„deutsches panorama“ , Mai 1966
Die deutsche Presse blickt nur selten hinter die Kulissen des Krieges in Vietnam. Was spielt sich in Vietnam wirklich ab? „deutsches panorama“ befragte einen der wenigen Experten: den gerade vom Kriegsschauplatz zurückgekehrten „stern“-Reporter Gordian Troeller.
Das Gespräch führt der Chefredakteur Gert von Paczensky.
panorama: In Kriegszeiten häufen sich die Schwierigkeiten beim Schreiben der Wahrheit. Wie steht es damit in Vietnam?
Troeller: Es gibt viele Faktoren, die eine objektive Berichterstattung unmöglich machen. Dazu gehören in erster Linie die Barriere der Sprache, die Unkenntnis der asiatischen Mentalität, die Beschränkung des Milieus, zu dem ein ausländischer Journalist Zutritt hat und natürlich die Gefahr, der er sich aussetzen muß, wenn er mehr erfahren will als das, was offizielle Stellen ihm mitteilen wollen.
Es ist nahezu unmöglich, mit Vietnamesen ins Gespräch zu kommen, die nicht zum bürgerlichen, westlich orientierten Milieu der großen Städte gehören. Was man dort erfährt, sind die Wunschträume einer Klasse, deren Existenz ausschließlich vom Schutz der amerikanischen Streitkräfte abhängt. Der ausländische Korrespondent befindet sich somit in einer Art Spiegelkabinett, in dem ihm das von der amerikanischen Propaganda gezeichnete Bild tausendfach zurückgeworfen wird.
Wenn er sich im Inneren des Landes umsehen will, ist er auf amerikanische Hilfe angewiesen. Die meisten Dörfer sind nur im Hubschrauber zu erreichen, denn es geht über Vietcong-Gebiet, das man auf dem Landwege nicht durchqueren kann. Im Dorf findet er Menschen, die ebenfalls unter amerikanischem Schutz stehen und sich entsprechend verhalten. Meist handelt es sich um Flüchtlinge aus der Kampfzone, die in ruhigeren Gegenden neu angesiedelt werden.
Lehnt der Journalist es ab, sich auf Dörfer zu beschränken, die zur Regierungstreue verpflichtet sind, dann muß er feststellen, daß die Städte und amerikanischen Stützpunkte belagerte Festungen sind, aus denen er nur unter Lebensgefahr und gegen den Willen der Regierung heraus kann.
Zum Beispiel: In Saigon gibt es ein ausgezeichnetes vietnamesisches Restaurant. Es liegt am Rande der Stadt. Wer dort essen will, muß vor der Dämmerung wieder verschwinden. Nach sechs Uhr abends herrscht dort der Vietcong.
Die Kaiserstadt Hué ist stolz auf ihre alten Gräber. Das erste befindet sich 3 Kilometer vom Stadtzentrum entfernt. Man kann es besuchen. Das zweite liegt nur einen Kilometer weiter. Es ist für Touristen gesperrt, denn dort beginnt bereits das Gebiet der Rebellen.
So ist es im ganzen Land.
Wer aus den belagerten Städten herauskommen will, muß heimlich die Sperren der südvietnamesischen Armee umgehen. Vietnamesen und Amerikaner sehen es nicht gern, wenn Journalisten ins Niemandsland vordringen oder sogar Gebiete erreichen wollen, in denen der Vietcong und seine Nationale Befreiungsfront (FNL) Herr und Meister sind. Gelingt es doch, dann wird der Betreffende bei seiner Rückkehr stundenlang verhört und tut besser daran, das Land zu verlassen.
Gewöhnlich muß ein Journalist sich also mit jenen Informationen zufriedengeben, die er in Saigon oder anderen größeren Städten erhalten kann.
panorama: Welche Informationsquellen gibt es, und wie zuverlässig sind sie?
Troeller: Die Pressedienste der vietnamesischen Regierung und der Vereinigten Staaten sind die Hauptinformationsquellen.
Auf militärischer Ebene gibt es keine anderen, es sei denn, man ist mit vietnamesischen oder amerikanischen Offizieren befreundet, deren heimliche Geständnisse oder offenen Verzweiflungsausbrüche nicht selten zu den offiziellen Nachrichten im Widerspruch stehen.
Auf politischer Ebene gibt es natürlich die üblichen Kontakte: katholische Würdenträger, Studentenführer, buddhistische Mönche, Leute der Regierung usw. Mit ihnen kann man ohne Schwierigkeiten ins Gespräch kommen, obwohl alle, die nicht mit dem Regierungschef General Ky einverstanden sind, streng überwacht werden.
Weit wichtiger als die Informationsquellen scheint mir die Einstellung der meisten Journalisten zu sein. Sie akzeptieren widerspruchslos die These, mit der die Vereinigten Staaten ihr militärisches Engagement in Vietnam zu rechtfertigen versuchen, nämlich: im Namen eines nach Freiheit strebenden Volkes (Südvietnam) einen Angriffskrieg aus Nordvietnam abzuschlagen.
Nur Journalisten, die einen so großen Namen haben wie Walter Lippmann, scheinen es sich erlauben zu können, die Dinge ins rechte Licht zu rücken Lippmann schrieb in dem amerikanischen Nachrichten-Magazin Newsweek:
„Die blinde Annahme, daß der Vietnamkonflikt eine Aggression aus dem Norden sei, die mit Hitlers Einmarsch in Polen und den Niederlanden zu vergleichen wäre, hat die Regierung zu dem unerklärten, rechtswidrigen und strategisch nutzlosen Bombenkrieg gegen Nordvietnam getrieben.“ Oder denken wir an Hans Fleigs Artikel „Weltkrieg, damit das Weltbild stimmt?“ in deutsches panorama.
Vergleichen wir doch einmal die Zahlen: Amerikanische Quellen in Vietnam behaupten, daß rund 20 000 Mann nordvietnamesischer Truppen im Laufe der letzten Jahre nach Südvietnam geschleust worden seien. (Im Gegensatz zu den aufgeblähten Zahlen, die Washington verbreitet.) Gleichzeitig aber sind nahezu 140 000 südvietnamesische Soldaten zu den Vietcong übergelaufen. Im übrigen verfügt die FNL (nationale Befreiungsfront) über mehr als 400 000 Partisanen südvietnamesischer Herkunft.
Auf Seiten des Vietcong sind somit über fünfhunderttausend Menschen in diesen Kampf verwickelt und nur 20 000 davon sollen aus dem Norden kommen. Dieser Prozentsatz ist so gering, daß es grotesk ist, von einem nordvietnamesischen Angriff zu sprechen.
Aus den Verhören nordvietnamesische Soldaten geht hervor, daß sie in Gruppen von zehn bis fünfzehn Mann marschieren und drei Monate benötigen, um nach Südvietnam zu gelangen. Waffen- und Munitionstransporte dauern noch länger.
Bei diesem Schneckentempo dürfte es die Nordvietnamesen schwerfallen, „entscheidend in den Krieg einzugreifen“ – wie die amerikanische Propaganda behauptet. Und wenn ich nicht selbst amerikanische Waffen auf dem Schwarzmarkt gesehen hätte, könnte ich mir kaum vorstellen, woher die Vietcong ihrer modernen Ausrüstung beziehen.
Kurzum: In Vietnam haben wir es weder mit einem Angriffskrieg aus dem Norden noch mit einer Kabale des internationalen Kommunismus zu tun. Dort tobt ein Krieg, sicherlich – aber es ist einerseits ein Befreiungskrieg gegen fremde Einmischung, andererseits eine Revolte gegen korrupte Führung, soziale Ungerechtigkeit und militärische Willkür.
Selbst wenn der Norden darin verstrickt ist, so ist das sein gutes Recht, denn legal sind Nord- und Südvietnam nach wie vor eine Nation. Washington hingegen kann sich kaum auf eine Klausel des internationalen Rechtes stützen, um die amerikanischen Bombenteppiche zu rechtfertigen, es sei denn, die Zustimmung der Militärdiktatur in Saigon, die „made in USA“ ist.
Verschwiegene Wahrheit
Revolutionen werden nicht immer in Moskau oder Peking organisiert. Es gibt soziale Situationen und geschichtliche Momente, in denen ein Volk seine Revolution machen muß, wenn es nicht untergehen will. Die Vereinigten Staaten haben es auch einmal getan und müßten eigentlich wissen, daß es Bürgerkriege gibt, für die kein „Kommunist“ verantwortlich zu sein braucht.
Im Gegenteil, verantwortlich sind einzig und allein jene Herren, die durch Gewalt zur Macht kamen und sich durch Terror halten. Sie sind es, die revolutionäre Erhebungen herausfordern. Sie aber genießen nur zu oft den Schutz der USA.
In den letzten Jahren hat es genügend Beispiele gegeben, von Guatemala über Brasilien, San Domingo, Ghana, Indonesien bis nach Vietnam. Und immer werden die Diktatoren geschützt oder sogar geschaffen, um die „Gefahr des Kommunismus“ zu bannen.
Früher eroberte man die Welt im Namen Christi gegen die Heiden und metzelte die Bevölkerung ganzer Kontinente nieder. Heute schenkt der „Antikommunismus“ dem christlichen Gewissen das nötige Alibi zum Morden.
Aber ich komme vom Thema ab. Was ich sagen wollte, ist dies:
Ein Journalist, der widerspruchslos die amerikanischen Thesen hinnimmt, kann natürlich nicht mehr objektiv berichten. Viele scheinen ähnlich zu reagieren wie ein Offizier des amerikanischen Geheimdienstes, mit dem ich in Vietnam lange Gespräche führte. Er war zu der Überzeugung gekommen, daß die USA nur noch eine winzige Minderheit der Bevölkerung hinter sich haben und deshalb Vietnam so schnell wie möglich verlassen sollten, um wenigstens ihr moralisches Prestige wieder herzustellen.
Als ich ihn fragte, wie Washington auf solche Berichte reagiere, blickte er mich verständnislos an.
„Aber so etwas berichte ich doch nicht nach Washington“, meinte er.
„Warum nicht?“ wollte ich wissen.
„Weil ich dann sofort versetzt würde.“
Als ich immer noch nicht begreifen wollte, fuhr er fort: „Verstehen Sie denn nicht?
Meine ganze Karriere würde darunter leiden. Ich kann doch keine Informationen weiterleiten, die den Zielen unserer Kriegführung widersprechen. Wie würde ich dastehen? Wie ein Verräter. Ein Zweifler zumindest. Ein Defätist.“
panorama: Haben Sie deutsche Kollegen getroffen – welche? Wie arbeiten sie?
Troeller: Ja, einen – den Vertreter der Deutschen Presse-Agentur.
Während der letzten schweren Krise war er der einzige Vertreter der deutschen Presse in Vietnam.
Ich traf ihn in Saigon. Er konnte nicht in die umkämpften Städte des Nordens gehen, um von dort aus eigener Sicht zu berichten, weil deutsche Hilfsaktionen in Saigon eingeweiht werden mußten. Der Rummel um ein paar Kisten aus der Bundesrepublik war natürlich wichtiger als der Kampf der Buddhisten um freie Wahlen.
Ich möchte nichts gegen die beruflichen Qualitäten dieses Mannes sagen. Ganz im Gegenteil: Er arbeitet sich buchstäblich zu Tode. Eigentlich ist sein Hauptsitz Hongkong. Von dort muß er ganz Südostasien bearbeiten.
Stellen Sie sich vor: Ein Mann, ganz allein, in der explosivsten Gegend der Welt.
Vor Monaten wurde er nach Vietnam beordert, und da sitzt er nun in einem Hotelzimmer und soll über diesen Krieg berichten. Wenn seine Frau nicht wie eine Besessene jeden Tag zehn Stunden helfen würde, wäre dieser Mann wahrscheinlich schon unter der Erde. Und seine Frau erhält keinen Pfennig dafür, nicht einmal das Gehalt einer Sekretärin, obwohl sie die Arbeit eines zweiten Korrespondenten mit viel Sachkunde verrichtet.
Die Amerikaner, Engländer, Franzosen, Japaner usw. haben riesige Büros mit einem Haufen Personal und Informanten in allen Ecken des Landes. Es wäre unfair, die dpa englischen oder amerikanischen Agenturen zu vergleichen.
Aber nehmen wir Frankreich, das wirtschaftlich schwächer ist als die Bundesrepublik und wo weit weniger Zeitungen gelesen werden:
Die AFP (Agence France Presse) beschäftigt in Saigon fünf Franzosen und ein Dutzend Vietnamesen. Anzahl und Qualität des Personals entspricht der internationalen Bedeutung des Vietnamkonfliktes.
Um informiert zu sein und berichten zu können, brauchen die Franzosen sich nicht mit der amerikanischen Propaganda abzufinden. Wenn sie täglich einen Mann zu den Pressekonferenzen der Amerikaner schicken, so geschieht dies nicht, um „informiert“ zu sein, sondern um unter anderem auch den offiziellen Standpunkt Washingtons zu kennen.
Der DPA-Mann hängt jedoch ausschließlich vom Nachrichtendienst der Vereinigten Staaten ab. Da er allein ist, bleibt ihm gar nichts anderes übrig, als brav das amerikanische Material zu sammeln und anschließend nach Hause zu kabeln.
Das erklärt vielleicht, warum die Berichterstattung über Vietnam in vielen deutschen Zeitungen so aussieht, als habe man die amerikanische Propaganda mit der Lupe gelesen.
Touristen des Todes
Die Presse anderer Länder berichtet viel objektiver. Ich glaube kaum, in Japan, England, Frankreich oder Schweden gefragt zu werden, wie viele Rotchinesen ich in Vietnam gesehen habe. Das aber ist mir in Hamburg passiert. Als ich dem Fragesteller klarmachte, daß es überhaupt keine Rotchinesen in Vietnam gibt, fragte er mich ganz verblüfft, auf wen die USA denn ihre Bomben werfen. Und dieser Mann liest regelmäßig zwei Tageszeitungen.
„Aber warum wollen die Amerikaner mit Peking und Hanoi über den Frieden verhandeln“, fragte er mich weiter, „wenn sie mit denen gar nicht im Krieg sind?“
Ja, das gehört auch ins Kapitel der amerikanischen Propaganda. Die USA tun so, als ob es die FNL gar nicht gäbe.
Auch die Franzosen haben seinerzeit dieses Spiel gespielt. Während des Algerienkrieges sprachen sie den Freiheitskämpfern jede Autonomie ab. Paris behauptete damals, der Kampf der Algerier werde von Kairo aus gesteuert. Er sei keineswegs ein Streben nach nationaler Unabhängigkeit, sondern lediglich der getarnte Versuch Nassers, ganz Nordafrika unter seine Fuchtel zu bringen.
Genau so operieren heute die Amerikaner. Sie lancieren ihre „Friedensoffensiven“ in Richtung Hanoi und Peking und erwecken so den Eindruck, daß dort die eigentlichen Unruhestifter am Werk sind, obwohl sie genau wissen, daß der einzig entscheidende Gesprächspartner in Südvietnam sitzt und „Nationale Befreiungsfront“ heißt. Gegen wen müßten sie sonst eine Million Soldaten ins Feld führen (eigene und fremde), um sich mühsam in den Städten halten zu können?
Ich wollte hiermit nur zeigen, wie lückenhaft die deutsche Berichterstattung ist – wie provinziell sie ist, mag aus folgendem Beispiel hervorgehen:
Als ich nach der Niederlage von Da Nang wieder in Saigon eintraf, fand ich den DPA-Vertreter und seine Frau völlig erschöpft vor. Sie waren nicht etwa durch Kugelhagel oder Gasbomben gerannt. Nein. Sie waren zwei Tage lang auf allen Märkten der Hauptstadt herumgelaufen, um ausfindig zu machen, ob deutsche Medikamente unter der Hand verkauft würden.
Ja, Sie haben richtig gehört:
Während in Da Nang Buddhisten ermordet wurden, während in Hué das amerikanische Konsulat in Flammen aufging, während es in Saigon um die Zukunft General Kys und den Verbleib der USA ging, forderte man aus der Bundesrepublik dringend Nachricht, ob deutsche „Liebesgaben“ auf dem Schwarzmarkt verschachert würden, und dies nur, weil die „Bildzeitung“ es behauptet hatte.
Die Bedeutung einer Nachricht wird am „deutschen Aufhänger“ gemessen und nicht an ihrem Informationswert für Menschen, die sich eine Meinung über das Weltgeschehen bilden möchten.
Um nochmals Frankreich zum Vergleich anzuführen: Während der gleichen Krise waren außer den ständigen AFP-Leuten mehr als zwanzig französische Journalisten in Vietnam. Aus der Bundesrepublik werden sie erst dann in Scharen anrücken, wenn das Lazarettschiff „Helgoland“ im Hafen von Saigon anlegt. Dann besteht endlich ein „deutsches Interesse“, dann wird endlich dieser Krieg, dessen Ausweitung eines Tages jeden von uns unmittelbar angehen kann, auch für die deutsche Presse wichtig genug sein, aus nächster Nähe betrachtet zu werden.
Und wie das aussehen wird, kann ich Ihnen genau sagen. Die Journalisten werden in amerikanischen Flugzeugen einige Minuten „Touristen des Todes“ spielen. Das ist die Gratisattraktion, so eine Art Riesenrad im Zirkus des Krieges. Man darf beim Feindflug dabei sein und zusehen, wie Bomben und Napalm auf Menschen geworfen werden. Wer das Glück hat, neben einem netten Piloten zu sitzen, darf sogar selbst auf den Knopf drücken, der Tod und Verderben auslöst. So etwas ist anscheinend noch aufregender als der Anblick eines brennenden Buddhisten.
Im Hubschrauber oder Geleitzug kann man auch noch ein regierungstreues Dorf besuchen und einige Gefangene ausfragen. Prominente dürfen General Ky, Botschafter Lodge oder General Westmoreland ein paar Fragen stellen, die schon tausendmal beantwortet wurden – und die Rundfahrt ist zu Ende. Es gibt dann ein paar Vietnamspezialisten mehr.
panorama: Gibt es noch andere Deutsche in Vietnam, und wie denken diese über den Krieg?
Troeller: Ich habe Ärzte getroffen, die an Universitäten lehren und gleichzeitig kleine Krankenstationen im Niemandsland betreuen – dort werden sie fast wie Heilige verehrt.
Für das Ansehen der Bundesrepublik ist ein solcher Arzt natürlich wertvoller als zehn Lazarettschiffe. Von ihm weiß die Bevölkerung, daß seine Hilfe selbstlos geschenkt wird und nicht zum Schaugeschäft der Politik gehört.
Da diese Männer nicht nur im Cocktailgetto der großen Städte zu Hause sind, sondern buchstäblich den Puls des Volkes fühlen, weichen ihre Anschauungen über diesen Krieg natürlich weit von der offiziellen Propaganda ab. Was sie wirklich denken, darf ich Ihnen leider nicht mitteilen, denn es ist ihnen laut Vertrag nicht gestattet, ihre politischen Erfahrungen der Öffentlichkeit anzuvertrauen.
panorama: Zensieren die Amerikaner oder die Ky-Regierung die Berichte der Korrespondenten?
Troeller : Nein, für ausländische Journalisten gibt es keine Zensur. Nur die
Berichterstattung der inländischen Presse wird von der Regierung kontrolliert.
Kritischer in Amerika
Ich möchte unterstreichen, daß die Amerikaner in ihrem Bereich den Journalisten keine Hindernisse in den Weg legen. Im Gegenteil, sie unterstützen die Arbeit der Presse. Sie sind hilfsbereit, wie ich es selten in einem Krieg erlebt habe.
panorama: Kann man sich im Großen und Ganzen auf die amerikanischen Berichte über den Krieg verlassen? Werden die Verluste, die eigenen und die des Vietcong, annähernd richtig wiedergegeben?
Troeller: Ich habe bereits die „Sicht“ erwähnt, aus der die USA – und in ihrem Gefolge der Großteil der westlichen Journalisten – den Krieg betrachten. Aus dieser Sicht ist eine objektive Berichterstattung unmöglich.
Man kann dies am besten beurteilen, wenn man selbst Augenzeuge von Ereignissen war und hinterher die Berichte der Zeitungen liest: Die Rolle der USA wird geschönt, die Aktion der Gegner, selbst der Buddhisten und Studenten, abgewertet oder lächerlich gemacht. Tatsachen werden entstellt oder einfach unterschlagen.
Ich möchte jedoch nicht verallgemeinern. Es gibt amerikanische Zeitungen, die sich um völlige Objektivität bemühen, und je länger dieser Krieg dauert, desto mehr werden es. In den USA wird heute weit kritischer über Vietnam berichtet als zum Beispiel in der Bundesrepublik.
Was die Verluste angeht, so wird natürlich geschwindelt. Zum Beispiel: Ein Dorf im Vietcong-Gebiet wird zunächst mit Bomben belegt und dann widerstandslos genommen. Die Leichen der Frauen und Kinder werden schnell verscharrt. Es kann sich ja nicht um Rebellen handeln, und ihre Erwähnung im Kriegsbericht würde nur Unheil anrichten.
Man zählt also nur die toten Männer.
In einem Fall, den ich kenne, waren es neunzig. Diese Zahl wird veröffentlicht, unter der Rubrik: getötete Vietcong. Im ganzen Dorf aber wurden nur zwölf Gewehre gefunden. Wahrscheinlich waren also nur zwölf Rebellen anwesend, als die Bomber zum Todesstoß ansetzten. Die übrigen Toten sind einfache Bauern, deren Schicksal es wollte, daß sie auf diesem unglücklichen Flecken der Erde zur Welt kamen. Sie werden trotzdem als Vietcong „verkauft“. So beruhigt man sein Gewissen und kann Siege feiern.
panorama: Wie denkt der einfache Vietnamese über die Amerikaner, die Franzosen, die Deutschen – macht er wesentliche Unterschiede? Warum glaubt er, daß die Amerikaner diesen Krieg führen?
Troeller: Der einfache Vietnamese haßt die Amerikaner, achtet die Franzosen und weiß nicht genau, wo Deutschland liegt. Also lassen wir die Deutschen aus dem Spiel.
Man haßt die Amerikaner, weil sie Bomben werfen, die Verwandten töten und Gift streuen, die Wälder entblättern und den Reis zerstören; weil sie den Krieg verlängern, reich sind und sich entsprechend benehmen. Die Antipathie ist so allgemein, daß selbst kleine Kinder hinter amerikanischen Soldaten herlaufen und ihnen in den Hintern treten. Sie übersetzen durch diese unzweideutige Geste, was sie zuhause täglich erfahren: den Haß auf die USA.
Und was soll ein baumlanger Soldat machen, der von einem vierjährigen Knirps getreten wird? Er schaut verlegen zur Seite, geht schneller oder kauft sich mit Kaugummi frei.
Man achtet die Franzosen, weil man sie eines Tages besiegt hatte, weil sie nicht mehr die Herren sind – aber vor allem, weil sie schon damals, als sie noch kommandierten, den „Reis mit Vietnamesen teilten“, das heißt, sich an denselben Tisch setzten, was die Amerikaner nicht tun. Sie stehen abseits, in ihren Lagern, ihren Hotels, ihren Kasernen.
Nachts kommen die Vietcong
Der einfache Vietnamese versteht überhaupt nicht, warum die USA in seinem Land Krieg führen. Er weiß weder, was Kommunismus ist, noch was Freiheit im westlichen Sinn bedeutet. Er weiß nur, daß dieser Krieg, der als reiner Befreiungskrieg gegen fremde Herrschaft vor mehr als 20 Jahren begann, ohne den Abzug der fremden Truppen nie beendet sein wird. Für ihn haben die Amerikaner nur die Franzosen abgelöst; das heißt, abermals maßen Ausländer sich an, über das Schicksal Vietnams zu bestimmen.
Ein normaler Vietnamese kann sich nicht vorstellen, daß die USA in seinem Land die „Freiheit“ verteidigen. Welche Freiheit? Sicherlich nicht die seine. Für ihn bedeutet Freiheit die Befreiung von fremder Vormundschaft und die Vertreibung jener herrschenden Schicht, die nur dank des fremden Beschützers an der Macht ist.
Bezeichnenderweise sprechen die einfachen Leute nie von „Vietcong“ oder von der „ Nationalen Befreiungsfront“. Sie nennen die Partisanen nach wie vor „Vietminh“ – so bezeichnete man die Freiheitsbewegung, die damals gegen Frankreich kämpfte und siegte.
panorama: Auch solche Amerikaner, die den Krieg Johnsons – und die Art wie er geführt wird – scharf verurteilen, meinen, ein Rückzug der amerikanischen Truppen würde heute zu einem Blutbad führen. Die Vietcong würden an allen „Kollaborateuren“ furchtbare Rache nehmen. Ist diese Furcht berechtigt?
Troeller: Das ist natürlich völliger Unsinn. Heute bereits kontrollieren die Vietcong zwei Drittel des Landes. Wenn sie dort „furchtbare Rache“ nehmen wollten, wäre das bereits geschehen.
Ein Beispiel: Ich war in einem Dorf im Niemandsland. Tagsüber laufen dort ein paar Regierungssoldaten herum. Des Nachts kommen die Vietcong, trommeln die Bauern zusammen und erklären ihnen die Ziele ihres Kampfes.
Die Rebellen könnten die Soldaten mitnehmen oder sie einfach erschießen. Das wären immerhin vierzehn Feinde weniger, und schließlich ist Krieg. Aber nein. Solange die Soldaten nicht schießen, werden sie auch nicht erschossen, und bevor sie nicht von den Thesen des Vietcong überzeugt sind, werden sie auch nicht mitgenommen.
Das habe ich selbst erlebt. Am Tage gehen die Soldaten wohlweislich unbewaffnet einher. So riskieren sie nichts.
Ich will damit nicht sagen, daß es keine „Abrechnung“ geben würde. Jede Revolution bringt sie mit sich. Ich möchte jedoch behaupten, daß weit weniger Menschen aus Rache umgebracht werden, als heute an manchen Tag unter den Bomben der amerikanischen Luftwaffe sterben.
Wer die amerikanische Besetzung mit der Angst vor einem Blutbad zu rechtfertigen versucht, der geht von der Voraussetzung aus, daß der weiße Mann automatisch für die „gute Sache“ kämpft und somit das Recht zum Töten hat, der Farbige hingegen nicht reif genug ist, um zwischen „gut“ und „böse“ zu unterscheiden.
Das hieße, die USA müssen in Vietnam bleiben – obwohl sie dort Tod und Verderben bringen – mit der seltsamen Begründung, daß es Tote geben könnte, wenn die Vietnamesen allein gelassen werden.
Ich habe mich immer über die fantastische Dehnbarkeit unserer „weißen Moral“ gewundert, und noch mehr, daß es keinem aufzufallen scheint, wie heuchlerisch dumm sie ist.
Ein Afrikaner sagte mir einmal: „ Wenn bei uns und zwei Stämme streiten und es ein paar Hundert Tote gibt, dann schimpfen uns die Weißen Barbaren und kommen herbeigeeilt, um die Ordnung im Namen einer höheren Zivilisation wiederherzustellen.
Wenn aber der weiße Mann Krieg führt, dann werden gleich viele Millionen niedergemacht. Unschuldige, die nicht einmal wissen, warum sie sterben müssen. Und das ist dann nicht barbarisch. Das ist dann zivilisiert – wahrscheinlich, weil der anonyme Massenmord durch Wunder der Technik vollbracht wird. Im Gegensatz zum ‚barbarischen‘ Streit mit Pfeil und Bogen.“
panorama: Sehen Sie einen Weg, diesen Krieg zu beenden?
Troeller: Man müßte mit Blindheit geschlagene sein, wenn man ihn nicht sehen würde.
Dieser Weg führt über die Buddhisten und ihre Forderung nach freien Wahlen, über jenes Prinzip der Freiheit also, daß die USA in Vietnam verteidigen wollen.
Die Buddhisten werden oft als eine kleine Gruppe von Fanatikern gestellt, deren Hauptziel es sei, die Vorherrschaft der vom Westen geförderten katholischen Minderheit zu brechen. (1,5 Millionen Katholiken auf insgesamt 18 Millionen Einwohner)
Das ist nicht so. Mit „Buddhisten“ bezeichnet man heute in Vietnam nicht mehr eine religiöse Gemeinschaft, sondern eine politische Bewegung. Selbst die Anhänger von Konfuzius und die Mitglieder der Gemeinschaft der Animisten nennen sich plötzlich so. Sie haben wahrscheinlich keine Ahnung, wer Buddha war, trotzdem verehren sie die Bonzen und klatschen Beifall, wenn Ky oder die Amerikaner angegriffen werden.
Kurzum: Das Wort „Buddhismus“ ist zum Synonym für „Patriotismus“ geworden und die Mehrheit der Südvietnamesen bekennt sich heute zu ihm.
Somit sind die Buddhisten zu der einzigen politischen Kraft geworden, die das nötige Vertrauen des Volkes besitzt, um eines Tages den unvermeidlichen Dialog mit den Vietcong zu führen. Sie sind bereit, den Kommunisten die ihrer Bedeutung entsprechende Beteiligung am politischen Geschehen des Landes einzuräumen. Der einzige Weg hierzu führt über freie Wahlen.
Aber davor wollen Ky und die Amerikaner nichts wissen. Sie scheinen weniger einen Sieg des Vietcong zu fürchten, als vielmehr eine buddhistische Sturmflut, die Ky und seine Generäle davonspült und den USA jede Rechtfertigung entzieht, weiterhin im Land bleiben.
Die Buddhisten sind andererseits überzeugt, daß eine Koexistenz mit den Kommunisten nicht zu einer Machtübernahme durch extreme Elemente führen wird. Sie glauben, daß diese Koexistenz zu einem neutralen Sozialismus führen kann.
Sie hoffen sogar, daß Nordvietnam sich dann von russischer und chinesischer Vormundschaft freimachen kann, um gemeinsam mit dem Süden eine neutrale und fortschrittliche Nation zu werden.
Wenn die USA ein für alle Teile annehmbares Ende dieses Krieges wünschen und nicht unbedingt einen Sieg, wenn sie den Vietnamesen wirklich zu Frieden und Freiheit verhelfen wolle, dann müßten sie die neutralistischen Bestrebungen unterstützen – und entsprächen damit dem Willen des Volkes.
Wenn Vietnam jedoch nur – wie einige amerikanische Generäle zu verstehen geben – ein ideales Übungsfeld ist, auf dem die USA sich in Wirklichkeit für die großen Auseinandersetzungen in Südamerika vorbereiten, oder wenn es – wie andere verlauten lassen – nur eine Vor-Etappe zum Präventivkrieg gegen China ist, dann bleibt den Amerikanern nichts anderes übrig, als diesen Krieg immer mehr in einen regelrechten Kolonialkrieg zu verwandeln.
Das heißt, sie werden einem Volk gegen seinen Willen mit Waffengewalt ihren Willen aufzwingen. Und heute sind sie auf dem besten Wege dazu.
panorama: Können die Amerikaner denn gewinnen?
Troeller: Selbstverständlich können die Amerikaner gewinnen. Es fragt sich nur, was dann noch von Vietnam übrig bleibt.
Sie können ohne weiteres den Großteil Vietnams zerstören und den Rest lebensunfähig machen. Dazu haben sie die nötigen Mittel, ohne Atomwaffen einsetzen zu müssen. Die „Eskalation“ bedeutet letztlich nichts anderes.
Immer mehr Dörfer werden ausradiert, Reisernten vernichtet, Wälder zerstört, Häuser verbrannt, Menschen getötet. Endlich wird nichts mehr da sein, um die Vietcong zu ernähren und kaum jemand, um ihnen zu helfen.
Wenn die USA nicht vor einem großangelegten Völkermord zurückschrecken, können sie sicherlich eines Tages auf verbrannter Erde einsame Sieger sein.