie heimliche Siegel an, um zu kontrollieren, wann und was er gelesen hat.
Und so „jubelt sie ihm“ – das ist ihr eigener Ausdruck – eine zusätzliche Verpflichtung unter: ihres Vertrauens unwürdig zu sein. Aber das genügt immer noch nicht. Er muß noch tiefer verstrickt werden. Deshalb schreibt sie: „Ich kenne seine Diskretion. Er ist ein Ehrenmann und wird nie etwas Unrechtes tun. Aber will ich eigentlich, daß er so stark ist? Verlangt mein Herz nicht heimlich danach, daß er alle Bedenken hinwegfegt? Wäre nicht gerade seine Indiskretion der schönste Beweis dafür, daß mein Leben und meine Gefühle wichtiger sind als seine Ehre? Ich wage nicht daran zu denken!“
Auf diese Weise schenkt sie ihm großmütig eine Entschuldigung für seine Neugierde – knüpft daran aber im gleichen Federstrich die Bedingung der Liebe. Er soll auch annehmen, daß sie von seiner heimlichen Lektüre weiß, darf aber nie ganz sicher sein und muß vor allem ewig zweifeln, ob er nun wirklich den Schlüssel zu ihren geheimsten Gedanken besitzt oder ob er sich selbst aus Charakterschwäche in eine Falle gesetzt hat.
Das tägliche Leben der meisten Japanerinnen ist hart. Frauen verdienen wenig. Unverheiratete wohnen in kleinen Gruppen zusammen. Vier nackte Wände. Eine einzige Matratze als Bett für drei oder vier Schlafgenossinnen
Lieben, aber nicht heiraten!
Das ist ein kompliziertes Spiel. Nahezu unheimlich für europäische Begriffe. Aber womit soll Setuko ihre Zeit verbringen? Wie soll sie sich sonst im ungleichen Kampf mit dem Herrn und Gebieter behaupten? Und die Erfolge sind sichtbar: Pelzmäntel, Schmuck, kostbare Kimonos und eine relative Freiheit. Die Neugierde auf erotische Extravaganzen, von denen sie gelesen hat, wird auf dem Umweg über das Tagebuch ebenso prompt befriedigt wie materielle Wünsche oder moralische Forderungen.
Setuko ist vielleicht ein extremer Fall. Ich möchte jedoch behaupten, daß die meisten japanischen Frauen sich ähnlicher Mittel bedienen, um den äußerlichen Vorrang des Mannes innerlich auszugleichen. Sie können nicht, wie wir, offen über Herz und Liebe sprechen. Es bleibt also nur diese hohe Schule der Gefühlsdiplomatie, die mit Andeutungen und verschlüsselten Zeichen jene Fäden spinnt, die den Mann fesseln und abhängig machen.
Unter diesen Umständen ist es schwer zu wissen, ob eine Japanerin wirklich liebt. Europäer erfahren es wahrscheinlich nie. Im ersten Jahr stehen sie verzaubert vor soviel Hingabe und Unschuld. Dann entdecken sie die kleinen Fäden, die bei ihnen nicht richtig ziehen, weil die psychologischen Ansatzpunkte fehlen. Und zum Schluß glauben sie es nur noch mit einem hart berechnenden Wesen zu tun zu haben, das hinterlistig um seine Vorteile kämpft.
Kein Wunder, daß Ausländer behaupten, die Japanerin sei zwar die beste Geliebte der Welt, heiraten aber sollte man sie nicht.