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Urlaub, Liebe inbegriffen (Italien)

Stern, Heft 35 , 27. August 1960

Urlaub, Liebe inbebgriffen

Wir sind das eigentliche Reiseziel der Millionen Urlauberinnen aus dem Norden, sagen Italiens Männer. Denn wir sind die leidenschaftlichsten Liebhaber, die feurigsten Verführer und die männlichsten Männer. Stimmt das?

Das Modell
männlicher Vollkommenheit ist der David von Michelangelo, der seit Jahrhunderten in Florenz steht. Er ist eines der vollendeten Symbole jener klassisch-italienischen Schönheit, die der erste Anlß der „Italienreise“ war

In allen Städten, am Strand und vor den Kirchen Italiens wartet jetzt der moderne David auf die Urlauberinnen. Er läßt sich nicht mehr stumm bewundern wie sein Vorbild in Florenz. Selbstherrlich fordert er Liebe und bietet Amore

Ich muß es doch wissen“, beteuert Amadeo, ein römischer Maler, „mir haben fünfzig, was sage ich, Hunderte von Ausländerinnen gesagt, daß sie uns Italiener allen anderen Männern der Welt vorziehen. Aber dafür braucht ihr blonden Knaben nicht gleich Zeter und Mordio zu schreien. Das hängt vom Klima ab. Je weiter man nach Süden kommt, umso feuriger sind die Männer.“
„Dann müssen die Neger, besonders am Äquator, die besten von allen sein“, werfe ich schnell durch seine fuchtelnden Arme hindurch, denn bei Amedeo ist es immer schwierig zu Wort zu kommen, weil er jeden Einwand mit seinen Händen abfängt. „Wenn nur das Klima entscheidend wäre, sollten die Nordeuropäerinnen ihre Männersafari nach dem Kongo verlegen und euch endlich etwas Ruhe gönnen. Meinst du nicht auch?“
„Quatsch“, brüllt er mich an. „Deine verdrehten Schlußfolgerungen bringen mich nicht aus dem Konzept. Ich spreche aus persönlicher Erfahrung, das dürfte Beweis genug sein. Wenn der Krieg um Amore zwischen Norden und Süden so weitergeht, werdet ihr eure Frauen noch einsperren oder die Frage vor den Sicherheitsrat bringen.“
Wir sitzen in Rom, bei „Canova“ auf der Piazza die Popolo und diskutieren seit Stunden das Problem „italienischer Mann“, das zum Zeitungskrieg zwischen Italien und Nordeuropa auszuarten droht. Ich habe sechs Jahre in Italien gelebt und kenne die Italiener recht gut; Aber ich hielt es doch für richtig, sie noch einmal unter die Lupe zu nehmen, und zwar ganz besonders ihr Verhältnis zu den nördlichen Touristinnen, deren Hauptanziehungspunkt sie zu sein glauben.

Ob jung, ob alt,die meisten Frauen fühlen sich in Italien verzaubert, weil sie auf Schritt und Tritt offen bewundert und umworben werden. Für jede kann die Reise durch Italien ein fraulicher Triumphzug sein. Sie fühlt sich hübscher, sicherer, bedeutender, weil tausend Blicke ihr sagen: Dich gibt es, ich hab’ dich gesehen. Wenn in Deutschland ein Mann bewundernd aus der grauen Menge hervortritt, oder ein lockender Pfiff erklingt, findet man das vulgär. In Italien, im Taumel des Urlaubs, wird es zur himmlischen Musik

Ob hübsch, häßlich,es wird geguckt. Das ist kein Huldigung der Schönheit, kein Tribut an die Frau. Das ist ganz primitive männliche Besessenheit, die keinem Rock begegnen kann, ohne den Kopf zu recken. Man ist kein Kerl, wenn man nicht fordernd die Augen erhebt oder die Stimme. Ein Waschlappen, wenn man nicht versucht zu verführen. Wie könnte es auch anders sein.? Der Typ des modernen jungen Mädchens, der sich in Nordeuropa seit Jahrzehnten durchgesetzt hat, ist in Italien eine Ausnahme. Der italienische Mann verweigert der italienischen Frau sogar die Freiheit, mit ihm selber zu flirten. Er spart seine Liebeshunger den ganzen Winter hindurch auf, bis der Sommer die Frauen aus dem Norden bringt, wo der Mensch freier und die Liebe nicht ‚schmutzig‘ ist

Marie-Claude, meine Mitarbeiterin, ist auch dabei, denn ich kann mich schlecht als Frau verkleiden, um die Taktik der „Papageien“ und „Hähne“ zu erforschen. Papageien oder Hähne (Galli) nennen die Italiener alle Männer, die mit Worten, Gesten und Gebärden die Straßen Italiens zur Snackbar der Liebe gemacht haben.Da geht wieder gerade ein Rudel vorbei. Die „Galli“ sind auf der Jagd. Sie stellen sich auf die Treppen von Santa Maria del Popolo, um den ganzen Platz übersehen und sich blitzschnell auf jedes einsame Wild stürzen zu können.
Marie-Claude geht langsam auf die Kirche zu.
„Bella-bella, quant’e bella!“
Der erste „Papagei“ pfeift bewundernd durch die Zähne hinter Marie-Claude her. Atmet lauter, unregelmäßiger, schneller. Das soll Erregung verraten und Leidenschaft übertragen. Er berührt ihren Arm.
„Americana?“ fragt er.
„Nein.“
„Non importa — ohne Bedeutung, Hauptsache Sie sind Ausländerin. Verheiratet?“ will er wissen.
„Ja“, lügt Marie-Claude, um zu sehen, wie es weitergeht.
„Mit einem Italiener?“
„Nein.“
„Poveretta — Sie Ärmste, Sie Unglückliche. Dann sind Sie an dem Glück ihres Lebens vorbeigegangen. Wie sollen Sie da wissen, was Liebe ist. Welch unverzeihliche Sünde einer so bezaubernden Frau.“
Der „Papagei“ stellt den Rhythmus seines Atems auf Bedauern um. Er tritt einen Schritt zur Seite, um deutlich zu machen, daß er Marie-Claude ganz sehen will. Ein von Mitleid erfüllter, etwas ironischer Blick gleitet über sie. Zunächst abwägend kritisch – dann verzaubert. Die Atmungsaktivität in den vierten Gang geworfen – der Papagei flüstert verträumt:
„Und dabei sind Sie wie geschaffen für die Liebe. Für die italienische natürlich. Was sind die anderen schon wert? – Love, Liebe, Amore— che fregatura per voi donne — welcher Schwindel für euch Frauen. Amore das ja. Amore bedeutet richtige Männer. I veri maschi siamo noi! — die echten Männer sind wir!“
Dieser stolzer Gockelschrei sich selbst preiskrönender „Hähne“ begrüßt herausfordernd jeden Rock, der sich jenseits der Alpen zeigt. Und ertönt wie ein siegesbewußter Kriegsruf von Palermo bis Mailand. Als ich in Italien wohnte, hatte ich mich daran gewöhnt wie an den italienischen Wein und die Spaghetti.
Wen störte der schon vor einigen Jahren das aufgeputzte Hahnentum der Italiener? Man kümmert sich ebenso wenig darum, wie man sich um die Qualität des Chianti oder der italienischen Küche kümmerte. Sie waren weder gut noch schlecht. Sie waren einfach italienisch, und das war das Entscheidende, wenn man nach dem Süden reiste.
Unsere Großväter haben schon über die leidenschaftliche Pose der Italiener gelacht. Als echt italienisch ging sie über sämtliche Bühnen Europas, und manchmal brannte ein adliges Mädchen mit ihrem italienischen Musiklehrer durch.

Als ich das einem der Straßenpapageien sage, meint er gelassen: „Wenn du mich herausfordern willst, bist du an der falschen Adresse. Unsere Väter konnten sich nur deshalb nicht richtig durchsetzen, weil nur wenige eurer Frauen nach Italien kamen. Heute ist es anders. Acht Millionen kommen jedes Jahr. Acht Millionen können selber entscheiden. Sie sind die Schiedsrichter und Einsatz zugleich.“
„Und für wen haben Sie sich entschieden?“ will ich wissen.
„Für uns natürlich“, ruft er begeistert, „ du mußt zugeben, daß wir das heimlich ersehnte Reiseziel aller nordischen Frauen sind. Was für die Männer einmal Paris war, ist heute für die Frauen Italien.“
„Und wie in Paris die jungen Damen der „Folies Bergères“, so habt ihr euch tollkühn in die vorderste Reihe der Touristenschlacht geworfen.“
„Genauso ist es, wenn eure eifersüchtigen Gehirne das auch nicht wahrhaben wollen. Es gibt keinen Zweifel, die große Attraktion Italiens sind wir.“
Was konnte ich da noch antworten. Ich klopfe ihm auf die Schulter. „Nun gut, wenn ihr die Goldmedaille der olympischen Liebesspiele errungen habt und zur nationalen Sehenswürdigkeit geworden seid, dann müßt ihr auch erlauben, daß wir euch ein wenig unter die Lupe nehmen. Vielleicht können wir von euch lernen.“
„Prego — bitte“, sagt er mit einer großzügig einladenden Handbewegung, als öffne er eine unsichtbare Pforte zu den Geheimnissen der Männerwelt Italiens. – „Du wirst staunen.“

Er gibt nie auf. Der Italiener ist von Jugend auf gewohnt, die Straße zur Snack-Bar der Liebe zu machen. Das Spiel mit den Blicken ist jedem so geläufig, daß selbst Großväter nicht davon lassen können

Gestaunt habe ich zunächst über die unglaubliche Zunahme der „Galli“. Sie sind nicht mehr, wie vor einigen Jahren, malerische Einzelgänger, deren Geflüster zum Urlaub gehörte wie Meer und Sonne. Hundertausende haben sich in die Liebesschlacht zwischen Norden und Süden gestürzt. Die Straßen und Plätze, die Kirchen und Säulen hallen wieder vom Krähen der „Hähne“ und Schwatzen der „Papageien“.
Dagegen ist es ungewöhnlich still geworden in den kleinen Nebengassen. Wo man früher am Wochenende Schlange stand und brav wartete, bis man an die Reihe kam, ist Ruhe eingetreten. Die Regierung hat die Häuser geschlossen. Es klingt nicht schön, aber die Italiener sagen es selber, daß all diese Männer die Touristenkonjunktur begriffen haben und jetzt ihren Happen Liebe auf der Straße suchen.
Bei dieser Inflation der Liebeshungrigen wird nicht mehr brav Schlange gestanden oder verführerisch geflüstert. Es wird im Stile neapolitanischer Andenkenhändler laut gefeilscht und geschrien. – Anstelle der Postkarten, der bemalten Muscheln oder des Turms von Pisa aus Zucker, bieten die „Galli“ die italienischen Liebe an als die wirklich unübertreffliche Erinnerung an eine Italienreise.
Ich weiß nicht, ob die für den Tourismus zuständigen Stellen ebenso konjunkturbewußt waren wie die Papageien der Straßen. Auf alle Fälle hatten geschäftstüchtige Vertreter des Fremdenverkehrs im vorigen Jahr beschlossen, neben den üblichen Werbeplakaten auch das überlebensgroße Abbild des schönsten Italieners in die nordischen Länder zu schicken. War nicht ein Teil der amerikanischen Kundschaft Italien untreu geworden, weil das marokkanische Propagandaministerium mit einem handfesten Berberkrieger um die Gunst der amerikanischen Touristinnen geworben hatte?
Schnell wurden sieben bekannte Malerinnen nach Sizilien eingeladen, um den schönsten Mann Italiens zu konterfeien. Aber das Plakat kam nie heraus.
Mittlerweile hatten sich im nördlichen Europa Stimme erhoben, die das angriffslustige Hahnentum der Italiener verurteilten. Schwedische, englische, deutsche Zeitungen sahen darin eine Gefährdung der jungen Touristinnen.
Die Stockholmer Presse stellte mit Besorgnis fest, daß Ehescheidungen nach den Sommerferien besonders häufig sind und daß zwei Drittel der betroffenen Frauen ihren Urlaub in Italien verbracht haben. Als diese Tatsache bekannt wurde, fuhren nicht etwa weniger Schwedinnen nach Italien, nein, die jungen Italiener begannen einen Liebesmarsch auf Schweden.
In Deutschland hieß es in einer alarmierenden Statistik: 34 Prozent aller Verlobungsbrüche und Ehescheidungen sind auf Urlaubsreisen unbegleiteter Frauen nach Italien zurückzuführen.
Die Engländer zogen für sich daraus die Konsequenz. Sie schufen eine Versicherung, die sie sehr sinnfällig „Romeo“ nannten. Wenn eine Braut allein nach Italien reist, kann der vorsichtige Bräutigam sich gegen den Charme der Italiener versichern, indem er einige Pfund einzahlt und mehrere hundert erhält, falls seine Verlobte ihn nach der Rückkehr so langweilig findet, daß sie die Verlobung löst.

„Wir sind die Besten“

Das Werbeplakat kam also nicht heraus. Dafür aber warfen sich die italienischen Zeitungen in die Schlacht, die bis heute um den italienischen Mann tobt. Sie versuchten nicht, eine Entschuldigung oder Erklärung für den Männlichkeitsfimmel der Italiener zu finden. Im Gegenteil: Sie gebrauchten die gleichen Worte wie die Hähne der Straße. Zwischen Neapel und Rom, zwischen Mailand und Palermo mag es Streit geben, wenn es um Fußball oder Radrennen geht. Wenn aber die Männlichkeit in Frage gestellt wird, dann reckt ganz Italien wie ein Mann den Kopf und schreit aus vollem Halse: „Wir sind die Besten!“
„Im Süden haben die Walküren die Liebe kennengelernt“, überschreibt eine römische Abendzeitung stolz einen Artikel über die deutschen Frauen. Erklärt die Zeitung: „In den wenigen Wochen, die sie in Italien verbringen, gewöhnen sich die nordischen Frauen derart daran, umworben, bewundert, geschätzt, begehrt, beneidet, umstritten, erobert zu werden, daß sie sehr schwer ohne Folgen ihr Leben in der trüben und kalten Atmosphäre ihrer Heimat wieder aufnehmen können.“
Auf die Frage: „Was hat denn der italienische Mann, daß er so gefällt?“ antwortet eine andere Zeitung: „Es gefällt eben den Frauen, der Verführung und der Faszination des Unwiderstehlichen zu unterliegen. Unsere Unwiderstehlichkeit gibt es seit Jahrhunderten. Sie hat seit jeher ihre Opfer gefordert: die Sabinerinnen, die Ostgotinnen des Alarich, die Negerinnen, die Anglo-Amerikanerinnen, die Japanerinnen sind von ihr erobert worden.“
So viel Geschrei klingt verdächtig. Schon der alte Freud meinte, man spreche immer am lautesten von dem, was einem am meisten fehle.

Amore ohne Liebe

Wir beschlossen einmal die italienische Frau zu diesem Thema zu befragen. Die meisten sprachen von Enttäuschung und Verarmung der Liebe. „Auf den ‚Gallo‘ können nur die Ausländerinnen hereinfallen“, meint Vittoria eine Studentin, „denn sie wissen nicht wie wir, daß jedes Wort Lüge ist.“
„Seit ich verheiratet bin, habe ich kein zärtliches Wort mehr gehört“, beklagt sich Maria, die Frau eines Industriellen. „Wenn wir zusammen ausgehen, schaut mein Mann nur fremde Frauen an.“
„Ich habe einmal einem Mann geglaubt“, erzählt eine Sekretärin. „Das hat mich die Liebe meiner Eltern gekostet und die Achtung dieses Mannes. Denn seither behandelt er mich wie ein Straßenmädchen und wird mich natürlich nie heiraten. Es wäre gegen seine Ehre, eine Frau zu heiraten, die nicht mehr Jungfrau ist, selbst wenn er der erste und einzige Mann gewesen ist.“
Im Hause römischer Prinzen treffen wir die Filmschauspielerin Elsa Martinelli, die Weichenstellertochter, die einen Prinzen heiratete.
„Sie sind wundervoll, unsere Männer“, ruft sie mir begeistert zu. „Wo kämen wir hin, wenn wir unsere Männer nicht allen anderen vorziehen würden? Ins Armenhaus der Liebe! Sie sind galant, aufmerksam, feurig, zärtlich, großzügig: Sie sind einfach himmlisch.“
Während ich diese Zeilen schreibe, erfahre ich, dass Elsa Martinelli sich jetzt von ihrem prinzlichen Gemahl trennt, weil er angeblich faul, brutal und unaufmerksam ist.
Nachdem wir Frauen aus dem Volke, Journalistinnen, Schauspielerinnen und Prinzessinnen befragt haben, wollen wir auch noch die Meinung einer Frau hören, die frei nach ihren Launen lebt und sich weder um die italienische Moral noch um die bösen Zungen ihrer Mitmenschen kümmert. Auf der Via Veneto im Café de Paris treffen wir die Malerin Novella Parigini, die genau diesem Typ entspricht. Sie ist nicht verheiratet und kann frei sprechen.
„Ich müßte mir Asche aufs Haupt streuen“, meint sie, „vor drei Jahren flog ich nach Amerika, um den idealen Mann zu suchen. Welche Enttäuschung. Die Amerikaner komplizieren alles. Sie wollen geliebt werden und selber lieben, bevor sie zum Angriff übergehen. Und wenn es einmal soweit ist, kann ein Mann sich nicht damit begnügen einfach ein richtiger Kerl zu sein. Er will auch noch als Mensch verstanden, bewundert oder bemitleidet werden. – Das sind Waschlappen, wie die meisten Männer des Nordens.“
„Der ideale Mann kann nur einer der unseren sein“, ruft sie begeistert, „ein Mann des Südens. Schon die tief in die Stirn reichenden Haare zeugen von animalischer Männlichkeit. Und hierum geht es doch. Welche Frau ist nicht glücklich, wenn sie einmal richtig als Weib begehrt wird.“

Was für den Hahn der Federschmuck, das ist für den italienischen Mann die Kleidung und die Pose

„Ich spreche von richtigen Frauen, die brauchen richtige Männer, wie unsere Italiener. Deren unverblümtes Verhalten ist alles andere als ordinär. Es ist die ehrliche Haltung echter Männer, die nicht zu vertuschen brauchen, was sie wollen.“
„Wir wissen doch alle, worauf ein Mann aus ist. Warum tausend Umwege gehen, um doch am gleichen Punkt zu landen. Und wenn unsere Männer von Liebe reden und sich vor Komplimenten überschlagen, dann ist das umso aufregender, weil man genau weiß, daß sie zynisch bewußt den Schwächen gewisser Frauen entgegenkommen und doch nur eines meinen: Sex.“
Besser als durch dieses Bekenntnis ihrer Vorliebe konnte Novella Parigini kaum die Grundzüge umreißen, die das Liebesleben der meisten Italiener bestimmen.
Etwas weniger deutlich, aber ebenso aufschlußreich, weil von einem Mann, klingt die Antwort Quasimodos auf die Frage nach seinem Liebesleben: „Stia attento – Achtung!“ sagt der sizilianische Dichter und Nobelpreisträger, „ich habe den Ruf eines Don Juan, obwohl ich das genaue Gegenteil davon bin. Während nämlich der Don Juan alles nimmt, was er bekommen kann, habe ich mir die Frauen immer gut ausgesucht.“
Quasimodo betont nur deshalb das Wählerische in sich, weil jeder Italiener, der etwas auf sich hält, überzeugt ist, der einzig wahre Jünger des Großmeisters der Liebhaber zu sein, und sein ganzes Leben damit verbringt, das zu beweisen.
Der ‚Gallo‘ ist stolz auf die Zahl seiner Eroberungen. Die Masse macht ihn glücklich, weil er unter Liebe den schnellen Beweis seiner Männlichkeit versteht. Nichts mehr und nichts weniger. Die einzig ihm bekannte Form der Selbstbestätigung. Hierzu ist die Auswahl, die Zuneigung, Zärtlichkeit oder menschliches Interesse voraussetzt, vollkommen überflüssig.
Aber sein Hemd oder seine Socken sucht der ‚Gallo‘ mit der größten Sorgfalt aus. Man sieht ihn oft tagelang vor den Geschäften auf und ab gehen, bevor er eine Entscheidung trifft. Eine Frau will man ohnehin nur für einen Tag oder eine Woche, aber Socken sollen lange halten und müssen zeigen, wer man ist. Kleider, Schuhe, Autos, Krawatten sind, wie beim Hahn die Federn, stolze Beweise der Männlichkeit und werden als solche getragen und benutzt.
Nicht umsonst blicken die Italiener voller Mitleid und Verachtung auf die unauffällige Eleganz des Nordens oder die ungezwungene Kleidung der Franzosen. Aus ihrer Hahnenperspektive heraus können sie nicht begreifen, daß der Anzug nicht unbedingt im Verhältnis zur Potenz stehen muß. Und schon glauben sie, daß man ein kalter Fisch ist und ein unbegabter Liebhaber, wenn man sich nicht herausputzt.

Gesicht ist Nebensache

Ich habe vielleicht etwas übereilt behauptet, daß der ‚Gallo‘ die Frauen vollkommen unbesehen nimmt. Wenn er sich mit einer öffentlich zeigen kann, wird er wieder wählerisch. Dann wird seine Begleiterin, wie Jacke und Socken, eine weit schillernde Hahnenfeder im Gewand seiner Männlichkeit.
„Am Sonntag, wenn ich mir das hellblaue Hemd anziehe mit den weißen Streifen und meine Verlobte den kurzen roten Rock mit dem eng anliegenden Pullover, dann sollst du mal sehen, was für einen Eindruck ich mache“, sagt mir ein Junge aus Trastevere, der in der Woche hinter Ausländerinnen herläuft und sonntags brav mit seiner „Verlobten“ ins Kino geht. „Bei der Frau sind Form und Farbe wichtig, denn wer dreht sich schon nach einem Gesicht um.“

Ins Gesicht blickt der italienische Mann einer Frau selten. Er will gar nicht wissen, wer sie ist oder was sie denkt. Er will nur sehen, wie sie ist. Für ihn ist sie Figur. Alles andere ist ohne Bedeutung

Ich habe viele Italiener nach der Augenfarbe ihrer letzten Eroberung gefragt. Die meisten sagten auf gut Glück „blau“, weil es sich immer um Ausländerinnen handelte. Dann lächelten sie verschmitzt, und nach ein paar Witzen über die völlige Nutzlosigkeit der Augen gaben sie zu, es nicht zu wissen.
„Aufmerksam ins Gesicht schauen wir den Ausländerinnen nur, wenn sie wegfahren“, meint Aldo, ein neapolitanischer Schriftsteller. „Vorher hat das kaum einen Sinn und kann nur belasten. Beim Abschied aber wollen wir wissen, wie weit wir sie besessen haben. Da kann uns nur das Gesicht die Antwort geben. Wir wollen sehen, ob sie lächeln, traurig sind oder weinen. Nur wenn sie richtig weinen, sind wir glücklich.“
„Ho fatto piangere una straniera – ich habe eine Ausländerin zum Weinen gebracht“, ist der schönste Siegesschrei mit dem ein Gallo in den Kreis seiner Freunde hineinplatzen kann, um Bewunderung zu fordern.
Ich habe nie herausfinden können, was wichtiger für ihn ist: von den Tränen einer Ausländerin zu sprechen, oder die Umstände der Eroberung zu erzählen. Eins aber ist sicher: das Erzählenkönnen als solches ist wichtiger als das eigentliche Erlebnis. Es geht darum, sich selber zu beobachten und zu bewundern, meisterhaft und selbstsicher die Rolle des Hahnes zu spielen und dann, von sich selber berauscht, so schnell wie möglich zu seinen Freunden zu rennen, um nochmals, und jetzt erst richtig, weil vor Zeugen und Kennern und neidischen Blicken, den Sieg des echten Mann ist zu feiern.
„Die war gar nicht so einfach. Ich hab’ mich halb tot quatschen müssen. Na, ja, es dauert immer eine Weile, bis man weiß, welche Tour verlangt wird. Als sie mir beim direkten Angriff die Handtasche um den Kopf schlug, schaltete ich schnell um. Die romantische Tour wirkte Wunder. Ihr wißt ja: Liebe, Italien, wunderschön, immer, ewig und son Quatsch. Aber das genügte auch nicht. Als ich ihr sagte, ich sei ein armer Student, der hier Hungers sterbe und nur auf diese Weise englisch lernen könne, schmolz sie förmlich dahin.
Dann hatte ich einen Eisberg in den Armen. Typisch englische Fantasielosigkeit …“ Nach einer halben Stunde eingehender Schilderung beschließt der Gallo selbstzufrieden seine Erzählung: „E adesso è pazza per me – und jetzt ist sie verrückt nach mir. Sie konnte es gar nicht oft genug sagen. Verliebt, wie es nur eine Engländerin sein kann. Übrigens, ich bringe sie morgen mit. Wenn einer von euch sie haben will.“
Der Gallo steht lässig auf, sein Ruf für ist mindestens eine Woche gesichert, er reckt sich: „Andiamo ragazzi, vielleicht können wir heute noch eine abschießen.“
„Sie ist verrückt nach mir, sie liebt mich wahnsinnig“, sind Sätze, die wie ein Leitmotiv immer wiederkehren, wenn die Galli sich siegestrunken ihre Geschichten erzählen. Nie habe ich einen Italiener sagen hören, dass e r verliebt sei oder gar liebe. –
So etwas gibt es einfach nicht. Das darf es nicht geben, denn es würde Schwäche bedeuten, und den Sexkalender zum Tagebuch der Einförmigkeit machen. Ein richtiger Gallo führt ein Buch in dem die Summe seiner männlichen Eroberungen zum Barometer seiner Selbstachtung wird. Meist wird natürlich in diesen Büchern feste gemogelt, weil man sie seinen Freunden zeigt oder wie durch Zufall herumliegen lässt.

Allein oder in Begleitung, er kann nicht anders, er muß nach jedem Rock schielen, der vorbeikommt. Er würde an seiner Männlichkeit zweifeln, wenn seine Blicke nur noch einer Frau gehören würden. Keine Gelegenheit zur Selbstbestätigung bleibst ungenutzt

Jetzt möchten wahrscheinlich viele Frauen, die in Italien Freundschaften geschlossen haben, daß ich vor ihnen stünde, damit sie mir voller Entrüstung diese Blätter um die Ohren schlagen könnten.
Sie haben natürlich ganz andere Dinge erlebt. Und sie sind Frauen und müssen es wissen. Man hat ihnen gesagt, daß sie bezaubernd seien, daß man sie liebe, verehre, begehre, daß sie wie Rosen riechen, wie Göttinnen gondeln, die Schwäne schwimmen.
Ihre Freunde waren nicht unbedingt zärtlich. Warum auch? Dafür waren sie faszinierend leidenschaftlich, hinreißend direkt und so toll verliebt, ja verliebt, daß sie sich kaum zurückhalten konnten, sie auf offener Straße in die Arme zu nehmen.
Beweise? Wenn man nicht an ihnen hängen würde wie am eigenen Leben, würde man mir auch die Liebesbriefe an den Kopf werfen, die man aus Italien erhalten hat und in denen geschrieben steht, daß man geliebt wird, richtig geliebt, schwarz auf weiß, von einem echten Mann.
Nun mag es aber der Zufall wollen, daß ich diese Briefe wiedererkenne, weil ich sie selber geschrieben oder übersetzt habe. Denn in den sechs Jahren, die ich in Italien verbracht habe, mußte ich viele Liebesbriefe dieser Art für Bekannte und Freunde übersetzen. Das erlaubte mir, die Mentalität des italienischen Mannes zu studieren.
Das war zu Anfang noch recht einfach. Wir hatten uns auf einige leidenschaftliche Texte geeinigt, die zu verschiedenen Situationen paßten. Je nach Bedarf wurde dieser oder jener kopiert. Manchmal sandte ein Bekannter an ein und demselben Tag sieben oder acht Briefe gleichen Inhalts an ebenso viele Adressen in verschiedenen Ländern.
Zunächst fand ich das langweilig. Als dann aber die Antworten kamen, und ich auch diese übersetzen mußte, wurde das Spiel zwar teilweise spannender, oft jedoch zum peinlichen Gewissenskonflikt.
Ich hatte plötzlich viele Bräute, die von Liebe sprachen und um Liebe baten. Von diesen Frauen erfuhr ich Geheimnisse, die den eigentlichen Empfänger gar nicht interessierten. Er wollte nur eins wissen: ob irgendwo im Norden ein Herz höher schlage, wenn es an ihn denke.  Er wollte auch auf die Entfernung noch Besitzer und Mann sein. Wenn ich den ganzen Brief übersetzen wollte, hielt er mich schnell zurück: „Langweilig, sag mir nur, ob sie noch verrückt nach mir ist.“ Und wenn eine „meiner“ vielen Bräute schrieb, daß sie sich nun in ihrer Heimat verlobt habe und bald heiraten werde, dann wurden Galli ungeduldig, weil ich ihre Briefe nicht mehr übersetzen wollte, die jetzt leidenschaftlicher wurden denn je und vor Sehnsucht überflossen. Wenn ich wissen wollte, warum, erhielt ich fast immer die gleiche Antwort: „So leicht kommt man von mir nicht weg. Die darf keine Ruhe haben. Die muß ihren Mann jeden Tag in Gedanken mit mir betrügen.“
Sie gingen davon und ließen die Übersetzungen woanders machen. Ich aber schrieb dem Mädchen einen Brief, der ihm vielleicht wehtat und ihm eine liebe Erinnerung zerstörte, der aber gerade deshalb die Zukunft rettete.
Die auf der Straße und wo auch immer gesprochenen Worte der Liebe haben nicht mehr Bedeutung als die Beteuerungen der Briefe. Sie sind fantasievolle Publicity.
Man muß zugeben, daß die italienischen Männer es meisterhaft verstehen, ein psychologisches Klima zu schaffen, das die weibliche Liebesbereitschaft unwiderstehlicher anspricht als die sachliche Atmosphäre des Nordens.

Er zieht sich aus, um zu frisieren. Auf Ischia führt Claudio einen Damensalon,  in dem er die Urlauberinnen auffordert, eben so leicht bekleidet zu kommen wie er. Busineß mit Sex – oder Sex mit Busineß?

Da lebt so ein Mädchen in München, Kassel oder Bremen. Es hat vielleicht einen Freund, in den es verliebt ist – oder nicht. Sie geht ins Kino und auch mal tanzen. Im Büro versuchen die Kollegen mit ihr anzubändeln und erlauben sich mal eine Frechheit.
Aber aufregend ist es nicht. Da bleibt keiner auf der Straße stehen, um einem zu bewundernd nachzuschauen, oder sagt voller Überzeugung etwas Hübsches. Meistens regnet es auch noch, und man muß sich so verhüllen, daß es überhaupt nichts mehr anzugucken gibt. Die Kolleginnen behaupten sogar, man habe dicke Beine und eine unmögliche Figur. Aber die sind nur eifersüchtig, weil man einen festen Freund hat und glücklich ist.
Glücklich? Was will das schon heißen? Man geht aus, küßt sich; er hat einen kleinen Wagen, man ist verliebt. Aber aufregend ist das nicht. In Filmen und Büchern ist das ganz anders. Da setzen Männer ihr Leben ein für eine Frau oder stammeln und weinen aus Liebe.
Dieses Außerordentliche, diese Traumwelt gibt es im wahren Leben nur für ganz wenige. Deshalb geht man ja ins Kino und liest alles über Soraya und Margaret, um wenigstens aus zweiter Hand das Ungewöhnliche mitzuerleben. Im Grunde hält man sich ja auch für hübsch und begehrenswert. Genau betrachtet ist man eben so schön wie all diese Frauen, von denen man spricht. Aber wer sagt das einem schon mal. Wenn die andern nur wüßten, was alles in diesem Herzen drinsteckt. Wenn sie nur verstehen würden, es herauszuholen.
Nun steigt man in Rom aus dem Zug. Schon an der Sperre schaut der Kontrolleur nicht mechanisch auf den Fahrschein, sondern bewundernd auf den Busen. Er fragt nicht mürrisch, ob man einen Rückfahrschein habe, sondern murmelt irgend etwas wie schön oder gut, oder was es auch sei. Man weiß nur, daß es bewundernd klingt – und man fühlt sich gar nicht schockiert.
Im Gegenteil, es prickelt überall. Der Gang durch die Bahnhofshalle ist ein richtiger Triumphzug. Blicke von allen Seiten. Augen, die Hände werden. Wünsche, die nach einem greifen, als sei man die einzige Frau auf der ganzen Welt. Man geht plötzlich ganz anders, sicherer, beschwingter.
Da sagt schon wieder einer etwas Wunderbares. Und hier will einer den Koffer tragen. Darf er das? Warum nicht? Er sieht nett aus. Er spricht sogar englisch. Na, sowas, auch auf Englisch kann man all diese Worte sagen, nach denen man immer einen heimlichen Hunger hatte.
Man nimmt ein Taxi, und selbst der Chauffeur pfeift bewundernd durch die Zähne. Was ist denn nur los? Ist man nicht mehr dieselbe? Offensichtlich nicht, denn wenn man nach fünf Minuten vor dem Hotel vorfährt, hat der freiwillige Kofferträger schon mehr verzaubernde Worte gesagt als der Freund zu Hause in den letzten zwei Jahren.
Und wieder diese Blicke in der Hotelhalle. Zu Hause gab es ja auch mal Blicke. Aber die waren irgendwie schräg und verstohlen krumm, als wollten sie heimlich etwas wegnehmen.
Hier blitzen die Augen ganz gerade mit offener Bewunderung genau dorthin, wo man sich nie so ganz sicher fühlte. Und sie machen gar nicht unsicher, sie geben Vertrauen. Plötzlich hat man einen richtigen Busen, richtige Hüften, richtige Beine. Ja, jeder Blick ist ein Geschenk an jene Traumfrau, die man immer sein wollte.
Man kann gar nicht schnell genug wieder auf der Straße sein, um dieses herrliche Gefühl, Frau zu sein, nicht wieder los zu werden. Und wenn sich dann ein hübscher Junge anbietet, die Schönheiten der Stadt zu zeigen, und dabei nur von den Schönheiten seiner Begleiterin spricht – ja, was soll man da machen? –
Das Mißverständnis ist komplett: Durch den Dunst des eigenen Anerkennungsbedürfnisses sieht man Feuer, wo nur Rauch ist. Redeschwall wird zu Gefühl, Vulgarität zu Potenz, Technik zu Leidenschaft, sentimentaler Bluff zu Romantik. Das „italienische Wunder“ vollzieht sich: Was ein nicht weniger jämmerlicher Ersatz ist als der Anbiederungsversuch eines Betrunkenen, wird hier, im Taumel des Urlaubs – zur Liebe.
Und nun glaubt der italienische Mann, daß er der beste, der unvergleichliche Liebhaber Europas sei.
Dabei ist sein Heldentum die Folge selbstverschuldeter Not. Er ist das Opfer einer heuchlerischen Moral, für die nur er, der Mann und Hahn, verantwortlich ist, einer Gesellschaftsform, die ihm die Möglichkeit zur Liebe verwehrt und Stauungen schafft, die zur Überbewertung des Sexuellen führen.
Es ist kein Geheimnis, daß nirgends so wenig geliebt wird wie in Italien. Südlich der Alpen beginnt in der Tat das seelische Notstandsgebiet Europas. Hier hat der Mann die Frau eingesperrt. Er hat ihr verboten, ein Mensch zu werden, der das Recht hat, über sich selber zu bestimmen. Aus ihrer Versklavung hat er ein Symbol seiner Ehre gemacht, aus der Jungfräulichkeit einen Scheck auf die Zukunft.
Die aus dieser Einstellung entspringende Verarmung des Liebeslebens und jeder menschlichen Beziehung ist katastrophal. Alles wird auf einen Nenner gebracht. Die fetischistische Überbewertung des Sexuellen zwingt die Frauen hinter Gitter, die Männer auf die Straße. Hier rotten sie sich dann zusammen wie hungrige Wölfe und können nur noch an das denken, was ihnen fehlt: die Frau. Und wie arbeitslose Saisonarbeiter warten sie auf den Sommer, der die freien Frauen des Nordens bringt, deren Ehre ja nicht die ihre ist.
Es gibt kaum einen traurigeren Anblick als die Straßen und Plätze der italienischen Kleinstädte, wo sich die Männer Tag für Tag zu ihrem erotischen Hungermarsch versammeln. Selbst in Florenz, Rom oder Neapel ist das Stadtbild nicht von Paaren und Pärchen beherrscht, sondern von Männern, die in Gruppen stehen und Frauen, die zu zweit gehen.
Man starrt die Frau an, ruft ihr nach oder rennt hinterher – aber Liebe ist das nicht.
Die Liebe gleicht jenen spanischen Herbergen, in denen man nur das bekommt, was man selber mitbringt.

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